Raumfahrtzentrum der ESA, März 2319
Noch drei Stunden waren es bis zum Start der Mondrakete Mondarus 1. Die zweiköpfige Crew saß bereits auf ihren Plätzen. Ingenieure testeten die letzten lebenswichtigen Funktionen und starteten dann die Triebwerke, damit diese auf Betriebstemperatur kommen. Die riesigen Turbinen machten einen Höllenlärm, dass sich sogar die weit abseits stehenden Zuschauer die Ohren zuhalten mussten.
Endlich war es soweit. Der Verantwortliche im Raumfahrtzentrum begann die letzte Minute herunterzuzählen. Gespannt schauten alle auf die Rakete, die in den Startlöchern mit den Hufen zu kratzen schien wie ein Rennpferd. Es fauchte und zischte noch mehr, dann hob die Mondarus 1 ab. Die Menschen an den Bildschirmen atmeten auf, ebenso die Zuschauer, die in sicherer Entfernung vom Startfeld standen. Wie ein feuerspeiender Drache lärmte die kleine Raumfähre, die mit einer immensen Geschwindigkeit in den Himmel katapultiert wurde. Der Spuk währte nicht lange. Schon bald tauchte das Raumschiff in die Wolkendecke ein. Nur der Gestank von verbranntem Kraftstoff blieb zurück.
„Mondarus 1 an ESA! Der Start ist gelungen, in wenigen Minuten erreichen wir die Umlaufbahn der Erde“, sprach der Kapitän Igor in das Mikrofon der Funkanlage.
„ESA an Mondarus 1! Sehr gut. Wir halten so lange es geht Kontakt mit euch. Gutes Gelingen. Kommt heil zurück“, hörten die beiden Astronauten kurz darauf. Es knackte noch einmal, dann war die Verbindung beendet.
„Was machen wir nun mit unserer vielen freien Zeit“, fragte Alexey seinen Kameraden, während er sich abschnallte. „Bis wir auf dem Mond ankommen, dauert es noch eine Weile. Bis dahin will ich mich nicht langweilen.“
„Glaube ja nicht, dass wir nur zum Spaß hier oben sind“, erwiderte Igor lachend und reichte Alexey das Buch mit den Arbeitsbefehlen.
„Oh Mann“, schimpfte Alexey, als er die Liste überflog.
„Maule nicht herum! Du wusstest vorher, was dich erwartet“, entgegnete Igor und starrte durch die riesige gebogene Scheibe in die vor ihnen liegende Finsternis. „Mein Gott, ist es dunkel da draußen. Nicht einmal Sterne sind zu sehen. Sind wir überhaupt auf der richtigen Flugbahn“, sagte er nach einer Weile Stille. Er rieb sich die Augen. „Siehst du das auch?“, fragte er plötzlich seinen Kameraden. Igor kniff sogar die Augen zusammen, um besser erkennen zu können.
„Du meinst den hellen Punkt dort?“, wollte Alexey wissen. Er zeigte auf das blitzende Licht, das in der Ferne auftauchte.
„Genau das! Was mag das sein?“ Igor rieb sich erneut die Augen. Dann griff er nach dem Steuer um den Autopiloten auszuschalten. Die Fluglinie musste korrigiert werden, damit sie nicht mit dem unbekannten Ding kollidierten. „Verflixt! Das Steuer reagiert nicht!“, schimpfte er. Aufgeregt drückte er einige Knöpfe auf dem Armaturenbrett. Doch auch da reagierte nichts. Die Mondarus 1 näherte sich mit hoher Geschwindigkeit dem eigenartigen Licht.
„Mach doch was!“, schrie Alexey aufgebracht. Doch Igor war machtlos. Plötzlich gab es einen lauten Knall. Es wurde so hell, dass die Männer die Augen schließen mussten, um nicht zu erblinden. Das Raumschiff flog noch schneller. Nun verlor Igor vollends die Kontrolle über die Steuerung. Es knallte und ruckelte, das Fluggerät machte noch ein paar Hopser, ehe es abrupt gestoppt wurde. Die Männer wurden aus ihren Sitzen gerissen und prallten mit voller Wucht gegen die Armaturen. Dann wurde es totenstill.
Igor erwachte als Erster. Mit dem Oberkörper hing er auf den Steuergeräten. Er hatte sich dabei den Kopf angestoßen, der nun brummte wie ein Bienenschwarm. Igor schaute zu Alexey hinüber, der wie ein nasser Sack in seinen Sitz zurückgefallen war. „Wach auf!“, rief Igor und stieß ihn an.
„Lass mich, ich habe Kopfschmerzen“, brummte Alexey, empört über die Störung. Doch dann riss er die Augen auf. „Ach du lieber Scheibenkleister“, sagte er und starrte hinaus. Auch Igor schaute durch die Scheibe.
„Wo sind wir“, fragte er verdattert.
„Frag mich mal was Leichteres“, erwiderte Alexey kopfschüttelnd. „Auf alle Fälle sind wir am Boden.“ Vorsichtig stand er auf und streckte sich. „Alles noch dran“, sagte er. „Und bei dir?“, wollte er von Igor wissen.
„Auch alles ganz“, antwortete dieser. „Aber sehen wir mal, wo wir gelandet sind.“ Er entriegelte die Tür und blickte neugierig nach draußen. Es war recht warm, etwas wie die Sonne auf der Erde strahlte Wärme ab. Am Horizont sah er Berge. Neben einem Busch in der Nähe der Mondarus 1 hockten ein paar bizarre Wesen und spähten zu ihnen herüber.
Igor begann zu feixen, als sich diese Wesen erhoben und sich vorsichtig näherten. „Komm mal“, rief er nach seinem Freund. „Sieh dir diese merkwürdigen Gestalten an. Die sehen aus, als hätten sie zu dünne Hälse, Arme und Beine. Dafür sind Kopf und Rumpf rund wie ein Fußball.“ Er musste bei dem Anblick lachen.
Alexey kam dazu und staunte ebenfalls nicht schlecht. „Die sind alle nackt und es scheinen Frauen zu sein“, sagte er und gaffte zurück. „Obwohl, sehen Frauen nicht anders aus? Die hier haben keine Brüste, sondern mehrere, ich glaube, es sind sechs, schlauchartige Gebilde mit Nippeln, die links und rechts hervorstehen.“
„Die sehen aber sehr kriegerisch aus mit ihren langen Speeren“, erkannte Igor. „Sind wir lieber ein wenig vorsichtiger und ziehen uns ins Innere des Schiffes zurück. Wer weiß, ob die uns gut gesinnt sind.“
„Wer seid ihr und was wollt ihr hier?“, fragte der Anführer der Gruppe, der sich wirklich als Frau entpuppte. Sie stellte sich breitbeinig hin, was noch eigenartiger aussah.
Igor war ein wenig mutiger als Alexey und steckte den Kopf aus der Ausstiegsluke des Raumschiffs. „Wir kommen von der Erde und sollen eigentlich den Mond erkunden“, erklärte er, nachdem er ihre Namen genannt hatte.
„Da seid ihr aber vollkommen falsch“, erwiderte die Sprecherin. „Ihr seid in einer anderen Galaxy gelandet.“
Alexey und Igor schauten erschrocken. „Wir sind nicht auf dem Mond? Wo sind wir“, fragten die beiden wie aus einem Mund.
„Wie ihr feststellen könnt, ist es hier sehr viel wärmer als auf dem Mond. Dort wärt ihr längst erfroren. Ihr seid auf der Venus 2.0 gelandet und könnt von Glück reden, dass euch unser Zeitstrahl und das Schutzschild nicht zerstört hat.“
Erneut schauten die beiden Erdbewohner erschrocken. Zeitstrahl und Schutzschild, was sollte das sein?
„Ich sehe, auch das versteht ihr nicht. Ich will es euch erklären. Um die Venus 2.0, das ist unser wunderschöner Planet“, sie machte eine weit ausgreifende Armbewegung, „wurde ein unsichtbares Schutzschild aufgebaut, das nur an einem einzigen Punkt durchbrochen werden kann. Das klappt aber nur, wenn man den Zeitstrahl zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt kreuzt. Verfehlt man diesen, oder kommt man nur eine winzige Nanosekunde zu spät, wird der Eindringling zerstört, das heißt, er wird gegrillt. Entweder hat der Schutz bei euch nicht richtig funktioniert, oder aber, ihr hattet einfach nur Glück, zur richtigen Zeit am richtigen Punkt zu sein“, wurde ihnen erklärt.
Igor und Alexey verstanden immer noch nicht. „Und wer seid ihr?“, konnten sie ihre Neugier nun nicht mehr verdrängen. Obwohl es ihnen nicht gerade geheuer war, wie die Gestalten sich gaben, wollten sie alles über sie wissen. Wer weiß, für was dieses Wissen später noch einmal gut sein sollte.
„Das wisst ihr auch nicht?“, fragte die Anführerin. Ihre Begleiterinnen kicherten leise, als die Kameraden verneinend die Köpfe schüttelten.
„Seid still“, herrschte die Sprecherin ihre Gefährtinnen an. „Wir sind Venussinen, die Herrscherinnen über Venus 2.0, die befindet sich im System der Bluelight-Sonne, in der Anginus-Galaxy“, erklärte sie den Ankömmlingen.
Von dieser Sonne und der Galaxy hatten die Astronauten bereits gehört. Dass sie nun gerade hier gelandet waren, überraschte sie sehr. Lag diese doch sehr weit entfernt von ihrer Flugroute. Allerdings waren ihnen die Wesen des Sterns vorerst wichtiger als alles andere. „Über wen herrscht ihr noch? Ihr seid doch alle Frauen“, fragte Igor.
„Wir sind alle weiblich und herrschen über die Venussaner. Das sind unsere männlichen Sklaven. Da ihr auch Männer seid, herrschen wir nun ebenfalls über euch.“
„Wir sind keine Sklaven“, begehrten Igor und Alexey auf.
„Jetzt schon. Alle männlichen Wesen, egal welcher Abstammung, sind automatisch unsere Sklaven, sobald sie die Venus 2.0 betreten. Ihr seid auf unserem Planeten. Hier gelten unsere Rechte, die Weibchen bestimmen über das Befinden der Männchen, also habt auch ihr zu gehorchen. Kommt heraus, oder wir holen euch mit Gewalt.“ Die Anführerin gab ein paar knurrende Laute von sich, worauf einige Kriegerinnen, die sich bisher im Hintergrund gehalten hatten, mit vorgehaltenen Speeren auf sie zukamen. Mit nur wenigen Griffen überwältigten und fesselten sie die Männer. Obwohl sie sich vehement wehrten, hatten sie keine Chance gegen die Übermacht der Venussinen.
Notgedrungen ergaben sich die Männer. Sie wurden gezwungen, den Venussinen zu folgen. „Ob das wirklich Glück ist, überlebt zu haben, wage ich zu bezweifeln“, flüsterte Igor seinem Kameraden zu. Alexey nickte darauf nur und starrte zu Boden.
„Ihr habt nur zu sprechen, wenn wir es euch erlauben“, knurrte eine Wächterin die beiden an und stieß Igor den Speerschaft in den Rücken. Dabei schaute sie so grimmig, dass diesem endgültig das Lachen verging.
„Na das kann ja heiter werden“, dachte er noch und folgte mit gesenktem Kopf der Anführerin und deren Anhängerinnen. Ihr Raumschiff blieb unbeachtet zurück. Ob sie jemals wieder in Freiheit kamen oder die Mondarus 1 wiederfanden? Igor wusste es nicht, Alexey ebenso nicht.
© Sandy Reneé / 05.04.2019