Nach zwei Wochen unermüdlichen magischen Trainings war Kaèl bereit, sich dem Hexenjäger erneut zu stellen. Er passte eine Gelegenheit ab, als seine Mutter außerhalb des Schlosses gefordert war und stieg in die Kutsche. Auf ging es Richtung Silberwald -- natürlich ohne Eskorte.
Sein Kutscher konnte die Zügel kaum halten, so sehr zitterten seine Hände. Auch Kaèl wurde, je näher sie ihrem Ziel kamen, immer mulmiger zumute, aber es war zu spät. Er hatte seine dehnbare Kampfmontur angelegt und würde jetzt nicht wenige hundert Meter vor dem Ziel aufgeben!
Kurz vor der Stelle des letzten Überfalls ließ er seinen hasenfüßigen Kutscher anhalten. Es widerstrebte Kaèl, ihm den Aufenthaltsort des Hexenjägers zu verraten, deshalb wies er ihn an, die Kutsche hinter einem Gebüsch zu verbergen und dort auf ihn zu warten.
Die Sache mit dem Hexenjäger war allein seine Angelegenheit, und er hatte keine Lust, dass der Kutscher sich bei seiner Mutter verplapperte, und sie dann ihre komplette Leibgarde losschickte, um den Hexenjäger auszumerzen.
Irgendwie bin ich verrückt, dachte er, als er in das Unterholz stieg. Den Hexenjäger sollte man nicht unterschätzen, ihren letzten Kampf hatte Kaèl nur mit Glück überlebt. Andererseits hatte er diesmal das Überraschungsmoment für sich. Und er war vorbereitet.
Lange vor der Kutschfahrt hatte er seine Sphären beschworen. Die meisten Magi scheiterten bereits an einer Sphäre, Kaèl hingegen hatte es geschafft, drei der gelb leuchtenden Kugeln mit seinen tödlichsten Zaubern aufzuladen, und konnte es kaum erwarten, sie auf den Hexenjäger zu werfen.
Zufrieden rieb er sich die Hände. Das ist wahre Magie!
Die Kugeln umschwirrten seinen Körper, was ihm ein verwegenes Aussehen verlieh. Passend dazu hatte er eine heidelbeerfarbene Kampfrobe gewählt, die das Gelb der Kugeln eindrucksvoll kontrastierte.
Den Hexenjäger sah er schon von weitem. Er hockte in ›seinem‹ Garten vor einem schlammigen Beet und grub mit einem Messer in der Erde herum.
Er musste Kaèls Anwesenheit gespürt haben, denn blitzschnell sprang er auf und drehte sich in Kaèls Richtung, das Messer gezückt. »Du schon wieder«, sagte er. »Was willst du hier?« Dabei ließ er das Messer durch seine Finger gleiten.
Diesmal hatte er dieselbe knapp geschnittene Tunika an, die Kaèl bereits von seinem Phantombild kannte. Kaèl stierte auf die sich darunter abzeichnenden Muskeln.
Der Hexenjäger stierte zurück, zunächst in Kaèls Augen, dann wurde sein Blick von den wirbelnden Sphären abgelenkt. Er hob die Brauen.
»Wir waren nicht fertig geworden«, sagte Kaèl betont gleichmütig.
»Du verrückter Vogel!« Der Hexenjäger lachte. »Du hast nur überlebt, weil du durch den Matsch fort gekrochen bist. Und jetzt stehst du wieder hier, mit diesen albernen Flimmerkugeln. Was zum Henker ist falsch mit dir?«
Trotzig schob Kaèl das Kinn vor. »Ich will das beenden, was wir angefangen haben. Was soll falsch daran sein?« Er hob angriffsbereit die Arme und schritt langsam auf den Hexenjäger zu.
Dieser hob warnend die Hand. »Nicht weiter!«, aber Kaèl ließ sich nicht aufhalten. Nicht dieses Mal.
»Arrgh«, machte der Hexenjäger. Er fasste sich an die Stirn und starrte nach unten, auf Kaèls Füße. Auch Kaèls Blick wanderte nach unten. Er hatte eine der Pflanzen des Beetes umgeknickt. Eine ziemlich große sogar, mit prächtigen Schoten.
»Hoppla«, sagte Kaèl.
»Meine einzigste Bohnenstange!« Aus der Stimme des Hexenjägers klang Verzweiflung.
Kaèl schüttelte es. »Meine Einzige«, korrigierte er. »Das heißt ›die einzige Bohnenstange‹.«
»Halt den Rand!« Der Hexenjäger verengte die Augen.
»Aber das ist wichtig«, beharrte Kaèl. »So etwas wie ›die Einzigste‹ gibt es in unserer Sprache nicht.«
»Willst du mich wütend machen?«, schrie der Kerl.
Muriel, was ist er empfindlich!
»Oh bitte«, rief Kaèl, »das Einzige, was einen hier wütend machen könnte, ist deine gruselige Semantik!«
Der Hexenjäger ballte die Faust. »Dann sei froh«, knurrte er, »dass du dich nicht mehr lange darüber aufregen musst. Du bist jetzt schon tot!« Er warf das Messer beiseite und holte seine Waffen, die ein paar Schritte entfernt in der Erde steckten. Mit einem großen Satz sprang er in Kaèls Richtung. Dabei führte er zwei Schwünge mit den scheußlich blitzenden Klingen aus, die das Blut in Kaèls Adern gefrieren ließen. »Haha«, lachte er. »Das war nur meine Aufwärmübung. Meine einzigste Aufwärmübung.« Er trat näher, ein bösartiges Grinsen im Gesicht. »Und jetzt raus aus meinem Beet!«
Kaèl gehorchte, die bedrohlich erhobenen Waffen ließen ihm keine Wahl. Er ließ sich zurückdrängen und begann erst ab einem sicheren Abstand zum Garten mit der Gegenwehr. Wie beim ersten Kampf lenkte Kaèl den Hexenjäger mit seinen Schockwellen ab, stieß ihn zurück, wann immer dieser zum Sprung ansetzen wollte. Als der Hexenjäger frustriert schnaubte, wirbelte Kaèl ihn mit einem Tornado durch die Luft. In dem Moment, in dem der Hexenjäger auf den Boden aufsetzte, ließ er seine Sphären mit einem lauten Knall zerplatzen und setzte die Zauber frei: Ein Meteor, ein pinker Kugelblitz, und zuletzt eine Feuersbrunst, die vom Himmel herabfuhr.
Der Hexenjäger entkam dem Meteor knapp – indem er zur Seite rollte, aber dem Kugelblitz war er ausgeliefert. Wie erwartet hatten die Zauber wenig Effekt auf ihn, jede normale Person hätte der Kugelblitz bewegungsunfähig gemacht, wenn nicht sogar getötet, aber der Hexenjäger kam wieder auf die Füße, als wäre nichts gewesen. Die Feuersbrunst jedoch verbrannte den rechten Ärmel seiner Tunika. Gänzlich immun schien der Kerl also nicht zu sein!
Der Hexenjäger keuchte, und hielt sich den angesengten Arm. »Du bist verdammt schnell!«
Kaèl zuckte mit den Schultern. »Ich bin Kaèl.«
»Carl? Dein Name?«
»Ka – èl!«
»Ka – èl«, wiederholte der Hexenjäger zaghaft.
»Geht doch.« Er wollte gerade nach dem Namen des Hexenjägers fragen, da setzte der Kerl wieder zum Angriff an. Kaèl hatte alle Hände voll zu tun, die einzelnen Vorstöße zu parieren. Trotzdem hatte sich das Tempo des Kampfes geändert, der Hexenjäger war vorsichtiger geworden, sprang seltener in Nahkampfreichweite, als habe er Respekt vor Kaèl bekommen. Das war exakt das, was Kaèl geplant hatte, es ließ ihm die Zeit, endlich seine Transformationszauber zu wirken.
Es lief richtig gut, er schickte den Hexenjäger von einer unangenehmen Situation in die nächste, erzeugte hier eine Wand aus massivem Eis, um ihn einzusperren und dort einen Sandsturm, der dem Hexenjäger die Sicht nahm und seine Angriffe fehlschlagen ließ.
Der Hexenjäger knurrte und kämpfte sich wieder frei, aber sobald er zuschlagen konnte, hatte Kaèl bereits den nächsten Trick parat.
Ha! Wenn das diese Zerstörungsstümper sehen könnten!
Als Finalstück erzeugte er eine Armee von Illusionen, lauter höhnisch grinsende Kaèls, die den Hexenjäger umringten und mit Feuerzaubern bewarfen. An diesem Zauber hatte Kaèl tagelang geübt, und er war zuversichtlich, dass er den Hexenjäger damit eine ganze Weile in Schach halten könnte.
Aber den Hexenjäger ließ das unbeeindruckt. Die Feuerbälle prallten an ihm ab wie Wattebäuschchen. »Auch was Neues«, sagte er stoisch und zerfetzte die Illusionen eine nach der anderen mit seinen Waffen.
Diese schrecklichen Klingen schon wieder! Jetzt zerstörten sie sogar seine heißgeliebten Illusionen!
Gelassen, beinahe rhythmisch arbeitete der Hexenjäger sich durch das Illusionenheer und kam Kaèl damit immer näher. Hiermit hatte Kaèl nicht gerechnet. Alles in ihm verkrampfte sich, er starrte paralysiert auf die schwingenden Klingen, die nur einen halben Meter von ihm entfernt die letzten Illusionen zerschnitten.
Er hatte jetzt nur noch einen Zauber auf Lager, und der war außerordentlich anspruchsvoll.
Er musste die Ruhe bewahren, sein verdammtes Überleben hing davon ab! Aber seine Finger zitterten so unkontrolliert, er bekam Angst, den Zauber nicht wirken zu können.
Du kannst es, sagte er sich. Du kannst es!
Kaèl schloss die Augen, ignorierte sein bis zum Hals hämmerndes Herz und vollführte die einstudierte Handbewegung.