»Hat Nyòko dir einen Antrag gemacht?«, fragte Akàri am Morgen nach dem Ball.
Kaèl hatte diese Frage bereits gefürchtet. Er wusste, dass nach all den Bällen, Lustgartenspaziergängen und Skifahrten etwas passieren musste. Nyòko war nicht die erste ›Freundin‹, die er ihr erst freudestrahlend präsentiert hatte, nur um sie dann wenig später mit seiner Beziehungsunlust zu vergraulen.
Kaèl war offen für alles – neue Theorien, Ideen – nur nicht für Leute. Die meisten von ihnen nervten schon, bevor die Beziehung wirklich angefangen hatte.
»Sie will noch warten, Mutter«, sagte er widerwillig. Es war unfair, diesmal war es nicht seine Schuld. Er hatte sich bemüht. Er hätte alles getan, er hätte Nyòko auf der Stelle geheiratet, wenn sie bereit dazu gewesen wäre.
»Was soll das heißen? Auf was wartet sie?«
»Ich weiß es nicht.« Er fuhr sich durchs Haar. »Sie ist sehr jung und …«
Sie schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. »So ein Unfug! In ihrem Alter hatte ich schon einen einjährigen Sohn! So ein hübscher und gewandter Mann wie du sollte doch fähig sein, eine Dame zu umgarnen! Du bemühst dich nicht, das ist es!«
Er seufzte tief. »Mutter, du hast keine Vorstellung, wie sehr ich auf diese Hochzeit hoffe.«
»Dann verhalte dich auch so«, knurrte sie.
»Ich versuche es doch«, sagte er kleinlaut. »Ihr … reist doch übernächstes Wochenende zu den Whitecrows … ich hatte überlegt, Nyòko zu uns einzuladen, damit wir etwas Zeit allein verbringen. Vielleicht überzeugt sie das.«
Akàri nahm einen Schluck Wasser. »Möglich ist es«, überlegte sie.
»Am besten mit wenigen Bediensteten, um die Atmosphäre nicht zu zerstören«, spezifizierte Kaèl.
»Ich weiß genau, was du meinst.«, pflichtete sie ihm bei. »Das werde ich in die Wege leiten.«
»Danke, das bedeutet mir viel.«
Es klopfte an der Tür, und Myriam rauschte herein, ein Stapel Ordner schwebte hinter ihr her. Kaèl nutzte Akàris Ablenkung, und erhob sich. »Heute Abend esse ich nicht mit«, sagte er beiläufig.
Myriam musterte ihn. Ihr Blick war ihm unangenehm, also sagte er schnell: »Ich bin erschöpft, die zwei Tage im Strandhaus werden mich wieder auf die Beine bringen.«
Das war nicht einmal gelogen. Es war eine anstrengende Woche gewesen, mit den vielen Reisen, der Sitzung und dem Ball. Nur dass er nicht am Meer entspannte, sondern in Bendix’ Armen.
»Was du an dieser Abgeschiedenheit findest.« Akàri schüttelte den Kopf. »Mir würde die Decke auf den Kopf fallen.«
»Du weißt doch, nur dort kann ich in Ruhe schreiben«, säuselte er. »Irgendwann muss mein siebtes Buch ja fertig werden.«
»Viel Erfolg beim Schreiben«, sagte Myriam. Sie grinste.
oOOo
Es dämmerte bereits, als Kaèl Bendix’ Hütte erreichte. Er klopfte gegen die Tür, aber niemand öffnete, dabei drang Licht aus den Fenstern. »Bendix?«
Er klopfte erneut, aber eine Reaktion blieb aus.
Zum Henker mit den Manieren!, müde wie er war, wollte er sich nur noch in Bendix’ Bett kuscheln und die Welt um sich herum vergessen.
Er riss die Tür auf.
Bendix saß auf seinem Bett, mit verschränkten Armen.
»Du bist ja da«, sagte Kaèl.
Bendix reagierte nicht. Er starrte zu ihm, eine steile Falte zwischen seinen Brauen. So finster hatte er nicht einmal während ihrer ersten Kämpfe geschaut.
Vorsichtig schloss Kaèl die Tür hinter sich. Er schlüpfte aus seinen Schuhen und tappte in den Raum, bis er zwei Schritte vor dem Bett verharrte. Er lächelte unsicher. »Was hast du?«
»Wir müssen reden.«
Augenblicklich versteifte er sich. Dieser Satz war nie gut. Kaèl hatte ihn bereits einige Male in seinen Beziehungen gehört, und meist hatten sie danach nicht mehr lange gehalten. »Aha?«
Unbeeindruckt stand Bendix auf, passierte ihn und suchte etwas aus seiner Kiste. Kaèl zuckte innerlich zusammen, als er sah, was Bendix in seiner Hand hielt. Die Briefe!
Verdammt. Bendix hatte die etwa gelesen?
Bendix setzte sich wieder auf die Matratze, als wäre sie ein Thron und fixierte ihn, die Briefe in seinem Schoß.
Fieberhaft überlegte Kaèl, was genau er dort geschrieben hatte. Er hatte Bendix beschimpft, ihn ›Bauer‹ genannt und herabgewürdigt. Die Röte kroch in sein Gesicht.
Er befeuchtete seine Lippen, schluckte. »Bitte, versteh das nicht falsch.«
Bendix lachte bitter. »Oh keine Sorge, dafür weißt du dich zu gut auszudrücken. Wie könnte ich etwas, das du schreibst, falsch verstehen?«
»Ich …« Kaèl rang um Worte, aber ihm fiel nichts Vernünftiges ein. Ich wusste, dass das passiert, sang es in ihm, ich wusste, dass er sie liest. Wieso habe ich nicht eher mit ihm darüber geredet?
»Bist du … enttäuscht?«, fragte er schließlich.
»Ja.«
Kaèl starrte auf seine Füße. Alles, was er dort geschrieben hatte, wirkte wie von einem anderen Kaèl, der nichts mehr mit dem Heutigen zu tun hatte, aber das konnte er Bendix nicht glaubhaft versichern, immerhin lag das Ganze nur Monate zurück.
»Du hast eine Strafe verdient.«
Kaèls Kopf fuhr wieder hoch. »Wie bitte?«
»Zieh’ deine Robe aus.«
Für eine Weile verharrte er perplex. Wollte Bendix daraus ein Spiel machen? Wollte er so seine Wut an ihm abreagieren? Er war verletzt, aus jeder Geste, jedem Blick sprach die kalte Wut. Wieso … redeten sie nicht darüber?
Er wollte etwas einwenden, aber sein Kopf war wie leergefegt.
»Ich sagte, zieh deine Robe aus«, wiederholte Bendix. Diesmal lauerte etwas Dunkles in seiner Stimme, dem Kaèl nicht widersprechen wollte.
Zitternd löste er die Verschnürungen seiner Robe. Es dauerte lange, weil auch seine Finger zitterten, und er musste sich biegen und winden, um die letzten Schleifen an seinem Rücken zu erreichen. Elegant war etwas anderes.
Bendix musterte ihn dabei unverhohlen.
Kaèl war nie schamhaft gewesen, aber unter diesem Blick fühlte er sich unwohl. Er ließ die Robe zu Boden gleiten, das Unterkleid folgte, dazu die Hose.
Als nur noch die Unterhose fehlte, zögerte er.
»Alles«, sagte Bendix.
Trotz seiner Blöße wurde ihm heiß, als er das letzte schützende Stück Stoff nach unten zog.
»Jetzt komm her.« Auffordernd klopfte Bendix auf den Platz neben sich.
Langsam näherte Kaèl sich ihm. Es fühlte sich falsch an, aber ein wenig neugierig war er auch, was Bendix vorhatte. Er war sich immer noch unsicher, wie wütend Bendix wirklich war. Direkt vor dem Bett zögerte er, dann setzte er sich neben Bendix, weit genug von ihm entfernt, dass sie sich nicht berührten. Verstohlen musterte er Bendix’ Miene, aber sie verriet keinerlei Regung. Kaèl konnte nur vermuten, dass viel mehr Wut unter der glatten Oberfläche brodelte, als Bendix bereit war, zu zeigen.
Bendix legte eine Hand auf seine Schulter und Kaèl erschauderte. »Komm näher, oder ekelt dich der Bauernjunge?«
»Bendix, ich weiß, dass du wütend bist, aber wir sollten darüber sprechen. Das was in den Briefen steht, das habe ich nicht–«
Ein Ruck, und er lag quer über Bendix’ Schoß, sein nackter Hintern emporgereckt.
»Was soll das?«, keuchte Kaèl, aber Bendix lachte nur leise. Er ließ eine Hand über Kaèls Pobacken gleiten.
Kaèl biss die Zähne zusammen. Aller Anspannung zum Trotz regte sich sein Schwanz, der Verräter, und zuckte ungeduldig bei jeder von Bendix’ Berührungen.
»Für so etwas bist du dir nicht zu fein, hmm?«
»Bendix, wir sollten darüber red– aua!«
Sein Hintern brannte, der Schmerz trieb ihm die Tränen in die Augen. Er schnappte nach Luft.
Bendix begann, ihn wieder zu streicheln, quälend langsam. »Du willst reden? Dann erzähl mir doch, warum so einer wie ich dankbar sein sollte, dass er das hier«, er hob die Hand, »mit dir machen darf.«
»Nein«, entfuhr es Kaèl.
Das Klatschen ließ ihn aufkeuchen. Er wimmerte leise.
»Bitte, wir –« Kaèls Kehle war wie zugeschnürt. Er biss sich auf die Lippe, um seine Schluchzer zu unterdrücken.
»Weißt du, große Worte sind nichts für so einen Bauerntölpel wie mich. Wie wäre es stattdessen, wenn du dich ein wenig für mich anstrengst? Als Entschädigung, sozusagen.« Seine Hände strichen über Kaèls Damm, und verteilten kühle Flüssigkeit darüber.
Kaèl quiekte empört, als Bendix einen Finger in ihn schob.
»Ja, das gefällt dir, wenn der dreckige Bauernjunge dir überall seine Finger reinschiebt?« Normalerweise schwang in seiner Stimme immer ein wenig Wärme mit, jetzt war sie kalt wie Eis. Das war nicht der Bendix, den er kannte.
Kaèl verstand, dass er Bendix verletzt hatte. Aber dass er dies so an ihm ausließ, war falsch. Sie hatten oft gespielt, auch deutlich härtere Sachen, aber jetzt mischte sich Bendix’ Wut hinzu. Das war kein Spiel mehr.
Bendix hob die Hand.
Kaèl zuckte zusammen. »Bohnenstange!«
Sofort ließ Bendix von ihm ab. »Was ist?«, fragte er alarmiert. »Hat es zu weh getan?«
»N- nein«, stammelte Kaèl. »Aber du bist wütend, und das macht mir Angst.« Er kroch von Bendix Schoß und rollte sich auf dem Bett zu einer Kugel zusammen.
»Wütend? Ich bin nicht wütend.«
Kaèl zog die Decke über seinen Körper und stopfte sie unter sich fest.
»Was ist los? … Wir haben doch schon so oft gespielt, und ich habe viel heftigere Dinge mit dir gemacht.«
»Aber da habe ich immer angefangen.« Kaèl schniefte. »Ich habe dich provoziert, und dann hast du mich ›bestraft‹. Und ich wusste, dass es nicht echt ist.«
»Und jetzt wusstest du es nicht?« Bendix Ausdruck schlug in Bestürzung um. »Es tut mir leid! Ich dachte ... du sagst doch immer, dass ich so schlecht schauspiele. Und da hab ich versucht, das echter zu machen.«
»Aber–« Kaèl suchte seinen Blick. »Das war alles nur gespielt? Du hast mich noch lieb?« Es war ihm gerade egal, wie albern diese Worte waren oder wie gepresst und schrill seine Stimme klang.
»Natürlich hab ich dich lieb!«
Oh. Auf einmal kam er sich unfassbar albern vor. »Ich hatte eine schlimme Woche und bin überreizt und müde, und ich wollte nur in den Arm genommen werden. Und dann diese Briefe! Ich hatte seit Monaten Angst, dass du sie liest. Ich hab da gerade keine Kraft für.«
Bendix rückte ein Stückchen heran. »Wieso hast du nie was zu den Briefen gesagt, wenn es dir so eine Angst macht, dass ich sie lese?«
»Weil ich dich nicht darauf stoßen wollte!«, fauchte Kaèl.
»Ich wusste nicht, dass du so viel Angst hast.«
»Ich will dich nicht verlieren.«
»Das tust du auch nicht.« Bendix lächelte. »Darf ich dich berühren?«
Nach einigem Zögern nickte Kaèl.
Vorsichtig fuhr Bendix mit einer Hand unter die Decke und strich über Kaèls Schulter und Rücken, ganz sanft. »Ich liebe dich doch«, sagte er immer wieder, bis Kaèl es ihm glaubte und sich entspannen konnte. Er löste sich aus seiner Selbstumklammerung, und Bendix kroch hinter ihm unter die Decke. Sanft zog er ihn in seine Arme. Kaèl ließ es geschehen, es war warm und angenehm. Er schloss die Augen und ließ sich von Bendix wiegen.
»Ich will, dass es dir gut geht«, flüsterte Bendix. »Ich würde nie solche Dinge mit dir machen, wenn ich wütend bin, das käme mir falsch vor.«
»Aber was hast du gedacht, als du die Briefe gelesen hast?«
Er spürte Bendix in seinem Nacken grinsen. »Dass du ein arroganter Sack bist.«
Kaèl versteifte sich.
»Ich mag das«, sagte Bendix hastig. »Ich sollte soviel Überheblichkeit ablehnen, aber ich finde das unheimlich anziehend.« Er lachte. »Aber du bist auch anders geworden, seit du die Briefe geschrieben hast. Du bist immer noch arrogant, aber viel offener und das ist schön.«
»Ja?«, fragte Kaèl.
»Ja.«
Daraufhin weinte Kaèl ein bisschen, warum genau wusste er auch nicht. Vielleicht aus Erleichterung, vielleicht, weil er so erschöpft war. Und die ganze Zeit hielt Bendix ihn, und flüsterte ihm liebevolle Worte ins Ohr.
Das war alles so viel besser, als damals mit Lina. Lina war zwar kreativer gewesen, was ihre ›Bestrafungen‹ anging, aber sie hatte ihn danach nie so in den Arm genommen. Wenn er Kaèl nicht gerade dominierte, dann waren Bendix’ Bewegungen sanft und aus jeder seiner Gesten sprach Wertschätzung. Kaèl brauchte es, er brauchte die Versicherung, geliebt zu werden, besonders dann, wenn er sich so verletzlich gezeigt hatte.
»Und jetzt erzähl mir, was diese Woche bei dir los war«, sagte Bendix, als Kaèl sich wieder beruhigt hatte.
Kaèl erzählte. Er erzählte von dem Treffen der Erzmagi, dem unangenehmen Kulturrat, der fast die Änderungen gekippt hätte, dem Ball, an dem er stundenlang wach bleiben musste, obwohl er sich die ganze Zeit nach seinem Bett gesehnt hatte. Sogar von Finley Whitecrow und seinen Gedichten erzählte er, was Bendix zum Lachen brachte.
»Und das Schlimmste war, dass ich mich mit Nyòko gestritten habe«, beendete er seine Erzählung. »Ich dachte zuerst, sie würde mir auch auf der Ratssitzung die kalte Schulter zeigen, aber zum Glück waren die Leute dort so schrecklich, dass sie mir beigesprungen ist. Danach haben wir uns wieder vertragen.«
»Wieso habt ihr euch gestritten?«
»Wir – ach, es war nichts Besonderes.«
Bendix hakte nicht nach, was Kaèl erleichterte. Es war nicht der richtige Moment, um mit Bendix über seine Hochzeitspläne zu sprechen.
In den Menschenromanen bedeutete eine Hochzeit unfassbar viel, es schien mehr als nur ein profitables Bündnis zu sein, wie Kaèl das von seinem Umfeld kannte. Die Menschen, die in diesen Büchern heirateten, liebten sich. Kaèl war sich nicht sicher, ob Menschen generell so agierten, oder ob es das positiv verzerrte Ideal dieser Romane war, aber er wollte es nicht dadurch herausfinden, dass er Bendix vor den Kopf stieß.
Wenn Bendix ihn und Nyòko zusammen erlebte, dann würde er begreifen, dass da nur freundschaftliche Gefühle zwischen ihnen waren. Und dann würde er sicherlich mit sich über Kaèls Hochzeitspläne reden lassen.
»Hört sich nach einer harten Woche an«, sagte Bendix. Er räusperte sich. »Willst du generell nicht mehr spielen, oder war das nur heute schlecht, weil du so erschöpft bist?«
»Ich will«, sagte Kaèl. »Und nächstes mal, wenn wir so was machen, überwältigst du mich im Ringkampf, und dann nimmst du mich. In Ordnung?«
Bendix machte ein zustimmendes Geräusch.
»Aber du musst meine Handgelenke fest zusammenpressen, richtig fest. Es muss weh tun. Und du musst weiter machen, egal wie sehr ich wimmere.«
»Du bist so verrückt«, sagte Bendix mit einem Lächeln in der Stimme.
»Dafür liebst du mich doch.«
»Hmm.« Bendix küsste ihn in den Nacken, dann löste er sich von ihm und stieg aus dem Bett.
»Geh nicht«, protestierte Kaèl.
»Jetzt mecker’ nicht. Ich hab noch was für dich.« Bendix griff nach der Öllampe und stapfte zur Tür heraus. »Deine ganzen Geschenke von damals haben mir auf jeden Fall eines klar gemacht«, rief er von draußen.
»So?« Neugierig setzte Kaèl sich auf. Er reckte den Hals, aber konnte durch den Türspalt nichts erkennen.
»Ja, dass … ah, ihr Racker«, hörte er Bendix rufen. »Jetzt lasst mich doch in Ruhe!«
»Brauchst du Hilfe?«, rief Kaèl.
»Nein, das sind nur die Eichhörnchen«, schallte es ihm entgegen.
Kaèl schmunzelte. Er hätte zu gern gesehen, was die beiden mit seinem Freund anstellten, aber draußen wehte eine steife Brise, also ließ er die Bequemlichkeit gewinnen und blieb im Bett. Er zog sich die Decke hoch und klemmte sie unter seine Achseln.
»So«, rief Bendix zufrieden. Mit einem gelben Bündel in der Hand kehrte er zurück. Lächelnd streckte er es Kaèl entgegen. »So wie du mich damals mit Blumen überhäuft hast, musst du sie wirklich lieben. Deshalb habe ich welche für dich gepflanzt.«
»Ich …« … mag keine Blumen, wollte Kaèl sagen, aber ein Blick in Bendix‘ vor Freude leuchtende Augen ließ ihn die Worte herunterschlucken.
»Ich habe die Zwiebeln gesetzt, nachdem du das erste Mal bei mir geschlafen hast. Das ist viel zu spät, und ich habe befürchtet, dass sie den Frost nicht überstehen. Aber der Winter war mild, und jetzt haben sie angefangen zu blühen.«
In Fukuòka war jeder Winter mild, aber Bendix lebte noch nicht lange genug hier, um das zu wissen.
Gezwungen lächelnd nahm Kaèl den Strauß entgegen. Auf Anhieb wirkten die Blüten plump, und die Farben schrill, aber Bendix zuliebe zwang er sich, sie genauer zu betrachten. Jede hatte eine andere Farbschattierung, und ihre beharrlich abstehenden Blätter wirkten gleichermaßen zerbrechlich und stark. Im Inneren hatten sie eine dunklere Glocke mit einem fein geschwungenen Rand, den Kaèl fast als ›elegant‹ bezeichnet hätte.
»Das sind Narzissen«, sagte Bendix. »Ich finde, sie passen zu dir. Die Farben sind so lebensfroh.«
Lebensfroh? Interessant, wie Bendix ihn sah.
Kaèl fuhr mit dem Finger die Staubblätter entlang und stellte sich vor, wie Bendix die Zwiebeln einzeln in die Erde gedrückt hatte, wie er sie gegossen und die täglichen Veränderungen beobachtet hatte. Unter seiner Pflege waren sie mehrere Monate gewachsen, bis sie jetzt gepflückt werden konnten. All das nur für wenige Stunden Schönheit.
Alles für Kaèl.
Vielleicht … mochte er Blumen doch ein wenig.
»Danke«, sagte er und drückte sie an sich.
»Du bist hart wie ein Brett«, bemerkte Bendix und grub seine Finger fester in Kaèls Fleisch. Kaèl stöhnte auf. »Ich habe dir gesagt, dass die Woche anstrengend war. Ah, nicht so fest, da ist es besonders verspannt!«
»Du bist eine einzige Verspannung!« Ungerührt rubbelte Bendix weiter über den schmerzenden Knoten zwischen Kaèls Schulterblättern. »Das kommt vom vielen Sitzen. Du solltest mehr Sport machen.«
Mühsam hob Kaèl den Kopf und warf Bendix einen gequälten Blick zu. »Du musst mich sehr hassen.«
»Sicher, deshalb massiere ich dich. Aus blankem Hass.« Bendix fuhr die Seiten seiner Wirbelsäule hoch, diesmal mit weniger Druck.
Kaèl entspannte sich wieder. »Meine Eltern sind übernächstes Wochenende auf Reisen. Und Nyòko und ihr Freund besuchen mich.«
»Hmm«, machte Bendix und widmete sich seinem rechten Schulterblatt.
»Und …« Kaèl zögerte, zwang sich dann aber endlich, das auszusprechen, was er sich bereits den ganzen Abend vorgenommen hatte. »Ich würde mich freuen, wenn du mich auch dort besuchst – aua«, rief er.
»Das geht nicht!« Bendix hatte seine Hände fest in sein Fleisch gebohrt und jeder verklebte Muskelstrang ächzte.
Kaèl richtete sich auf und drehte sich zu Bendix. »Jetzt hör mir zu. Ich habe das gut durchdacht, ich denke, es ist sicher.«
Bendix schüttelte den Kopf. »Du ›denkst‹ es ist sicher? Das reicht nicht. Wenn euer Folterknecht vor Ort ist, wird sie mich entdecken.«
»Folterknecht?« Kaèl runzelte die Stirn. »Meinst du Myriam? Madame Treverer?«
Bendix nickte grimmig.
Kaèl ignorierte den unpassenden Namen. »Myriam«, sagte er, »reist mit meinen Eltern zu einer gemeinsamen Besprechung, und ich habe in die Wege geleitet, dass der halbe Hofstaat frei hat. Ich würde dich nicht in Gefahr bringen.«
»Und diese Nyòki?«
»Nyòko«, korrigierte Kaèl ihn.
»Sie ist die Kronprinzessin, hast du gesagt. Wenn sie erkennt, wer ich bin …«
»Wird sie aber nicht. Ich habe mehrere Ideen, wie wir deine Tätowierungen verdecken können. Es braucht nur etwas Schminke und eine Mütze.«
»Vergiss es«, knurrte Bendix.
»Ich war auch mit in deinem Dorf, und ich habe auch so eine alberne Verkleidung getragen, nur für dich. Ich wünsche mir bereits so lange, dass du mein Leben und meine Freund*innen kennenlernst.« Kaèl setzte seinen Hundeblick auf. »Bitte. Es ist mir wichtig.«
Bendix’ Miene wurde weich. »Ich hasse es, dass ich dir nichts abschlagen kann«, grummelte er.
oOOo
»Thomas!«, schrie Bendix. Er krallte sich in Kaèls Schulter, dass es schmerzte.
Kaèl blinzelte. »Hör auf«, murmelte er. Noch im Halbschlaf versuchte er, Bendix’ Hand wegzuschieben, aber sein Griff war zu stark. »Bendix, lass los! Das tut weh!«
Endlich löste Bendix sich von ihm. Er schnaufte tief, als die Realität in sein Bewusstsein einsickerte. »Kaèl?«
Kaèl wirkte einen Lichtzauber. »Es ist alles gut«, sagte er bemüht ruhig. Er drehte sich zu Bendix und legte ihm eine Hand auf seine Wange. »Du hast nur schlecht geträumt.«
Bendix griff nach der Hand und zog sie fest an seine Brust. Kaèl konnte sein hämmerndes Herz unter seinen Fingerspitzen spüren. »Ein Albtraum?«, stöhnte er. »Nur ein Albtraum?«
»He«, neckte ihn Kaèl. »Dieses Wort empfinde ich als Beleidigung! Wir Elben können nichts für deine Träume!«
»Verzeih«, murmelte Bendix. Er rieb sich die Augen, dabei sah er so müde und verwirrt aus, dass Kaèl ihn einfach auf die Wange küssen musste.
»Willst du darüber reden?«
»Worüber?«
»Über den Traum«, insistierte Kaèl. »Du hast im Schlaf gesprochen, weißt du?«
»Was? … Nein«, sagte Bendix hastig. Er schwang die Beine über die Bettkante und tappte in die Küchenecke. Einen Becher in der Hand kehrte er zurück und setzte sich wieder zu Kaèl. Bedächtig trank er, dann starrte er in den Becher. »Ich weiß nicht, ob ich dich besuchen sollte«, sagte er unvermittelt. »Ich hab’ ein schlechtes Gefühl.«
»Warst du deshalb gestern Abend so schweigsam?«
Bendix nickte langsam, ohne den Blick zu heben.
Kaèl krabbelte näher zu ihm. Er legte seine Hand auf Bendix’ Oberarm. »Bitte, vertrau mir. Ich würde dich nicht einladen, wenn es gefährlich wäre. Ich wohne dort seit fast 32 Jahren und kenne alle Verstecke und Geheimgänge, ich weiß genau, wie ich etwas verbergen kann. Du bist sicher.« Er rubbelte über Bendix’ Schultern und Oberarme, bis Bendix leise seufzte. »Ich erkläre dir morgen in Ruhe, wie ich mir das Ganze vorstelle, und wenn es dir zu riskant erscheint, dann machen wir es nicht.«
»Versprochen?«
»Versprochen.« Kaèl lehnte sich zu ihm und küsste ihn.
»Jetzt komm, wir legen uns wieder hin.« Auffordernd hob Kaèl die Decke an, und Bendix kroch zu ihm. Diesmal war Kaèl es, der Bendix von hinten umschlung. Das war ungewohnt, aber auch schön, es war, als würde er Bendix beschützen. Und wie er ihn beschützte! Er würde allen Eis und Feuer unter den Hintern hexen, die Bendix etwas wollten.
Er zog Bendix enger an sich. »Wer ist Thomas?«, fragte er leise.
Bendix erwiderte nichts. Reglos lag er in Kaèls Amen, und fast hätte Kaèl ihm geglaubt, dass er schlief. Aber seine angespannten Muskeln und sein schneller Atem verrieten ihn. Er war wach.
Es gab Dinge, über die Bendix nicht sprechen wollte, und Kaèl würde ihn nicht dazu drängen.
Besonders nicht jetzt. Die Augen fielen ihm zu, seine Glieder waren angenehm schwer. Er legte seinen Kopf in Bendix’ Halsbeuge ab und sog seinen Duft ein. Angenehm. »Gute Nacht«, hauchte er.
Bendix hatte in seinem Leben genug Schlimmes erlebt, es war an der Zeit, dass er durch Kaèl etwas Schönes kennenlernte.
Ihm würde der Ausflug gefallen. Er würde den Park lieben, er würde die Gewürze in den Küchen und Kaèls Räume mit den vielen Büchern bestaunen, und, verdammt, sie könnten endlich in einem richtigen Bett mit weichen Laken liegen.
In zehn Tagen war es soweit.
Kaèl konnte es kaum erwarten.