Drei Atemzüge später hielten sie sich rettungsuchend aneinander fest, gefangen in der Faszination der heraufsteigenden Hitze. Henry presste sich an ihn, auf diese unmissverständliche Weise. Julians Hand glitt seinen Rücken hinab, bereit die wohlgeformten Rundungen von Henry Hintern zu umfassen, um das Drängen gegen seinen eigenen Körper zu unterstützen.
Für einen Augenblick gewann seine Vernunft die Oberhand.
»Henry ...« Er hatte Schwierigkeiten sich von ihm zu lösen. »Das sollten wir hier nicht tun.«
Bevor er wieder einigermaßen klar denken konnte, sah Henry ihn verführerisch verwirrt an. Dann schaute er sich im Flur um. »Komm mit.«
Bei der sirenenhaften Wirkung, die Henry auf ihn hatte, ließ er sich protestlos mitziehen, obwohl Julian recht sicher war, er war missverstanden worden. Seine Bedenke bezogen sich tatsächlich auf das gesamte Gebäude und nicht nur auf ihre jetzige Position.
Ihr Ziel entpuppte sich als ein unbewohntes Gästezimmer. Kaum war die Tür hinter ihnen geschlossen, fand sich Julian eng umschlugen vor und nicht in der Lage, wie vorgehabt, zu sprechen, da Henry seinen Mund sofort wieder vereinnahmte. Für einige Zeit gestattete es sich Julian sich ihm hinzugeben. Dann drückte er ihn vorsichtig von sich.
»Warte.« Es klang atemlos. »Was hast du nur vor?«
Henry lachte irritiert, was ihm klarmachte, wie absurd diese Frage war. Es wurde schwer seine Aufmerksamkeit auf passende Worte zu richten, wenn die Gefühlsregungen seines Gegenübers jegliche Konzentration auf sich zogen.
»Was ich meinte, wir wissen wohl beide, wohin diese Art von Küssen führt und ...« Er verlor den Faden, versank, seinem Spiegelbild folgend, in den dunklen Tiefen von Henrys Augen.
»Und das möchtest du nicht?« So berechtigt die Frage war, sie entspann sofort zügellose Fantasien von nackter Haut und hingebungsvollem Keuchen. Genauso schnell glitten diese Gedanken dann in feurigen Spuren hinab in Julians Lenden, um dort in gleißenden Funken zu zerbersten.
»Grundsätzlich schon.« Er merkte, wie nahe er daran war den Kopf zu verlieren und versuchte seine Moral über diese sinnverwirrende Lust zu heben. Ein Unterfangen unter erschwerten Bedingungen, so dicht an dicht mit Henry, dessen Fingerspitzen seinen Haaransatz hinter seinem Ohr hin zum Nacken nachzeichneten. »Ich denke nur, dass es passendere Orte gibt und Momente ... Wir sollten uns vorerst noch ... benehmen.« Bei Gott, er wollte Henry. So sehr, dass es schmerzte und sein Körper ihn anflehte, ihn gewähren zu lassen.
Entweder gefiel es Henry ihn zu reizen oder es ging ihm ähnlich wie Julian selbst, da er sich zu ihm beugte und rau ins Ohr flüsterte: »Ziehst es denn wirklich vor, weniger unartig zu sein?«
Erschreckend, mit welcher Leichtigkeit Henry seinen Widerstand überwand, dabei den Wunsch wachrief Lippen dort spüren zu wollen, wo Atem die einzige feine Berührung war.
»Bei Gott, Henry! Was hast du auf dem Festland nur alles angestellt?« Julians wusste nicht, wieso es ihn so erstaunte, das Henry keine zurückhaltende Unschuld mehr war, viel mehr ein Verführer mit gewisser Übung. Genug, um zu wissen, wann er keine Gegenwehr mehr zu erwarten hatte. Henry brauchte nur einmal seinen Blick suchen und wusste Bescheid. Mit der Hand auf Julians Hinterkopf, verwickelte er ihn entschlossen in einen ungestümen Kuss, bei dem er die Führung übernahm.
Überrascht, und das nicht nur von der Tatsache an sich, sondern gleichermaßen von der tückischen Wirkung auf seinen Willen, gab er einen Ton von sich, der sich erschreckend nach einem Stöhnen anhörte.
Absolut unerwartet schob sich Henry von ihm. Nun war er doch halbwegs zur Besinnung gekommen. »Wie dumm von mir. Entschuldige.«
»Was soll ich denn entschuldigen?« Nichts von dem eben geschehenen würde Julian rückgängig machen wollen.
»Meine mangelnde Selbstbeherrschung.« Ganz hinreißend sah Henry aus, wenn er so geknickt war.
»Davon haben wir offensichtlich beide nicht besonders viel. Zumindest wenn wir aufeinandertreffen.« So einfach zauberte Julian ihm wieder das Leuchten in die Augen zurück. »Wollen wir uns vielleicht setzten? Ich würde gern die wenige Zeit, die uns verbleibt, in deiner Gesellschaft verbringen.«
»Natürlich«, gab Henry sichtlich erfreut zurück.
Sie wählten ein kleines Sofa, auf dem sie dicht beieinander sein konnten.
Zu dumm nur, dass es Julian gerade leichter fiel, seinen Liebsten zu küssen, als in seiner Gegenwart vernünftige Gedanken zu haben und diese dann auch noch in verständliche Worte zu kleiden. Der Zeitdruck tat sein übrigens, um seine Miesere zu komplettieren. Er wollte mit etwas unverfänglichem beginnen, womit er jedoch auch sein Interesse an der Person bekundete. Mehr als: »Du versuchst dich also in der Diplomatie?«, kam dabei nicht heraus. Sicher war es nicht das Einfallsreichste, doch in Anbetracht Henrys Nervosität, die sich in unruhig verschränkten Händen und eine benagten Unterlippe äußerte, wohl mehr als sein süßes Gegenüber zustande bringen würde. So war Henry auch offen erleichtert über Julians Eröffnung.
»Ja. Versuchen trifft es wirklich gut. Lord Winterbottom hat sich bereit erklärt, mich mit ihm reisen zu lassen.«
»Schon allein die Intention sich als Diplomat zu versuchen, ringt mir Bewunderung ab. Meine Fähigkeiten in dieser Hinsicht sind eher armselig.« Möglicherweise übertrieb Julian ein wenig.
»Ich denke, man kann vieles grundsätzlich lernen. Aber natürlich wäre ein wenig Empathie von Vorteil. Doch selbst wenn ich mich nicht ausreichend gut bewähre, hab ich einiges gelernt in dieser Zeit. Lord Winterbottom konnte mir schon unglaublich viel beibringen«, erklärte Henry.
»Ich hoffe, dir wurden nicht alle Kenntnisse von dem guten Lord vermittelt«, grinste Julian. Der genannte Lord war zwar sympathisch, allerdings auch schon um die 60 und wohlgenährt.
»Oh bitte, Julian.« Henry musste lachen, meinte dann im Anschluss geziert: »Lord Winterbottom ist in vielerlei Hinsicht ein kompetenter Gentleman.«
»Ist das eine deiner Vorlieben oder brauchtest du nur einen Lehrmeister?« Diese kleinen Neckereien gefielen Julian, besonders da sich Henrys Wangen etwas röteten.
»Hörst du auf! Ich muss ihm in wenigen Tagen unter die Augen treten. Da kannst du mir doch nicht derart obszöne Vorstellungen einpflanzen.«
»Da hast du recht. Außerdem wäre es mir lieber, wenn du an anderes denken würdest.« Er beugte sich zu ihm und küsste ihn sanft, nur für den Fall, Henry hätte den Hinweis nicht verstanden.
Da durchzuckte ihn eine Erinnerung und damit verbunden, eine Frage, die er unbedingt beantwortet haben musste. Diese Dringlichkeit war es dann auch, die ihm klar machte, dass es für ihn mehr war als eine kleine Liebelei. Die Erkenntnis ließ ihn zögern. Als Henry jedoch seine Hand ergriff und ihn voller Vertrauen anlächelte, schöpfte er neuen Mut.