Bis zum frühen Nachmittag trafen noch die letzten Gäste ein, deren Begrüßung dann allerdings nur noch Lady Wendridge ohne Vivianne übernahm, da diese sich etwas ausruhen wollte.
Julian schlenderte in Andrews Begleitung umher. In seiner Unsicherheit war er plötzlich furchtbar anhänglich geworden. Das Zusammensein lenkte ihn nicht nur von immer wiederkehrenden Fragen ab, sondern ließ seine aufgewühlten Gefühle auch einigermaßen normal erscheinen.
Gerade begrüßte seine Mutter einen bekannten Viscount als sie die Halle durchquerten. Die Höflichkeit gebot es, ihn und dessen Familie ebenfalls zu begrüßen.
Der Viscount zerdrückte ihm fast die Hand und schlug ihm kräftig gegen den Oberarm. Seine Frau, blass und hager, hielt ihm zaghaft lächelnd ihre behandschuhte Hand hin. Die siebzehnjährige Tochter hingegen knickste vorbildlich und lächelte ihn mit kokettem Augenaufschlag süß an, während ihr drei Jahre älterer Bruder die militärische Haltung seines Vaters imitierte.
Leider war Julian mit seinen Gedanken nicht vollkommen bei der Sache, weshalb seine Begrüßung eher verhalten ausfiel, ganz im Gegensatz zu Andrews.
Als der Viscount ihm ebenfalls schlagkräftig begrüßen wollte, wich Andrew zurück. »Ich bitte Euch, Viscount, lasst meinen Arm heil, damit ich heute Abend, wenn mir das Glück gewogen ist, dieses bezaubernde Wesen an Eurer Seite um einen Tanz bitten kann.«
Der stattliche Mann lachte schallend und beließ es dabei Andrew die Schulter zu tätscheln. Dann legte er den Arm um seine Frau, um sie fest zu sich zu ziehen. Sie verlor fast den Halt als sie so unverhofft der Bewegung folgen musste.
»Ja, meine Mageret ist schon eine Feine.«, tönte der Viscount.
Selbst Julian hatte Schwierigkeiten nicht zu lachen, als der Mann von seiner Frau wie von einem Pferd sprach.
Kaum stand die Viscountess wieder halbwegs sicher, ergriff Andres vorsichtig ihre Finger und beugte sich über ihre Hand. »Werdet Ihr mir einen Platz auf Eurer Tanzkarte freihalten, Vicountess?« Nicht nur mit seinen Worten, auch mit seinem offenen Blick und dem sanften Lächeln, brachte er die Dame zum Erröten.
»Natürlich«, gab sie leise und sichtlich erfreut von sich.
Der Tochter gegenüber blieb Andrew sicherheitshalber zurückhaltend, da sie offensichtlich Ausschau nach einem geeigneten Heiratskandidaten hielt.
Nachdem die beiden Freunde ihren Spaziergang fortsetzten konnten, kicherte Julian, kaum das sie außerhalb der Hörweite waren: »Du bist unmöglich.«
»Ich weiß gar nicht was du meinst. Ich tanze gern und die Vicountess ist eine passable Partnerin, was das betrifft.« Sein Freund zuckte mit den Schultern. »Außerdem versucht sie mich nicht in ihr Bett zu locken.«
»Das ist allerdings wahr.« Langsam schwand das Lächeln wieder. »Wie gern ich mich heute irgendwo verkriechen würde ...«
Nachdenklich sah Andrew ihn von der Seite her an. »Diese Vernarrtheit macht dir so zu schaffen?«
Julians Blick wanderte unauffällig umher. »Wenn er in der Nähe ist reagiere ich auf ihn, ob ich das möchte oder nicht. Es entzieht sich meiner Kontrolle. Mein klares Denken ist wie abgeschalten. Dass mir das heute Abend vor all diesen Klatschbasen passiert, würde ich liebend gern vermeiden.«
Andrew schubste ihn leicht an. »Ich kann dich ein bisschen im Auge behalten, wenn dich das beruhigt. Nicht das du in einem Anfall von Schwäche dem Guten vor die Füße sinkst.«
»Ich habe nicht vor ihn vor die Füße oder sonst wo hin zu sinken.« Jedenfalls hoffte Julian sich dahingehend unter Kontrolle zu haben.
»Was gedenkst du dann mit ihm anzustellen?«, neckte Andrew ihn.
»Nichts. Ich versuchte überhaupt nicht über ihn nachzudenken.« Da sein Freund skeptisch die Augenbrauen hob, korrigierte sich Julian. »Zumindest nicht in dieser Richtung.«
»Warum nicht? Möglicherweise mindert das deine Anspannung, wenn du dir ausmalst, was du alles mit ihm gern machen würdest. ...vielleicht während du dir selbst, na ja, näher kommst.«
Hektisch sah sich Julian um. »Andrew!« Sie waren im Garten angekommen und überall lief, zu ihrem Glück in ausreichender Entfernung, Personal geschäftig umher.
»Gut. Selbst wenn du dabei nicht an ihn denken würdest, könnte es für deine Entspannung sorgen«, meinte Andrew gelassen.
»Tut es aber nicht.«, murrte Julian.
Nun war es an seinem Freund zu seufzen. »Mein Beileid hast du und auch mein Ehrenwort, auf dich zu achten, damit du dich nicht zu seinem sabbernden Narren machst.«
Nervös stand Julian vor seinem Spiegel. Gerade hatte er die letzten Knöpfe seiner Weste geschossen. Er zog sie zurecht und besah sich ausgiebig. Vermutlich bot er einen angenehmen Anblick. Zumindest wurde ihm das hin und wieder gesagt. Oft genug, so dass er keine Zweifel hegte. Bis jetzt. Wobei es keine Zweifel an sich waren. Eher fragte er sich, ob er sich richtig entschieden hatte, was die Farbe seiner Kleidung betraf. Brachte der Schnitt seine Vorzüge zur Geltung? So wie ihm klar wurde, warum er sich dieserlei Gedanken machte, war er versucht sich jegliche teure Bekleidung vom Leib zu reißen, um sich stattdessen in die ältesten und abgetragendsten Sachen zu schlüpfen, die er finden konnte. »Von wegen«, flüsterte eine kleine Stimme in seinem Kopf und sie hatte recht. Er wollte, verdammt noch mal, umwerfend aussehen.
Noch einmal atmete er tief ein, ließ die Luft langsam wieder aus seinen Lungen. Es wurde Zeit. Giles half ihm in seinen Frack.
»Versucht Euch an einem Lächeln.« Sein Kammerdiener zupfte die Schultern zurecht. »Es steht Euch besser als dieser verzagte Ausdruck.«
»Verzagt?« Das allein erheiterte Julian schon. Und Giles lag nicht falsch. So unsicher war er sonst nicht oder so mutlos. Andererseits konnte er sich auch nicht erinnern, wann ihn jemand das letzte Mal allein mit Blicken ins Schwitzen gebracht hatte.
Kurz nachdem er geklopft hatte, steckte Andrew den Kopf zur Tür herein, um dann ganz einzutreten.
»Sag mir bitte, dass du fertig bist. Anderenfalls werde ich gezwungen sein, was nichts anderes heißt, als das ich gezwungen werde, mit deiner Schwester am Arm zu erscheinen. Und ich hoffe du verzeihst, aber auf dieses Gerede daraufhin, würde ich wirklich gern verzichten.«
»Ich bin soweit.« Julian vermied noch einmal in den Spiegel zu schauen. Es war nicht wichtig, oder sollte es zumindest nicht sein.