»Hier wohnst du also«, sagte Bendix. Sein Blick wanderte über das vierstöckige, hellbeige Gebäude mit seinen Giebeln, Wasserspeiern und Türmchen und blieb an dem vergoldeten Westflügel hängen. Er verschränkte die Arme vor der Brust. »Pompöser ging es wohl nicht?«
»Ach weißt du, man gewöhnt sich daran.« Lachend wollte Kaèl ihn durch die Säulen führen, aber Bendix sperrte sich dagegen.
»Und das finanziert ihr durch die Abgaben der Bauersleute?«
Die Frage erweckte ein unangenehmes Gefühl in Kaèls Bauch. »Unter anderem«, sagte er reserviert.
Bendix verzog das Gesicht. »Unfassbar! Wenn die armen Leute wüssten, wofür ihr hart erarbeitetes Geld verschwendet wird!«
»Wir verschwenden es nicht«, korrigierte Kaèl. »Dank meiner Familie hat es seit mehr als vierzig Jahren keinen feindlichen Angriff auf dieses Land gegeben.« Das waren Akàris Worte, und aus seinem Mund klangen sie merkwürdig hohl.
»Ach? Was hat deine Familie dafür getan?«
»Sie hat eine schlagkräftige Armee ausgebildet, die das Land beschützt.«
Bendix schnaubte. »Und wer kämpft in dieser Armee? Das Volk. Die Leute beschützen sich also selbst!«
Um eine Antwort verlegen, schob Kaèl Bendix in das überdachte Peristyl, das einen marmornen Springbrunnen umsäumte.
Diesmal leistete Bendix keinen Widerstand. Im Gegenteil, sobald sie hinein geschritten waren, schien er in sich zusammenzufallen. Er zog die Schultern bis zu den Ohren hoch und blickte mit großen Augen umher, während er fast schlafwandlerisch durch den Hof tappte. Als sie dicht an einer der Statuen um den Brunnen vorbeiliefen, hob er die Hand, um sie zu berühren, zog sie dann aber zurück, als hätte er etwas Verbotenes getan.
Er drehte sich um, blickte verloren zu Kaèl und dann wieder auf die Statue. Er biss sich auf die Lippe.
»Fass sie ruhig an«, sagte Kaèl. »Da geht nichts kaputt. Das ist Großtante Lyàndra, die war schon zu Lebzeiten ein harter Brocken.« Er lachte leise, aber Bendix stimmte nicht mit ein.
Kaèl hatte ihn noch nie so eingeschüchtert erlebt. Er hätte es sich denken können, jetzt, bei näherer Betrachtung, fiel ihm auf, wie groß sein Heim war, es war geradezu riesig im Vergleich zu Bendix’ Hütte. Kein Wunder, dass Bendix verstört war.
Er trat einen Schritt näher und nahm Bendix’ Hand in die seine. »Willkommen bei mir«, sagte er leise. Bendix’ Hand war kalt und zitterte ein wenig, aber Kaèl drückte sie aufmunternd. »Schau«, er zeigte hoch zur gläsernen Kuppel.
Bendix folgte seinem Finger mit dem Blick. »Oh«, entfuhr es ihm. Er schob die Mütze aus der Stirn und reckte den Hals, um das Glasmosaik zur Gänze bestaunen zu können.
»Das Bild zeigt den Ursprung des Dracheneifestes«, erklärte Kaèl. »Nach dem Krieg wurde ein zurückgelassenes Drachenei gefunden und von der damaligen Herrscherin adoptiert. In der dargestellten Szene sieht man die Schlüpfung, und die Magi tanzen einen Freudenreigen. Die meisten denken, es sei nur ein Mythos, aber«, er senkte die Stimme, »der Drache lebt immer noch in Wyvern am Schloss, und ich habe ihn mit eigenen Augen gesehen.«
Beifallsheischend blickte er zu Bendix, aber der nickte nur abwesend. Er schien Kaèl überhaupt nicht zugehört zu haben, so versunken war er in das Bild. Mit seinen Fingern zählte er etwas ab und formte Worte mit den Lippen. »Fünfundzwanzig … Achtundzwanzig verschiedene Arten von Blumen! Mindestens!« Strahlend wandte er sich zu Kaèl. »Das sind mehr, als bei mir im Wald wachsen.«
»Äh, ja. Das ist auch interessant«, sagte Kaèl. Dann würde er die Geschichte mit dem Drachen wohl ein anderes Mal zum Besten geben. Immerhin schien Bendix durch die Ablenkung wieder mehr er selbst zu sein.
»Es ist wunderschön«, hauchte Bendix, aber dann schüttelte er den Kopf, und die Ablehnung kehrte zurück in seine Züge.
»Du hast dich wieder an die Bauersleute erinnert?«, mutmaßte Kaèl.
Bendix nickte finster.
Die Eingangstüren schwangen offen, und Mister Taryòn lief ihnen entgegen. »Mylord … ich meinte, meine Herrschaften, willkommen!« Er verneigte sich tief, erst vor Kaèl, dann vor Bendix.
Auch Bendix verneigte sich.
Kaèl zupfte ihm am Ärmel. »Du musst das nicht tun.«
»Wieso, er macht das doch auch?«
»Aber er ist …«
»Ich werde dafür ja auch bezahlt«, erklärte Mister Taryòn schmunzelnd.
Kaèl blieb die Spucke weg bei so viel Offenheit. Interessant, wie Mister Taryòn das sah.
»Interessant«, sagte auch Bendix, bevor Kaèl seinen vorlauten Diener zurechtweisen konnte. Er drehte sich zu Kaèl und senkte die Stimme. »Ein bisschen absurd finde ich es ja, dass du Leute für sowas bezahlst, aber gut, wenn es dir gefällt …«
»Es geht hier nicht um ›gefallen‹«, unterbrach Kaèl ihn säuerlich. »Mir gebührt Respekt, und du gehörst zu mir, folglich bekommst du auch eine Verbeugung. Ganz einfach.« Er reckte das Kinn und schritt zur Tür.
Unfassbar, dass er so etwas überhaupt erklären musste! In manchen Dingen war Bendix erschreckend naiv, aber gut, das war wenig erstaunlich für einen, der sein halbes Leben im Kloster oder Exil verbracht hatte.
Eilfertig lief Mister Taryòn voraus und hielt ihnen mit einer erneuten Verbeugung die Tür auf. Er schmunzelte dabei.
Wenigstens einer, der das Ganze amüsant findet, dachte Kaèl gereizt.
Bendix holte ihn ein und hakte sich bei ihm unter. »Ich wusste nicht, dass du auf so was stehst«, flüsterte er. »Jetzt habe ich eine Idee, was ich dich bald im Bett machen lasse.« Er grinste anzüglich. »Ich bezahl’ dich am Ende auch dafür, keine Sorge.«
»Nie im Leben!«
Das war alles so, so unangemessen! Kaèl brannten weitere, patzige Antworten auf der Zunge, rhetorische Feuerwerke, die er munter auf Bendix feuern würde.
Würde.
Er biss sich auf die Lippe. Irgendwie hatte die Vorstellung auch etwas. Obwohl er sich Bendix garantiert nicht ohne Widerstand beugen würde, da müsste Bendix schon alle Muskeln spielen lassen, um ihn …
Ihm wurde heiß.
Seine Röte musste ihn verraten haben, denn Bendix’ Miene veränderte sich subtil, und sein Griff um Kaèls Oberarm verstärkte sich.
»Was grinsen Sie so?«, herrschte Kaèl Mister Taryòn an, um sich von der wachsenden Enge in seiner Hose abzulenken. »Finden Sie das lustig?«
Mister Taryòn zuckte zusammen. »Verzeihen Sie, Mylord. Ich freue mich nur, weil Sie so glücklich wirken.«
Kaèl glaubte ihm kein Wort, aber Bendix warf ihm einen liebevollen Blick zu, der all seinen Ärger im Keim erstickte. »Na dann ist es ja gut«, murmelte er.
Nyòko und Hiròki würden morgen Mittag ankommen, es blieb also noch der Nachmittag, Abend und Vormittag, um Bendix das Wichtigste zu zeigen. Kaèl hatte sich im Kopf bereits das Programm der nächsten Stunden zurechtgelegt, um auch wirklich alle Vorzüge zu genießen.
Als Erstes wollte er Bendix seine Gemächer zeigen, danach stand ein Spaziergang durch den Park an, für dessen Abschluss Kaèl ein Picknick im Grünen hatte anrichten lassen. Vegetarisch, so wie Bendix es vorzog. Dann lockten die gemütlichen Sofas des Salons, inklusive Kammermusik und dann, nach einem gemeinsamen Bad, das weiche, große Bett.
Es war ein straffes Programm.
Leider machte Bendix ihm einen Strich durch die Rechnung. An jeder Ecke blieb er stehen und bestaunte die ausgestellte Kunst, oder irgendwelche Alltagsobjekte, denen Kaèl nie Beachtung geschenkt hatte.
»Oh, das bist ja du als kleiner Junge!« Begeistert winkte Bendix ihn zu sich. Er wies auf eines der vielen Bilder, die die Hotàru’sche ›Familienidylle‹ zur Schau stellten.
»Äh, ja.« An einer Stelle auf Bendix’ Nasenrücken schimmerte das Violett seiner Tätowierung durch. Wenn ihn jemand so sah … Kaèl blickte nervös um sich. »Kommst du weiter?«
»Gleich. Ich will nur … oh, kann das sein?« Zielstrebig lief Bendix zum nächsten Bild. Er kniff die Augen zusammen. »Ja, das ist der große Sandsteinblock, in meinem Wald! Ist das dein Vater neben dir? Er sieht dir unheimlich ähnlich!«
Kaèl unterdrückte ein Glucksen. ›In meinem Wald‹ war eine gewagte Formulierung, für einen, der illegal auf dem Grund und Boden seiner Familie lebte.
Er ließ seine Vorsicht fahren. Bendix schien diese kleinen Unterbrechungen zu brauchen, wie die Kinder im Menschenmärchen ihre Brotkrumen, um sich nicht im Wald zu verlieren.
Und wir wollen ja nicht, dass Bendix von der Hexe gefressen wird, dachte er schmunzelnd und stellte sich dicht hinter ihn. Immerhin hatte er die Mehrheit der Bediensteten in den bezahlten Urlaub geschickt, und das Schloss war halb ausgestorben. Er brauchte nicht so nervös zu sein.
»Ja, das ist Elìrios«, sagte er, ohne groß hinzusehen. Er hatte diese Gipfelbilder nie gemocht.
»Es ist merkwürdig. Du wirkst so anders auf den Bildern.«
»Ich war genervt, stundenlang posieren zu müssen. Das hat mir früher alle Ausflüge verdorben.«
Bendix schüttelte den Kopf. »Du wirkst nicht genervt. Eher … traurig.« Er wies auf das Bild. »Schau wie deine Mundwinkel hängen.«
»Unfug.« Allmählich wurde Kaèl das Thema unangenehm.
»Doch.« Bendix zog ihn zum Bild daneben, dann eines weiter. »Auch hier. Und hier. Es ist immer derselbe Gesichtsausdruck. So kenne ich dich gar nicht. Und dein Vater blickt genauso. Ist das irgendwie schick für euch Adelige, so deprimiert zu sein?«
»Nein.« Kaèl trat näher an das Ölgemälde heran, das ihn, Akàri und Elìrios in ihrem Wohnzimmer zeigte. Es war gut fünfundzwanzig Jahre alt, und er erinnerte sich an den Tag, an dem es gemalt wurde. Er war nicht traurig gewesen. Nicht einmal genervt, denn er hatte mit seinen Bauklötzen spielen dürfen und gerade herausgefunden, wie man magisch ihre Farbe änderte. Aber Bendix hatte recht. Auf dem Bild wirkte er verloren, irgendwie erloschen. »Ich weiß nicht, warum das so ist«, sagte er leise.
Bendix warf ihm einen langen Seitenblick zu, der sich in Kaèl einbrannte, als sei er nackt. Ihm wurde unwohl, er wollte weg von diesen Bildern. »Lass uns weitergehen.«
Bendix nickte und folgte ihm und Mister Taryòn zur marmornen Treppe. »Deine Mutter schaut auf jedem Bild anders wütend.«
Kaèl lachte. »Sie hat eine expressive Mimik. Früher, wenn ich etwas angestellt hatte, konnte ich anhand ihrer Blicke einschätzen, wie wütend sie war. Wenn sie ihren ›Du bist eine Schande für alle Hotàrus‹-Blick aufgesetzt hatte, wusste ich, dass ich mich besser noch ein Weilchen in der Bibliothek verschanzen sollte.«
»Weißt du, was komisch ist?«
»Hmm?«
»Ich dachte, ich würde deine Mutter hassen, für das, was sie den Menschen angetan hat. Aber sie sieht dir so ähnlich, dass sie mir irgendwie sympathisch ist.«
Kaèl wirkte einen Stillezauber um sie. »Es ist leicht, Mutter für ihre Taten zu verurteilen. Aber seit ich selbst politisch aktiv bin, sehe ich, wie schwierig es ist, sich gegen die anderen Adelsfamilien zu stellen. Sie hat mit der Zeit resigniert. Manchmal … habe ich Angst, dass ich auf Dauer auch so werde, wie sie.«
Bendix legte eine Hand auf seine Schulter. »Das wirst du nicht. Ich werde nicht müde werden, dich daran zu erinnern!«
»Mutter hätte jemanden wie dich gebraucht. Vater ist das alles einerlei, Hauptsache er hat es bequem.« Kaèl lächelte. »Ich bin froh, dass Nyòko anders ist.«
»Wie kommst du jetzt auf Nyòko?«
Kaèl biss sich auf die Zunge. Falsches Thema. »Oh«, sagte er schnell, »da sind sie auch schon, meine Gemächer!«
Bendix runzelte die Stirn, als wolle er noch etwas fragen, aber dann wurde seine Aufmerksamkeit vollständig von dem großen Bücherregal in Beschlag genommen. »So viele Bücher!«
»Das ist noch gar nichts«, sagte Kaèl stolz. »Die meisten sind in meinen Arbeitszimmern. Sechstausendsiebenhundertzweiundzwanzig, um genau zu sein.«
»Und die hast du alle gelesen?«
»Nur fünftausendzweihundertelf. Hauptsächlich Werke über Magie, Naturwissenschaften und Magiegeschichte, aber in letzter Zeit«, er errötete, »lese ich eher Liebesromane, meist Menschenliteratur.«
Bendix trat näher und überflog die Titel. »Da sind welche in anderen Buchstaben.«
»Ach die. Die sind auf elbisch verfasst, ich habe aber Titel in fünf verschiedenen Sprachen.«
»Du sprichst … elbisch mit deiner Familie?«
Kaèl lachte. »Natürlich nicht, die Sprache ist seit Jahrhunderten ausgestorben. Aber es gibt einige lesenswerte Magiebücher von früher.«
Wieder schien Bendix etwas kleiner zu werden. »Fünf Sprachen«, murmelte er zu gleichen Teilen bewundernd wie eingeschüchtert.
Nach einer Tour durch jedes von Kaèls Zimmern, inklusive Kaèls Musikinstrumentesammlung, seinem begehbaren Kleiderschrank und einer Vorführung der Funktionsweise der Wassertoilette, ging es endlich ins Schlafzimmer.
Bendix kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Er lief mit offenem Mund umher, befühlte die samtenen Wandvorhänge und umrundete das Himmelbett. »Es ist riesig«, hauchte er.
»Vor allem ist es komfortabel!«
Bendix runzelte die Stirn. »Da liegt etwas unterm Bett.« Er ging auf die Knie. »Das muss dir runtergefallen sein.«
Entsetzt beobachtete Kaèl, wie Bendix eine mit Smaragden und Amethysten verzierte güldene Schale hervorzog. »Halt!«, rief er. »Das musst du …« Er wedelte mit beiden Armen »… nicht.«
Aber schon hatte Bendix die Schale auf seinem Schminktisch abgestellt. »Was ist das?«, fragte er arglos. »Das ist bestimmt unfassbar wertvoll. Ist das ein Pokal?«
»Das ist …«, Kaèl atmete tief durch, »mein Nachttopf.«
Bendix zog eine Braue hoch. »Dein was?«
»Muss ich das weiter aufführen?«
»Aber das Badezimmer ist nebenan, wieso …«
»Manchmal ist es eben bequemer so«, schnitt Kaèl ihm das Wort ab.
Mister Taryòn ließ den Nachttopf diskret unter das Bett schweben. »Werter Herr«, sagte er zu Bendix. »Lassen Sie mich Ihre Schminke auffrischen.«
Bendix setzte sich, und Mister Taryòn griff zum Pinsel. »Ihre Arbeit ist ausgezeichnet«, sagte er zu Kaèl, »man erkennt die Tätowierungen selbst aus nächster Nähe nicht. Ich bessere nur kurz die eine Stelle aus.« Als Bendix seine Mütze ablegte, verteilte er mit geübten Bewegungen die Farbe und den Puder über Bendix’ Gesicht und fixierte alles mit einem Zauber.
Bendix verzog den Mund, als habe er auf eine faule Traube gebissen.
»Zuviel Magie?«, fragte Kaèl.
Bendix warf Mister Taryòn einen Blick zu und zwang sich zu einem Lächeln. »Das ist schon in Ordnung. Vielen Dank, Mister Taryòn!«
Er erhob sich und trat vor Kaèls Spiegel. »Jetzt kann ich mir endlich anschauen, wie ich in dieser albernen Robe aussehe.« Irritiert zupfte er an seinem Kragen, hob dann probeweise die Arme und ließ sie mit einem Seufzer wieder sinken. »Das Ding sieht genauso steif aus, wie es sich anfühlt.«
»Ach was, da gewöhnst du dich dran«, sagte Kaèl.
Bendix nahm Haltung an. »Ich sehe aus, wie ein ganz anderer Mensch. Wie ein König, oder so.«
Landadel, korrigierte Kaèl ihn im Geiste. Er hatte bewusst eine unprätentiöse Robe in gedecktem Moosgrün gewählt, so würden ihn alle für ein unbedeutendes Mitglied irgendeiner Landadelsfamilie halten, deren Namen sich sowieso niemand merkte. Aber für solche Feinheiten hatte Bendix keinen Blick.
Kaèl trat dicht hinter ihn und ließ eine Hand über die Seide von Bendix’ Gewand gleiten.
»Das gefällt dir?«, fragte Bendix. »Wenn ich sowas trage?«
»Nein. Ich mag dich in deinen Sachen lieber. Aber du bist in allem schön.« Kaèls Blick streifte Bendix’ markantes Kinn und blieb an seinen Lippen hängen. »Wunderschön«, hauchte er.
»Ach was«, nuschelte Bendix. »Ich bin ganz gewöhnlich. Du bist doch der Hübsche von uns beiden.«
Ganz gewöhnlich. Kaèl verkniff sich ein Grinsen. Bendix’ Fähigkeit, das Offensichtliche nicht zu bemerken war ebenso erstaunlich, wie unfassbar niedlich. Er zog ihn näher an sich.
»Sie können jetzt gehen«, sagte er zu Mister Taryòn.
Eigentlich war für jetzt der Parkspaziergang angesetzt, aber eine kleine Planänderung würde ihnen nicht schaden.
oOOo
Erschöpft ließ Kaèl sich in die Kissen sinken. Seine Füße brannten, weil Bendix unbedingt den ganzen Park hatte umrunden wollen, was fast zwei Stunden gedauert hatte. Hungrig betrachtete er die Picknickdecke. Er hatte bewusst ein schlichtes Essen bestellt, um Bendix nicht zu überfordern. Also gab es kandierte Früchte, mehrere Sorten frisch gebackenes Brot, in Öl mariniertes Gemüse, Käse und eingelegten, mit Chili bestrichenen Tofu, dazu Salat und verschiedene Crèmes.
Er räkelte sich genüsslich. Bendix hingegen drückte steif den Rücken durch und schaute um sich, wie ein ängstliches Tier. »Du hättest dir doch nicht solche Umstände machen müssen, Kaèl.«
»Umstände?«
Bendix wies auf die drapierten Speisen. »Na das hier.«
Kaèl lachte. »Glaub mir, das ist gar nichts, nur ein formloses Picknick.«
Misstrauisch beäugte Bendix das Besteck. »Wieso liegen hier dann so viele Gabeln und Löffel? Das sieht nicht nach ›formlos‹ aus.«
In Bendix’ Hütte gab es nur zwei Löffel und Essstäbchen. Mehr brauchten sie nicht, meist tischte Bendix ihnen Eintopf oder Suppe auf, den sie aus verbeulten Blechnäpfen löffelten. Kaèl beugte sich vor. »Aber du weißt, wie man das benutzt?«
»Natürlich«, patzte Bendix und verschränkte die Arme.
Kaèl zuckte mit den Schultern. Er ließ ein paar aufgeschnittene Feigen mit Frischkäse auf seinen Teller schweben und griff nach Messer und Gabel.
Bendix’ Blick folgte jeder seiner Bewegungen, mit denen er die Feigen zerkleinerte. »Ich hab’ gelogen«, gab er nach einer Weile zu. »Ich weiß nicht, wie man damit isst.«
Erstaunt hob Kaèl den Blick. Damit hätte er nicht gerechnet. Aber zum Glück war er ja entspannt bei derlei Dingen. »Kein Problem«, sagte er bemüht heiter. »Ich helfe dir.« Er rückte mit gespreizten Beinen dicht hinter Bendix, so dass er seinen warmen Rücken an seinem Bauch spürte. »Heute picknicken wir, da ist es ganz einfach. Es gibt keine festgelegte Reihenfolge der Speisen, und du wählst einfach das Besteck aus, dass dir am passendsten erscheint. Das Messer nimmst du in deine rechte, die Gabel in deine linke Hand.«
Bendix pikste die Gabel in eine Olive. Sie rutschte weg, und die Zinken quietschten über das Porzellan. Er wandte sich zu Kaèl und schaute so verzweifelt, dass Kaèl ihn einfach auf die Wange küssen musste. »Fang mit dem Tofu an, das ist einfacher.« Er wanderte mit den Küssen zu Bendix‘ Kinn. »Oder du lässt dich von mir füttern.«
»Hier? In aller Öffentlichkeit?« Misstrauisch blickte Bendix um sich.
»Warum nicht?« Kaèl rückte weiter nach hinten und setzte sich in den Schneidersitz. Auffordernd klopfte er auf seinen Schenkel. »Komm, leg deinen Kopf ab. Ich suche dir etwas zusammen.«
Bendix verdrehte die Augen, ließ sich dann aber doch in Kaèls Schoß sinken.
»Mach die Augen zu.« Kaèl spießte eine mit Meerrettichcrème gefüllte Kirschtomate auf. »Und jetzt den Mund auf.«
Bendix öffnete ihn folgsam und kaute bedächtig. »Tomate. Und … oh, das ist ja scharf.«
Kaèl lachte. »Meerrettich.« Er küsste Bendix, und die angenehme Schärfe breitete sich auch in seinem Mund aus.
Ein leises Räuspern unterbrach sie. »Mylord, ist alles nach Ihren Wünschen?«
Bendix zuckte zusammen. Reflexartig stieß er Kaèl von sich und richtete sich auf, Panik im Blick.
Kaèl brauchte einen Moment, sich zu sammeln. »Es ist alles bestens«, sagte er dem Diener. »Ich rufe Sie, sobald uns an etwas mangelt.«
Der Diener warf Bendix einen kurzen Blick zu, verbeugte sich und schritt von dannen.
Bendix atmete schwer. »Das war knapp«, stieß er hervor.
»Überhaupt nicht«, widersprach Kaèl. »Deine Tätowierungen sind nicht sichtbar, dazu die Mütze und die Robe – niemand erkennt dich!«
»Ja, aber wenn er deiner Familie verrät, dass du einen Mann küsst … Mein Vater hätte mich dafür totgeprügelt!«
Kaèl hob vielsagend die Brauen. »Was denkst du, wie ich meine Jugend überstanden habe? Ich weiß, wem ich vom Personal trauen kann. Die Leute, die du kennengelernt hast, haben im Laufe der Jahre bereits einiges verheimlicht.«
»Dann veranstaltest du so etwas hier öfter?«
Kaèl lachte. »Natürlich! Ich habe schon ganze Orgien hier gefeiert, als meine Eltern auf Reisen waren.«
Bendix’ Miene versteinerte.
»Natürlich nicht, seit ich dich kenne«, sagte Kaèl hastig.
»Natürlich«, knurrte Bendix.
Der Rest des Picknicks verlief angespannt. Bendix weigerte sich, sich weiter füttern zu lassen und beugte sich konzentriert über sein Besteck, während Kaèl versuchte, die Stimmung mit Witzen zu retten.
Als es dämmerte, liefen sie durch den Rhododendrongarten zurück zum Schloss.
»Kaèl«, hörte er eine allzuvertraute Stimme hinter sich. Er wirbelte herum und erblickte Timanty in seiner Arbeitskluft. Dreck klebte an seinen Knien.
Der hatte ihm gerade noch gefehlt.
Schnell trat er einen Schritt vor, um Bendix vor Timanty abzuschirmen. »Timanty! Was machst du hier? Hatte ich euch nicht beurlaubt?«
»Ich heiße immer noch ›Timothy‹«, knurrte dieser. »Und nein, ich bin extra nicht in den Urlaub gegangen. Ich weiß ja, was das bedeutet, wenn du uns sowas anbietest.« Neugierig linste er über Kaèls Schulter. »Ist er das? Dein neues Spielzeug?«
»Gibt es hier ein Problem?« Bendix trat neben ihn, die Hände zu Fäusten geballt.
Timothy grinste bitter. Abschätzend ließ er den Blick über Bendix’ Körper schweifen. »Scheinen ordentlich Muskeln dran zu sein, ganz nach deinem Geschmack.«
»Lass mich und Sir Ethan in Ruhe«, sagte Kaèl scharf, bevor Bendix den Mund öffnen und noch mehr von seinem breiten Dialekt preisgeben konnte.
»Sir Ethan, ja sicher«, sagte Timanty spitz. »Ich kenne deine Tricks, Kaèl.« Er wandte sich an Bendix. »Ich war auch mal ein ›Sir‹. Zwei ganze Wochenenden lang. Erhebendes Gefühl, einmal so gebauchpinselt zu werden, nicht?«
Bendix’ Augen wurden groß. Er schüttelte den Kopf. »Eigentlich überhaupt nicht.«
Timanty schnaubte amüsiert. »Da hast du dir ja einen ganz Bescheidenen ausgesucht, Kaèl.« Er zwinkerte Bendix zu. »An deiner Stelle würde ich nicht auf seine Versprechungen hören. Er hält sich nicht dran, das machen diese Adeligen nie.«
Bendix warf Kaèl einen langen Blick zu, dann setzte er sich in Bewegung, er flog förmlich über den Weg.
»Bendix, warte!«, rief Kaèl, aber schon war Bendix hinter der nächsten Hecke verschwunden.
»Das wird Konsequenzen für dich haben«, zischte er dem grinsenden Timanty zu und eilte Bendix hinterher.
Das war alles ganz anders geplant gewesen.
Er holte Bendix erst an der Schwingtür ein. Keuchend folgte er ihm ins Innere, und sie liefen sie treppauf, treppab, durch das halbe Schloss. Kaèl hätte gern etwas gesagt, um die Stimmung aufzulockern, aber wann immer er zu Bendix blickte, präsentierte der dieselbe in Stein gemeißelte Miene, und seine Worte blieben ihm im Halse stecken.
Irgendwann, als sie denselben Flur zum dritten Mal passierten, fasste er sich ein Herz. »Wohin, verdammt, läufst du?«
»Zu deinem Zimmer. Meine Sachen holen.«
»Das ist der falsche Weg«, sagte Kaèl. Er stockte. »Du willst was?«
Bendix beachtete ihn nicht. Stur lief er weiter, bis er am Ende des Flurs angelangt war. Wahllos riss er eine der Türen auf und stapfte hinein in den Spiegelsaal. Seine Schritte hallten auf dem Parkett. »Was ist das jetzt wieder?«, stöhnte er. »Warum ist hier alles so riesig? Das ist doch nicht normal!«
»Unser kleiner Ballsaal«, sagte Kaèl.
»›Kleiner‹ Ballsaal, eh?« Bendix lief in die Mitte und starrte fassungslos in die Spiegel, die alle Wände säumten. Er drehte sich zu Kaèl. »Ich gebe auf. Hilf mir. Bring mich zu deinen Zimmern.«
»Nein.« Kaèl ließ die Tür magisch zufallen. Der Schlag echote durch den gesamten Saal. »Erst reden wir.«
»Du spinnst wohl. Sperrst du mich hier jetzt ein, oder was?«
Kaèl trat einen Schritt näher. »Du wusstest, dass ich andere Partner*innen vor dir hatte. Was ist dein Problem?«
»Was mein Problem ist?«, knurrte Bendix. »Ich lasse alle Vorsicht beiseite und komme mit in dieses verdammte Schloss, weil es dir so wichtig ist. Und dann kommt raus, dass du mit mir einfach nur die Nummer abziehst, die du mit allen deinen jungen Liebhabern abziehst, um sie mit deinem Status zu beeindrucken.«
»Hör auf«, flüsterte Kaèl. »Wie kannst du nach all den Monaten so etwas von mir denken?« Er suchte Bendix’ Blick, aber der schaute trotzig zur Seite.
Kaèl wurde wütend. »Ja, ich habe mein Leben genossen«, rief er. »Na und? Ich bin dir immer treu gewesen, und wir profitieren beide von meinen sexuellen Erfahrungen.«
»Du begreifst es nicht. Ich profitiere nicht, ich fühle mich austauschbar und wertlos. Und dazu noch dieses ganze Rumgehetze und Geprotze heute. Denkst du, ich finde das romantisch oder schön? Wieso konnten wir nicht wie ganz normale Leute Brot und Käse essen?« Bendix warf die Hände in die Luft. »Kennst du mich überhaupt?«
»Ich dachte, dieses Picknick wäre ein guter Einstieg, weil wir morgen das Essen mit der Kronprinzessin haben. Ich wollte dir damit die Angst nehmen!«
»Na, das ist dir ja wunderbar gelungen!« Bendix schritt zum Fenster. Er stützte seine Hände auf den Sims und starrte nach draußen. »Ich gehöre hier nicht hin. Ich will heim.«
»Dann geh doch«, sagte Kaèl müde. Bendix würde ihm in dieser Stimmung sowieso aus allem, was er sagte, einen Vorwurf machen.
Bendix schwieg, aber sein Atem ging flach und hektisch und es klang verräterisch nach unterdrückten Schluchzern.
»Ich rufe Mister Taryòn«, sagte Kaèl, weil er die Spannung nicht mehr ertrug. »Er wird dir deine Sachen zurückgeben und stellt dir eine Kutsche.«
Kaèl hatte gehofft, dass Bendix zurückrudern würde, aber der reagierte nicht einmal auf seine Worte. Daher nickte er nur resigniert und schritt zum Ausgang. In der Tür drehte er sich noch einmal um. »Ich weiß, dass du das alles hier abstoßend findest. Aber es ist mein Leben. Ich habe es mir nicht ausgesucht. Natürlich profitiere ich davon, aber was würdest du an meiner Stelle tun?«
»Mir den Namen des Kerls merken, mit dem ich eine Beziehung hatte«, sagte Bendix verächtlich. »Auch wenn es ›nur‹ ein Gärtner war.«
Kopfschüttelnd verließ Kaèl den Saal. Er fühlte sich taub, hastete die Treppen hinauf, die Flure entlang, bis er endlich in seinen Gemächern ankam. Mit letzter Kraft ließ er sich auf das Sofa fallen. »Bringen Sie Bendix seine Sachen und stellen ihm eine Kutsche. Er möchte hier nicht weilen.«
»Aber Mylord!«, sagte Mister Taryòn bestürzt, aber Kaèl verdeckte die Augen mit der Hand. »Sie finden ihn im kleinen Ballsaal.«
Bendix war ungerecht. Kaèl konnte nichts dafür, dass er mehr Gelegenheiten zum Turteln gehabt hatte, als Bendix. Und es war kein Verbrechen, das Leben zu genießen!
Bendix war so zugeknöpft mit seinen zölibatären Moralvorstellungen … Es zählte doch das, was man in einer Beziehung tat, und nicht die Vergangenheit.
Und außerdem hatte er sich bemüht, er hatte das ganze verdammte Programm heute auf Bendix ausgerichtet! Nicht einmal seine Drachengeschichte hatte er zur Gänze ausgekostet!
Es war so typisch für Bendix, dass er ihm nach so einer Lappalie nicht die Gelegenheit ließ, sich zu verteidigen, und sofort auf Durchzug schaltete.
Aber Kaèl hatte seinen Stolz. Er würde ihm nicht hinterherlaufen! Sollte Bendix doch in seiner Hütte versauern!
Jemand klopfte an die Tür. »Ja?«, fragte Kaèl in der abstrusen Hoffnung, dass es Bendix sein könnte.
Aber es war nur Mister Taryòn.
»Ist er fort?«, fragte Kaèl.
»Ich habe mit ihm gesprochen. Er erwartet Sie im kleinen Ballsaal, für eine Aussprache.«
Kaèl fuhr hoch. »Aussprache?«
Was auch immer Mister Taryòn ihm gesagt hatte, er musste die richtigen Worte getroffen haben.
Hastig klopfte Kaèl seine Robe glatt, vergaß vor Aufregung die korrekte Abfolge des Fhaarbulöszaubers, fluchte, wirkte ihn erneut, eilte ins Bad, sprühte sich Parfum hinters Ohr und stürmte dann zum Ausgang.
In der Tür drehte er sich noch einmal um. »Mister Taryòn?«
»Mylord?«
»Danke.«
Bendix erwartete ihn mit verschränkten Armen. Seine Augen waren verweint, und er hatte einen trotzigen Zug um den Mund. »Ich hatte den Kopf verloren«, erklärte er, »und ich habe Dinge gesagt, die ich zwar so meine, aber niemals sagen wollte.«
»Und ich … wollte dich nicht verletzen«, sagte Kaèl erleichtert. Vorsichtig trat er einen Schritt näher.
»Es ist einfach zu viel.« Bendix schniefte. »Dieses riesige Schloss, das viele Besteck, der Luxus … und du, du findest das alles normal und weißt immer genau, was zu tun ist. Ich komme mir so unbedarft vor.«
»Du bist nicht unbedarft. Du hattest bislang nur ein gänzlich anderes Leben. Niemand erwartet, dass du dich an die Etikette hältst.«
»Du erwartest es. Du warst entsetzt, wann immer ich mich nicht daran gehalten habe, das habe ich in deinen Augen gesehen!«
Was sollte er dazu sagen?
»Ja, vielleicht«, gab Kaèl zu. »Aber eigentlich wollte ich dir einfach nur eine Freude machen.«
»So wie den vielen anderen, die bereits deine Gäste waren«, murmelte Bendix. »Nur dass die höchstwahrscheinlich wussten, wie man Süßkartoffelpastete mit Messer und Gabel isst.«
Kaèl seufzte tief. »Natürlich wussten sie das. Aber was hat es ihnen gebracht? Nichts! Keinen von ihnen habe ich je geliebt. Ich liebe nur dich.«
Bendix Kopf fuhr hoch, und ihre Blicke trafen sich. »Was hast du gesagt?«
»Ich …« Kaèls Mund wurde trocken. »Ich liebe dich«, wiederholte er. Jetzt wo es heraus war, fühlte es sich gut an. »Aber ich lasse mich nicht dafür verurteilen, dass ich nicht wie du im Zölibat gelebt habe.«
Bendix wischte sich die Augen, lächelte. »Du hast mir noch nie gesagt, dass du mich liebst.«
»Ja …«, sagte Kaèl zögerlich. »Nicht dir und auch sonst niemanden. Das fällt mir schwer.«
»Ist das wieder so ein Adels-Ding?«
»Nein, das bin ich.« Kaèl überwand den letzten Abstand und nahm Bendix’ Hand, presste sie an seine Brust. »Ich bin nicht gut darin, Nähe zuzulassen, es ängstigt mich. Ich bin früher immer weggelaufen, wenn es mir zu eng wurde, deshalb waren meine lieblosesten Beziehungen die, die am längsten hielten. Aber du bist …«, er schluckte, »das Wichtigste in meinem Leben, und ich will, dass es hält. Bitte, lass mich nicht allein.«
Bendix Züge wurden weich, und er zog Kaèl in seine Arme.
Kaèl atmete auf. Er vergrub seine Nase in Bendix’ Haar. »Ich hasse es, mit dir zu streiten«, murmelte er. »Meine Eltern machen das andauernd, und es ist so lieblos. Ich will nicht, dass wir werden wie sie.«
»Aber wir müssen unsere Probleme doch klären.«
»Wir sollten überhaupt keine Probleme haben!«
Bendix lachte leise. »Du Vogel! Wir werden immer Probleme haben. Wenn alles geklärt ist, kommen Neue.«
»Das hört sich traurig an.«
»Nein«, sagte Bendix. Er löste die Umarmung und fixierte Kaèl, während er ihn an den Schultern festhielt. »Das ist ganz normal. Wir streiten, weil wir zusammen leben wollen. Leben ist Veränderung, und Veränderung bedeutet, dass es manchmal knallt. Ich würde mir eher Sorgen machen, wenn wir irgendwann nicht mehr streiten.«
»Weil wir dann keinen Versöhnungssex mehr hätten?«
»Auch.« Bendix gluckste. »Aber vor allem, weil wir dann resigniert hätten.«
»Hmm«, machte Kaèl.
»Du hattest so viele Liebschaften, aber du hast keine Ahnung, wie das in einer Beziehung läuft, oder?«
Kaèl schüttelte den Kopf. »Vorher war es nie wichtig.«
»Wen habe ich mir da angelacht?« Bendix lachte leise. »Aber … dasselbe fragst du dich wahrscheinlich auch, wenn ich die Gabel in meine Linke nehme, oder?«
»In deine Rechte«, korrigierte Kaèl. »In der Linken wäre sie richtig.«
Bendix seufzte ergeben. »Was macht ihr hier bei so einem Ball?«, wechselte er das Thema.
»Es ist öde«, sagte Kaèl. »Alle kleiden sich in ihre modischsten Gewänder, es gibt ein Bankett, Ströme von Alkohol,« – Bendix schnaubte empört – »und Musik. Man unterhält sich in Grüppchen, na ja, genauer gesagt, man lästert zusammen und natürlich wird getanzt.«
»Völlerei, Lügen und Alkohol.«
»Du hast das Tanzen vergessen«, sagte Kaèl mit einem Augenzwinkern. »Hast du da auch etwas gegen?«
»Dafür musst du mir erst zeigen, wie das geht.«
Kaèl zögerte. Er wollte kein erneutes Drama heraufbeschwören. Höfische Tänze waren kompliziert. Der soziale Ruf hing davon ab, dass die Tanzenden exakt der Etikette folgen, daher hatten die meisten Adeligen von Kindheit an regelmäßige Tanzstunden. Selten waren Bürgerliche geladen und wenn doch, dann fielen sie sofort ins Auge, da sie besonders bei schnelleren Tänzen aus dem Takt gerieten.
»Dafür müsste ich aber zaubern«, sagte er ausweichend.
Bendix verdrehte die Augen. »Wann musst du das nicht? Also mach schon.«
»Wie Mylord wünschen.« Kaèl deutet eine Verbeugung an. »Darf ich bitten?« Er streckte Bendix die Hand entgegen.
Leicht errötend ergriff Bendix seine Hand, und Kaèl zog ihn an sich. Er half Bendix, die korrekten Griffpositionen zu finden. »Ich werde führen«, sagte er, »versuch du, deine Füße genau spiegelverkehrt zu setzen. Wir beginnen mit den Schrittfolgen für eine Volta.«
Zu seiner Überraschung passte Bendix sich rasch an seine Vorgaben an. Er schaute zwar immer wieder nach unten, aber zumindest trat er Kaèl nicht auf die Füße oder rempelte gegen ihn.
»Du machst dich erstaunlich gut«, bemerkte Kaèl.
»Das ist nichts. Im Kloster wurde uns jede Technik nur zweimal gezeigt, und wenn wir sie am nächsten Tag nicht beherrschten, dann mussten wir Schläge einstecken. Da lernst du zwangsläufig, aufmerksam zu sein.«
Kaèl wurde dieses Kloster immer suspekter, aber des lieben Friedens willen verzichtete er auf einen Kommentar. Bendix reagierte allergisch auf Kritik an den Toten.
Sie drehten ein paar Runden, bis Kaèl zufrieden war. »Ich denke, du hast die Grundidee verstanden. Wollen wir einen weiteren Tanz wagen?«
Bendix nickte strahlend, wie ein Schüler, der vor der gesamten Klasse eine gute Note erhalten hatte.
»Dann der langsame Walzer, wie der Name schon sagt, ein behäbiger Tanz. Die Schritte sind einfach, aber es gibt unzählige Variationen.«
Er führte Bendix durch den Grundschritt. Als er zufrieden war, hielt er an. »Wollen wir es mit Musik versuchen?«
»Ja bitte«, sagte Bendix.
Kaèl wirkte einen Musikzauber, und eine getragene Melodie ertönte. »Du musst dir vorstellen, dass bei einem echten Ball ein komplettes Orchester spielt. Das hier ist nur der Abklatsch einer Melodie, aber besser kann ich das nicht zaubern.«
»Und wenn nicht du, wer dann«, sagte Bendix.
»Genau«, lachte Kaèl.
Sie setzten sich in Bewegung. Anfangs schaute Bendix zu ihren Füßen, aber nach ein paar Takten folgte er dem Tempo der Musik und hielt den Blick oben. Er entspannte sich und ließ sich vollständig auf Kaèl ein.
Kaèl zog ihn eng an sich, enger, als die strenge Etikette es zuließ, aber wen kümmerte es, hier, in seinen eigenen Hallen. Bendix‘ Körper war warm und anschmiegsam, und er wollte mehr davon. Um nichts auf der Welt würde er Bendix jetzt loslassen.
»Gefällt es dir?«, flüsterte er, und Bendix nickte.
Wie anders wären Bälle mit Bendix an seiner Seite. Er würde nur noch tanzen.
Kaèls Herz fing an zu flattern, als er eine Hand ganz unstandesgemäß um Bendix‘ Nacken legte.
Er lehnte sich vor und küsste ihn.
Die Zeit schien stillzustehen. Kaèl vergaß die Musik, er vergaß das Tanzen.
Er hielt die Person, die er liebte, in seinen Armen.
Und für einen kleinen Moment fühlte es sich an, wie die normalste Sache der Welt.