Bislang schien Kaèls Plan nicht aufzugehen. Auch eine Woche nach seiner Rückkehr aus Wyvern hatte sich der Hexenjäger nicht gerührt. Dabei war Kaèl fast jeden Tag mit der Kutsche nach Nishaì gefahren und hatte ihm so genug Gelegenheit für einen Angriff gegeben. Es war enttäuschend, immerhin hatte Kaèl viel Zeit und Mühe investiert, um die Wirtsleute der umliegenden Dörfer zu bestechen.
Aber heute war strahlend-schönes Wetter, die Sonne lachte, die Vögel sangen und Kaèls Blick wanderte immer wieder aus dem Fenster der Bibliothek in den Park. Seufzend klappte er sein Buch über Invokationsmagie zu. Es waren immerhin noch knapp vier Monate bis zu seiner Prüfung und er hatte eine Atempause bitter nötig. Er beschloss, eine Spritzfahrt zu unternehmen. Und zwar – entgegen des Versprechens, das ihm Lina abgerungen hatte – eine direkt durch den Silberwald, dem vermutlichen Aufenthaltsort des Hexenjägers.
Er pfiff fröhlich vor sich her, während er sein crèmefarbenes Sonnenschirmchen aus dem Schrank holte. Sein letzter richtiger Spaziergang musste Monate her gewesen sein, wahrscheinlich war das, als er ein Auge auf den Gärtner Timanty geworfen hatte und täglich im Park beobachtet hatte, wie dieser die Buchsbäume zurechtstutzte. Aber das war kurz vor der Sonnenwende gewesen und jetzt war der Sommer fast schon wieder vorbei.
Er bestellte seinen Kutscher ein, der bald darauf eilfertig auf der Türschwelle erschien.
»Fahren Sie mich in den Silberwald!«, befahl Kaèl.
Der Kutscher drehte seine hellgrüne Kappe zwischen den Händen. »Mylord, wenn ich mir eine Bemerkung erlauben dürfte … der Silberwald ist gefährlich, nehmen Sie besser eine Eskorte mit, um –«, aber ein fester Blick von Kaèl ließ den Mann verstummen. Er verneigte sich tief. »Zu Befehl, Mylord.«
Angsthase, dachte Kaèl. Wer nicht wagt, der nicht gewinnt!
Der Silberwald war eine Stunde Kutschfahrt vom Hotàru’schen Anwesen entfernt. Es war der größte und schönste Wald Fukuòkas, und umsäumte zwei malerische Seen. Als Kind hatte sein Vater ihn oft mit zu Spritzfahrten dorthin genommen und sie waren zusammen über die sandigen Wege spaziert.
Kaèl hatte diese Ausflüge gehasst, da sie an gefühlt jeder Ecke stehen geblieben waren, damit der Vater von den Bediensteten porträtiert werden konnte, die zu diesem Zwecke keuchend große Leinwände hinter ihnen hertrugen. Manchmal hatte er auch Kaèl dazu gezwungen, still zu stehen und mit eingemeißeltem Lächeln gegen die Sonne zu starren. Zwei dieser Bilder hingen immer noch über der großen Treppe zum Speisesaal und sein Vater zeigte sie bei jedem Fest den uninteressierten Gästen.
Durch den Wald führte eine einzige Fahrstraße, die er den Kutscher bis zu der Stelle abfahren ließ, an der er die Behausung des Hexenjägers vermutete. Dort ließ er ihn halten, spannte sein Schirmchen auf und drehte eine einsame Runde.
Normalerweise nahm er zu solchen Gelegenheiten seinen Diener, Mister Taryòn mit, um ihm seine Gedankensprünge und Assoziationen zu diktieren, die dieser fleißig notierte und ab und an mit einem ›genial, Lord Hotàru, wirklich genial!‹, quittierte, was Kaèl zu weiteren Assoziationen antrieb. Ganze Bücher waren so entstanden.
Aber ohne diese Unterstützung wanderten seine Gedanken rasch ab. Anstatt über Transformationsmagie nachzusinnen, lenkte er sich mit der schönen Natur, dem Spechtgehämmere und dem silbrig schimmernden Licht des Waldes ab.
Ineffizient, dachte er.
Aber wenn der Hexenjäger hier weilte, wollte er das Leben Mister Taryòns nicht leichtfertig aufs Spiel setzen. Dazu hatte Kaèl sich bereits zu sehr an ihn gewöhnt. Ein häufiger Personalwechsel irritierte ihn und er tat sich mit neuen Namen schwer.
Der Wald hatte einige sanfte Hügel, dazu schroffe Sandsteine, die imposant über den Baumkronen aufragten. Seinem Vater hatte es früher Freude bereitet, die steileren Hügel hinauf- und hinabzusteigen, er fühlte sich lebendig, wenn das Herz in seiner Brust hämmerte. Kaèl zog die weniger anstrengenden Wege vor, am liebsten an einem munter plätschernden Bächlein entlang, das leichtfertig floss, wie seine Gedanken.
Diesmal umrundete er einen von Buchen und Fichten bedeckten Hügel und bewunderte die bizarren Sandsteinformationen, die der Wind geformt hatte. In der Nacht hatte es geregnet, und die Erde dampfte angenehm frisch.
Wie schön es hier ist!, dachte er. Am besten sollte ich täglich hier spazieren gehen. Es tat gut, einmal den Kopf freizubekommen.
Neugierig schaute er um sich. Wenn seine Recherchen stimmten, dann sollte der Rückzugsort des Hexenjägers nicht allzu weit sein, aber er fand keinerlei Anzeichen für eine Behausung. Nach etwas über einer Stunde gab er auf und lenkte seine Schritte zurück zur Kutsche.
Er ließ sich von seinem Kutscher auf die Rückbank helfen und lehnte sich in die Kissen. Etwas enttäuscht betrachtete er, wie die Bäume an ihm vorbeizogen.
Aber was hatte ich auch erwartet?
Fast wäre er eingedöst, da quietschten die Bremsen. Ein Ruck ging durch die Kutsche, der Kaèl beinahe gegen das Fenster zum Kutschbock geschleudert hätte.
»Was ist denn nun?«, fragte er den Kutscher ungehalten.
Aber dieser war stocksteif vor Schreck. Er starrte vor sich, mit weit aufgerissenen Augen.
Ein Mann landete neben ihm auf dem Kutschbock. Er trug zwei violette, sichelförmige Klingen auf dem Rücken, Waffen, wie sie Kaèl nie zuvor gesehen hatte.
Der Kutscher schlang die Arme um seine Knie und weinte leise. Der Kerl mit den Waffen beugte sich über den Kutscher, packte ihn am Arm und riss ihn aus seinem Sitz. »Hau ab«, knurrte er.
Das ließ der Kutscher sich nicht zweimal sagen. Er rannte, ohne sich noch einmal nach Kaèl umzudrehen, in das Unterholz hinein.
Sollte er sich noch einmal ans Schloss wagen, ist seine Kündigung sicher, dachte Kaèl grimmig.
Andererseits war er froh, den Hexenjäger für sich allein zu haben. Abschätzend betrachtete Kaèl ihn, um ein Gefühl zu bekommen, was für jemanden er vor sich hatte. Die Bewegungen des Mannes waren ruhig und fließend, so als wäre das Ganze hier Routine für ihn. Seine beiden Waffen wirkten bedrohlich, sofern er in der Lage war, sie richtig einzusetzen. Kaèl vermutete, dass er das konnte, sonst wäre die Liste seiner Opfer nicht so lang.
Langsam drehte der Hexenjäger den Kopf, und ihre Blicke trafen sich. Kaèl suchte nach Hass in seinen braunen Augen.
Er fand Neugierde.
Überrascht sog er die Luft ein. Der Kerl wirkte so jung und grün hinter den Ohren, viel jünger und verletzlicher, als er auf seinem Phantombild dargestellt wurde. Er tat Kaèl fast leid, er wusste ja nicht, mit wem er es zu tun hatte.
Kurz überlegte er, ob er den Jungen verschonen sollte, aber er verwarf den Gedanken wieder und öffnete die Tür. Entschlossen trat er aus der Kutsche. »Hexenjäger!«
»Lord Hotàru«, der Hexenjäger spuckte seinen Namen beinahe aus. »Endlich erwische ich Euch.«
»So eine Überraschung«, log Kaèl. »Sie haben schon länger nach mir gesucht? Wieso greifen Sie ausgerechnet mich an? Meine Erzmagiprüfung ist erst in vier Monaten. Ist mein Ruf mir etwa vorausgeeilt?«
»Erzmagiprüfung? Was interessiert mich dieser Hexenkram? Ihr seid Lord und unter Euch leiden tausende von Menschen.«
Fast hätte Kaèl über den breiten Dinstermorer Dialekt dieses Möchtegern-Hexenjägers gelacht. Es wirkte so unbeholfen, wie er die Worte in die Länge zog. Und dann diese albernen Behauptungen. Als hätte Kaèl irgendetwas verbrochen.
»Unsinn. Unter mir leidet niemand. Im Gegenteil, ich bringe der Welt Erleuchtung mit meinen Studien und Büchern.«
»Erleuchtung!« Mit einem großen Satz sprang der Mann vom Kutschbock, direkt vor Kaèls Füße. Noch im Flug schwang er eine seiner Waffen und Kaèl machte einen Satz nach hinten. Entsetzt starrte er auf die Klinge, die ihn um ein Haar enthauptet hätte.
Er blinzelte zweimal, atmete tief durch. Noch war er unversehrt. Vorsichtshalber trat er drei Schritte zurück. Es fühlte sich besser an, aus der Reichweite dieser ... Mordinstrumente zu sein.
»Seid Ihr der Lord von Fukuòka, oder nicht?«, fragte der Kerl.
Die Frage war zu albern. »Haarscharf kombiniert … für einen Fußsoldaten.« Kaèl deutete auf das grüne Wappen mit dem fluoreszierenden Glühwürmchen, das die goldbeschlagene Kutsche zierte. »Wer sonst, wenn nicht der Lord von Fukuòka würde in dieser Kutsche fahren?«
Der Hexenjäger verengte die Augen. Er war groß für einen Menschen, aber immer noch einen halben Kopf kleiner als Kaèl, seine beeindruckenden Muskeln machten diesen Nachteil jedoch mehr als wett. Kaèl hatte die Zeichnungen des Phantombildes für übertrieben gehalten, aber der Kerl hatte wirklich überall auf seinem Schädel und Gesicht Tätowierungen, wie eine Kriegsbemalung. Selbst unter seiner Kleidung blitzte es violett hervor.
»Was starrt Ihr so, Erzmagi?« Der Griff um die Klinge verstärkte sich.
Schon wieder dieses ›Ihrzen‹. Er hatte eine Sprache, wie der letzte Hinterwäldler. Ist der Kerl im vorherigen Jahrhundert steckengeblieben?
»Was starren Sie so«, korrigierte Kaèl automatisch. »Außerdem bin ich angehender Erzmagi, meine Prüfung ist, wie bereits gesagt, erst in vier Monaten.«
»Von was für einer Prüfung faselst du die ganze Zeit?«, fragte der Hexenjäger. »Denkst du, das interessiert mich?«
Kaèl ballte eine Faust. Jetzt duzte ihn der unverschämte Kerl auch noch, etwas, was sich noch nie jemand aus dem Bürgertum getraut hatte.
Kurz fixierten sie sich, der Hass glomm in den Augen des Hexenjägers. In dem Moment, in dem er sprang, warf Kaèl eine Schockwelle gegen ihn, die ihn auf Abstand hielt.
Kaèl fokussierte seine magische Energie, fühlte, wie sie durch seinen Körper bis in die Fingerspitzen strömte und zauberte eine rasche Abfolge an Meteoren, die vom Himmel auf den Hexenjäger fielen.
Aber der Hexenjäger sprang behänd beiseite. »Niedlich, das ist immer das Erste, was euch Hexen einfällt.«
Wie unverschämt! Mich mit den anderen über einen Kamm zu scheren! Grummelnd änderte Kaèl die Taktik und erzeugte elektrische Blitze, die er gegen den verdammten Kerl schleuderte. Wieder wich der Hexenjäger aus, unversehrt. Es war frustrierend, so kam Kaèl nicht weiter. Ich muss ihn aus der Reserve locken, dann wird er unvorsichtig!
»Kannst du auch etwas anderes als Ausweichen?«, stichelte Kaèl.
»Ich kann dich töten.«
Der Hexenjäger stürzte sich auf ihn, und Kaèl war eingehüllt in violettem Wirbel der Klingen. Der Hexenjäger bewegte sich mit atemberaubender Geschwindigkeit und einige Male glitten die Klingen beängstigend nahe an Kaèls Gesicht vorbei. Er hatte Mühe, die nötigen Konter zu wirken. Er bekam kaum Zeit, einen Angriff zu starten und es schien sinnlos: Alle Angriffszauber, die er probierte, prallten an dem Hexenjäger ab. Schlimmer noch, sie schienen seinen Eifer nur anzufachen. »Versuchst du überhaupt, mich zu besiegen?«, höhnte er.
Kaèl verstärkte seine Mühen. Für ein paar Minuten kämpften sie stumm, verbissen. Immer wieder drückte Kaèl den Hexenjäger mit einer Schockwelle weg und wirkte einen Angriffszauber, aber der Hexenjäger drängte wieder näher, bis Kaèl die nächste Schockwelle wirkte. Es nahm Kaèl die Luft zum Atmen, ließ keine Zeit zum Denken. Er konnte nicht mehr taktieren, er feuerte wahllos alle Zerstörungszauber, die ihm in den Sinn kamen, um den Kerl abzulenken und diese schrecklichen Waffen fern von sich zu halten. Allmählich wurden seine Arme matt und er erschöpft. So viele Zauber in der kurzen Zeit hatte Kaèl seit Jahren nicht mehr gewirkt.
Er linste zu dem Hexenjäger. Dieser keuchte und wischte sich eine verschwitzte Strähne aus der Stirn.
Kaèl ließ seine entkräfteten Arme sinken. In dem Moment tauchte der Hexenjäger aus dem Nichts vor ihm auf, die Klinge erhoben. Kaèl warf sich zur Seite. Zu spät. Er schrie auf. Seine Schulter brannte wie Feuer. Er presste die Hand darauf, aber das Blut quoll zwischen seinen Fingern hervor. Ihm wurde übel.
Warum habe ich das hier provoziert? Der Kerl wird mich umbringen!
Mühselig rappelte er sich auf. Jetzt änderte sich die Dynamik des Kampfes. Kaèl war vorsichtig geworden, er griff nicht mehr an, sondern wich aus, immer weiter zog er sich zurück, dicht gefolgt von seinem Angreifer, der ein siegessicheres Grinsen im Gesicht trug. »Ist dir die Energie ausgegangen?«, spottete er.
Kaèl wurde wütend. Er hätte dem Hexenjäger gern das Gegenteil bewiesen, aber er fühlte sich ausgelaugt, es war, als hätte der Kerl ihm jegliche magische Kraft aus dem Körper gezogen. Es kostete ihn Mühe, überhaupt die Arme zu heben, um einen Zauber zu wirken, und sein verletzter Arm brannte unerträglich. Er biss die Zähne zusammen.
Jetzt holte der Hexenjäger mit seiner violett leuchtenden Klinge aus, um ihm den finalen Stoß zu versetzen. Kaèl sah die Bewegung in Zeitlupe vor sich. Er wusste, er würde den Angriff nicht parieren können. Mit einem verzweifelten Schrei rollte er zur Seite, in die Büsche, und der Hexenjäger traf ins Leere. Aber jetzt lag Kaèl hilflos auf dem Rücken, wie ein Käfer. Er schloss die Augen, er wollte den nächsten Schlag nicht kommen sehen. Ich will so nicht sterben, ich will nicht …
»Wo bist du hin?«, rief der Hexenjäger.
Verwirrt schaute Kaèl hoch. War er in ein Erdloch gerollt?
Nein.
Er hob eine Hand vor seine Augen und sah … nichts.
Er musste sich vor Schreck unsichtbar gemacht haben. Nur eine Handvoll Magi Finistères beherrschten diesen Zauber, Muriel, Fèalyra Ryunòr und einige illustre andere, denen ganze Kapitel in den Chroniken der Magie gewidmet worden waren. Kaèl hatte sich – wie alle Studierende seiner Akademie – an dem Zauber die Zähne ausgebissen, ohne Erfolg. Nicht eine hatte es geschafft, ihn zu wirken.
Angst ist der beste Katalysator.
Der Hexenjäger grollte frustriert. Er schlug mit seinen Klingen durch die Luft, überall dort, wo er Kaèl vermutete, und köpfte dabei eine blaue Blume direkt vor Kaèls Füßen.
Er musste hier weg! Wenig elegant robbte er tiefer in die Haselnusssträucher, peinlichst darum bemüht, keinen der Zweige zu streifen und sich dadurch mit der Bewegung zu verraten. Von dort beobachtete er mit angehaltenem Atem den Hexenjäger. Dieser hatte aufgehört, wie wild um sich zu schlagen, und suchte die Umgebung ab, viel zu ausgiebig, für Kaèls Geschmack.
»Ich weiß, dass du noch hier bist. Ich kann deine widerliche Magie spüren.« Mit diesen Worten kam er Kaèls Gebüsch verdammt nahe, so dass Kaèl seinen raschen Atem hören konnte. Er schlotterte. Ja, Kaèl Hotàru drückte sich in den schlammigen Boden und schlotterte vor einem jungen Mann, der nicht einen einzigen Zauber beherrschte.
Dann war der Moment vorbei und der Hexenjäger ging weiter. Kaèl hätte am liebsten laut aufgeatmet.
Er betrachtete die Züge des Mannes. Dieser war so konzentriert auf seine Suche, dass der hasserfüllte Ausdruck aus seinem Gesicht gewichen war. Jetzt wirkte er wieder wie ein Junge, wahrscheinlich zählte er kaum mehr als zwanzig Lenzen. In seinen Augen lag eine tiefe Verzweiflung und Kaèl fragte sich, was der Mann in seinem Leben hatte sehen müssen, um so verhärmt zu sein.
Irgendwann gab der Mann auf. Er setzte sich auf einen Baumstumpf, und legte die Waffen auf den Knien ab. So verharrte er für ein paar Atemzüge mit geschlossenen Augen.
Kaèl starrte auf die definierten Oberarme. So etwas bekam man selten zu sehen, unter den adeligen Magi.
Der Hexenjäger öffnete die Augen wieder, angelte sich seine Klingen und sprang fort.
Kaèl blinzelte verwirrt. Das war kein normaler Sprung, es ähnelte eher dem Materialisieren, aber ohne die übliche Verzögerungszeit.
Kann der Kerl etwa doch zaubern?
Ein paar Minuten verharrte Kaèl in seiner unbequemen Lage, aber als nichts geschah, kam er wieder auf die Füße und wagte sich aus dem Gebüsch.
Sein verletzter Arm fühlte sich taub an. Testweise bewegte er die Finger und war erleichtert, dass alles beim Alten war. Er hätte gern einen Blick auf die Wunde geworfen, aber er traute sich nicht, die Unsichtbarkeit zu lösen.
Er atmete auf. Immerhin, ich lebe noch!
Kaèl lächelte bei dem Gedanken. Und wieder bin ich der Erste, triumphierte er.
Seine Robe klebte unangenehm am Rücken und dem Gefühl nach hatte er sich mehr als nur eine Stelle aufgeschürft. Trotzdem unterdrückte er den Drang, zur Kutsche zurückzukehren. Zunächst wollte er erfahren, wo genau der Hexenjäger sich versteckte.
Zum Glück waren seine magischen Sinne durch jahrelange Meditation geschärft. Er hatte den Hexenjäger mit einer Reihe an starkmagischen Zaubern angegriffen, und Reste dieser Energie schwebten immer noch durch die Luft und ließen seine Haut kribbeln. Es galt jetzt, den flüchtigen Spuren bis zum Schlupfloch des Hexenjägers zu folgen.
Kaèl kämpfte sich durchs Unterholz, an einem kleinen Hügel vorbei, bis er an einen ausgetretenen Pfad kam. Er folgte diesem bis zu einem kleinen Bach. Auf der anderen Seite flimmerte die Energie besonders intensiv. Kaèl löste seine Schuhe, was wegen der Unsichtbarkeit und des schmerzenden Armes schwieriger war, als erwartet, raffte seine Robe und watete durch das überraschend kalte Wasser.
Die Schuhe in der Hand gelangte er auf eine Lichtung, und da stand sie, eine windschiefe Hütte aus grobem Holz gezimmert. Davor war ein Garten mit unzähligen Beeten, in denen verschiedene Pflanzen und Kräuter angebaut wurden, mehr Arten, als Kaèl hätte benennen können.
Und so etwas versteckt sich in meinem Wald, dachte er verwundert, als er die Hütte umrundete.
Kaèl streifte sich die Schuhe über und schlich näher. Die Hütte hatte zwei Fenster, und er warf einen Blick hindurch, konnte aber nichts erkennen, weil Gardinen in den Fenstern hingen. Enttäuschend.
Er überlegte, ob er ein Weilchen länger verweilen sollte, da schwang die Tür auf.
»Ist da wer?«, rief der Hexenjäger, und trat hinaus, die Waffen in der Hand.
Kaèl sank das Herz in die Hose. Auf Zehenspitzen zog er sich zurück, einen vorsichtigen Schritt nach dem anderen setzend. Als er an der gegenüberliegenden Seite des Bachs anlangte, fing er an zu rennen.
An der Fahrstraße wagte Kaèl, die Unsichtbarkeit aufzulösen. Kritisch schaute er an sich herunter. Seine Robe war matschgetränkt, der rechte Ärmel zerschnitten und darunter prangte eine tiefe Wunde. Kaèl wurde flau im Magen.
Die Reste des Ärmels waren bräunlich blutverkrustet, aber zum Glück hatte die Blutung aufgehört.
Er lief zur Kutsche. Die beiden Pferde waren immer noch an die Kutsche gespannt und wieherten verängstigt, die Ohren angelegt.
Die Armen, dachte Kaèl.
Er streckte ihnen den unverletzten Arm hin, um sie zu beruhigen. Nach einer Weile schnupperte der Schimmel misstrauisch an seiner Handfläche.
»Ja, so ist es fein, mein Guter!« Er zwang sich, trotz der Schmerzen, dem Schimmel den Hals zu tätscheln.
Als sich die beiden beruhigt hatten, schwang er auf den Kutschbock. Er seufzte tief, als er die Zügel griff. Wann hatte er zuletzt eine Kutsche gelenkt?
Nie.
»Hü«, sagte er verunsichert und ruckte am Zügel. Nichts passierte. Er zog und ruckte erneut, schimpfte und flehte, aber die beiden Pferde rührten sich nicht.
Irgendwann wurde es ihm zu bunt, und er sprang hinaus. Dann reite ich eben heim!, dachte er und versuchte, das Geschirr des Schimmels von der Kutsche zu lösen.
»Mylord«, rief jemand hinter ihm. »Sie leben!«
Es war der Kutscher, der ihn aus rotverweinten Augen anblickte. Er warf sich vor Kaèl in den Sand. »Verzeihen Sie, Mylord. Ich hatte den Kopf verloren. Bitte, bitte verzeihen Sie.«
»Fahren Sie mich heim«, knurrte Kaèl, insgeheim erleichtert.
Der Kutscher erhob sich und nickte eilfertig. In Windeseile verfrachtete er Kaèl auf den weichen Ledersitz, tröstete die Pferde und korrigierte das Geschirr. »Es wird nicht wieder vorkommen«, murmelte er unentwegt.
»Jetzt seien Sie schon still«, sagte Kaèl.
Aber dann fiel ihm etwas ein. »Kutscher«, er winkte ihn zu sich und senkte die Stimme: »Wenn Sie ein Wort über das, was heute vorgefallen ist verlieren, dann sind Sie gefeuert!«