Julian folgte seinem Freund ohne noch einmal auf diesen infantilen Haufen von Schwachsinnigen zu achten.
»Mylady.« Er verbeugte sich galant vor Lady Lincolnshire. »Könnte ich Euch zu einem Tanz mit mir überreden, um mir den Abend auf Eure unnachahmliche Weise zu versüßen?«
»Da sage ich doch nicht nein. Besonders da mich heute nur zwei steinalte Barone aufgefordert haben. Beide halb blind, der eine hinkend, der andere hüftlahm.« Sie reichte ihm ihre Hand und ließ sich aufhelfen. »Nun denn, Lord Julian, entführt mich auf die Tanzfläche.«
Andrew wand sich Mildred zu. »Liebste Tante Mildred, dürfte ich mich vielleicht erdreisten und um Ihre Gesellschaft beim nächsten Tanz bitten?« Er ließ seine Augen vergnügt funkeln.
»Mein lieber Junge, ich muss Euch leider sagen, dass ich schon in meiner Jugend eine grauenhafte Tänzerin war, was sich im Alter nicht gebessert hat. Ganz im Gegenteil, würde ich behaupten. Ich würde Euch lediglich die hübschen Schuhe ruinieren.« Trotz allem fühlte sich die Dame durchaus geschmeichelt, wie man an ihrem erfreuten Lächeln und dem sich schneller bewegenden Fächer erkennen konnte.
Andrew war niemand, den man so leicht in die Flucht schlagen konnte, dazu kam seine Hartnäckigkeit, wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hatte.
Er ließ sich geschmeidig auf dem Platz neben Mildred nieder. »Darf ich Ihnen ein Geheimnis anvertrauen?« Noch bevor die Dame antworten konnte, beugte er sich zu ihr und meinte leiser: »Ich habe noch ein zweites Paar dieser Schuhe im Gepäck.«
Das brachte sie zum Lachen, so fragte er daraufhin: »Wollen wir es miteinander riskieren?«
Für seine kleinen Frechheiten schlug sie ihm leicht mit dem Fächer auf den Unterarm. »Wie könnte man da nein sagen?!«
»Meine Rede.« Er lächelte bezaubernd jungenhaft und half ihr auf die Beine.
Ihr Weg zum Saal führte sie zu seinem Verdruss genau an Coverstone und seinem stupiden Gefolge vorbei. Julian biss die Zähne zusammen. Nur gut, dass er Lady Lincolnshire zwischen ihnen und sich hatte.
Gerade als sie ihn passierten, ließ die Dame ihren Fächer in einer großen Geste aufschnappen und schlug Coverstone dabei ins Gesicht.
»Oh! Entschuldigt vielmals. Wie ungeschickt von mir. Aus irgendeinem Grund habe ich Euch gar nicht für voll genommen.« Sie lächelte nichtssagend und ging weiter.
»Jetzt habe ich mir meinen Fächer ruiniert«, stellte sie einige Schritte weiter fest.
»Ich beschaffe Euch einen neuen. Habt Ihr einen besonderen Wunsch?«, bot Julian an.
»Wenn ich ihn wieder bei jemanden wie Coverstone einsetzten muss, dann bitte in der Größe eines Pfauenrades.«
Sie schafften es im größtmöglichen Abstand zu Josi und Henry zu tanzen. Noch auf dem Weg zur Tanzfläche wurde Julian klar, dass eine Verbindung zwischen den beiden eigentlich erstrebenswert war. Sie hätten gute Aussichten glücklich miteinander zu werden. Das einzig Furchtbare daran war, dass er selbst dabei leiden würde, wenn er seinen Schwager auf diese absurd heftige Weise begehren würde.
Aus Respekt und Dankbarkeit gegenüber der Dame in seiner Begleitung, richtete Julian seine gesamte Aufmerksamkeit dann doch ausschließlich auf sie.
Der Tanz war zu Ende und Henry brachte Josi zurück in die Obhut der Ladies. Andrew sah Julian scharf an, offenbar konnte er ihm seinen Fluchtimpuls ansehen. Nur wie sollte er nicht flüchten wollen, wenn er in der Gegenwart eines anderen Mannes derart um Fassung rang. Er fühlte sich schon benommen in dem verzweifelten Versuch, sich nichts anmerken zu lassen.
Bei dem kurzen Geplänkel, das folgte, streiften ihn immer wieder Henrys Blicke und langsam glaubte er seinen Versand zu verlieren, weil er das Gefühl hatte, er würde sie körperlich spüren können. Sanfte, federleichte Berührungen, die ihn zu locken schienen mit dem Versprechen, der tatsächliche Kontakt würde diese Empfindungen weit übertreffen.
Nachdem sie wieder getrennte Wege gingen, war Julian nicht in der Lage zu sagen, ob er über die Trennung froh war oder ihn Sehnsucht überfiel.
Er folgte Andrew ohne genau darauf zu achten, wohin ihn dieser führte. Etwas abseits von allen anderen blieben sie stehen.
Dieses Zusammentreffen mit Henry hatte etwas zum Einsturz gebracht, nun konnte er es nicht mehr lassen, Henry in der Menge zu suchen. Und er fand ihn. Bei seiner Familie stehend, sprach er mit Lillians fröhlichen Verlobten Percy.
Julian schaffte es sich einigermaßen zu sammeln und drehte sich zu Andrew. »Nun hast du ihn gesehen. Was denkst du?« Dass ihm eine ganz bestimmte Antwort verletzten würde, verbarg er einigermaßen gut.
Andrew hingegen sah zu Julian. Sehr eigenartig, wie dieser fand. Dann schaute er zu Henry hinüber. Julian folgte seinem Blick.
Als sich die Freunde wieder ansahen, stellte Julian verwirrt fest, dass Andrew mit sich zu kämpfen hatte, um nicht lauthals loszulachen. Er biss sich dabei auf die Lippen, presste sogar seine Faust auf den Mund, bemühte sich ruhig zu atmen.
»Was? Lachst du mich etwa aus?« Das konnte nicht sein. Andrew war vieles aber nicht herzlos.
Tief durchatmend drehte sich Andrew ganz zu ihm, wischte sich dabei eine Träne aus dem Augenwinkel. »Mein lieber Freund«, begann er grinsend. »Dein entzückender Nachbar sucht ganz vehement deine Aufmerksamkeit.«
»Was?«, gab Julian dünn und etwas zu hoch von sich.
Jetzt kicherte Andrew auch noch. »Er macht dir Avancen und wenn du ihn nicht bald erlöst, wird es zu deutlich.«
»Das ...« Er starrte seinen Freund an, »kann nicht sein.« Ganz kurz gestattete er sich zu Henry zu schauen.
»Du bist nur blind, weil du ihn schon so lange kennst. Rede mit ihm. Seine Blicke sprechen eine deutliche Sprachen.«