»Hexenjäger!«, rief Kaèl. »Komm heraus und kämpfe, wenn dir deine Ehre lieb ist.«
Der Spruch schien ihm für die Dramatik der Situation angemessen. Er hatte ihn sich aus einem von Nyòkos Büchern herausgeschrieben, einen Liebesroman über höfische Intrigen und Duelle mit Musketen, der ihn neuerdings um den Schlaf brachte.
Die Tür öffnete sich und heraus trat der Hexenjäger. Er stemmte die Hände in die Hüften. »Du schon wieder.« Aber dabei lächelte er ein wenig.
Irgendetwas an ihm war anders, aber Kaèl konnte nicht genau bestimmen, was. Er trat nun gänzlich aus der Hütte und streckte sich genüsslich. »Fein, wenn du unbedingt wieder eine Abreibung bekommen willst, dann opfere ich mich gern.«
Kaèl spähte in die Hütte. »Wo sind die Eichhörnchen?«
»Oh, sie haben letzte Woche gemerkt, dass ich doch nicht ihr Elter bin. Ihr Interesse an mir hat nachgelassen.« Der Hexenjäger lachte verlegen. »Wahrscheinlich bin ich ihnen zu langweilig.«
»Wie schade«, sagte Kaèl enttäuscht.
»Ja, das ist schade, ich hatte mich an sie gewöhnt. Aber ich lege jetzt immer Nüsse vors Haus, um sie zu locken, mittlerweile holen sie sich da regelmäßig ihre Ration.«
Tatsächlich lagen überall Haselnüsse und Walnussschalen herum. Eine knarzte sogar unter Kaèls Fuß. »Ich sehe, bei dir schwelgen sie in Luxus.« Er zwinkerte dem Hexenjäger zu. »Nicht, dass du sie verziehst.«
»Ein interessanter Einwand, Lord Hochwohlgeboren. Das wäre ja schlimm, wenn hier einer verzogen wäre.«
Kaèl lachte. »Verzogen? Ich? Was für ein absurder Gedanke.«
Der Hexenjäger verdrehte die Augen. »Bist du hier, um mit mir zu reden oder fangen wir endlich an mit dem Kämpfen?«
»Dann lass uns anfangen.« Kaèl warf dem Hexenjäger einen weiteren, prüfenden Blick zu. Jetzt wusste er, was anders war. Der Hexenjäger trug einen Umhang! Das giftgrüne Flatterding passte vielleicht zu Kaèls neuster Lektüre, aber es verdeckte die ansehnlichen Oberarme und einen guten Teil seiner muskulösen Brust.
Aus einer Laune heraus trat er näher und zupfte an dem groben Stück Stoff. »Warum trägst du das?«
»Du meinst den Umhang? Der ist praktisch für den Kampf.«
»Praktisch.« Kaèl grinste. »Das trägst du doch nur, um verwegener zu wirken.«
»Und? Wirkt es?«
»Oh ja«, behauptete Kaèl. »Ich schlottere vor Angst.«
»Jetzt tust du mir aber leid«, spottete der Hexenjäger, »Soll ich ihn abnehmen? Dann hältst du vielleicht länger als fünf Minuten durch.«
»Ja, nimm ihn ab. Das Ding ist so hässlich, das würde mich unangemessen ablenken. Allein diese Farbe! Ich werde nie wieder ruhig schlafen können!«
Dem Hexenjäger schoss das Blut ins Gesicht.
Gleich verliert er seine Fassung, dachte Kaèl. Eins – Zwei – Drei …
»Hässlich?«, keifte der Hexenjäger. »Ich habe ewig daran genäht!«
Kaèl gluckste. »Für einen, der andauernd meditiert, bist du leicht zu reizen.« Das Glucksen in ihm steigerte sich zu einem Lachen, tief aus seiner Brust.
Der Kerl zog einen Flunsch. »Und du, du bist verdammt kindisch für einen hochwohlgeborenen beinahe-Erzmagi!«
»Unfug, ich bin kein bisschen kindisch!«, ereiferte sich Kaèl. Er ballte die Fäuste.
»Ach? Die ganze Zeit gackerst du, an den unpassendsten Stellen. Wenn das nicht kindisch ist.«
Kaèl schwieg gekränkt. So etwas musste er sich nicht von diesem ... Phantombildschönling sagen lassen!
»Wie alt bist du eigentlich?«, hakte der Hexenjäger nach. »Ich kann das bei euch Spitzohren nie einschätzen.«
»Einunddreißig«, sagte Kaèl ungehalten.
»So alt schon!«, rief der Hexenjäger. »Ich bin dreiundzwanzig, und ich dachte, du wärst jünger als ich, so wie du dich verhältst.«
Kaèl nahm Haltung an. »Dann bist du offensichtlich nicht in der Lage, anderer Leute Verhalten korrekt zu interpretieren.« Er warf dem Hexenjäger einen vernichtenden Blick zu. »Aber was erwarte ich von einem, der in einer abgelegenen Hütte haust.«
Eine giftgrüne Bewegung, und der Hexenjäger hatte ihn gefangen. Mit dem hässlichen Umhang. Langsam und unnachgiebig zog er ihn an sich heran. »Dann hilf mir auf die Sprünge«, sagte er bedrohlich leise. »Zeig’ mir, wie du auf meine Würgetechniken reagierst. Das verrät viel über den Charakter.«
Kaèl erstarrte. Er wusste nicht, wie der Hexenjäger das machte, dieser abrupte Wechsel zwischen nett und gruselig. Alle seine Nackenhärchen stellten sich auf.
Vielleicht hätte ich ihn nicht so reizen sollen, dachte er. Aber, ach was soll's! Eine Antwort lag ihm auf der Zunge, die würde er noch loswerden, vor dem schmerzhaften Ende. Er kicherte leise.
»Was ist jetzt wieder?«, stöhnte der Hexenjäger.
»Du brauchst deine Techniken nicht. Ich würge schon beim Anblick dieses Flatterdings.«
Grollend stürzte sich der Hexenjäger auf ihn, riss Kaèl die Beine weg, und sie rollten über die Wiese. Der Kerl schien wirklich wütend zu sein. Er attackierte Kaèl heftig, aber der hielt ihn in den entscheidenden Momenten mit Schockwellen und ein paar gekonnt gesetzten Eiszaubern auf Abstand. Nach ein paar Minuten ging Kaèl die Puste aus, und er verschwand – wenig ehrenhaft – in der Unsichtbarkeit.
Das war enttäuschend kurz, dachte er. Ich muss mehr trainieren!
»Diese Unsichtbarkeit!«, wiederholte der Hexenjäger zum gefühlt tausendsten Mal, als er die Büsche absuchte. »Irgendwann fällt mir etwas dagegen ein!«
Diesmal hatte sich Kaèl auf einen Baum gerettet und beobachtete aus sicherer Höhe, wie der Hexenjäger sich unter ihm abmühte. Als er mit seinem Umhang an einer Brombeerhecke hängen blieb, musste Kaèl lachen.
»Wusste ich es doch!«, triumphierte der Hexenjäger. »Du bist noch hier!« Er riss seinen Umhang frei und drehte sich in Kaèls Richtung.
Aber Kaèl schwieg.
»Ich … kann auch nicht mehr«, legte der Hexenjäger nach, »wir könnten eine Pause einlegen, einen Mini-Waffenstillstand.« Er setzte sich ins Moos und klopfte auffordernd auf die Fläche neben sich. »Komm.«
Kaèl zögerte. Ist das eine Falle?
Aber der Kerl wirkte so aufrichtig, dass sein Widerstand brach.
Ich muss verflucht sein, dachte er und sprang von seinem Ast. Er wirkte einen raschen Fhaarbulöszauber, lenkte seine Schritte in Richtung Moos und setzte sich. Neben den Hexenjäger. Und aus irgendeinem halsbrecherischen Grund löste er sogar seine Unsichtbarkeit auf.
Der Hexenjäger schenkte ihm dafür ein breites Lächeln. »Geht doch.«
Sie schwiegen eine Weile, und Kaèl versuchte, sich zu beruhigen, was schwierig war mit dem Kerl neben ihn. Bei jedem Atemzug stieg ihm sein Duft in die Nase, herb, aber nicht unangenehm. Auch berührten sich ihre Knie ein wenig, aber merkwürdigerweise störte er sich nicht daran, obwohl er sonst jede Berührung als Zumutung empfand. Aber wahrscheinlich fühlten sich Dinge wie Abstand und Intimsphäre anders an, wenn man bereits miteinander gerungen hatte.
»Ist der Umhang wirklich so schlimm?«, fragte der Hexenjäger.
Kaèl ließ den Blick über seinen Körper schweifen. »Er verdeckt zuviel. Mit mehr nackter Haut gefällst du mir bes–«
Oh. Habe ich das gerade laut gesagt?
»Ich meinte, es ist nicht dein Stil«, korrigierte er sich hastig.
»Aber du trägst doch auch immer solche pompösen Roben, mit Umhängen. Ich verstehe nicht, warum das an mir –«
»Heißt das, du magst meine Roben?«, unterbrach Kaèl ihn geschmeichelt.
»Nein«, sagte der Hexenjäger schnell. »Die sind viel zu aufgeblasen.« Aber er war ein schlechter Lügner, eine tiefe Röte überzog sein Gesicht, sodass es trotz seines braunen Teints auffiel.
Kaèl gluckste. »Na gut, dann eben nicht.« Er fing an, seine Finger zu dehnen, die durch das viele Zaubern und Klammern ganz verkrampft waren. Der Hexenjäger starrte währenddessen stur geradeaus.
»Wofür brauchst du das Ding überhaupt?«, fragte Kaèl.
»Ein paar der Hexen haben begriffen, dass sie bei mir mit ihren Zaubern nicht viel Schaden anrichten können. Daher haben sie nun Degenkämpfer*innen als Leibgarde angeheuert.«
Kaèl musste lachen. »Menschen? Sie haben Menschen angeheuert? Wie absurd!«
»Eigentlich nicht.« Der Hexenjäger runzelte die Stirn. »Es fällt mir wesentlich schwerer, Menschen zu töten, als euch Hexen, sie tun mir leid. Der Umhang ist eine gute Verteidigung gegen ihre Stichwaffen, ich kann ihn als Schild nutzen oder den anderen damit die Waffen aus den Händen ziehen.«
Wie in meinem Buch, dachte Kaèl. Ihm gefiel die Vorstellung.
»Der Umhang ist an sich nicht schlimm«, sagte er deshalb. »Es ist die Farbe. Giftgrün harmoniert kein bisschen mit deinem braunen Teint.«
»Aber das ist die traditionelle Farbe der Mönche!«
Kaèl verdrehte die Augen. »Na und? Manchmal musst du eben Opfer bringen für die Mode! Wieso probierst du nicht Purpur, das passt hervorragend zu deinen Augen.«
Der Hexenjäger ließ die Schultern hängen und brummelte etwas von ›unbezahlbar‹, was Kaèl verwirrte, es ging doch schließlich nur um ein simples Stück Kleidung und nichts Wertvolles.
»So wichtig ist es auch nicht«, sagte er versöhnlich. »Ich bin, was Ästhetik angeht, streng.«
»Du bist, was alles angeht, streng.«
»Mit der Meinung bist du nicht allein.« Kaèl seufzte. »Nyòko sagt das auch immer.«
Der Hexenjäger merkte sichtbar auf. »Nyòko?«
»Nyòko Ryunòr, Kronprinzessin Finistères, noch nie von ihr gehört?«
Der Hexenjäger schnaubte. »Du und deine berühmten Bekanntschaften.«
»De facto ist sie mehr als nur eine ›Bekanntschaft‹. Wir sollen verkuppelt werden, von unser beider Eltern.«
»Dann wirst du sie heiraten?«
Irrte er sich, oder klang der Kerl gerade eifersüchtig? »Nein«, rief Kaèl und lachte. »Definitiv nicht. Sie will einen heiraten, der sie liebt.«
»Und das tust du nicht?«
»Natürlich nicht. Ich liebe nicht, nie. Ich weiß gar nicht, wie sich so etwas anfühlt. Und ehrlich gesagt bin ich auch froh darum. Nichts macht einen so verletzlich wie Gefühle.«
Den Hexenjäger schien diese Aussage zu beruhigen. Das war interessant, es wirkte fast so, als hätte Kaèl da einen wunden Punkt getroffen. Das würde er für sich zu nutzen wissen, um ihn aus seiner Deckung zu locken. »Was nicht bedeutet, dass ich keinen Spaß im Leben habe.« Er zwinkerte dem Hexenjäger zu. »Alle Geschlechter stehen auf mich, und dadurch kann ich mir das Beste herauspicken.«
Als der nicht reagierte, legte Kaèl nach: »Ich bin der begehrteste Junggeselle des Landes, um genauer zu sein.«
»Aha«, sagte der Hexenjäger und malte mit dem Fuß im Sand herum. »Ein Glück, dass du nicht arrogant bist.«
»Wie bitte? Ich bin nicht arrogant, ich bin …«
Er stockte, weil der Hexenjäger ihn breit anlächelte, was ihn irritierte. Erneut öffnete er den Mund, um sich zu verteidigen, aber dieses verdammte Lächeln war so ansteckend und riss Kaèl wider alle Vernunft mit. Er grinste zurück, verkniff es sich dann wieder, mit seinem letzten bisschen Selbstkontrolle.
Was ist nur in mich gefahren! Mit dem Hexenjäger turteln!
Dieser Magimörder war einfach zu gutaussehend. Nur zu gern hätte Kaèl seinen Umhang fortgerissen und in seine Oberarme gebissen. Er hätte sein Schloss darauf verwettet, dass sie sich sogar besser anfühlten als Timantys. Und die Lippen des Kerls sahen so weich und küssbar aus, es war zu verlockend.
Der Hexenjäger betrachtete Kaèl, mit einer Intensität, die ihn erröten ließ. Irgendetwas hatte sich an seinem Blick verändert, etwas Neues lag darin, das Kaèl nicht deuten konnte. War es Verlangen?
Kaèl schloss die Augen und lehnte sich zu ihm.