Bendix kicherte. »Du siehst so anders aus.«
Kaèl verdrehte die Augen. Er fühlte sich durch und durch unwohl. Er hatte sich in ein schäbiges Hemd aus Leinenstoff gequält, dessen Farbe entfernt an Erbrochenes erinnerte, dazu trug er einen braunen Mantel aus kratzender Wolle und eine Leinenhose. Sein Haar hatte er mit einem Zauber dunkel gefärbt. Und das alles nur, weil sein Schatz – wieso schlich sich dieses verdammte Wort ständig in seine Gedanken?! – mit ihm als Freund angeben wollte.
Das schmeichelte ihm natürlich. Aber er bezweifelte, dass man, so wie er gerade herumlief, sonderlich gut mit ihm angeben konnte.
Und dann war da noch das Risiko, entdeckt zu werden ...
Er hatte so viele Fragezeichen in seinem Kopf, und Bendix’ ständige Kommentare machten es nicht besser.
Bendix’ Nervosität auch nicht. Jetzt musterte er ihn schon wieder so besorgt von der Seite. Das machte er beinahe im Minutentakt, seit die Kutsche losgefahren war. Allmählich wurde es anstrengend.
»Starr mich nicht so an. Das macht mich nervös.«
»Ich starre dich überhaupt –«
»Doch. Aus den Augenwinkeln. Denkst du, einer wie ich, der jahrelang bei Hofe überlebt hat, bemerkt so etwas nicht? Für so etwas habe ich einen siebten Sinn.«
»Sechsten«, korrigierte Bendix.
Kaèl schüttelte den Kopf. »Der Sechste nimmt magische Energie wahr. Also, was hast du?«
Bendix stopfte seine Hände zwischen die Schenkel und seufzte. »Bist du dir sicher, dass sie deine Ohren nicht sehen können?« Wieder dieser Blick.
»Ich habe einen Verhüllungszauber darüber gewirkt. Sofern sie nicht selbst zaubern können, sollten sie ihn nicht wahrnehmen.«
»Aber ich kann sehen, dass da etwas ist!«
Warum auch immer er das konnte. Das war wieder eine der Fragen, die Kaèl nicht beantworten konnte, genau wie die Sache mit Bendix’ magischer Immunität. »Du bist, was das angeht ... etwas Besonderes. Aber für alle Fälle habe ich ja die Mütze.« Er klopfte auf den Sitz neben sich, wo das kratzige Ungetüm lag.
»Dann setz’ sie auf.« Bendix lehnte sich über ihn, stützte sich mit dem einen Arm neben Kaèl ab und angelte nach ihr. Kaèl nutzte es, zog sich enger an ihn und küsste ihn am Hals. Bendix schnaufte heftig.
Zufrieden stellte Kaèl fest, dass er Bendix damit vollends aus dem Konzept gebracht hatte. Die Mütze war jedenfalls vergessen. Lachend wand er sie Bendix aus der Hand und setzte sie auf und zog sie so lange zurecht, bis das Gefühl an den Ohrenspitzen halbwegs erträglich war. »Du wolltest, dass ich mitkomme. Du hast mich sogar darum gebeten. Hast du jetzt kalte Füße bekommen?«
Bendix schluckte. »Manchmal erschrecke ich im Nachhinein über die Dinge, die ich will.«
»Das kenne ich nur zu gut. Man stellt es sich so einfach vor, deshalb versucht man es, auf einmal ist man mittendrin, und es ist kein bisschen einfach.« Kaèl lachte leise. »Was denkst du, wie ich mich gefühlt habe, als du mir mit deinen Klingen fast den Arm abgetrennt hast?«
Bendix zuckte zusammen, aber Kaèl legte ihm beruhigend die Hand auf seine Schulter. »Was ich keinesfalls bereue. Ich habe so gut wie nie bereut, was ich getan habe, sondern immer nur das, was ich mich nicht getraut habe.«
Bendix legte seine Hand auf Kaèls. »Ich bin nur nervös, weil ich Angst hab, dass sie erkennen, wer du bist.«
»Werden sie nicht«, sagte Kaèl zuversichtlicher, als er sich fühlte. »Das haben wir doch geübt. Ich tue so, als wäre ich schüchtern und halte mich bedeckt.«
Bendix schnaubte. »Als könntest du jemals schüchtern sein.«
Beleidigt zog Kaèl seine Hand unter Bendix’ fort. »Ich kann sehr wo–«
Die Kutsche kam mit einem Quietschen zum Stehen, und beendete damit ihre Diskussion.
Mister Scott sprang vom Kutschbock und hielt Kaèl die Tür auf. »Mylord«, er warf einen misstrauischen Blick zu Bendix, »werter Herr.« Er half Kaèl hinaus, und trat dann zurück, um mehr Abstand zwischen sich und Bendix zu bringen. Nach einer kleinen Verbeugung kletterte er wieder auf den Kutschbock.
»Werter Herr«, wiederholte Bendix, als die Kutsche davonrollte. »So hat mich noch nie einer genannt.«
Kaèl kicherte. »Möchtest du, dass ich dich beim Sex so nenne?«
»Was? Nein! An was denkst du immer!«
Kaèl gab ihm einen leichten Klaps auf den Hintern. »Wenn du in meiner Nähe bist? An nichts anderes.«
»Na das kann ja heiter werden«, murrte Bendix, aber seine Mundwinkel zuckten verräterisch nach oben.
Gemeinsam folgten sie der Fahrstraße. Es war noch ein Stück zu laufen, denn Kaèl hatte die Kutsche wohlweislich vor dem Ende des Waldes einige hundert Meter entfernt vom Dorf halten lassen. Sicherheit ging vor.
»Wie erklären wir ihnen deine komische Sprache?«, fragte Bendix.
›Deine komische Sprache‹ – eine interessante Bezeichnung für Kaèls korrekte Grammatik und seine Angewohnheit, in vollständigen Sätzen zu sprechen.
Aber Kaèl verkniff sich eine Bemerkung dazu. »Unsere Bediensteten sprechen auch so, vertrau mir. Sie werden mir meine Ausrede schon abnehmen.«
Bendix trat gegen einen Stein, der im hohen Bogen ins Gebüsch flog. »Besser wäre es, wir müssten das nicht erwähnen. Sie misstrauen Leuten, die für den Adel arbeiten.«
»So wie deinem Freund, dem Schneider?«
»Das ist was anderes. Kasi lebt schon ewig dort.«
Wie immer, wenn Bendix über Kasimir redete, hatte seine Stimme diesen weichen Klang angenommen. Kaèl verzog das Gesicht.
»Jetzt schau nicht so, ich freue mich ja auch, wenn du sie alle kennenlernst. Du wirst sie bestimmt mögen.«
›Mögen‹?
Sicherlich.
Kaèl fühlte sich unter Fremden nicht wohl, er war nicht der Typ, der so schnell mit anderen warm wurde. Oder warm werden wollte, die meisten waren seiner Aufmerksamkeit schlicht nicht würdig.
Aber er freute sich darauf, an einen Ort zu kommen, an dem er öffentlich mit Bendix sein konnte. An dem sie als das gesehen wurden, was sie waren. Ein Liebespaar.
Obwohl ...
»Bendix«, Kaèl verlangsamte das Tempo. »Sind die meisten Menschen nicht auch homofeindlich?«
»Nicht die, die zählen. Und die anderen ... die haben eben Pech gehabt.« Entschlossen presste Bendix die Lippen zusammen.
Kaèl blieb stehen. »Pech gehabt?«
»Na, die dürfen uns nicht beim Knutschen zusehen.«
»Und wie weiß ich, wann ich dich knutschen darf?«
»Halt dich einfach zurück und lass mich machen.« Bendix drückte ihm eine Hand fest zwischen die Schulterblätter und schob ihn weiter in Richtung der Häuser. »Jetzt ist es sowieso zu spät.«
Durchdacht war etwas anderes.
Als sie durch das rostige Tor schritten, stürmte eine Horde Kinder auf Bendix zu. Er ging in die Knie, hob das Kleinste in seine Arme und wirbelte es durch die Luft. Das Kind hatte sich mit Matsch einen vertikalen Streifen von der Stirn bis über den Nasenrücken gemalt, genau wie Bendix’ Tätowierung.
»Ich bin jetzt auch Hexenjägerin«, rief sie, als er sie wieder absetzte. Sie hob die Fäuste und trommelte gegen Bendix’ Bauch.
»Erbarmen!« Lachend hob Bendix die Hände, als wolle er sich ergeben, aber sie ließ sich nicht beirren und schlug noch zwei mal zu.
»Du Frechdachs!« Erneut wirbelte er sie durch die Luft, und sie gackerte laut, was schnell in ein Kreischen überging.
Als er sie wieder absetzte, fragte er: »Anna, was ist die wichtigste Lektion für eine Hexenjägerin?«
»Immer die Deckung hochhalten!«, mischte sich ein Junge in zerlumpter Kleidung ein.
Bendix schüttelte den Kopf. »Das Wichtigste ist, dass ihr weglauft und euch versteckt, wenn die Hexen vorbeikommen.«
Hexen?
›Magi‹, wollte Kaèl korrigieren, biss sich aber auf die Zunge.
Das fängt ja gut an.
Die Kleine schob die Unterlippe vor. »Du läufst auch nicht weg!«
»Doch«, sagte Bendix und tätschelte ihr den Kopf. »Wenn du wüsstest, wie oft ich schon weggelaufen bin. Nur so überlebst du.« Er lächelte bitter.
Die Kinder ahnten nicht, wie sehr diese Aussage auf Bendix zutraf. Verstohlen tasteten Kaèls Finger nach seiner Hand, er schaute auf, und sie tauschten einen wissenden Blick.
Bendix ließ die Kinder sich artig in einer Reihe aufstellen und zeigte ihnen zwei Tritte, die sie mit ernster Miene nachmachten, dann duellierte er sich mit einer der Älteren mit Stöcken.
Kaèl stand derweil mit verschränkten Armen am Rand und schaute zu. Zum Glück beachteten sie ihn nicht, es hätte ihn nur irritiert. Es war beruhigend, dass Bendix und er keine Kinder bekommen konnten, sonst hätte Bendix bestimmt viele gewollt.
»Bendix«, sagte jemand hinter ihnen, aber Bendix war so beschäftigt, dass er nicht reagierte.
Kaèl drehte sich um. Vor ihm stand eine auf einen Stock gestützte Frau. Ihre zum Dutt hochgesteckten Haare waren schlohweiß, und das Gesicht voller Runzeln, wie ein gut durchgeschmorter Bratapfel. Sie lächelte freundlich. »Oh, und er hat noch jemanden mitgebracht. Wer bist du?«
Du?
Wie unhöflich!
Er atmete tief durch. »Ich bin Carl.« Er streckte ihr die Hand entgegen, um wenigstens ein bisschen Anstand zu zeigen, irgendeiner musste es ja tun. »Ich ...«
»Nana!« Bendix flog in ihre Arme, und sie tätschelte ihm den Kopf, als wäre er ein kleiner Junge.
Als er sich löste, zog er Kaèl am Ärmel neben sich. »Nana, das ist Carl.« Er glühte vor Stolz.
Sie blickte von Bendix zu ihm und strahlte. »Ah, dann weiß ich, wer du bist. Bendix hat mir schon viel von dir erzählt. Ich bin Margret.« Zu Kaèls Entsetzen ignorierte sie seine ausgestreckte Hand und presste ihn stattdessen an ihre große Brust, dass ihm die Luft wegblieb. Sie roch nach Essen.
»Ufff .. äh, das freut mich, Margret.«
Trotz der unangemessenen Begrüßung fühlte er sich beschwingt. Es war das erste Mal, dass sie als Paar wahrgenommen wurden, und es fühlte sich wie nach Hause kommen an.
Ein schwarzhaariges Mädchen zupfte Bendix am Ärmel. »Du wolltest uns noch zeigen, wie man würgt!«
»Jetzt lasst Bendix und seinen Freund erst mal ankommen«, sagte Margret streng.
Erst jetzt schienen die Kinder Kaèl zu bemerken. »Kann der auch so kämpfen wie du?«, fragte ein rothaariger Junge.
Bendix grinste. »Nein, kann er nicht. Dafür kann er aber was viel Besseres. Er kann lesen und seit ein paar Tagen zeigt er mir sogar, wie das geht.«
»Was ist Lesen?«, fragte das Mädchen mit dem Lehmstreifen auf der Nase.
Endlich einmal eine sinnvolle Frage! Kaèl setzte eine ernste Miene auf, wie er es auch immer an der Akademie vor den Studierenden tat. »Lesen heißt, dass ihr versteht, was in Büchern oder Briefen steht. Dafür müsst ihr aber die Zeichen entziffern können.«
»Hört sich kompliziert an.« Sie verzog den Mund.
»Und der kann das?« Der Rothaarige zeigte auf Kaèl.
»Ja«, sagte Kaèl. »Das habe ich in der Schule gelernt.« Das war eine Lüge, Kaèl hatte sein Leben lang Privatunterricht gehabt. »Wollt ihr auch in die Schule gehen?«
Schweigen.
»Was ist eine Schule?«, fragte das schmächtigste Kind schließlich.
»Ja, was ist eine Schule, Carl?«, fragte Bendix süffisant. Er konnte sich anscheinend nicht mehr über den Namen einkriegen.
Auch Kaèl unterdrückte ein Schmunzeln. »Das ist ein Haus, in dem Lehrkräfte euch Lesen und Schreiben beibringen. Und natürlich Rechnen, das ist wichtig.«
»Langweilig«, sagte ein Großer.
»Nein, Ferdi«, sagte Bendix. »In Büchern stehen spannende Geschichten, solche wie sie Nana am Kamin erzählt. Carl hat mir schon Bücher vorgelesen, in denen sie mit Degen kämpfen.«
»Degen?« Die Augen der Lehmnase leuchteten. »Kämpfen sie auch manchmal mit Musketen?«
»Auch damit.« Bendix nickte ernst.
»Ich will auch in die Schule!«
Margret kicherte unterdrückt. »Die fragen ihm gleich ein Loch in den Bauch«, flüsterte sie Kaèl zu.
Der rothaarige Junge zupfte an Kaèls Hose. »Gibt es auch Bücher mit Pferden?«
»Äh ... natürlich«, sagte Kaèl überfordert. »Und mit Hunden.«
»Wir hatten mal ein Pferd, aber der Papa musste das verkaufen.«
»Gregor hat Suse verkauft?«, wandte Bendix sich an Margret. Er klang alarmiert.
Sie zuckte mit den Schultern. »Die Pachterhöhung.«
»Bendix, gibt es auch Bücher über Gesetzlose? So welche wie dich?«
Bendix rieb sich die Stirn. »Ich bin doch kein–«
»So ihr Rabauken, jetzt lasst die beiden mal zur Ruhe kommen.« Margret wedelte bedrohlich mit ihrem Stock umher. »Jetzt geht spielen!«
Murrend verzogen sich die Kinder.
»So, was machen wir jetzt?«, fragte Margret. »Wollt ihr erstmal reinkommen, oder will Carl das Dorf sehen?«
»Gibt es denn viel zu sehen?«, fragte Kaèl.
»Die Schmiede, die Mühle«, sie zählte es an den Fingern ab, »ein paar Höfe und natürlich die Wirtsstube, aber die lernt ihr früh genug kennen. Dann der Friedhof und das Gebetshaus.«
Kaèl ließ den Blick über die strohbedeckten Dächer schweifen. »Wo ist das Gebetshaus?«
»Dort«, Margret wies auf ein unscheinbares Lehmhaus.
Hatten die Gebetshäuser der Menschen nicht hohe Türme? »Ich dachte, Gebetshäuser wären pompöser.«
Margret und Bendix tauschten Blicke.
»In Finistère ist es verboten, zu beten«, flüsterte Bendix. »Also ... zu dem Gott, an den die Leute hier glauben. In anderen Dörfern hat es schon massiv Ärger gegeben, daher tarnen sie es als normales Wohnhaus.«
Ach, stimmt, schalt er sich. Die Menschen durften ihrem Gott nicht mehr huldigen, nachdem sie in seinem Namen Zehntausende von Magi verbrannt hatten.
Kaèl wusste nicht genau, was er von diesem Verbot halten sollte. War es die Religion, die die Menschen zu Hass und Gewalt antrieb? Oder wurde sie nur vorgeschoben, um machtpolitische Interessen zu rechtfertigen?
Sobald ich daheim bin, werde ich darüber recherchieren, dachte er, und nahm sich vor, Yùna deswegen zu kontaktieren. Er war neugierig, wie in Aomòri dieses Thema gehandhabt wurde.
»Vielleicht sollten wir erst mal ins Warme«, schlug Margret vor. »Ihr habt sicherlich Hunger.«
Das hatten sie nicht, sie waren nicht stundenlang gelaufen, wie Bendix es sonst immer tat. Trotzdem nickten sie höflich und folgten Margret in das winzige Lehmhaus.
Es gab nur ein einziges Zimmer, das von einem Esstisch dominiert wurde. Es roch so, wie Margret gerochen hatte, nach Essen, und es war angenehm warm. In der hinteren Ecke thronte ein Herd, die Decke darüber war rußschwarz.
An der Rückwand standen zwei kleine Betten, daneben ein Schrank und eine Waschschüssel.
Sollen Bendix und ich etwa in einem dieser Betten schlafen?
Kaèl gruselte es bei dem Gedanken, so auf dem Präsentierteller zu sein. Seine gemeinsamen Nächte mit Bendix waren zu rar, um jetzt die artigen Klosterknaben zu geben.
Ihr Blick folgte dem seinen. »Ihr könnt oben schlafen.« Sie nickte in Richtung Dachstübchen. »Da seid ihr ungestört.«
»Wunderbar«, murmelte Kaèl.
»Bendix.« Margret gluckste leise. »Jetzt zieh’ nicht so ein Gesicht. Ich bin Hebamme, ich weiß, wie der Hase läuft.«
Bendix starrte angestrengt zur Seite, den Kopf hochrot.
»Du musst dem Jungen diese Prüderie austreiben«, sagte sie zu Kaèl.
Kaèl kämpfte ein wildes Kichern herunter, das sich in seiner Kehle anbahnte. »Ich arbeite daran", versprach er ihr lachend.
Margret war in Ordnung.
»Setzt euch doch, ich mache das Essen warm.« Sie wies zum großen Esstisch.
So etwas wie ein Sofa schien es hier nicht zu geben, aber das hätte wahrscheinlich auch nicht in das Häuschen gepasst.
»Lass mich dir helfen«, sagte Bendix und wollte zum Herd laufen, aber sie hielt ihn an der Tunika zurück.
»Nichts da. Du wäschst dir jetzt ordentlich die Griffel und dann setzt du dich!«
Grummelnd verzog sich Bendix zur Waschschüssel und schrubbte sich die Finger sauber. Kaèl tat es ihm nach. »Nana ist bei sowas streng«, erklärte er. »Aber sie weiß, wovon sie redet.« Auf einmal wirkte er wieder um einiges jünger, und unschuldiger als er war, und Kaèl musste ihn einfach küssen.
Verlegen linste Bendix zu Margret, aber die tat so, als hätte sie nichts gesehen.
Diese Nana hat ihn gut im Griff, dachte Kaèl belustigt.
Bendix griff nach dem Handtuch. »Nana ist Hebamme, aber sie kümmert sich auch um alle, die hier krank werden.«
»Seit vierzig Jahren!«, sagte Margret stolz.
Kaèl folgte Bendix zum Tisch, sie setzten sich auf die knarzenden Stühle und warteten artig auf Margret, die in dem großen Kochtopf herumrührte. »Peter und die Männer treffen sich nachher im Wirtshaus. Sie freuen sich bestimmt, wenn ihr vorbeischaut.«
»Werden wir«, versprach Bendix.
oOOo
Kaèl wollte nur noch schlafen. Margrets Essen lag ihm wie ein Stein im Magen; sie hatte seinen Teller immer wieder ungefragt nachgefüllt, und ihn mit Argusaugen beobachtet, bis er alles in sich hineingestopft hatte.
»Wer ist das denn?«, fragte der Mann im grünen Wams, als Kaèl sich neben Bendix auf die Bank fallen ließ.
»Das ist Carl. Er gehört zu mir.« Bendix stützte eine Hand auf Kaèls Schulter.
Er gehört zu mir – So besitzergreifend kannte er Bendix gar nicht.
Es gefiel ihm.
Kaèl rückte noch ein Stückchen näher an ihn heran, so weit, wie die homofeindliche Etikette es zuließ. Letztendlich war es hier auch nicht anders als bei Hofe.
Die Luft war schwer, voller Rauch und dem Geruch nach verbranntem Fett. Einer der Männer neben ihm biss herzhaft in ein Stück Schmalzgebäck, und das Fett triefte aus seinen Mundwinkeln. Er kaute genüsslich. »Ich bin Hans«, nuschelte er mit vollem Mund.
Kaèl drehte es den Magen um. »Freut mich«, log er. Was tat man nicht alles für seinen Schatz?
»Peter, jetzt gib unserm Gast mal ein Bier!«, rief ein Dunkelhaariger, dessen Namen Kaèl wieder entfallen war, obwohl Bendix ihm die meisten hier vorgestellt hatte. Er nickte Kaèl zu. »Oder bist du auch so einer wie Bendix und trinkst nichts?«
»Wasser ist ein Getränk«, murrte Bendix.
Kaèl grinste. »Bei Bier sage ich nicht nein.« Er hatte zwar keine Idee, wie es schmeckte, aber er brauchte jetzt etwas Alkoholisches.
Dankbar griff er nach dem Krug, stieß an und probierte. Es kostete ihn alle Kraft, nicht sein Gesicht zu verziehen. Das Zeug schmeckte vergoren, nicht so angenehm pelzig und schwer wie Wein, sondern eher wie ... in Wasser aufgeweichtes, verschimmeltes Weißbrot. »Habt ihr auch Schnaps?«
Er erntete Gelächter.
Bendix hob die Brauen, und Kaèl zuckte unschuldig mit den Schultern. »Das macht geselliger.«
Nach dem ersten Kräuterbitter setzte die Entspannung ein. Sein Hals brannte, aber auf eine angenehme Weise. Alles redete durcheinander, und Kaèl hatte seine Ruhe, ließ den Raum und die Leute auf sich wirken.
Er hatte Bendix noch nie so viel reden hören, was schade war, denn darin war er gut. Er war lustig und schlagfertig, ohne sich in den Vordergrund zu drängen. Und er lachte viel, ein schönes Lachen. Kaèl ertappte sich immer wieder dabei, wie er ihn aus den Augenwinkeln anstarrte.
Da habe ich einen guten Fang gemacht, dachte er. Ein warmes Gefühl breitete sich in seiner Brust aus, und das lag nicht nur am Schnaps.
Unauffällig positionierte er eine Hand auf Bendix’ Schenkel und beugte sich zu ihm. »Du siehst zum Anbeißen aus. Ich weiß schon, wen ich heute Abend vernasche.«
Bendix verschluckte sich an seinem Tee. Er hustete. »Nicht so laut! Sie können uns alle hören.«
Kichernd klopfte Kaèl ihm den Rücken. »Warum darf ich denn nicht sagen, dass ich Schmalzgebäck mag?« Er nickte zu seinem Sitznachbarn, der seinen letzten Kringel in das Honigschälchen tunkte.
»Achso ... du meinst ...« Bendix lachte nervös. »Ich dachte schon.«
»Du dachtest, ich wollte dich vernaschen? So etwas würde ich doch niemals sagen, nicht, wo uns hier alle hören können.« Kaèl lächelte verschlagen.
Zufrieden beobachtete er, wie sich Bendix’ Gesicht langsam rot färbte. Bei Bendix dunkler Haut war die Veränderung subtil, aber überaus niedlich.
Zwei Plätze rechts von ihm knallte einer seinen Bierkrug auf den Tisch. »Was haben die feinen Herrschaften für uns getan, als hier alles überflutet war? Nichts! Wir mussten unsere Felder ganz allein freischaufeln! Aber die Hand aufhalten, das können sie immer.«
Zustimmendes Raunen.
»Die haben ihren Reichtum überhaupt nicht verdient! Wer macht denn die ganze Arbeit? Wir! Sie sind wie Parasiten.«
»Ja, Parasiten!«, grölte ein anderer.
Kaèl rückte vor, wollte etwas einwenden, aber ein gezielter Tritt gegen sein Schienbein ließ ihn verstummen. Bendix.
Mit verschränkten Armen lehnte er sich wieder zurück.
»Sag das nicht zu laut, Herrmann. Wenn die das spitzkriegen, dann knüpfen sie dich auf.«
»Was ist denn passiert, dass ihr so wütend seid?«, fragte Bendix. »Braucht ihr Hilfe?«
»Ne, da kannst du auch nichts tun. Das kommt von ganz oben, die sind selbst für dich zu gut bewacht.«
»Sagt Bescheid«, sagte Bendix.
Kaèl schauderte. Sprachen sie über seine Familie? Oder vernebelte der Schnaps ihm das Gehirn?
Ein kalter Luftzug wehte durch den Raum.
»Kasi!«, rief Bendix und sprang auf. »Du kommst aber spät.«
Interessiert wandte Kaèl sich um. In der Tür stand Kasimir, der unselige Geselle seiner Hofschneiderin. Er sah erschöpft aus, lächelte aber zufrieden, als Bendix ihn in seine Arme schloss. »Ich musste länger arbeiten, und dann war ich noch bei den Kleinen.« Für Kaèls Geschmack erwiderte er Bendix’ Umarmung eine Spur zu lang.
»Was wollte der verrückte Lord wieder von dir?«, rief Peter über den Tresen.
Kasimir massierte sich die Hand. »Diesmal wollte er, dass ich 1024 reflektierende Glühwürmchen auf seine Robe sticke. Das musste bis morgen früh fertig sein, also hab ich bis eben dran geackert.«
Musste er das verraten?
Kaèl hatte die neue Robe nur für Bendix geordert, um ihn bei seinem nächsten Treffen mit den Glühwürmchen zu necken. Jetzt hatte dieser Flegel die Überraschung zunichtegemacht!
Er linste zu Bendix, aber der verdrehte nur die Augen.
Bendix schob Kasimir auf den Platz neben sich, und Kaèl war gezwungen, noch dichter an den Nachbarn mit dem Schmalzgebäck zu rücken.
Peter stellte Kasimir ein Bier vor die Nase. »Hier, erstmal was Kühles für unser fleißiges Schneiderlein.«
»Stört dich, wenn ich was trinke?«, fragte er Bendix lächelnd.
»Mach nur.«
Wie schön, dass er so viel Rücksicht nimmt!
Finster griff Kaèl nach seinem Krug und schüttete sich den Rest des Inhalts in den Rachen. Allmählich wurde ihm schwindelig.
Kasimir strich sich eine hellbraune Strähne aus dem Gesicht. Er hatte schönes Haar, lang und glänzend. »Ehrlich, ich hab das Gefühl, dieser Lord wird immer verrückter.«
»Nee«, rief Peter. »Das war er schon immer. Weißt du noch, wie er wollte, dass ich Bendix auf ihn hetze?« Er prustete los. »Sag mal Bendix, hast du eigentlich jemals was von dem gehört?«
Bendix’ Mund formte ein erschrockenes ›O‹, und er brauchte einen Moment, sich wieder zu fangen. »Ähm, nein. Also ...«, hilfesuchend schaute er zu Kaèl, »einmal ist er mit seiner Kutsche durchgefahren, das habe ich am Glühwürmchen erkannt. Aber da habe ich bewusst nichts gemacht.« Er biss sich auf die Lippe.
Kaèl kämpfte ein wildes Kichern herunter, das sich in seiner Kehle anbahnte. Bendix war ein unfassbar unfähiger Lügner. Nur gut, dass hier niemand etwas zwischen ihnen vermutete, sonst hätte das haarig enden können.
»Diese Adelsfatzkes haben sowieso eine Meise mit ihren Glühwürmchen«, sagte der Mann mit dem Schmalzgebäck. »Jetzt mal ehrlich, wer denkt sich so ein bescheuertes Wappentier aus?«
Kaèl ließ seinen Krug zu Boden sausen. »Das ist nicht ›bescheuert‹!«
Es wurde still in der Taverne. Alle Augenpaare richteten sich auf ihn.
Ihm sollte es recht sein, er würde diesen Ignoranten eine Lektion erteilen, die sich gewaschen hatte! »Die Hotàrus haben im Krieg spioniert und ihren Verbündeten magische Glühwürmchen geschickt, um sie über militärische Entscheidungen der Menschen zu informieren. Dadurch haben sie die Niederlage verzögert, bis die Drachen aktiv wurden. Ohne die Glühwürmchen wäre der Krieg verloren und es gäbe kein Finistère!«
Zufrieden lehnte er sich zurück.
Zu seiner Verwunderung erntete er entsetzte Blicke. Die Ersten begannen zu tuscheln.
Plötzlich fiel ihm ein, dass diese Menschen sicherlich eine ganz andere Meinung zu dem Krieg und vor allem den Drachen hatten. Die Drachen hatten ihnen nicht nur die Niederlage, sondern auch dauerhafte Verwüstung und Not gebracht. Die meisten der Leute hier waren nur in Fukuòka, weil sie sonst in ihrer Heimat verhungert wären.
Der kalte Schweiß brach ihm aus.
Er linste zu Bendix, aber der wirkte ebenso panisch wie er.
»Wer ist das denn?«, fragte Kasimir.
»Das ist Carl, den hat Bendix angeschleppt.«
Alle Augenpaare richteten sich auf ihn. Kaèl spürte, wie sich eine verräterische Röte in seinem Gesicht ausbreitete. Lächeln, er musste entspannt lächeln.
»Carl interessiert sich für Geschichte«, sagte Bendix lahm. Er rückte schützend an Kaèl heran, wofür der ihm dankbar war. Wenigstens hielten sie zusammen, das hatte auch etwas Romantisches.
Kasimir ließ seinen Blick von Kaèl zu Bendix schweifen. Seine Augen verengten sich.
»Meine Eltern setzen den Garten eines der Hotàru’schen Landschlösser instand«, sagte Kaèl hastig. »Daher kenne ich mich mit diesen Dingen aus.«
»Aha«, sagte Kasimir wenig überzeugt. »Ja ... Gärten sind denen wichtig.«
»Genau.« Kaèls Herzschlag dröhnte so laut, dass er keinen klaren Gedanken fassen konnte. »Mein ... Vater wurde fast rausgeworfen, weil er die falschen Rosen gepflanzt hat«, plapperte er weiter. Er lachte künstlich. »Aber wir haben noch einmal Glück gehabt.«
Zu seiner Erleichterung hakte niemand nach. Nach und nach setzten die normalen Gespräche wieder ein, und Kaèl atmete auf.
Den Rest des Abends schwieg er. Er nippte ab und zu an seinem Bier, um nicht aufzufallen, aber er hatte schon seit Längerem aufgegeben, den Unterhaltungen zu folgen, dafür redeten alle zu hektisch und gebrauchten diesen Dialekt, in den auch Bendix verfiel, wenn er emotional wurde.
Kaèl hatte das ständige Bedürfnis, ihr fehlerbehaftetes Kauderwelsch zu verbessern, und es war unfassbar anstrengend, es nicht zu tun.
Er zog sich in seinen Geist zurück und rekapitulierte seine letzte Besprechung mit dem Rat der Zwölf.
Kasimir warf ihm hin und wieder Blicke zu, die man nur mit viel Wohlwollen als ›unfreundlich‹ bezeichnen konnte.
Allmählich ging er Kaèl auf die Nerven.
Demonstrativ rückte er näher an Bendix heran, legte ihm einen Arm um die Schultern und grinste breit in Kasimirs Richtung, der daraufhin zur Seite blickte.
Irgendwann wurde Kaèl müde. Sein Kopf fühlte sich wie in Watte gepackt, vielleicht war es doch ein Krug Bier zu viel gewesen. Er lehnte er sich tiefer in den Sitz, verschränkte die Finger vor dem Bauch und schloss die Augen.
»Carl«, jemand ruckelte an seiner Schulter, »ich glaube, du hast genug für heute. Komm, lass uns gehen.«
Verschlafen tapste er Bendix hinterher. Der Weg zur Tür dauerte eine halbe Ewigkeit, denn Bendix wurde immer wieder aufgehalten, lachte hier über einen Witz, drückte da einen der Leute zum Abschied, während Kaèl von einem Bein auf dem anderen tretend daneben stand.
Er ärgerte sich über sich selbst. Nicht einmal die Verabschiedung bekam er hin. Aber wie auch? Bei Hofe gab es feste Protokolle, an die er sich klammerte, und die Leute zollten ihm Respekt. Hier beachteten sie ihn kaum.
Wahrscheinlich war das nicht das, was sich Bendix unter ›mit seinem Freund angeben‹ vorgestellt hatte.
Zum ersten Mal in seinem Leben wünschte er sich, er wäre anders. Einen lustigen Kaèl, der überall so gut ankam wie dieser Kasimir, würde Bendix bestimmt mehr lieben.
»Gute Nacht!«, tönte es von allen Seiten, und Bendix winkte noch einmal freundlich in die Runde, bis sie endlich die Tür hinter sich schlossen.
Die kalte Winterluft schlug Kaèl wie eine Wand entgegen, aber er unterdrückte den Reflex, einen Wärmezauber zu wirken und vergrub die nackten Hände in seinen Taschen. Wenigstens fühlte er sich durch die frische Luft wieder nüchtern.
Bendix wirkte erschöpft, und Kaèl befürchtete, dass das vor allem an ihm lag. Er erwiderte Kaèls Blick schweigend, lang genug, dass es unbehaglich wurde.
Kaèl überlegte fieberhaft, was er sagen könnte, um die angespannte Stimmung zu lockern, da schob sich Kasimir zwischen sie.
»Bendix. Wir müssen reden.«