»Da ist eine Sache, die mich beschäftigt.« Julian drehte sich weiter zu Henry, nahm mit beiden Händen die seine. »Dass ich mich körperlich zu dir hingezogen fühle, ist dir sicherlich kein Geheimnis geblieben.« Er lächelte schief, da die Auswirkungen ihres intensiven Zusammenseins noch immer nicht vollständig abgeklungen waren. »Nun habe ich den dringenden Verdacht, mein Herz ist in ganz ähnlicher Weise betroffen und fühlt sich von dir angezogen. Das ist auch der Grund, warum ich gern wüsste, ob diese Person, von der du während unseres Tanzes sprachst, der du vor allen anderen den Vorzug gegeben hättest, noch immer diesen Platz bei dir inne hat.« In banger Erwartung hielt Julian die Luft an. Er rechnete sowohl mit einer Bestätigung als auch mit einer Verneinung. Vorerst konnte er nur zusehen, wie Henry das Blut in die Wangen stieg. Sichtbar verlegen wand sich dieser dann auch noch ab, stand schließlich sogar auf. Zitternd atmete er tief durch. Das kleine Lachen daraufhin endete in einer Art Seufzen. »Warum, in aller Welt, musst du dich, von all meinem betrunkenen Geschwafel, ausgerechnet daran erinnern?«, kam es gequält von ihm ohne dabei Julian anzusehen zu können.
»Du warst betrunken?« Für Julian schien Henry beim Ball nicht einmal sonderlich angeheitert gewesen zu sein.
»Ja, schon.« Für diesen Moment der Ablenkung war sein angespannter Schatz dankbar.
»Das hat man nicht bemerkt.«
»Ich kann das gut überspielen.«
Julian schwieg daraufhin. Wartete, sicher, dass Henry die eigentliche Frage nicht vergessen hatte. Er sah, wie schwer sich sein Liebster tat und ahnte Ungutes. »Ein einfaches Ja oder Nein genügt«, half er leise.
»Leider nicht. Für eine ehrliche Antwort bedarf es einer Erklärung, sonst ...«
Was Henry da sagte, befeuerte Julians Befürchtungen weiter, ließ ihn bereuen, überhaupt etwas gesagt zu haben.
Dem festen Entschluss folgend, endlich zu sprechen, stellte sich Henry aufrecht hin. »Also gut. Ich werde dir die Antwort nicht schuldig bleiben, nur weil ich denke, dass sie eigentlich unerheblich ist und ich mich lieber davor drücken würde.«
Es war Henry furchtbar unangenehm und Julian tat es leid.
»Die kurze Antwort lautet: Ja.«
Julian wich bis zur Lehne zurück, als wäre er gestoßen worden.
»Und der Grund, warum diese Antwort für dich irrelevant sein wird, ist: Diese besagte Person bist du.«
Obwohl sein Mund offenstand, brachte Julian keinen Ton hervor, einen Umstand den Henry zum Weiterreden nutzte. »Ich habe in jungen Jahren zu dir aufgesehen. Du warst immer elegant, sahst gut aus, wusstest dich zu benehmen. Ich dagegen kam mir linkisch und unvollkommen vor. Irgendwann wurde aus der Bewunderung etwas anderes, etwas das auch meinen Körper ansprach. Da du dich, ähnlich wie ich, wenig für junge Damen interessiertest, hoffte ich, dass du möglicherweise ... Ich dachte, wenn ich erst etwas weniger knabenhaft sei, hättest du mir vielleicht etwas mehr Beachtung geschenkt. Nur warst du nie anwesend, wenn wir deine Familie besuchten und mir wurde klar, das ich überhaupt keine Bedeutung für dich hatte.« Mit einem Schulterzucken versuchte Henry die schmerzhaften Erinnerungen zu dämpfen. Es genügte nicht, um von dem feuchten Glanz in seine Augen abzulenken. »Ich entschied mich daraufhin zu reisen, in der Hoffnung es würde mich ablenken. Ich machte Bekanntschaft mit Lord Winterbottom und er schien ein gewisses Talent in mir zu sehen. Was auch immer das sein soll.« Das kleine Lachen klang gekünstelt. »Bald eindeckte ich die Möglichkeit von Liebschaften oder Affären, doch aus irgendeinem Grund bekam ich die Erinnerung an dich nicht aus meinem Kopf. Als dann Lord Winterbottom geschäftlich zurück musste, kam ich zu dem Entschluss, dass es hilfreich sein könnte, dich wiederzusehen, ohne meine naive Schwärmerei und mit mehr Erfahrung. Ich wäre nicht mehr der Junge, der zu einem älteren aufsieht, sondern ...« Henrys Blick glitt melancholisch durch alles hindurch. »Noch bevor ich in den Salon trat, sah ich dich dort sitzen und wusste, meine Gefühle hatten sich nicht geändert. Ich versuchte eine Mauer um meine Herz zu errichten, um nicht erneut so verwundbar zu sein. Sie hielt genau bis zu dem Moment, in dem du mir das erste Mal wieder in die Augen sahst.« Erschöpft sank er neben Julian zurück auf das Sofa.
All das Gesagte hatte Überlegungen, gleich einer Lawine, losgerissen, wodurch Julian ihm nicht sofort etwas erwidern konnte.
Sein Liebster nahm ihm das nicht übel, oder aber war froh, sich einfach alles von der Seele reden zu können. Im Zuge dessen drehte er sich zu Julian, sein Lächeln sanft und leicht mit Traurigkeit durchwoben. »Mein Herz scheint wohl dir zu gehören, ob wir das wollen oder nicht.«
Entsetzt, doch nicht wegen dem Geständnis, nur über sich selbst, schüttelte Julian den Kopf. »Ich bin so ein oberflächlicher Mistkerl. Wie kannst du nur Gefallen an mir finden. Ich habe mich in der Vergangenheit ganz furchtbar dir gegenüber benommen.«
»Wenn doch nun mal kein Interesse deinerseits vorhanden war...« Henry hatte ihm vergeben, im Gegensatz zu Julian. Er schaffte es nicht sich zu äußern, da Henry sofort weitersprach. »Abgesehen davon, bin ich auch kein Heiliger. So wie mir klar wurde, dass du mich anziehend finden könntest, habe ich gehofft, dich verführen zu können, nur um dir dahingehend nah zu sein.«
All diese Dinge, die Julian in den letzten Minuten gehört hatte, machten ihn ganz schwach. So gut es ging, zog er diesen liebenswerten und reizvollen Mann in seine Arme. »Gestatte mir all meine Versäumnisse wieder gut zu machen«, flüsterte er und war überrascht, als Henry erzitterte.
»Was haben wir nur für einen ungünstigen Zeitpunkt gewählt«, seufzte es dicht bei ihm.
Trotz der Aussicht auf Trennung, vergrub Julian sein Gesicht glücklich an Henrys Hals. »Wir holen alles nach, wenn du wieder da bist. Und du erzählst mir jedes Detail aus deinem Leben, damit ich endlich weiß, in wen ich mich so haltlos verliebt habe.«