Der Ball war opulent wie erwartet, um dem Teil der Gesellschaft, auf den es in den Augen mancher ankam, zu zeigen, wie vermögend man war oder für wie vermögend man gehalten werden sollte.
Die Langleys ließen jeden Eintreffenden lauthals verkünden, als wäre der König selbst anwesend.
Der Marquess dankte ihnen persönlich für ihr Erscheinen. Vordergründig auch Andrew. Doch schon im nächsten Satz, wurde bedauert, dass nicht sein ältester Bruder oder gar sein Vater selbst erschienen war. Andrew reagierte mit schmalen Augen und wölfischem Lächeln.
Julian kannte das nur zu gut. Im Gegensatz zu einigen andern Familienmitgliedern hatten sie beiden keinen nennenswerten Einfluss und schon gar keine Ambitionen.
Nachdem der Marquess weitergezogen war, ließen sie sich Getränke reichen.
Andrew begutachtete die aufsteigenden Bläschen, bevor er sich mit kleinem, aufgesetztem Lächeln an Julian wandte. »Wie ich es doch schätze, wenn man mir meinen Wert so galant vermittelt.«
»Ist das denn so wichtig?« Dafür hatte Julian absolut Verständnis, denn er wusste nur zu gut, wie diese Dinge am eigenen Selbstwert nagten. Genauso wusste er mittlerweile auch, wie er die von außen gezeigte Entwertung kompensieren konnte. Er legte seinen Fokus auf die Liebe und Achtung einiger weniger Menschen, die ihn gut genug kannten, um zu wissen, ob er jemand war, dem man Vertrauen und Ehrerbietung entgegenbringen konnte.
»Du weißt, dass es das durchaus sein kann«, murmelte sein Freund, dabei war sein Gesicht eine Maske aus freundlicher Gleichgültigkeit.
»Ich weiß. Nur ... Für mich bist du einer der wertvollsten Personen in meinem Leben. Ist das denn so ganz ohne Bedeutung?«, flüsterte er zurück.
Andrews Lächeln verrutschte, er schluckte. »Wenn du vorhast, mich vor aller Augen in Tränen ausbrechen zu lassen, werft ich dich vom Balkon.«
Trotz aller Üppigkeit und Verschwendung konnte man das Fest als gelungen bezeichnen. Die Marchoiness hatte ausnahmslos bei allen auch auf die Qualität geachtet. So waren die Musiker hervorragend, ebenso die Auswahl der Stücke, was das Tanzen zu einer zusätzlichen Freude machte. Das Gleiche galt für den Umstand, dass sich weitestgehend herumgesprochen hatte, Julian stand als Heiratskandindat nicht zur Verfügung. Nur wenige hartnäckige Ladies versuchten ihr Glück. Zwei Witwen unterschiedlichen Alters traten diskret an ihn heran, um ihm bei Interesse eine Liaison mit ihnen zu ermöglichen. Er flirtete ein wenig, wie er es immer tat, blieb indes unverbindlich. Die ältere von beiden hatte allerdings ein gutes Gespür, sah ihn mit wissenden Lächeln an und fragte, ob wohl sein Herz einer bestimmten Person gehörte. Lediglich einen winzigen Moment länger brauchte er, um nonchalant zu antworten. In ihren Augen blitze es auf, ohne dass sie ein weiters Wort darüber verlor.
Julian machte sich auf die Suche nach seinem Freund und erwischte ihm beim erneuten Liebäugeln mit den dargebotenen Leckereien. »Schon wieder hungrig?«
»Ich wünschte es wäre so. Welche schlichte Seite auch immer gerade hier von mir angesprochen wird, aber diese Tartelettes verlangen mir meine gesamte Willensstärke ab.« Mühevoll riss Andrew seinen Blick vom Buffet los.
»Wie ich hörte, hat Lady Langley extra jemanden kommen lassen, der all diese schönen Dinge hier gezaubert hat.« Er musste seinem Freund recht geben. Das angebotene Essen war eine Verlockung sondergleichen und der Nachschub war bisher gewährleistet.
»Ob diese Person noch zu haben ist? Was meinst du?« Andrew presste seine Lippen aufeinander, als er bemerkte, wie ein feister Gentleman ein Teilchen seiner Lieblingsspeise an sich nahm.
»Du willst unbedingt an Umfang zunehmen?«, amüsierte sich Julian.
»Du hast recht. Dieser Mensch ist eine ernsthafte Gefahr für jeden, der seinen Wohlstand nicht anhand seiner Bundweite öffentlich zur Schau tragen will«, proklamierte sein Freund streng und schon wurde sein Blick bittend. »Könnte ich dich vielleicht dazu überreden noch eines mit mir zu essen. Ich möchte mir nicht so maßlos und willensschwach vorkommen.«
»Oh Gott, ich dachte schon, du fragst nie. Los, bevor wir nur noch die verbliebenen Krümel aufpicken müssen.«
»Jetzt muss ich aber wirklich die Finger davon lassen«, bestimmte Andrew und leckte sich schnell über die Lippen. »Noch ein weiteres davon und jeder kann mir meine Liebe zu diesem Gebäck ansehen.«
»Ja, diese Süßspeise ist äußerst tückisch und ich bin froh, dass sich meine Zuneigung schon anderweitig gebunden hat«, kicherte Julian.
»Stell dir mal vor«, flüsterte Andrew zurück. »Diese Tortelettes bei du weißt schon was.«
Ungewollt dachte Julian doch tatsächlich daran, stellte sich Henry samt kleiner Süßigkeiten vor. »Sei ein Freund und lass uns das Thema wechseln.
»Besser ist das«, nickte sein Freund gequält lächelnd.
Ganz plötzlich veränderte sich sein Ausdruck. Jegliche zur Schau getragene Fassade verschwand. Zurück blieb ein Mann, dessen Gesichtszüge weicher, verletzlicher und irgendwie ängstlich wirkten. Oder war es Verunsicherung? Es war zu kurz. Der Moment war vorbei, bevor Julian es genau bestimmen konnte. Sofort suchte er in der Menge nach demjenigen, der Andrew aus der Fassung gebracht hatte. Da war aber niemand, den er nicht schon zuvor gesehen haben musste. Auch blickte keiner der Gäste zu ihnen hinüber.
»Geht es dir gut?«, wagte er zu fragen und wusste die Antwort, bevor sie ausgesprochen wurde.
»Natürlich.«
Vielleicht war Julian etwas enttäuscht. Andererseits behielt Andrew oft etwas für sich, was nicht am mangelnden Vertrauen Julian gegenüber lag. Es war schlichter, mit der Zeit erlernter Selbstschutz, weshalb er die Dinge mit sich allein ausmachte.
»Solltest du Hilfe benötigen, bei was auch immer ...« Er wollte nicht aufdringlich sein, doch es drängte ihn, seinem Freund zu versichern, dass er für ihn da sein würde.
Für ihn zeigte sich Andrew noch einmal demaskiert. »Ich weiß.«