Kaèl hätte es wissen müssen, schließlich hatte Bendix es selbst angedeutet: ›Schule?‹, hatte er gesagt. ›Dafür hatten meine Eltern kein Geld!‹
Wieso hatte er das damals nicht verstanden? Oder sich zumindest zusammengerissen, als Bendix ihm endlich gestanden hatte, was los war? Aber Impulskontrolle war noch nie Kaèls Stärke gewesen, und jetzt lief Bendix wütend durch den Wald, und Kaèl ihm hinterher.
Wenn es wenigstens nicht so kalt wäre! Der verdammte Regen peitschte Kaèl ins Gesicht, das Wasser tropfte ihm aus den Haaren in den Nacken und löste unangenehme Schauer aus. Kaèl gab auf.
Er hatte gefühlt den kompletten Wald abgesucht, Bendix’ Namen gebrüllt, bis er heiser war, aber von Bendix fehlte jede Spur. Durchgefroren und entmutigt kehrte er in die leere Hütte zurück.
Drinnen war es duster. Bendix mochte es nicht, wenn in seiner Hütte gezaubert wurde, aber Kaèl hatte keine Kraft mehr, jetzt irgendwelche Experimente mit Bendix’ Feuersteinen und Zunder zu wagen. Er rieb sich Leben in die klammen Hände, wirkte einen Lichtzauber, den er zur Decke schweben ließ wie eine kleine Sonne, dann hexte er ein Feuer in den Ofen. Auch seine Robe zauberte er notdürftig trocken.
Er blickte aus dem Fenster, aber es dämmerte bereits, und Kaèl konnte nur Schemen wahrnehmen.
Was sollte er jetzt tun? Ihm war kalt, aber der einzig warme Platz – Bendix’ Bett – lag verwaist, und Kaèl wollte sich dort nicht ohne Bendix hineinkuscheln.
Bendix’ Hütte war Kaèls Sehnsuchtsort, an den er sich in seinem Alltag hin träumte, aber jetzt fühlte es sich falsch an, hier zu sein. Was war, wenn Bendix ihn nicht mehr wollte?
Mit jeder Minute, die Bendix nicht erschien, wurde Kaèl nervöser. Immer wieder ging sein Blick zum Fenster und verharrte dort, als könnte er sich Bendix allein durch seine Willenskraft herbeiwünschen. Wahrscheinlich war der verrückte Kerl genauso hungrig und durchgefroren, wie Kaèl gerade. Wenn er nur wieder auftauchen würde! Kaèl würde ihm alles erklären, ihn in den Arm nehmen, bis alles wieder gut war.
Sein Blick streifte das Schneidebrett, auf dem kleingeschnittene Gemüsestücke lagen. Vielleicht sollte er sich nützlich machen, Bendix würde etwas Wärmendes brauchen, wenn er wiederkam.
Falls er wiederkam.
Kaèl hatte zwar nie gelernt zu Kochen, aber so schwierig konnte es nicht sein, immerhin hatte er während seiner Studien einige Zaubertränke gebraut. Das Prinzip des Kochens war ähnlich, schätzte er. Man erhitzte die Speisen und beschleunigte dadurch die chemischen Reaktionen, ließ Eiweiße gerinnen, Fette verflüssigen, Bindegewebe gelieren und als Ergebnis waren die meisten Giftstoffe zerstört und alles leichter verdaulich.
Es war bedauerlich, dass er kein Lehrbuch zur Hand hatte, in dem er die verschiedenen Siedepunkte der verwendeten Zutaten nachschlagen konnte, also musste er grob abschätzen, wie heiß er die Flamme zaubern sollte. Wie Bendix das wohl machte? Bei ihm schien es immer zu gelingen, dabei verwendete er nicht einmal ein Thermometer.
Kaèl scheuchte die Gedanken fort. Er sollte die Dinge nicht zu sehr überdenken! Also entfachte er ein magisches Feuer im Herd, stellte den mit Wasser gefüllten Topf darauf und schon nach wenigen Minuten blubberte es munter. Er schüttete die Gemüsestücke hinein, die Bendix vorbereitet hatte. Hinzu fügte er alles an Gewürzen, was er finden konnte und rührte kräftig herum. Zufrieden war er noch nicht: Die Suppe wirkte wässrig, wahrscheinlich fehlte es an Einlage. Zum Glück lagen noch haufenweise Mohrrüben neben dem Schneidebrett, also warf er sie mit in den Topf.
Seinen Berechnungen nach musste die Suppe bei der gewählten Temperatur mindestens fünfunddreißig Minuten köcheln, also griff er nach seinem Buch und machte es sich auf den Schemel am Herd bequem.
Die Minuten vergingen zäh, und Kaèl konnte sich vor Nervosität nicht recht auf sein Buch konzentrieren. Irgendwann, als er merkte, dass er eine Passage zum dritten Mal las, legte er es genervt beiseite. Er linste in den Topf. Die Suppe schien fertig zu sein. Mit einer sachten Handbewegung regulierte er die Flamme herunter, so dass der Topf nur noch warm gehalten wurde. Insgesamt war er zufrieden mit sich. So schwierig war Kochen auch nicht.
Es knarrte, und die Tür öffnete sich.
Sofort beschleunigte sich Kaèls Herzschlag. »Bendix!«, rief er. Er wollte ihm entgegenlaufen, aber ein Blick in Bendix’ Gesicht genügte, und die Angst grub sich zurück in seine Eingeweide. Nichts war gut zwischen ihnen beiden.
Bendix verharrte im Türrahmen, die Klinke in der Hand, so als würde er mit sich ringen, ob er eintreten sollte. »Du bist immer noch da«, stellte er fest.
»Ja«, sagte Kaèl sinnloserweise. »Aber ich kann auch gehen, wenn du wütend –«
»Ich bin nicht wütend!«
Es gab einen Moment der Stille. »Das ist ... gut«, sagte Kaèl, als ihm das Schweigen zu viel wurde.
Eine kalte Böe wehte in die Hütte. Bendix war pitschnass, das Wasser tropfte von seiner Kleidung und bildete eine Lache auf dem Fußboden.
»Jetzt tritt doch ein«, bat Kaèl. »Du holst dir noch den Tod.«
Endlich schloss Bendix die Tür hinter sich. Ohne Kaèl eines Blickes zu würdigen, schritt er zu seiner Kiste und wühlte darin herum.
»Soll ich dich trockenzaubern?«
»Nein«, knurrte Bendix. »Lass mich einfach in Ruhe.« Er kehrte Kaèl den Rücken zu, stieg aus den nassen Kleidern und rubbelte sich mit einem Leinentuch trocken.
Sehnsüchtig starrte Kaèl auf das Muskelspiel seines Rückens. Warum konnten sie sich nicht einfach zusammen ins Bett kuscheln und alles vergessen, was passiert war?
Bendix drehte sich um und griff nach der Kleidung, die er auf der Kiste abgelegt hatte. »Was gibt es da zu starren?«, fragte er ungehalten, als er Kaèls Blick bemerkte.
»Du ... siehst so gut aus.«
Bendix wandte sich ab und stieg in Tunika und Hose.
»Ich ... hab dich lieb«, flüsterte Kaèl hilflos. »Und ich meinte das, was ich gesagt habe nicht so, ich –«
»Du hast jedes Wort so gemeint.«
»Aber ich –«
»Ich sagte, ich will meine Ruhe«, schnitt Bendix ihm das Wort ab. Er stierte zur Decke, wo Kaèls Lichtball munter auf und ab schwebte. »Und mach das weg. Ich habe genug Lampen hier.«
Jetzt ging das wieder los. Bendix verurteilte Kaèl für seine Magie. Aber nach dem unglücklichen Verlauf des Abends verkniff Kaèl es sich, ihm zur Strafe ein Glühwürmchen auf die Schulter zu hexen und tat, was Bendix verlangte, während Bendix demonstrativ die Öllampen entzündete.
Bendix setzte sich aufs Bett und zog sich die Decke über die Beine. Er schlotterte am ganzen Leib, kein Wunder, nachdem er fast zwei Stunden durch den winterlichen Wald gelaufen war.
Natürlich war er zu stolz, Kaèls Hilfe anzunehmen. Aber das ließ Kaèl ihm nicht durchgehen. »Du hast bestimmt Hunger«, sagte er deshalb.
»Ich hatte so oft Hunger in meinem Leben, da ist das jetzt auch nicht schlimm.« Kein Esel hätte störrischer dreinschauen können.
Kaèl verdrehte die Augen bei so viel Sturheit. Kurzerhand füllte er zwei Schüsseln mit der noch heißen Suppe und trug sie zu Bendix. »Ich habe Suppe gekocht. Extra für dich. Wir müssen nicht reden, aber lass uns essen.«
Bendix hob die Brauen. »Du kannst kochen?«
Es klang nicht gänzlich abweisend, also drückte Kaèl ihm eine der Schüsseln in die Hand. »Ich hoffe, es schmeckt.«
Bendix wärmte seine Hände daran. Als er sich darüber beugte, runzelte er die Stirn. »Was ist das?« Er griff nach dem Löffel und fischte etwas aus seiner Suppe.
»Suppengrün?«, mutmaßte Kaèl. Er setzte sich zu Bendix aufs Bett, mit gebührendem Abstand.
Bendix rührte weiter, dann lachte er. »Da sind Kartoffelschalen drin.«
»Ich habe nur das hineingetan, was du kleingeschnitten hast!«
»Hast du auch die Sachen, die neben dem Schneidebrettchen lagen, in die Suppe geworfen?«
Kaèl errötete. »Es kam mir sonst zu wenig vor. War das falsch?«
»So ein paar dreckige Kartoffel- und Sellerieschalen werden uns nicht umbringen.« Bendix tauchte den Löffel ein und probierte, ohne eine Miene zu verziehen. »Siehst du, ich lebe noch.«
»Das ist nicht wirklich ein Kompliment, weißt du?«
»Hast du es abgeschmeckt? Ich hätte vielleicht weniger Wacholderbeeren genommen.« Bendix hielt ihm einen Löffel hin, auf dem eine ganze Karotte lag, mitsamt Möhrengrün, das durch die Hitze braun und schlaff geworden war. »Ich sehe, du hast noch Möhren dazugetan.« Der amüsierte Unterton war nicht zu überhören.
»Sehr witzig«, murrte Kaèl. Er nahm den Löffel in die Hand. Während Bendix ihn aufmerksam beobachtete, probierte er. Alles in seinem Mund zog sich zusammen, aber er würgte es brav hinunter.
Bendix’ Mundwinkel zuckten. Für einen Atemzug hielt Kaèl seinem Blick stand, dann brach er in schallendes Gelächter aus. Auch Bendix konnte sich nicht mehr halten, und gemeinsam lachten sie, bis sie beide nach Luft schnappten.
Als sie sich wieder beruhigt hatten, rückte Kaèl noch ein Stückchen näher an Bendix, zögerte kurz, kroch dann aber zu ihm unter die Decke. Mit angehaltenem Atem wartete er auf Bendix’ Protest, aber der blieb aus.
Mit einem Kopfnicken wies Bendix zur Schüssel. »Und was machen wir jetzt damit?«
»Wegwerfen?«
Bendix schnaubte. »Meine Omi hat immer gesagt: ›gegessen wird, was auf den Tisch kommt.‹«
»Deine Omi scheint eine grausame Person zu sein.«
»Meine Omi hatte einfach keine Vorstellung, was du mit Essen anstellen kannst.« Bendix stellte seine Schüssel beiseite und grinste dabei so unverschämt, wie Kaèl es liebte.
»Ich dachte, es wäre wie beim Tränke brauen, aber es ist doch irgendwie anders«, verteidigte er sich.
»Es gibt bestimmt ein Buch, in dem das erklärt wird!«
Jetzt waren sie wieder beim leidigen Thema angekommen, und die Stimmung kippte. Er sah es an Bendix’ Mund, den er fest zusammenpresste, an seinen Augen, die vor Kaèls Blicken flohen. Kaèl wollte das nicht. Er wollte nichts Unausgesprochenes zwischen ihnen.
Einem Impuls folgend legte er seine Hand auf die von Bendix. »Du bist noch wütend und das aus gutem Grund. Lass uns darüber reden.«
Als Bendix schwieg, fuhr Kaèl fort: »Warum hast du mir das mit dem Lesen nicht erzählt? Ich habe dir so viele Briefe geschrieben.«
Bendix zuckte mit den Schultern. »Wie sollte ich das einem wie dir erzählen?«
»Wie meinst du das, ›einem wie mir‹?«
»Na, so einem superschlauen Erzmagi und was weiß ich noch alles. Das war doch klar, dass du das nicht verstehen würdest. Ich ...« Er fasste sich an die Stirn. Für ein paar Atemzüge, die Kaèl wie eine Ewigkeit vorkamen, rang er um Worte. »Weißt du, was das Schlimmste ist?«, fragte er dann mit zittriger Stimme. »Ich weiß, dass du dich wie ein arroganter Arsch verhalten hast, und trotzdem hab’ ich das Gefühl, dass ich nicht gut genug für dich bin. Ich hab’ Angst dich zu verlieren.«
Überrascht musterte Kaèl ihn, wie er in sich zusammengesunken neben ihm kauerte. Bendix war nicht wütend. Er war einfach traurig und verletzt und versteckte das hinter seiner Ablehnung.
»Du bist gut genug«, beteuerte er. »Du bist das Beste, was mir hätte passieren können.«
Bendix schüttelte den Kopf, ohne den Blick zu heben. »Ich kann ja nicht mal drei Sätze sagen, ohne dass du mich korrigierst.«
Er versuchte, es zu verbergen, aber Kaèl merkte, dass er weinte. Ihn so zu sehen, gab ihm einen Stich ins Herz. »Es tut mir leid«, flüsterte er. Er wollte Bendix in seine Arme schließen und küssen, bis es wieder gut war, aber er hatte Angst, damit alles nur noch schlimmer zu machen. »Du hast recht. Ich bin arrogant. Das haben mir schon viele vorgeworfen, und ich habe über sie gelacht. Das ... war ein Fehler, denn so habe ich nichts daraus gelernt.« Er schluckte. »Ich wollte dir nicht weh tun. Ich will dich glücklich machen.«
Vorsichtig legte er eine Hand auf Bendix’ Schulter und drückte sie. »Darf ich dich in den Arm nehmen?«
Bendix nickte.
Mit einem Seufzer zog er Bendix an sich, presste ihn an seine Brust. Bendix war ausgekühlt, und Kaèl rubbelte ihn mit den Händen über den Rücken. Endlich reagierte Bendix, klammerte sich an ihn und Kaèls Herz schmolz. Lächelnd küsste er Bendix auf die nassen Haare.
Kaèl hielt ihn fest, und Bendix erzählte, zunächst zögerlich, dann immer beherzter. Er erzählte von dem Bauernhof, der seinen Eltern gehört hatte, bis der Vater die Pacht nicht mehr hatte zahlen können. Er erzählte, wie sie daraufhin nach Lindenreich zogen, weil es dort Arbeit in den Fabriken gab. Wie er die Stadt mit ihrem schwarzen, verräucherten Himmel gehasst hatte, wie er den Webstuhl, an dem er jeden Tag siebzehn Stunden stehen musste, gefürchtet hatte, weil ihm alles davon weh tat und seine Finger gebrannt hatten von den beißenden Chemikalien. Dann fing der Vater an, zu trinken, und seine Mutter war überfordert, mit diesem Mann, den sieben Kindern und ihren Schichten in der Fabrik. Jede Nacht hatte Bendix sie weinen hören und konnte doch nichts tun, um ihr zu helfen.
Als sein Vater ihn erwischte, wie er einen anderen Jungen küsste, prügelte er Bendix, bis er blutend am Boden lag. Etwas in Bendix zerbrach. Er schnürte sein Bündel, küsste die Mutter und seine Geschwister zum Abschied und floh. Er wollte zurück in die Heimat, aber der Weg über die Berge war weit. Er wäre fast verhungert, hätte ihn nicht einer der Mönche gefunden und ins Kloster gebracht.
Dort blieb Bendix mehrere Jahre. Er arbeitete für die Mönche, pflegte ihren Garten und kochte für sie. Dafür bekam er ein Dach über den Kopf und zum ersten Mal seit langer Zeit so etwas wie Stabilität in seinem Leben. Für sie war er ein Fremder, und sie misstrauten ihm, aber mit der Zeit eroberte Bendix ihre Zuneigung. Er lernte Meditieren, und sie brachten ihm Kampfkunst bei und versprachen, ihn in ihre Reihen aufzunehmen und auszubilden, wenn er volljährig war.
»Aber dazu kam es nicht, wie du weißt. Deshalb habe ich nie lesen gelernt«, beendete Bendix seine Erzählung. Er löste sich aus Kaèls Umarmung und wischte sich mit dem Ärmel seiner Tunika über die Augen. »Wie du siehst, ist da nichts spannendes an meinem Leben. Ich bin einfach nur ...«
»Wundervoll«, komplettierte Kaèl »Du bist wundervoll.«
Während Kaèl alles wie selbstverständlich zugefallen war, hatte Bendix für jede Kleinigkeit kämpfen müssen. Kaèl wäre an Bendix’ Leben zerbrochen, aber dieser wundervolle Mann machte nicht nur weiter, sondern schaffte es dabei, zu singen und lachen und die kleinen Dinge zu schätzen, etwas, was Kaèl nie gelungen war. Auf einmal schämte sich Kaèl für seinen falschen Stolz.
Er küsste Bendix’ Hand. »Und wenn du magst, dann bringe ich dir Lesen bei. Es gibt so tolle Bücher, und die besten habe ich geschrieben.«
Ein Schatten legte sich über Bendix Gesicht. »Oh nein, ich hatte vergessen, dass du ja auch noch Bücher geschrieben hast. Was hast du eigentlich nicht? Und mit dem Lesen ... ich weiß nicht. Das ist mir peinlich ... vor dir.« Er erhob sich und räumte die Schüsseln auf den Herd. »Ich versuche mal, das Essen zu retten«, murmelte er.
»Warte«, rief Kaèl. »Ich schaue dir dabei zu. Vielleicht lerne ich etwas.«
Während Bendix nach dem Essen meditierte, wusch Kaèl sich, und schlüpfte in sein Nachtgewand. Er zog die Öllampe näher, und las die letzten Seiten seines Buches. Dabei unterdrückte er seine Lacher, um Bendix nicht aus seiner Konzentration zu reißen.
Als Bendix die Meditation beendete, hatte Kaèl den Impuls, das Buch vor ihm zu verstecken, aber dann kam ihm eine bessere Idee. Auffordernd klopfte er auf die Stelle neben sich. »Komm ins Bett, wenn du soweit bist. Ich lese dir etwas vor.«
»Ich weiß nicht«, sagte Bendix abweisend. Kaèl vermutete, dass es einfach nur sein verletzter Stolz war. Wahrscheinlich hätte er auch nicht anders reagiert. Jetzt musste er behutsam vorgehen.
Bendix wusch sich, rieb seine Zähne sauber und näherte sich dann langsam dem Bett, die Arme vor dem Körper verschränkt.
»Na komm«, bat Kaèl. »Da steht auch nichts Magisches drin. Es ist eine Liebesgeschichte. Und lustig.«
Zögerlich legte Bendix sich zu ihm, und Kaèl breitete die Decke über sie beide aus. Er küsste Bendix, der wieder seinen störrischer-Esel-Blick aufgesetzt hatte, hob das Buch und las den ersten Satz vor: »Es ist eine allgemein anerkannte Wahrheit, dass ein Junggeselle im Besitz eines schönen Vermögens sich nichts mehr wünschen muss als eine Frau.«
Kaèl ignorierte Bendix’ kritischen Blick und konzentrierte sich auf den Text. Nach und nach entspannte sich Bendix, und irgendwann fing er sogar an zu lachen, wenn Kaèl an eine witzige Stelle kam.
»Ich wusste nicht, dass es solche Bücher gibt«, sagte er immer wieder voller Erstaunen.
Allmählich machte es Kaèl Spaß, und er fing an, das Buch in unterschiedlichen Stimmlagen wiederzugeben, was Bendix noch mehr zum Lachen brachte.
Nach weiteren zehn Seiten gähnte Bendix leise, und er kuschelte sich enger an Kaèl.
»Genug für heute. Wir müssen schlafen.« Kaèl ließ das Buch zuschnappen.
»Aber es ist gerade so spannend«, versuchte Bendix zu protestieren, aber seine Augen fielen immer wieder zu und straften seine Worte Lügen.
Kaèl lächelte. »Warte nur ab. Bald wirst du das Buch allein lesen können.«
Eine Reaktion blieb aus. Bendix war bereits eingenickt.
Es war nicht das erste Mal, dass Bendix neben ihm schlief, aber bislang war es dunkel gewesen, und Kaèl hatte keine Gelegenheit gehabt, ihn in Ruhe zu betrachten. Bendix‘ Lider flatterten und er atmete regelmäßig, mit leicht geöffnetem Mund. Die Bitterkeit war aus seinem Gesicht gewichen. Kaèl schaute ihn gern an.
Er küsste Bendix auf die Wange. »Ich schwöre dir«, flüsterte er. »Ich werde alles tun, damit du es in Zukunft besser hast.« Mit den Worten pustete er die Lampe aus und zog Bendix fest in seine Arme.
Anmerkung: Kaèl liest aus "Stolz und Vorurteil" von Jane Austen. (Ein empfehlenswertes Buch mit mehr als nur einem fantastischen ersten Satz).