Beim Tanztee stand Kaèl neben der Tanzfläche, mit gefühlt tonnenschwerer Schminke im Gesicht. Er wünschte sich weit fort. Der Puder kitzelte unangenehm in seiner Nase und mehr als einmal musste er den Niesreiz unterdrücken. Andauernd wurde er zum Tanzen aufgefordert und allmählich gingen ihm die kreativen Absagen aus.
Lina gesellte sich zu ihm. Sie trug ein prächtiges, rotoranges Kleid, das mit Rubinen verziert war, die im Licht mit ihren Haaren um die Wette funkelten. Dazu trug sie goldene Absatzschuhe, es wirkte beinahe, als würde sie damit ein paar Zentimeter über dem Boden schweben. Ihr Kleid war gerade so lang, dass es die Etikette nicht verletzte, aber sie bewegte sich so, dass ab und an ihr nacktes Knie durchblitzte. Lina wusste, wie sie die Aufmerksamkeit aller auf sich zog.
Sie betrachtete ihn eingehend, trat einen Schritt näher und schnupperte demonstrativ in der Luft.
Das wurde ihm zuviel. »Was ist?«, bellte er.
Sie grinste. »In den Farbeimer gefallen?«
»Bitte?«
»Diese Schminke. Und du stinkst nach Puder!«
»Gefällt es dir etwa nicht?«, fragte er ironisch. »Ich bin untröstlich. Und ich dachte, so ein bisschen Puder komplimentiert meine Blässe.« Er warf sein Haar schwungvoll zurück.
Lina lachte leise. »Es freut mich, dass du auf meinen Rat gehört hast und immer noch lebst.«
Wenn du wüsstest, dachte er, verkniff sich aber die Bemerkung. »Gut, dass du hier bist«, sagte er stattdessen. »Diese Tanzveranstaltungen sind so furchtbar dröge. Lauter Kretins hier, die meine kostbare Zeit stehlen.«
»Finde ich nicht«, widersprach sie und wies verstohlen auf einen der Diener. Dieser balancierte sein Tablett durch die Tanzenden und zwinkerte ihr dabei zu, was sie mit einem koketten Augenaufschlag erwiderte. Er hatte einen ähnlichen Teint und Statur wie der Hexenjäger. Auch seine Bewegungen waren ihm ähnlich. Obwohl ... Nein, der Hexenjäger läuft noch etwas eleganter, dachte Kaèl, so wie ein Luchs.
»Ist der nicht süß?«, fragte Lina und er konnte nur nicken.
Sie lachte grausam. »Ich bin gespannt, wie er im Bett auf meine Feuerzauber reagiert.«
Kaèls Stimmung sank. »Sei nicht zu gemein zu ihm«, murmelte er. Der Diener tat ihm jetzt schon leid.
Schlecht gelaunt drehte er sich von Lina weg. Sein Blick traf Rubìnia, die ihn bitter anfunkelte, aber er schaute schnell in eine andere Richtung. Wenigstens seine Mutter schien bester Laune zu sein. Sie stand mit Ludòiku am Tisch, Ludòiku lachte aus vollem Halse und selbst Akàri lächelte milde. Dazwischen stand, leicht verlegen, Nyòko.
Kaèl hatte seine Mutter noch nie einen guten Witz machen hören und war immer wieder aufs Neue fasziniert, wie begeistert Ludòiku an ihren Lippen zu hängen schien.
Akàris und sein Blick trafen sich und sie winkte ihn herbei. »Mein Goldstück, gesell dich zu uns!«
»Na geh schon, du braves Goldstück«, sagte Lina. »Die Mami ruft.«
Seufzend schnappte er sich sein zweites Glas. Das würde ein langer Abend werden. Er trottete zum Tisch und nickte in die Runde.
»Schau mal, wer hier ist«, setzte seine Mutter sogleich an und nickte in Nyòkos Richtung. »Immer wenn ich Nyòko sehe, dann denke ich: ›Beim Drachen, wie schnell die Zeit vergeht!‹ Ich habe noch genau vor Augen, wie sie als kleines Mädchen mit ihrem Schaukelpferd gespielt hat.«
Nyòkos Wangen färbten sich rot. Bestimmt wünschte sie sich gerade weit fort, genau wie Kaèl.
»Ja«, sagte Ludòiku. »Unsere Kleine war ein wildes Kind, ganz wie Serèika. Ich erinnere mich, wie Nyòko einmal ihr Lieblingspferdchen zerbrochen hatte. Muriel, wie traurig sie da war! Da hat Kaèl es ihr wieder zusammengehext, obwohl er selbst gerade erst in der vierten Klasse war.« Er stieß Nyòko in die Seite. »Weißt du noch, wie Kaèl dein Pferd heilgezaubert hat?«
Nyòko wand sich.
»Ja, ich erinnere mich«, sagte Kaèl. »Leider.« Er runzelte die Stirn. »Das Geplärre hatte mich so genervt, ich hatte keine Wahl.«
Seine Mutter schoss einen finsteren Seitenblick nach ihm.
»Ahaha«, lachte Ludòiku, »So kann man es auch ausdrücken.«
Konnte es noch peinlicher und unangenehmer werden? Er entschloss sich, die Notbremse zu ziehen.
»Nyòko.« Er musterte sie eindringlich. »Wollen wir zusammen raus auf den Balkon?«
Ludòikus Augen leuchteten bei der Frage. Nyòko starrte panisch von ihrem Vater zu Kaèl, nickte dann aber langsam.
Draußen lehnten sie sich an das Geländer und atmeten tief durch.
»Was ein Dilemma!«, sagte Kaèl. »Seit ich über dreißig bin, dreht meine Mutter durch und will mich andauernd verkuppeln. Es ist schrecklich, dass sie dich jetzt auch noch involviert.«
»Das heißt, deine Avancen vom letzten Ball waren unfreiwillig? Du bist nicht in mich verliebt?«
»Natürlich nicht!«
Sie atmete auf. »Puh, ein Glück. Ich hätte nicht gewusst, wie ich Vater erkläre, dass ich seinen Goldjungen abweise.«
Abweise? Er hatte zwar kein Interesse an ihr, aber die Erkenntnis, dass dies auf Gegenseitigkeit beruhte, stieß ihm doch säuerlich auf.
Nyòko musterte ihn. »Versteh mich nicht falsch, aber wir kennen uns so lange, du bist eher so etwas wie ein älterer Bruder für mich.« Sie zog die Brauen zusammen. »Wenn auch ein mürrischer, merkwürdiger.«
Das hingegen leuchtete ihm ein. »Jetzt weiß ich, was du meinst«, sagte er. »Ja, da ist keinerlei Anziehung.«
»Genau.« Sie lachte. »Du Glücklicher, dass sie dir bis dreißig Zeit gelassen haben! Ludòiku ist jetzt bereits in hellem Aufruhr.«
»Gruselig.«
»Das Wohl unseres Landes hängt daran, dass ich einen passenden Partner finde.« Sie seufzte theatralisch.
»Mehr Wein?«, fragte Kaèl.
Sie stießen an. »Auf die freie Partnerwahl.«
Der Wein war unangenehm süß und schwer, wahrscheinlich hatte Nyòkos Vater ihn für den Abend ausgewählt, er schätzte so ein Zeug und ließ alle anderen regelmäßig darunter leiden.
Nyòko schien nichts an dem klebrigen Gebräu auszusetzen zu haben, sie leerte fast das halbe Glas in einem Zug. »Das tat gut«, sagte sie und wischte sich über die Lippen.
»Immerhin sind wir hier fern von der grässlichen Musik und den verschwitzten Tanzenden«, sagte er.
Sie runzelte die Stirn. »Ich mag das Tanzen und die Musik. Aber ja, jetzt wo Ludòiku mit Argusaugen beobachtet, wen ich als Tanzpartner wähle, hat es an Reiz verloren.« Ihr Gesicht hellte sich auf. »Ich habe eine Idee«, rief sie. »Wie wäre es, wenn wir ihren Kupplungswahn für uns nutzen? Wir tun so, als hätten wir Interesse aneinander. Dann ziehen wir uns in eine dunkle Ecke zurück und sprechen kein Wort, entspannen nur. Ist das ein Plan?«
»Wieso sprechen wir nicht?«, fragte er verwirrt.
Sie verdrehte die Augen. »Kaèl, fühl‘ dich nicht angegriffen, aber ich kann mir einen spannenderen Abend vorstellen, als dir beim Dozieren über Magie zuzuhören.«
Er schwieg getroffen. Nyòko war die Erste, die seine Erzählungen langweilig fand. Er kämpfte mit dem Drang, eine scharfe Erwiderung zu geben.
Das Mädchen ist jung und weiß noch nicht, was gut ist im Leben, versuchte er sich zu beruhigen.
»Fein«, sagte er zähneknirschend.
Daraufhin fielen sie in tiefes Schweigen, das Kaèl dazu nutzte, noch einmal die Einzelheiten des Kampfes mit dem Hexenjäger Revue passieren zu lassen. Es gab einige Dinge, die er immer noch nicht verstand, obwohl er Nacht für Nacht darüber gebrütet hatte.
Kaèl hatte nie sonderlich viel Elan in das Erlernen der Zerstörungsmagie gesteckt – in seinen Augen war es eine plumpe Disziplin, bei der es nur um rohes Aufbringen von Energie ging. Dennoch war er den meisten darin überlegen, mit Ausnahme vielleicht von Lina, Serèika Ryunòr oder einigen der auserwählten Elf. An der Akademie war er einige Male beim Duellierclub erschienen und bislang unbesiegt geblieben.
Und trotzdem, wann immer er einen Zauber gegen den Hexenjäger gefeuert hatte, war es, als würde dieser an ihm abprallen. Manchmal war der Kerl nicht einmal ausgewichen und hatte dennoch keinen Schaden davongetragen.
Die einzige Erklärung, die Kaèl für dieses Phänomen hatte, war Schildmagie.
Aber wäre das nicht absurd, wenn einer, der Magie hasst, selbst welche anwendet?
Davon abgesehen war Schildmagie überaus selten. Um ein effektives Schild zu wirken, musste mehr Energie hineingesteckt werden, als in die Zauber, die es blockieren sollte. Da im Vorhinein nicht klar war, wie kraftvoll diese ausfallen würden, musste man ein Maximum an Energie aufbringen, was mehr war, als die meisten Magi zur Verfügung stehen hatten. Meist war es deshalb effizienter, Zaubern auszuweichen oder sie zu parieren, und sich auf seine Angriffszauber zu konzentrieren, um die Gegner*in rasch auszuschalten.
Nein, dachte er, ein Mensch wie der Hexenjäger wäre niemals in der Lage, ein magisches Schild zu zaubern!
»Nyòko«, überlegte er laut. »Wie viele Leute kennst du, die Schildmagie beherrschen? Habt ihr welche davon in der Armee?«
Sie schaute auf. Es dauerte eine Weile, bis sie Kaèl fokussierte, sie musste tief in ihren eigenen Gedanken gewesen sein. »Kaèl«, sagte sie. »Nicht heute! Was war unsere Abmachung? Keine Vorträge über Magie!«
»Pfff«, machte er genervt und konzentrierte sich wieder auf sich selbst.
Irgendetwas war merkwürdig an dem Hexenjäger. Als Arbeitshypothese nannte Kaèl es ›magische Immunität‹. Mit klassischer Zerstörungsmagie würde er jedenfalls nicht weit kommen.
Aber wie kämpfe ich mit einem, der gegen meine Angriffe immun ist?
Es blieben physische Attacken, aber die Vorstellung war lachhaft, dass Kaèl sich wie ein kleiner Junge raufen sollte, davon abgesehen, dass er damals als Kind immer seine Bediensteten zum Raufen vorgeschickt hatte.
Aber womit kann ich ihn aufhalten?
Ihm kam eine Idee und er musste lächeln.
Natürlich, dachte er. Ich bin und bleibe Transformationsmagi und kein Zerstörungsstümper!