Der Hexenjäger stieß einen Fluch aus und Kaèl lächelte. Er öffnete die Augen und stellte mit Erleichterung fest, dass der Hexenjäger zwei Eichhörnchen anstelle von Waffen in den Händen hielt. Er atmete auf.
»Du …«
»Hast du dein Spielzeug verloren?« Kaèl unterdrückte ein Glucksen.
Der Hexenjäger ließ die Tiere fallen, als hätte er sich daran verbrannt. Aber die beiden dachten nicht daran, im nächsten Baumwipfel zu verschwinden. Sie wuselten um seine Füße herum und stellten sich immer wieder auf zwei Beine, um zu ihm aufzusehen. Er lachte, und versuchte sie zu verscheuchen, aber sie ließen sich nicht beirren.
»Was hast du mit ihnen gemacht? Sie verhalten sich nicht normal!«
»Anscheinend bist du jetzt für sie ihr Elter. Ist das nicht herzallerliebst?«
Der Hexenjäger warf Kaèl einen bitterbösen Blick zu und ging in die Hocke. »Fein«, sagte er und ließ sie auf seine Handteller hüpfen, »Dann gehört ihr jetzt eben zu mir.«
Was meint er damit? Er will doch nicht ...?
Ungläubig beobachtete Kaèl, wie der Hexenjäger die Tiere zur Hütte trug und dort einsperrte. Anstatt zu Kaèl zurückzukehren, legte er sein Ohr an die Tür und lauschte ein Weilchen. Auch Kaèl trat einen Schritt näher und spitzte die Ohren. Drinnen polterte und quiekte es laut.
»So wie sich das anhört, nehmen die dir gerade die komplette Hütte auseinander«, sagte Kaèl.
»Wahrscheinlich.« Der Hexenjäger seufzte. »Aber auf dem Kampffeld ist kein Platz für Tiere. Ich will nicht, dass du sie mit einem deiner Zauber verletzt.«
Die Reaktion des Hexenjägers war absurd. Sie entsprach kein bisschen dem, was Kaèl sich im Vorfeld ausgemalt hatte. Er hatte lange darüber nachgedacht, durch welches Tier er die schrecklichen Klingen ersetzen sollte und hatte sich am Ende für Eichhörnchen entschieden, weil sie das Albernste, Harmloseste waren, was er sich vorstellen konnte. Er wollte den Hexenjäger damit ins Lächerliche ziehen, ihn zur Weißglut bringen. Als Reaktion hatte er Wutausbrüche erwartet, Flüche, aber nicht, dass der Kerl eine Bindung zum Objekt des Spottes aufbauen würde.
»Du entwickelst tatsächlich Elterngefühle«, sagte er deshalb, mehr zu sich als zu ihm. Er spürte, wie intensiv der Hexenjäger ihn daraufhin fixierte, aus verengten Augen. Aber jetzt, wo ihm keine Klingen mehr drohten, war Kaèls Zuversicht wieder da. Gelassen erwiderte er den Blick.
Er hatte seine Rechnung ohne den Hexenjäger gemacht. Mit einem Satz sprang dieser vor und riss Kaèl mit, bis beide über den schlammigen Boden wirbelten. Er landete auf Kaèl und presste seine Schenkel fest um seinen Rumpf. »Du wirst dir noch die Klingen zurückwünschen. So kommt der Tod schmerzvoller.«
Er griff mit gekreuzten Armen rechts und links in Kaèls Kragen, dabei lehnte er sich tief über ihn und Kaèl schwamm in seinem holzigen Geruch.
Dieser Duft verwirrte ihn. Zutiefst. Für den Bruchteil einer Sekunde blieb er reglos liegen.
Einen Bruchteil zu viel.
Der Hexenjäger zog die Arme zusammen und drückte ihm die Luft weg. Es zerfetzte beinahe seinen Kehlkopf, trieb ihm die Tränen in die Augen. Panisch versuchte er, den Hexenjäger von sich zu stoßen, aber jegliche Mühe verstärkte nur den Druck. Seine Arme waren durch die Schienbeine des Kerls dicht gegen seinen eigenen Körper gepresst,und er konnte sie nicht bewegen. Verzweifelt wälzte er sich vor und zurück, japste, aber der Hexenjäger lachte nur über seine Mühen. »Ja, versuch‘ dich hier herauszuzaubern, großer Erzmagi!«
Das Blut hämmerte in Kaèls Schläfen. Er war nicht kräftig genug, um den Hexenjäger wegzudrücken. Aber er konzentrierte seine gesamte Kraft auf den linken Arm und ruckte ihn frei.
Zum Glück hatte Kaèl an der Akademie eine Vorlesung über linkshändiges Zaubern besucht. Er warf dem Hexenjäger einen Betäubungszauber ins Gesicht, wand sich unter ihm hervor und rollte sich zur Seite weg. Dort machte er sich unsichtbar und kroch rückwärts weiter, in das nächste Gebüsch.
Der Kerl fluchte. Anscheinend hatte der Effekt des Zaubers nachgelassen, viel zu früh für Kaèls Geschmack, der sich in den Dornen eines Brombeerstrauchs verheddert hatte.
Schon war der Hexenjäger auf den Füßen und suchte die Gegend ab. Für Kaèl gab es kein vor oder zurück, jede Bewegung hätte die Brombeerbüsche zum Wackeln gebracht. Mit angehaltenem Atem beobachtete er, wie der Hexenjäger seine Kreise drehte und nach einer Weile endlich aufgab.
»Du bist feige«, rief er frustriert, als er zurück zu seiner Hütte stapfte. »Einfach feige.«
Von wegen feige. Ich weiß einfach, wann es Zeit für den strategischen Rückzug ist!
Mit zitternden Händen löste er sich von den Dornen und schlich zurück zur Kutsche. Insgesamt war er nicht unzufrieden mit seiner Leistung. Der Kampf war zwar anders verlaufen, als erhofft, aber Kaèl hatte dadurch einiges über den Hexenjäger erfahren, was ihm in den darauffolgenden Begegnungen von Vorteil sein könnte. Und weitere Kämpfe würde es geben, so leicht gab sich Kaèl Hotàru nicht geschlagen!
Unglücklicherweise waren seine Gedanken vom Adrenalin des Kampfes vernebelt, und er verpasste dadurch die richtige Abzweigung. Als er das zweite Mal an demselben großen Findling vorbeikam, gab er auf und setzte sich auf den Stein, um seinen erschöpften Füßen Ruhe zu gönnen. Der Kampf hatte ihn ausgelaugt.
Auf einmal knackte etwas im Unterholz. Kaèl zuckte zusammen. Er hielt den Atem an und spähte ins Dickicht.
Der Hexenjäger streifte, einen Korb in der Hand, durch die Büsche und summte dabei ein Lied. Die Szenerie wirkte so harmlos, so albern, dass Kaèl ein Kichern unterdrücken musste.
Jetzt erkannte er die Melodie, die der Kerl sang. Kaèl hatte das putzige Kinderliedchen früher auf der Geige gespielt, aber der Hexenjäger sang es falsch. Er vergeigte die Schlussharmonie des Refrains jedes Mal.
»Du singst es falsch«, rief Kaèl und der Kopf des Hexenjägers fuhr herum. Sofort bereute er seine Worte.
Der Blick des Hexenjägers blieb am Findling hängen, genau dort wo Kaèl saß. »Du bist noch hier?«, fragte er scharf.
Schnell vergewisserte sich Kaèl, dass er immer noch unsichtbar war. Hoffentlich kommt er nicht näher, dachte er panisch. Er hatte keine Kraft mehr, sich erneut im Kampf zu behaupten. Deshalb duckte er sich enger an den Stein und beobachtete gebannt die nächsten Schritte des Hexenjägers.
Dieser verdrehte die Augen. »Ich habe keine Lust auf deine Unsichtbarkeits-Spielchen. Ich werde dich heute nicht mehr angreifen, also kannst du ruhig antworten.«
Aber Kaèl schwieg beharrlich. Der Hexenjäger warf ihm – also dem Stein – einen letzten, finsteren Blick zu, und fing wieder an zu singen. Diesmal aus voller Kehle und – leider – ebenso falsch wie zuvor.
Als er das zweite Mal den Refrain vergeigte, gab Kaèl auf. »Fein, hier bin ich!« Er löste die Unsichtbarkeit. »Und jetzt hör auf zu singen, oder lern‘ die richtige Melodie!«
Der Kerl grinste breit und sang weiter, ließ Kaèl dabei nicht aus den Augen.
»Erbarmen, ich habe mich gezeigt, jetzt musst du aufhören«, rief Kaèl und hielt theatralisch die Hände über die Ohren.
Der Gesang ging in ein Lachen über. »In Ordnung«, schnaufte der Kerl. »Was tust du noch hier?«
»Verlaufen«, sagte Kaèl schlicht, was einen weiteren Lachanfall des Hexenjägers hervorrief.
»Ein feiner Lord bist du. Du kennst dich nicht einmal in deinen eigenen Wäldern aus.«
»Haha«, sagte Kaèl genervt. »Weißt du, wie groß meine verdammten Wälder sind?« Er deutete auf den Hexenjäger. »Und du? Was in aller Welt tust du hier?«
Der Hexenjäger hielt den Korb hoch. »Ich suche Nüsse. Für die Tierchen. Sie weigern sich, meine Hütte zu verlassen, und langsam müssen sie Hunger haben.«
Kaèl musste lächeln. »Du hast dich erstaunlich schnell mit ihnen arrangiert.«
Was in aller Welt redete er da? Unterhielt er sich gerade wirklich mit dem ... Hexenjäger ... über Eichhörnchen?
Er musste zugeben, irgendetwas faszinierte ihn an dem Kerl. Er steckte so voller Widersprüche, war unnachgiebig im Kampf, aber dann blitzte in so merkwürdigen Momenten das Mitgefühl oder der Schalk hervor. Und jetzt holte er sich Schrammen im dichten Unterholz, nur um seine Elterngefühle gegenüber irgendwelchen Eichhörnchen zu befriedigen.
»Ich mag die Kleinen.« Die Stimme des Hexenjägers klang zögerlich, so, als irritierte ihn der Inhalt ihrer Unterhaltung ebenso sehr wie Kaèl. Er räusperte sich. »Aber ich wünschte, du hättest nicht gerade meine Waffen in sie verwandelt.«
»Habe ich auch nicht. Es ist nicht möglich, durch Magie Lebewesen zu erschaffen. Deine Waffen haben lediglich die Position mit denen von zwei Eichhörnchen getauscht.«
Der Kerl riss die Augen auf. »Also muss ich meine Klingen jetzt in einem der Baumwipfel suchen?«
Kaèl nickte grinsend.
Er seufzte laut. »Bei allen Göttern, ein Glück. Du hast keine Vorstellung, wie viel mich diese Waffen gekostet haben.«
Nein, die hatte Kaèl wirklich nicht. Er interessierte sich nicht für Geld.
»Eins verstehe ich nicht«, überlegte der Hexenjäger laut. »Wenn die beiden kein Hexenwerk sind, sondern echte Eichhörnchen … wieso sind sie dann so auf mich fixiert?«
Kaèls Blick schweifte kurz über den athletischen Körper des Hexenjägers. »Na, weil du so anziehend bist«, sagte er leichthin.
Er stockte. Weil du so anziehend bist? Oh.
Gepresst atmete er ein und linste aus dem Augenwinkel zum Hexenjäger. Dieser bedachte ihn mit einem merkwürdigen Blick.
»Ist ja auch egal«, rief Kaèl. »Ich sollte schon längst weg sein. Meine Kutsche wartet!« Er sprang auf und lief los.
»Warte«, rief der Hexenjäger und Kaèl warf einen Blick zurück. »Die Fahrstraße ist in diese Richtung, Mylord.« Er deutete mit dem Daumen hinter sich.
Hochrot raffte Kaèl seine Röcke, drückte sich am Hexenjäger vorbei und schritt davon.