Kaèl nahm Nyòko fest in die Arme. »Danke«, flüsterte er ihr ins Ohr.
Sie zog ihn enger an sich. »Da nicht für.« Als sie sich voneinander lösten, zwinkerte sie ihm zu. »Und keinen Unfug mehr!«
»Ich?«, fragte er gespielt unschuldig. »Nie!«
»Bis bald, Kaèl!«, sagte sie lachend und verschwand in der Kutsche.
Kaèl hielt nach Hiròki Ausschau und entdeckte ihn unter der scharlachroten Gruppe Bediensteter, die in ihrem eigenen Wagen die Kutsche der Ryunòrs begleiteten. Ihre Blicke trafen sich, und Kaèl klopfte sich mit der Hand verstohlen gegen die Brust, um seinen Dank auszudrücken. Hiròkis Mundwinkel hoben sich, und er nickte beinahe unmerklich.
Als die königliche Kutsche mitsamt ihrem Tross los rollte, zückte Kaèl sein Taschentuch und winkte.
»Da hat es einem aber den Kopf verdreht«, flötete Akàri. »War es schön gestern, im Lustgarten?«
»Kein Kommentar, Mutter!«
Sie tätschelte ihn an der Schulter. »Natürlich. Was im Lustgarten passiert, bleibt im Lustgarten.«
»Tsk«, machte er gespielt gequält. Insgeheim nahm er das alberne Geplänkel gern in Kauf. Heute Morgen hatte er sich vor Angst vor dem Zorn seiner Eltern nicht aus seinem Zimmer getraut, bis Mister Taryòn ihn damit hatte beruhigen können, dass diese keineswegs wütend schienen. Nyòko musste gestern Nacht beherzt eingegriffen haben. Leider hatte er sie nicht mehr persönlich fragen können, was sie seinen Eltern erzählt hatte, weil er zu spät aus seinem Rausch erwacht war, aber sie hatte definitiv die richtigen Worte gefunden.
Nach der Verabschiedung kehrte Kaèl in seine Gemächer zurück, kontaktierte seinen Händler per Hologramm und bestellte alle Bücher über Handarbeiten, die die Bibliothek Nishaìs zur Auswahl hatte. Bereits gegen Mittag wurden sie geliefert, und er zog sich in sein Studierzimmer zurück, dort kämpfte er sich durch die Beschreibungen, aber nach kurzer Zeit schwirrte ihm der Kopf.
Es gab so viele Techniken und Materialien, von denen er noch nie etwas gehört hatte. In einem Buch waren Stricknadeln abgebildet. Angeblich benötigte man fünf dieser Nadeln, um eine einfache Socke zu stricken. Sie wirkten riesig und spitz, als könne man sich daran ernsthaft verletzen. Schaudernd legte er das Buch weg. Nein, Stricken war nichts für ihn!
Es blieb Häkeln und Nähen. Kaèl griff nach dem obersten Häkelbuch auf dem Stapel, schlug eine der ersten Seiten auf und überflog die Zeilen:
›Den fortlaufenden Faden hinter der Schlinge über den Zeigefinger legen und zwischen kleinem und Ringfinger festhalten, dabei den Endfaden zwischen Mittelfinger und Daumen festhalten‹, las er.
Das Ganze sagte ihm überhaupt nichts. Kaèl hatte nicht einmal eine Vorstellung, wie eine Häkelnadel aussah, denn das Buch verzichtete auf Abbildungen. Frustriert klappte er es wieder zu, und suchte sich stattdessen ein Nähbuch heraus.
Was das Nähen anging, so hatte er wenigstens eine grobe Idee, wie eine Nähnadel und der zugehörige Faden aussah – er hatte oft genug der Hofschneiderin über die Schulter geschaut. Die Nadeln waren zwar auch spitz, aber angenehm klein, und es wurde nur eine einzige benötigt. Vor allen Dingen überzeugte ihn das Buch aber durch seine Zeichnungen, die stark dem ähnelten, was er sich für Bendix vorstellte.
Kaèl arbeitete sich durch das Buch und dann durch weitere Zwei, aber nach ein paar Stunden wurde ihm das Ganze zu trocken.
Normalerweise saugte er die Theorie in sich ein, bevor er sich ans Praktische wagte, aber hier lernte er die Techniken wahrscheinlich am besten, wenn er sich gleich daran versuchte.
Er rief nach seinem Diener, der nur wenige Momente später in seinem Zimmer erschien.
»Mister Taryòn, könnten Sie mir einen Nähkoffer besorgen? Und dazu Stoffe, am besten flauschige, in Rotbraun und Weiß.«
»Einen Nähkoffer?«, wiederholte Mister Taryòn. »Mylord, fühlen Sie sich wohl?«
»Einen Nähkoffer«, sagte Kaèl genervt, und Mister Taryòn verschwand.
Eine Viertelstunde später brachte er das Gewünschte. Kaèl nickte zufrieden und machte sich ans Werk. Er suchte sich eine Nadel, etwas Faden und ein quadratisches Stück Leinenstoff heraus und probierte sich an den einfachsten Stichen, die in den Büchern beschrieben wurden. Aber immer wieder stach er sich mit der Nadel in den Finger, jedes Mal war es so unvermittelt und schmerzhaft, dass er sich bald kaum mehr traute, die Nadel zu führen.
Als er sich einmal so tief stach, dass es blutete, gab er auf und legte Nadel und Stoffe beiseite. Was war dieses Handwerk auch umständlich! Er wünschte, er hätte einfach Magie anwenden können, aber die Kapitel mit den hilfreichen Zaubern hatte er Bendix zuliebe übersprungen.
»Mylord«, sagte Mister Taryòn, während er ihm den Mittelfinger desinfizierte und verband. »Wieso lassen Sie das nicht die Hofschneiderin erledigen?«
»Es muss von mir gemacht werden.« Kaèl sog scharf die Luft ein, als sich der Alkohol in seine Wunde brannte. »Sonst ist es nicht persönlich genug.«
»Ist es ein Geschenk für Ihren jungen Herren?«, fragte Mister Taryòn, als er das Verbandszeug verstaute.
Kaèl nickte. »Sie meinten doch selbst, ich solle mir etwas Persönliches ausdenken.«
»Das freut mich, dass Sie auf mich gehört haben.« Ein Lächeln huschte über Mister Taryòns Gesicht. »Bei solchen Angelegenheiten ist es einfacher, die Techniken von einer Person zu lernen, die sich auskennt. Soll ich die Hofschneiderin herbitten, damit sie Sie unterweist?«
»Nein.« Dafür war die Erinnerung an die unschöne Episode mit Kasimir und der purpurnen Tunika zu frisch. »Kennen Sie noch eine andere Person, die nähen kann?«
»Meine Frau«, überlegte Mister Taryòn laut, dann errötete er. »Ach, nein, vergessen Sie es.«
»Ihre Frau?« Kaèl hatte nicht gewusst, dass Mister Taryòn verheiratet war.
»Sie ist Näherin«, erklärte Mister Taryòn nach einer kleinen Pause. Verlegen rieb er sich den Nacken.
»Wunderbar, dann bitten Sie sie hierher.«
Mister Taryòn wand sich. »Mylord, ich versichere Ihnen, meine Loyalität liegt ausschließlich auf Seiten des magischen Reichs.«
»Das habe ich nie in Frage gestellt«, sagte Kaèl.
Das stimmte nicht ganz, er hatte für eine Weile überlegt, ob Mister Taryòn Bendix’ Spion sein könnte, aber er hatte den Gedanken wieder verworfen. Der Spion musste einer der Bediensteten aus Akàris oder Myriams Umfeld sein. Die beiden hatten Zugang zu bedeutsameren Informationen und waren damit geeignetere Ziele.
»Was ist das Problem?«, hakte Kaèl nach.
Mister Taryòn war jetzt kreidebleich. »Sie ist ein Mensch«, flüsterte er.
Kaèl lächelte. »Na wunderbar! Dann kann sie mir alle Techniken ohne Magie zeigen.«
Mister Taryòn schüttelte sanft den Kopf.
»Was ist?«, fragte Kaèl irritiert.
»Ihre werte Frau Mutter ahnt nicht, dass meine Frau ...« Mister Taryòn verdrehte die Hände ineinander. »Ich ... befürchte, dass ...« Er verstummte und starrte Kaèl an, den Mund leicht geöffnet.
»Wenn meine Mutter erfahren würde, was Sie über mich und meine Liebschaften wissen, dann wäre ich geliefert.« Kaèl lachte leise. »Keine Sorge, sie wird nichts über Ihre Frau erfahren.« Als Mister Taryòn immer noch misstrauisch wirkte, fügte er flüsternd hinzu: »Dieser junge Herr, der mich fasziniert, ist auch ein Mensch.«
Mister Taryòn atmete sichtlich auf. »Ein Mensch?«, fragte er.
»Warum nicht?«
»Wenn ich das gewusst hätte«, murmelte Mister Taryòn, »dann hätte ich Ihnen nicht zu Blumen geraten. Menschenmänner sind anders als Magi.«
Kaèl deutete mit der Hand auf den Nähkoffer. »Ab wann kann Ihre Frau mir behilflich sein?«
»Ich werde sie schnellstmöglich kontaktieren, Mylord.« Mit einer Verbeugung verschwand Mister Taryòn aus dem Raum.
oOOo
Interessiert betrachtete Kaèl die kleine, dunkelhaarige Frau mit runden roten Wangen, die ihm freundlich zulächelte. Er hatte sich Mister Taryòns Frau ganz anders vorgestellt, ähnlich ruhig und förmlich wie ihn, aber sie wirkte lebhaft und hatte viele Lachfältchen in den Augenwinkeln.
Ihr leuchtend-buntes Kleid mit blauer Schürze raschelte, als sie vor ihm knickste. »Es ist mir eine Freude, Ihnen zu dienen, Mylord.«
»Die Freude ist ganz meinerseits, Miss Taryòn.«
»Oh bitte, nennen Sie mich ›Emma‹!«, sagte sie fröhlich.
Kaèl waren Leute suspekt, die derart schnell auf andere zugingen, besonders, wenn sie ihren gesellschaftlichen Platz dabei vergaßen, aber erstaunlicherweise war ihm Emma trotzdem sympathisch. Er lächelte. »Gut ... Emma.«
»Wofür genau benötigen Sie meine Hilfe?«
»Ich will ein flauschiges Eichhörnchen nähen. Als Geschenk.«
Sie klatschte in die Hände. »Wie schön! Ist es für ein Kind?«
»Nein.« Kaèl errötete. War seine Idee zu kindisch? Aber er fand, sie passte zu Bendix. In Bendix’ Gegenwart verhielt Kaèl sich so anders als zuhause. Er hatte sich nie zuvor gerauft oder schmutzig gemacht, hatte sich nie an Eichhörnchen ergötzt und selten so viel gelacht. Dieses Kindische war es, was seine Beziehung zu Bendix ausmachte, und auch Bendix schien es zu gefallen, sonst hätte er sich nicht darauf eingelassen, aller Vorurteile zum Trotz.
»Es ist für einen ... Freund«, erklärte er. »Er liebt Eichhörnchen und zwei besuchen ihn regelmäßig, aber sie halten Winterruhe, und er ist jetzt bestimmt einsam.« Kaèl warf ihr einen flüchtigen Blick zu. »Sie wissen, wie das ist, man fühlt sich schnell allein, wenn man sich erst daran gewöhnt hat, dass jemand da ist, und die Person ... ich meine ... die Tiere ... dann fernbleiben.«
Die Hitze stieg in Kaèls Wangen. Was plapperte er da eigentlich?
Aber falls Emma seine Erklärung merkwürdig fand, so ließ sie es sich nicht anmerken. Ohne einen weiteren Kommentar dazu breitete sie den Inhalt des Nähkoffers auf dem Tisch vor ihm aus und erklärte ihm die Funktion eines jeden Gegenstands. Am besten gefiel Kaèl der Fingerhut, der – wie sie sagte – seinen wundgestochenen Mittelfinger schützen sollte.
Während der nächsten Stunde zeigte sie ihm die einzelnen Techniken des Nähhandwerks. Zuerst den Heftstich, dann den Punktstich und den Hexenstich.
»Sie haben Talent!«, stellte sie fest, als sie Kaèls Hexenstichmuster prüfte.
»Dieser Stich gefällt mir am besten«, sagte er. »Das muss am Namen liegen.« Allein, weil es so passend-unpassend war, dem Hexenjäger ein im Hexenstich vernähtes Kuscheltier zu schenken, entschied er sich, genau diese Technik dafür zu nutzen.
Zusammen diskutierten sie die Stoffe und das Schnittmuster, das für ein Eichhörnchen nötig war, und dann legte Kaèl los und zeichnete jedes zu vernähende Teil des Eichhörnchens nach seiner Vorstellung auf ein großes Stück Pergament. Er schnitt die Stoffe zurecht, und Emma prüfte die einzelnen Stücke, die dabei herauskamen. Als sie alles abgenickt hatte, stülpte Kaèl sich den Fingerhut über und griff nach Nadel und Faden. Emma griff nach einer Näharbeit, die sie zu erledigen hatte, setzte sich dazu, und sie arbeiteten stumm nebeneinander.
Anfangs war er hochkonzentriert, aber mit der Zeit gewöhnte er sich an die immer gleichen Stiche, und sein Geist suchte nach neuer Beschäftigung.
»Ich nehme an, sie wohnen mit Mister Taryòn am Schloss?«, fragte er.
»Mit ihm und unserer Tochter.«
Das war überraschend. »Wie alt ist Ihre Tochter?«
»Vier, Mylord.«
Mister Taryòn war also Vater geworden, als er bereits in Kaèls Diensten stand. Und er hatte es verschwiegen, wahrscheinlich aus Angst, zu viel Aufmerksamkeit auf seine Frau zu lenken.
»Das hätte Ihr Mann uns doch sagen können«, murmelte Kaèl. »Es wäre niemanden aufgefallen, dass Sie keine Zauberin sind.«
»Mylord, Ihnen als Magier ist das Zaubern so sehr in Fleisch und Blut übergegangen, Sie bemerken nicht mehr, wie oft und wann Sie eigentlich zaubern. Sie haben zum Beispiel«, sie blickte auf sein Wasserglas, »in der letzten halben Stunde fünfmal gezaubert, und ich nehme an, das ist Ihnen nicht aufgefallen?«
»Fünfmal?«, fragte er ungläubig.
»Sie haben zweimal telekinetisch Ihr Wasserglas verrückt und dreimal mit ihrer Magie den Faden aufgewickelt. Sie sehen, wenn jemand keine Zauber wirkt, dann fällt das in kürzester Zeit auf. Schon nachts mit einer Laterne herumlaufen zu müssen, erregt Aufmerksamkeit. Ich versuche, es hier am Schloss zu vermeiden.«
Er legte die Näharbeit beiseite und blickte zu Emma. »Aber Menschen steht es frei, hier zu leben und zu arbeiten.«
Sie erwiderte seinen Blick. »Es gibt einen Unterschied zwischen ›geduldet werden‹ und ›willkommen sein‹. Gerade wenn wir unter vielen Magi leben, sind wir oft Angriffen ausgesetzt.«
»Das wird sich ändern, wenn ich hier Lord bin«, sagte er. »Ich hatte diese Sachverhalte zuvor ignoriert, aber kürzlich habe ich gelernt, dass auch Desinteresse eine Positionierung ist. Ich werde zukünftig nicht mehr wegsehen.«
Er seufzte innerlich. Es gab einige Themen, die er nach seiner Prüfung mit Akàri würde diskutieren müssen. Er nahm seine Näharbeit wieder auf, aber nachdem er den ersten Stich gesetzt hatte, fiel ihm etwas ein. »Leben die meisten Menschen Fukuòkas deshalb in Menschendörfern?«, fragte er.
»Das ist ein Grund«, bestätigte sie. »Ein anderer ist, dass wir eine andere Infrastruktur benötigen, als die Magi.«
»Wie meinen Sie das?«
»Na, zum Beispiel die Beleuchtung. Ihr Magi benutzt dafür Lichtzauber, aber wir brauchen Lampen. Oder beim Kochen ... wir benötigen dafür einen Herd mit Klappe, in die das Feuerholz oder die Kohle zum Befeuern kommt.«
Kaèl starrte sie verwirrt an. Er konnte sich nicht erinnern, jemals die Küchen des Schlosses betreten zu haben, und hatte nur eine sehr vage Vorstellung davon, wie ein Herd aussah. »Der Herd ist nicht das günstigste Beispiel«, sagte er lahm.
Sie fing schallend an zu lachen. »Sie haben noch nie einen Herd gesehen?«
»Warum sollte ich? Ich habe Besseres zu tun, als in der Küche herumzulungern!«
Sie nahm Haltung an. »Natürlich, Mylord, wie unbedacht von mir.«
Sie fielen in Schweigen und Kaèl nähte weiter, mit fliegenden Fingern. Leise summte er dabei das Kinderliedchen, das Bendix einmal gesungen hatte.
»Wenn ich gewusst hätte, wie mühselig das ist«, murmelte Kaèl nach ein paar Stunden und rieb seinen verspannten Rücken, »dann hätte ich mir etwas anderes ausgedacht.«
»Soll ich den Rest für Sie übernehmen?«, fragte Emma.
»Danke. Aber ich habe mir vorgenommen, alles selbst zu machen.« Nicht einen Stich sollte eine andere genäht haben, das war Kaèls ganz eigenes Projekt, für Bendix.
Sie lächelte. »Ich bin mir sicher, es wird ihm gefallen. Sie mögen ihn sehr?«
»Ich ...« Er errötete. »Ja«, sagte er schließlich mit Nachdruck. Es war seltsam, wie vertraulich sie miteinander umgingen, aber mit Emma war es irgendwie einfach, über schwierige Themen zu sprechen.
Spät abends legte er endlich die Nadel beiseite und betrachte sein Werk. Ein Eichhörnchen – zumindest hoffte Kaèl, dass es als ein solches zu erkennen war, so groß wie eine gut gemästete Gans. Es war aus hellbraunem, gewalktem Frottee, hatte einen weichen weißen Bauch und einen flauschigen Schwanz aus rostroter Merinowolle. Kaèl hatte sogar zwei kleine weiße Zähnchen aufgestickt und Knöpfe als Augen angenäht.
An einigen Stellen hatte Kaèl sich vernäht, deshalb dellte sich der Bauch des Kuscheltiers, als hätte es in letzter Zeit gut gegessen und Speckröllchen für den Winter angesetzt; insgesamt aber war er stolz auf sein Werk.
»Denken Sie, es gefällt ihm?«, fragte er Emma, nachdem er es ausgiebig von allen Seiten bewundert hatte, fasziniert darüber, was seine Hände geschaffen hatten.
»Nun ja«, sagte sie und zog die Stirn kraus. »Das ist in erster Linie davon abhängig, ob Ihr junger Herr überhaupt bereit ist, ein Geschenk von Ihnen anzunehmen. Er hat da ja schließlich ein Mitspracherecht. Aber falls er das tut, dann wäre ich doch sehr verwundert, wenn es ihm nicht gefällt.« Emma lächelte, und ihre Züge glätteten sich. »Es ist wirklich gut geworden, wenn man bedenkt, dass Sie erst gestern mit dem Nähen angefangen haben.«
Kaèl glühte vor Stolz und Freude. Albern, dachte er. Ich benehme mich einfach albern.
Aber in der Nacht drückte er das kleine Tierchen an seine Brust, und malte sich aus, wie überrascht Bendix schauen würde, wenn er das Geschenk vor seiner Tür fand. Bendix wirkte so, als habe er etwas Weiches und Flauschiges nötiger, als er vor Kaèl zugab.
oOOo
Früh am nächsten Morgen schrieb er Bendix eine Nachricht:
Lieber Bendix,
ich habe lange darüber nachgedacht, warum Du damals weggelaufen bist und den Kontakt abgebrochen hast. Eine Zeitlang habe ich befürchtet, dass es an meiner Person liegt, aber jetzt hoffe ich, dass es eher so ist, dass Du eine allgemeine Abneigung gegen uns Magi hast.
Frustriert fuhr sich Kaèl durchs Haar. Der Hexenjäger hatte eine ›allgemeine Abneigung gegen Magi‹? Wie überaus scharfsinnig von mir!, dachte er ironisch.
Kaèl biss auf seinem Füller herum, aber ihm fiel keine bessere Formulierung ein, also ließ er den Satz so stehen.
Ich kenne keine Details, schrieb er weiter, aber ich vermute, dass eine Gruppe Magi Dir und den anderen Mönchen etwas Schlimmes angetan hat. Bitte glaube mir, nicht alle von uns sind so! Ich habe mit meiner Magie noch nie einen anderen getötet, meist nutze ich sie, um mir das Leben zu erleichtern oder etwas Kunstvolles zu erschaffen.
Meine Magie ist ein Teil von mir, den ich nicht ablegen kann, aber ich bin bereit, mich auf Deine Lebensrealitäten einzulassen.
Er seufzte leise. Bin ich das?
Er würde für Bendix nicht auf das Zaubern verzichten, so viel stand fest. Aber er könnte es für ihn zumindest reduzieren.
Ich muss nicht andauernd zaubern, schrieb er deshalb, dieses Eichhörnchen habe ich zum Beispiel selbstständig und ohne jegliche Magie genäht.
Das stimmte nicht ganz, wie Emma ihm aufgezeigt hatte, aber darüber sah er großzügig hinweg.
Ich dachte, dass Du etwas Flauschiges benötigst, es ist nachts sicher kühl in Deiner Hütte.
Bitte gib’ mir eine Chance und rede mit mir. Ob Mensch oder Magi, unsere Gefühle und Gedanken sind doch dieselben.
Lege mir einen Zettel vor Deine Hütte, wenn Du bereit bist, mit mir zu sprechen.
Kaèl biss sich auf die Lippe und starrte auf das bereits Geschriebene.
Du fehlst mir, schrieb er dann. Ich vermisse unsere Treffen. Ich vermisse es, mit Dir zu streiten, und ich sehne mich nach Deiner Umarmung. Jede Nacht.
Kopfschüttelnd strich er die letzten Zeilen wieder durch. Das war zu viel. Er sollte nicht bedürftig wirken, eher wie ein guter Fang. Ein guter Fang bat nicht um Nähe.
Ich denke an dich, schrieb er stattdessen, und unterzeichnete das Ganze schlicht mit ›Kaèl‹. Diesmal musste der stattliche Name nicht herhalten, Bendix war auch nur ›Bendix‹ für ihn, und damit mehr als genug.
Kaèl löschte das, was er durchgestrichen hatte, mit einem Zauber, bereute es aber sofort, weil er ja auf Magie hatte verzichten wollen. Er spielte kurz mit dem Gedanken, ein frisches Pergament herauszusuchen und das Geschriebene darauf zu übertragen, aber er entschied sich dagegen. Wenn das mit ihm und Bendix funktionieren sollte, dann durfte er sich nicht vollständig für ihn verbiegen.
Er rollte das Pergament zusammen und wickelte eine samtene Schnur darum, die er dem Eichhörnchen um den Hals band.
oOOo
Mit heftig pochenden Herzen lief Kaèl zu Bendix’ Hütte und legte ihm das genähte Tier vor die Tür. Unschlüssig trat er von einem Fuß auf den andern. Sollte er anklopfen? Sich aufdrängen, obwohl Bendix ihm klar zu verstehen gegeben hatte, dass er ihn nicht sehen wollte? Er hob die Hand, und betrachtete sehnsüchtig das raue Holz der Tür. Auf einmal hörte er ein Geräusch aus der Hütte, und der Mut verließ ihn. Schnell zog er sich ins nächste Gebüsch zurück und beobachtete alles aus sicherer Ferne.
Die Tür schwang auf, und Bendix trat heraus, einen Holzeimer in der Hand. Er war dünner geworden, fand Kaèl. Nicht viel, aber seine Wangenknochen stachen schärfer hervor als sonst. Als Bendix’ Blick auf das Geschenk fiel, erstarrte er. Er bückte sich, stellte den Eimer ab und nahm das Eichhörnchen hoch, betrachtete es von allen Seiten. Zuerst wirkte er verwirrt, aber dann fing er an zu lächeln und strich mit der Hand über den flauschigen Bauch.
Kaèl wurde warm ums Herz. Bendix hatte es angenommen!
Aber was sollte er jetzt tun? Er hatte erwartet, dass die Geschenkübergabe genauso unpersönlich ablaufen würde, wie die vielen Male zuvor, und Bendix jetzt nur wenige Meter vor sich zu sehen, ließ seinen Puls in die Höhe schnellen. Sollte er sich vielleicht zeigen?
Bendix stand auf, ließ den Blick über die Lichtung schweifen, dann seufzte er leise und trug das Geschenk ins Innere seiner Hütte. Mit einem dumpfen Knall schloss er die Tür hinter sich.
Kaèls Atem ging gepresst und schnell. Verdammt, wieso hatte er sich keinen Plan gemacht, für den Fall, dass er Bendix treffen würde? Jetzt hatte er die Gelegenheit ungenutzt verstreichen lassen. So etwas sah ihm doch überhaupt nicht ähnlich! Er ballte die Faust.
Angespannt wartete er noch ein paar Minuten, aber Bendix kam nicht mehr heraus. Als sich die Kälte unter seinen Mantel fraß, trottete er ein wenig enttäuscht zur Fahrstraße zurück.
Er wird antworten, dachte er. Morgen wird er etwas geschrieben haben.
Aber am nächsten Morgen lag kein Zettel vor Bendix‘ Hütte, ebenso wenig am Übernächsten oder dem darauf.
Nach vier Tagen gab Kaèl auf. Er verzichtete auf weitere Ritte in den Silberwald, die ihn doch nur emotional zerschlagen zurückließen. Bendix würde sich nicht mehr melden – Kaèl war für ihn wirklich nicht mehr als ein ›Fehler‹ gewesen.
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Falls hier jemand daran zweifelt, dass Eichhörnchen niedlich sind:
https://twitter.com/DaniConnorWild/status/1275349417508384768