Grundgütiger, der Wolf wog bestimmt dreißig Kilogramm!
Obwohl der Mann täglich seinen Körper trainierte, rann ihm der Schweiß spürbar den Rücken hinunter, als er endlich am Ausgangspunkt seines Abenteuers angekommen war: dem flachen Fels vor seiner Hütte.
Er näherte sich dem Fels von der talwärts gelegenen Seite, um sich nicht bücken zu müssen. Vorsichtig legte er den Wolf ab, zog sich behutsam ein Stück zurück, streckte seine angestrengten Armmuskeln und begegnete dem überraschend ruhigen Blick des Tieres.
„Danke, dass du das alles so hinnimmst“, nahm er seinen Monolog wieder auf. „Ich werde mir mal deine Verletzungen ansehen – ich bin gleich zurück.“
Langsam entfernte er sich in Richtung der ein Stück hangaufwärts liegenden Hütte, bis ein leises Winseln ihn innehalten ließ.
Hatte der Wolf Angst, verletzt zurückgelassen zu werden?
Er drehte sich mitfühlend zu ihm um. „Keine Sorge – ich bin gleich zurück. Ich muss ein paar Sachen holen, um mir deine Verletzungen anzusehen. Vor allem Licht. Ohne kann ich nicht so gut sehen, und wir wollen ja beide, dass ich das richtig mache, nicht wahr?“ Er redete beruhigend weiter, bis er die Hütte erreicht hatte, und auch darin dachte er weiter laut nach. Der Wolf sollte seine Stimme hören, wissen, dass er immer noch ganz in der Nähe war.
Das Innere seiner kleinen Hütte war gemütlich, aber zweckmäßig eingerichtet, so dass er sein Verbandszeug und eine Laterne ohne zu suchen greifen konnte. Rasch entzündete er das Licht, bevor er wieder nach draußen trat, um den Wolf mit dem plötzlich aufflammenden Streichholz nicht zu erschrecken.
Als er wieder auf den Felsen zuging, legte der Wolf den aufmerksam gereckten Kopf zurück auf die Pfoten – ganz, als sei er erleichtert, ihn wiederzusehen.
„Na, hast du mich etwa vermisst?“ Wieder huschte ihm ein Lächeln übers Gesicht.
Langsam streckte er die Hand aus, um den Wolf zu berühren. So sehr dieser ihn bisher auch toleriert hatte, es war keine Garantie, dass das so blieb, und so war er weiterhin stets vorsichtig.
Sanft strich er über das raue Fell des Rückens. Der Wolf schien das zu mögen, sich dabei sogar ein wenig zu entspannen, also streichelte er weiter.
Er saß vor seiner Hütte und streichelte beruhigend einen wilden Wolf. Was für ein verrückter Abend das doch war ...
Ganz auf den warmen, atmenden Körper neben ihm fokussiert hatte er gar nicht bemerkt, dass sein langer Monolog versiegt war und die Geräusche der Nacht nicht weiter übertönte. Die Ohren des Wolfs zuckten und stellten sich alarmiert auf, als eine leichte Brise wieder Musik zu ihnen hinauftrug.
„Keine Sorge“, sagte der Mann mit ruhiger Stimme, ohne das Streicheln zu unterbrechen, „Das ist Musik aus dem Tal. Du hast Glück – man hört sie nur selten bis hier hinauf. Und heute spielen sie wirklich schöne Stücke, hör nur.“
Diesmal verstummte er absichtlich, und es schien ihm, als hätte der Wolf ihn verstanden und lausche nun ebenfalls den leisen Harmonien.
Die laue Nacht, die Musik, die Gesellschaft des Wolfs ... Ein Gefühl tiefer Ruhe überkam ihn, wie er sie schon lange nicht mehr erlebt hatte.
Nachdem das Musikstück verklungen war, erhob er wieder die Stimme.
„So, dann lass uns mal schauen, was ich für dich tun kann.“
Er stellte die Lampe so auf den Fels, dass er die verletzten Hinterläufe gut sehen konnte, und nahm sie genau in Augenschein. Dabei sprach wie zuvor einfach jeden seiner Gedanken laut aus, nur, um zu reden.
Sein Hals verlangte immer vehementer nach etwas Wasser – er war es nicht gewohnt, seine Stimme so viel zu gebrauchen. Doch jetzt ging es erst um den verletzten Kameraden.
Um den Wolf, korrigierte er sich in Gedanken.
„Vielleicht hast du Glück und es ist doch nichts gebrochen“, erklärte er dem Tier, das mit aufmerksam aufgestellten Ohren und wachem Blick sein Tun beobachtete. „Du kannst aber nicht richtig laufen, das habe ich gesehen. Ich würde dir gern einen stützenden Verband anlegen, damit du deine Beine ein wenig schonst – ob du das wohl tolerieren würdest? Du kannst heute Nacht hier bleiben, wenn du magst, ich werde aufpassen, dass der andere Wolf dich nicht wieder angreift, und morgen sehen wir weiter.“
Was redete er da eigentlich? Er konnte doch den Wolf nicht hier draußen verteidigen.
Eins nach dem anderen. Erst die Verletzungen.
„Das ist ein Desinfektionsspray, Kumpel. Es macht komische Geräusche, etwa so.“ Er imitierte leise das Zischen des Sprays. Der Wolf zuckte mit den Ohren, doch das war alles. Er wiederholte das Geräusch einige Male lauter, bis er mit seiner halbwegs passablen Imitation das eigentliche Sprühgeräusch überdecken konnte.
Nur gegen die Kühle des Desinfektionsmittels, das vom Zerstäuber auf die Verletzungen aufgetragen wurde, konnte er nichts tun.
Der Wolf winselte überrascht auf, als er die Abkühlung an den Verletzungen spürte, und sein Kopf schnellte vor, das Maul geöffnet, und die Kiefer schlossen sich gedankenschnell um den Unterarm des Mannes.