Auf seinem Zimmer war er allein. Giles war sicher auch zum Tee. Julian zog sich die verschmutzte Kleidung aus. Vor seinem geöffneten Kleiderschrank stehend, sah er geradewegs durch diesen hindurch. Es war ärgerlich. Draußen saß Henry und sie konnten nicht so offen agieren, wie sie gern wollten. So oft hatte Julian das Bedürfnis Henry einfach berühren zu wollen. Nicht auf intime Weise, einfach nur... Er seufzte. Er wollte seiner Zuneigung doch nur Ausdruck verleihen. Und wie gern er Henry zuhörte, wenn er kleine Anekdoten zu Besten gab, dabei war er sich sicher, ihn auf eindeutig verliebte Weise anzusehen. Ob sie es sich leisten konnten zu einem weiteren Spaziergang aufzubrechen? Beiden Familien war nicht entgangen, dass sie sich gut verstanden. Nur war Julian sich nicht sicher, wie ihre Beziehung nach außen hin wirkte. Sein Interesse, darauf angesprochen zu werden, weil ihre Blicke, die sie austauschten, zu eindeutig wurden, hielt sich in Grenzen. Es musste doch eine Möglichkeit geben, ungestört zusammen sein zu können. Darüber sollte er mit Henry reden. Vielleicht fiel ihm etwas ein. Andrew hingegen getraute er sich kaum noch so intensiv zu beanspruchen. Wie ein Schutzgeist hatte dieser in den vergangenen Tagen über beide gewacht, wenn sie sich zurückzogen.
In seine Grübeleien hinein wurde an die Tür geklopft.
Er war ganz und gar nicht böse darüber, dass Giles irgendwie mitbekommen hatte, wie Julian auf sein Zimmer gegangen war und ihm nun seine Hilfe anbieten würde. Nicht dass er unbedingt welche gebraucht hätte, nur stand er schon seit einer geraumen Weile halbnackt vor seinem Schrank, ohne in Erwägung gezogen zu haben, sich für etwas zu entscheiden.
»Herein.« Er sollte die dunkelgrüne Weste anziehen. Der Schnitt war vorteilhaft und die Farbe stand ihm wirklich gut.
Die Tür wurde geöffnet und kurz darauf wieder geschlossen.
»Ich werde auf jeden die grüne Weste nehmen, Giles«, beschloss Julian, nahm das Kleidungsstück an sich und drehte sich um. Er zuckte zusammen, dann es war nicht sein Kammerdiener, der sich da an die Tür lehnte, sondern Henry.
Es wäre auch ausgesprochen irritierend gewesen, hätte Giles ihn jemals mit dieser unterdrückten Freude auf Grund seines Unbekleidetseins angesehen und heiß wäre Julian dann sicher nur vor Verlegenheit geworden.
»Ich hoffe, ich störe nicht.« Henry sah aus als versuche er mit Blicken auch den Rest von Julians Kleidung von dessen Körper zu brennen.
»Wenn ich gleich noch vorhätte mich anzuziehen, könnte ich mir vorstellen, dass du mich stören würdest wollen«, gab Julian kokett zurück, während er wieder einmal bemerkte, wie Henrys Gegenwart auf unheimliche Weise für ihn fast spürbar war.
»Da könntest du durchaus recht haben.« Die Stimme seines Liebsten nahm diesen dunklen, wollüstigen Unterton an, der in ihm den Wunsch nach innigen Berührungen wachrief.
Henry war sich der knappen Zeit genauso bewusst wie Julian, also unterließ er es, sie mit netten, aber eben auch nicht erfüllenden Wortwechseln zu verschwenden. Er machte einen Schritt nach vorn, besann sich, drehte wieder um und verschloss die Tür.
Das kurze unauffällige Geräusch versprach Momente der Ausgelassenheit. Julian setzte sich in Bewegung, genau wie Henry. Sie prallen leicht aufeinander, als sie sich trafen, lachten, umschlangen sich. Sanft und stürmisch zugleich fanden sich ihre Lippen. Der süße Funke in Julians Lenden, der bei bei Henrys überraschendem Auftauchen entstanden war, wandelte sich in ein loderndes Drängen, als die Hände seines Liebsten ohne Umschweife unter sein Hemd über seine Haut strichen.
In wohlig kribbelnden Wellen stellten sich Julians Härchen am gesamten Körper auf. Er hatte es vermieden, sich vorzustellen von Henry so berührt zu werden, genau wie das Berühren seines Liebsten. Schon ohne einschlägige Fantasien war die Sehnsucht schwer zu ertragen.
Hastig schlüpfte Henry aus seinem Frack, warf ihn nur leidlich ordentlich über eine Stuhllehne. Zaghaft berührte Julian die Knöpfe von dessen Weste, sah ihn dabei fragend an.
»Ja.« Henry nickte und versuchte sein vorfreudiges Lächeln mit einem Biss auf die Unterlippe zu bezwingen.
Gemeinsam machten sie sich über die kleinen silbernen Verschlüsse her. Julian begann von unter, Henry von der entgegengesetzten Seite. Den letzten Knopf überließ Julian seinem Liebsten, dafür durfte er ihm dann das Kleidungsstück aufregend langsam über die Schultern streifen. Beim Weglegen überkam ihn zur allgemeinen Aufregung und Erwartung ein Gefühl von Dankbarkeit. Ihm wurde noch einmal bewusst, wie besonders Henry für ihn. Mit ihm war alles intensiver, aufregender, es ging weit über pure Lust aufeinander, hinaus. Konnte das wirklich eine so tiefe Empfindung sein, wie es sich anfühlt?
Vorerst jedoch forderten seine Triebe nach ihrer Befriedigung. Langsam, und ohne dabei Henry aus den Augen zu lassen, zog er ihm das Hemd aus der Hose. Natürlich wünschte er sich seinen Liebsten ganz entkleiden zu können, allerdings war zu bezweifeln, dass sie ihre verfluchten Krawattentücher zügig in die gleiche Form zu bringen vermochten, wie es nun noch der Fall war.
Für Julian war es in dem Moment akzeptabel, jetzt da seine Hände diese ganz wunderbare Wärme ohne Schichten von Stoff dazwischen fühlen konnten.
Ein kleines erleichterte Seufzen ging einem Kuss voraus, bei dem Henry deutlich zeigte, wie sehr ihn dass Warten auf mehr Nähe zugesetzt hatte. Sofort schlüpften seine Finger wieder unter Julians wenige Kleidung. Ganz selbstverständlich sanken sie hinab, umfassten seinen Hintern. Augenblicklich benötigte Julian mehr Luft, die beim Ausatmen einen Ton zwischen Zustimmung und Ergebenheit hervorbrachte.
»Ich bin froh, dass du zu mir gekommen bist«, flüsterte er dicht bei Henrys Lippen, wobei sich dieser das vermutlich denken konnte.
»Bedank dich bei deinem Freund.« Die Antwort endete in einem Kichern, da Julian ihm sein Erfreutsein beim festen Aufeinanderpressen ihrer Körper ganz deutlich spüren ließ. »Forderst du mich gerade dazu auf dir behilflich zu sein?«
»Wenn du mir gestattest, ehrlich zu sein, wäre mir deine Hilfe gerade mehr als willkommen.«
Auf diese Worte hin wurde Henrys Lächeln von verruchter Zufriedenheit durchwirkt. Er hielt seinen Blick auf Julian gerichtet, um sich keine noch so kleine Regung entgehen zu lassen, während er seine Hand zwischen sie schob.
Im Normalfall war Julian mehr als bereit auch auf seine Partner einzugehen, insbesondere wenn er eine engere Verbindung empfand, doch gerade jetzt, da er an so empfindlichen Stellen seines Körpers von diesem heiß begehrten Mann irgendwo zwischen zärtlich und fest berührt wurde, war es ihm einerlei. Zügellos nahm sein Mund den von Henry in Besitz.
»Wage ich mich zu weit vor, wenn ich behaupte, dir gefällt mein Tun?«, lachte Henry in einer Atempause, die Stimme dabei erregend rau.
»Wage was du möchtest, doch auf keinen Fall damit aufzuhören.« Eine von Julians Händen umfasste einen Teil von diesem ganz entzückenden Hinterteil seines Liebsten. Dieses Berühren machte ihn wirr und hungrig. Gepaart mit dem, was gerade für ihn getan wurde, ließ ihn sehnsüchtig Henrys Namen seufzen.
Dafür bekam er liebevolle Küssen und seinen eigenen Namen so süß und voll der Freude über mehr Körperlichkeit zugeflüstert.
Und dann machte Henry, dass ihm die Knie weich wurden. Julian bat sich hinsetzten zu dürfen. Das Lächeln seines Liebsten war wissend. Er wurde an die Hand genommen und zum Sofa gebracht.
Wie geschickt und aufmerksam Henry war. Julian überließ sich ganz ihm. So drückte Henry ihn bei gegebenen Zeit zurück und zog ihm das Hemd so weit wie möglich hinauf.
»Halt fest«, hauchte er auf Julians feuchte Lippen.
Und dann flehte Julian zu Gott und dem atemberaubenden Mann an seiner Seite. Die eine Hand in sein hinaufgeschobenes Hemd gekrallt, die andere in Henrys Arm, krümmte sich sein Körper zuckend als Gefühle in ihrer Steigerung zu kollidieren schienen. Milliarden winziger prickelnder Funken stoben von seiner Mitte ausgehend durch seinen Körper. Die Zähne fest zusammengebissen, brachte er nicht mehr als ein kleines Wimmern heraus.
Die Funken erloschen langsam, hinterließen diese allumfassende schwere Leichtigkeit. Es dauerte eine Weile, seinen Verstand aus seiner Trägheit befreien zu befreien. Bis er es schaffte seine Augen wieder zu öffnen, begann die Feuchtigkeit auf seinem Bauch abzukühlen.
Henry hatte ihn beobachtet und begann jetzt breit zu grinsen. »Hat es deiner Vorstellung entsprochen?«
Schwach lachte Julian und zog ihn zu sich. »Danke.«
Noch bevor sich ihre Lippen berührten, flüsterte Henry: »Ausgesprochen gern.«
Vor seinem Liebsten wollte Julian auf jedem Fall nicht als egoistisch gelten, so erwiderte er den Gefallen. Noch beim Aufknöpfen von Henrys Hose, erneuerte er seinen Schwur, sich schnellstmöglich etwas für ungestörte Vertraulichkeiten in einigermaßen sicherer Umgebung zu überlegen, da ihm jeder geöffnete Knopf zurück in Stimmung brachte. Ganz zu schweigen von Henrys leisen Seufzern, die im weiterem Verlauf seiner Tätigkeit folgten. Zwischen unzähligen Küssen war das Lächeln seines Schatzes auf anrührende Weise als glücklich zu bezeichnen, während in in seinem Blick die Bitte nach Erlösung stand.
Es war wahrlich schwer sich nach ihrem Stelldichein zu trennen, so zu tun als wären sie gute Bekannte, vielleicht Freunde. Die Bilder von Henry mit vor Erregung geröteten Wangen, die Augen so dunkel und warm schimmernd, sein geschmeidiger Körper, der sich auf Julians Hand wie eigenständig zubewegt hatte, getrieben von der Aussicht auf den nahenden Höhepunkt, blieben deutlich in Julians Bewusstsein zurück.
Etwas erstaunte es Julian überhaupt keine Scham über ihr spontanes intimes Beisammensein zu empfinden und von einem schlechten Gewissen war er schon länger ein ganzes Stück weit entfernt. Dafür hatte ihre beidseitige Zuneigung einen zu erstaunlich großen Umfang erreicht.
Endlich wieder präsentabel angezogen, wobei Henry ihm zur Hand gegangen war und ihm unabsichtlich die unmögliche Idee von täglicher Zweisamkeit in Form von Zusammenleben durch den Sinn schickte, traten sie nacheinander hinaus auf den Flur.
Einige Meter entfernt saß Andrew halb auf einem Fensterbrett und blätterte durch ein Buch, dass Lady Wendridge ab und an auf einige Tischen als Dekoration legte.
Kaum bemerkte er beide, legte er es beiseite und kam zu ihnen.
»Es wird schwer dir in dem Umfang die Gefallen abzugelten.« Wobei Julian, zu seiner Schande, gestehen musste, sich noch kaum Gedanken darüber gemacht zu haben. Ständig hing er mit seinem Kopf in den Wolken, er dachte an vieles, nur hatte das Wenigste nicht mit Henry zu tun. Wie jetzt gerade, da er dem Drang zu widerstehen versuchte, seinen Liebsten bei der Hand zu fassen. Er war so furchtbar verliebt.
»Als wäre es nicht dankbar genug, Freunde durch ein wenig Intervention glücklich zu sehen. Oder aber ... Ich erinnere mich an gewisse Torteletts im Hause Langley ...«, versuchte es Andrew mit Unschuldsmiene.
»Sprich nicht weiter. Ich finde den Erschaffer dieser Köstlichkeiten und bringe ihn dir gut verschnürt als Danksagung«, kicherte Julian.
»Die Torteletts würden schon reichen, aber danke.« und an Henry gewandt: »Wollen wir?«
Dieser nickte. »Natürlich. Hatte Lady Langley nicht den neuen Konditor von Franklyn & Son beauftragt?«
Andrew und Julian sahen sich an und brachen in Gelächter aus.
»Es bleibt bei den Törtchen. Deinem Rücken zu liebe«, gestattete Andrew großzügig.
»Da danke ich aber herzlichst.« Julian hatte diesen bestimmen Mann zwar noch nie zu Gesicht bekommen, Gerüchten zu folge war er jedoch überproportional groß und breit und sah mit seiner ehemals gebrochenen Nase, die durch einen schlichten Unfall zustand gekommen war, wie ein berüchtigter Schläger aus.
Ehe sie auf getrennten Wegen zur Teegesellschaft zurückkehrten, griff Julian nach Henrys Arm, blickte den Flur nach beiden Seiten entlang und zog ihn in einen letzten Kuss.
Verlegen lachte Henry auf, sah sich beim Davongehen noch einmal mit erhitzten Gesicht und zärtlichen Lächeln zu ihm um.