Als Kaèl am nächsten Morgen erwachte, fühlte er sich zum ersten Mal seit Monaten, ach was, seit Jahren, erholt. Und das, obwohl er nachts lange über jede Einzelheit des Kampfes nachgegrübelt hatte. Anscheinend hatte ihn die Erschöpfung durchschlafen lassen, etwas das ihm sonst nicht gelang.
Er ließ sich von Mister Taryòn in eine goldverzierte Robe mit glockenförmigen Ärmeln helfen, was trotz des dicken Verbands um den Arm erstaunlich gut funktionierte. Zwar pochte die Wunde noch, aber die Salbe von Madame Hazel, der Familienheilerin, hatte ganze Arbeit geleistet und Kaèl konnte fast alle Bewegungen uneingeschränkt ausführen. Höchstwahrscheinlich würde es seinen Eltern nicht einmal auffallen.
Leise summend begab er sich nach unten, in den Speisesaal. Seine Mutter hob den Kopf von ihren Unterlagen. Sie kniff die Brauen zusammen. »Was ist mit dir passiert?«
Das breite Grinsen auf seinem Gesicht hielt sich hartnäckig. »Wieso?«
»Hast du nicht in den Spiegel geschaut? Du bist übersät von Hämatomen.«
Oh.
»Ich hatte einen Zusammenstoß mit diesem Hexenjäger und–«
Sie fuhr zusammen. »Du hattest was?«
Kaèl winkte ab. »Nicht der Rede wert Mutter, wie du siehst, lebe ich noch.« Er runzelte die Stirn. »Er jedoch auch.«
»Aber mein Goldstück«, rief sie, sprang auf und begutachtete den Schaden aus der Nähe. »Das ist ja furchtbar!«
Sie und Elìrios tauschten einen langen Blick.
»Wo hat er dich angegriffen?«, fragte sein Vater scharf.
»Auf dem Weg zur Bibliothek«, log Kaèl. Er hatte keine Lust, die Aufmerksamkeit seiner Eltern auf Einzelheiten dieser Sache zu lenken.
»Akàri, es wird Zeit, dass sich Treverer und die Grauen der Sache annehmen. Was ist, wenn dieser Mörder jetzt Kaèl’thas hinterherstellt?«
Wenn sie wüssten, wie schwer es war, seine Aufmerksamkeit zu erlangen, dachte Kaèl.
»Das stimmt.« Akàri kehrte zum Tisch zurück und kritzelte etwas in ihre Notizen. »Und zusätzlich werde ich die Wachen verdoppeln lassen.« Sie legte den Stift beiseite und zeigte auf Kaèl. »Und du nimmst von nun an eine Eskorte mit, wenn du zur Bibliothek fährst, hast du mich verstanden?«
Er nickte, wenig begeistert. »Natürlich, Mutter.«
Akàri und Elìrios diskutierten ein paar Minuten über die Sicherheit des Landes, und was sie mit dem Hexenjäger zu tun gedachten, wenn sie ihn endlich in die Finger bekämen, aber Kaèl blendete ihre Stimmen aus.
Nach und nach beruhigten sie sich wieder und der Rest des Frühstücks verlief schweigend, nur die Zeitung raschelte ab und an leise.
Irgendwann, als Kaèl seine zweite Scheibe Brot butterte, sagte Akàri: »Übermorgen laden die Macalisters zum Tanztee. Ludòiku hat mir heute geschrieben, er will mit Nyòko vorbeischauen.«
»Wie schön«, erwiderte Kaèl.
Oh nein. Das hatte er ja völlig verdrängt!
Sein Vater nickte eilfertig. »Das wäre eine formidable Gelegenheit, euren Kontakt zu vertiefen.«
Nicht schon wieder. Ich hatte gerade erst meine Ruhe.
»Ja, ganz formidabel«, sagte Kaèl reserviert.
Akàri warf ihm einen langen Blick zu. »Kaèl’thas. Wieso sagst du das so ironisch?«
»Ich finde sie etwas jung für mich«, sagte Kaèl. »Unreif.«
»Wie alt ist sie nun? Dreiundzwanzig? Zweiundzwanzig?«
»Acht Jahre jünger als ich, Mutter.«
»Dein Vater ist fünfzehn Jahre älter. Diese Dinge sind weniger wichtig, als man zuerst denkt.«
Weniger wichtig ... ein schöner Euphemismus! Es war ein Wunder, dass es überhaupt Kaèl gab, so lieblos wie die beiden miteinander umgingen.
Sein Vater umrundete den Tisch und strich Kaèl forschend die Haare aus dem Gesicht.
»Vater!« Kaèl wischte die Hand beiseite und schüttelte seine Haare wieder ins Gesicht.
Elìrios musterte ihn eindringlich. »Diese Hämatome sind ein Problem. Was sollen die Leute beim Tanztee denken?«
Kaèl seufzte tief. Typisch Elìrios. ›Was sollen denn die Leute denken?‹, war seine größte Sorge.
»Wir könnten sie überschminken lassen«, überlegte Elìrios. »Mein Maskenbildner ist ein wahrer Künstler.«
Na das kann ja etwas werden, dachte Kaèl.