»Bist du fertig?« Julian wusste selbst, wie wenig gut er seine Eile verbergen konnte.
»Du meine Güte, was ist heute nur los? Du kannst es kaum erwarten auszureiten ...«, meinte Josi zu ihm und in Andrews Richtung dann: »und du schließt dich uns freiwillig an.«
»Ich für meinen Teil, habe das ungute Gefühl, ich sollte mich mehr bewegen.« Dabei strich sich Andrew über seinen völlig flachen Bauch.
Josi enthielt sich eines Kommentars, sah ihn lediglich zweifelnd an. »Ich zieh mich nur schnell um.« Schon hastete sie aus dem Frühstückszimmer, froh darüber, dass ein Großteil der Hausgäste spätestens heute abreisen würden. Somit konnte man davon ausgehen, niemanden von ihnen über den Weg zulaufen, bei ihrem Ausritt ohne Damensattel, stattdessen in ihrer als Rock getarnten Hose.
»Wie es aussieht, hast du all deine Gefühlswirrungen geklärt, jetzt wo du nicht mehr konfus meine Gegenwart suchst.« Schmunzelnd sah Andrew hinter Josi her.
»Ja, entschuldige. Ich bin wohl etwas abgelenkt.« Ohne das geringste bisschen Scham zeigte Julian seinem Freund, wie glücklich er war.
»Dir sei verziehen«, räumte Andrew auf seine nicht ernst gemeinte arrogante Weise ein. »Aber nur, wenn du mir bestätigst, dass ich recht hatte.«
»Hattest du und sogar mehr als du ahnst.« Henrys tragische Zuneigung zu ihm all die Jahre hindurch und sein ignorantes Verhalten, beschworen ein schlechtes Gewissen.
»Ach was. Erzähl.«
Knapp gab Julian die Ereignisse des vergangenen Tages wieder, erwähnte nicht allzu ausführlich, die Dinge, die Henrys Gefühle betrafen und unterließ es sein Teil an diesem Drama zu beschönigen. Er sprach leise, darauf bedacht, niemandem ungewollt delikate Details über sich zu liefern.
»Autsch. Dein Henry tut mir schon leid, ausgerechnet sein Herz an so einen oberflächlichen Schuft zu verlieren.«
»Streu noch Salz in die Wunde«, beschwerte sich Julian mit gequältem Lachen. »Ich weiß selbst, wie unmöglich mein Betragen ihm gegenüber war und ich kann es leider nur mit meiner Unerfahrenheit entschuldigen.«
»Hat er dir denn verziehen?«
»Unglaublicherweise sogar mehr als das.« Nur kurz gestattete sich Julian an das zärtliche Lächeln seines Liebsten zu denken.
»Du hast unverschämtes Glück, weiß du das?« Da war keine Missgunst bei Andrew zu erkennen, nur Freude über diese willkommene Fügung.
»Das ist mir mehr als bewusst.« Dann wurde Julian ernster. »Ich würde dich gern um etwas bitten.«
»Nur zu«, freute sich Andrew.
»Henry und ich haben uns für heute morgen verabredet. Wenn es irgendwie in deiner Macht steht, könntest du Josi vielleicht ein wenig ablenken?« Es war ein spontaner Einfall gewesen, nur entstanden durch das Erwähnen des täglichen Ausritts von Seiten seiner Schwester beim Verabschieden am Vortag. Henry hatte diese Information schnell zu ihrem Vorteil genutzt und unschuldig nachgefragt, ob sie sich denn noch an die Ruine der alten Abtei erinnern könnten, die sie als Kinder immer mal wieder aufgesucht hatten. Zum Schluss hatte Henry bei einem festen Händedruck »Morgen?« gewispert und ihm dabei tief in die Augen geschaut. Julian wollte ihn so gern anlächeln, auf diese Art, die allen zeigte, welch liebevolle Wertschätzung er diesem Mann entgegenbrachte.
Mit überspitzter Leidensmiene reagierte Andrew auf seine Bitte, legte sich seine Hand aufs Herz. »Und ich dachte die ganze Zeit, du würdest Wert auf meine Gegenwart legen, als du so vehement auf meine Anwesenheit heut morgen bestandest. Und nun finde ich heraus, ich bin nur Mittel zum Zweck.« Dann kehrte das breite Grinsen zurück. »Natürlich werde ich euch einige ruhig Momente verschaffen. Ich betone Momente, denn bei aller Liebe, habe ich nicht vor demnächst in eure Familie einzuheiraten. Wenn es allerdings nach mir ginge... aber wenn würde es nach Josi gehen und das hieße reiten, reiten, reiten.« Andrew stockte, grübelte einen Moment. »Gut das ich bin, wer ich bin.«
Schmunzelnd schüttelte Julian den Kopf. »Du denkst in ungewöhnlich häufig in eine bestimmte Richtung, mein Freund.«
»Ich befürchte, ich muss dir zustimmen. Möglicherweise war ich dann doch in letzter Zeit zu abstinent.« In seinem Versuch nachdenklich auszusehen, zog er tatsächlich eine Schnute, womit er Julian zum Lachen brachte.
»Wieso denn das? Gibt es dafür einen besonderen Gr...«
»Wir können«, unterbrach ihn Josi von der Tür aus.
Was wirklich schade war. Zu gern hätte er den Anlass für die Enthaltsamkeit seine Freundes erfahren, dem das so gar nicht ähnlich sah.
Man hatte schon ihre Pferde gesattelt als sie zu den Ställen kamen. Noch bevor sie aufsitzen konnten, führte einer der Stallburschen eine unbekannte Stute zu ihnen.
Die Geschwister sah sich an ohne die geringste Vermutung, warum man ihnen ein viertes, dazu noch ungesatteltes Pferd brachte. Im Gegensatz dazu, Andrew. Er gab Julian sie Zügel seines Pferdes und ging zu dem Neuankömmling. Ruhig hob er der Stute seine Fingerknöchel entgegen, die sie nach kurzem mit ihrer Oberlippe berührte.
»Du bist aber auch eine Schönheit«, schnurrte Andrew.
Das Pferd trat einen Schritt zurück und legte den Kopf leicht zur Seite. Wäre sie ein Mensch gewesen, hätte man meinen können, sie sei verlegen.
»So ein liebes Mädchen. Komm, lass mich dir jemanden vorstellen.« Entspannt und langsam nahm er dem Jungen, der das Pferd hielt, die Zügel aus der Hand.
Julian musste gestehen, froh zu sein, dass Andrew es bisher unterlassen hatte mit ihm in einer ähnlichen Stimmlage zu reden. Wer konnte schon wissen, zu was er sich nach ein, zwei Drinks zu viel mit ihm hätte hinreißen lassen. Allerdings verstand er jetzt noch besser, warum es die Jungs im Club immer wieder zu seinem Freund hinzog.
Unterdessen führte Andrew die Stute zu Josi. »Liebste Josephine. Für dich, mit freundlichen Grüßen von Lord Coverstone Jr.«
»Wie bitte?« Josi verstand überhaupt nichts.
Julian indes schon. »Oh, Andrew!«
»Bevor du dich aufregst, lass mich dir versichern, ich habe zuvor mit eurem Vater gesprochen und mir seine Segen eingeholt. Für das Schenken der Pferdes, versteht sich«, grinste Andrew erfreut über seinen Einfall.
Seufzend nahm Julian es hin und erklärte seiner verwirrten Schwerster das Zustandekommen dieser Situation.
»Das ist wirklich sehr ... aufmerksam von dir.« Sie war immer noch überfordert. »Sie ist ... wunderschön.« Dabei blieb sie wie angewurzelt stehen.
»Mhm, wäre dir ein Hengst lieber gewesen?«, fragte Andrew nach.
Jetzt starrte sie ihn an.
»Das meinte ich völlig unzweideutig«, erklärte er, da ihn die Situation selbst langsam verunsicherte.
»Was? Nein, ich dachte darüber nach, ob mir ein Hengst ... Oh, verzeih. Wie unhöflich von mir. Ich freue mich natürlich. das ist ein viel zu großzügiges Geschenk, welches ich unmöglich annehmen kann«, besann sie sich einigermaßen auf ihre Erziehung.
»Doch kannst du, denn ich hörte aus verschiedenen Quellen, dass eine gewisse Lady sich gern der Pferdezucht verschreiben würde und dieses wundervolle Tier an meiner Seite ist zufällig hervorragender Abstammung«, sprach Andrew fast überzeugend feierlich. »Abgesehen davon, lass bitte meinen Aufwand dieses Pferd eigenhändig aus Lord Kearlights riesigen Pranken gerissen zu haben, im übertragenen Sinne natürlich, nicht umsonst gewesen sein.«
»Lord Kearlight wollte sie?«, hakte sie aufgeregt nach.
»So ist es«, bestätigte Andrew und beobachtete voller Genugtuung, wie sich ein breites, zufriedenes Grinsen auf ihrem Gesicht ausbreitete.