Sie gaben ihr Bestes, um möglichst schnell voran zu kommen. An jedem Haus, jedem Baum oder Busch suchten sie trotz der Finsternis Deckung, um ja nicht erneut in einen Hinterhalt zu geraten.
Dennoch erklangen ihre Schritte unnatürlich laut in der Dunkelheit der Nacht und Bahe konnte nur daran denken, wie sehr ihm die Berufsklasse der Diebe in diesen Moment hätte helfen können.
„Tja… man kann nicht alles haben…“, murmelte er.
„Was ist?“, zischte einer der Soldaten fragend.
„Nichts, schon gut“, flüsterte Bahe zurück, während sie weiter huschten.
Nach einer gefühlten Ewigkeit näherten sie sich endlich ihren Zielen von hinten und gingen hinter einem der nahe stehenden Häuser in Stellung.
Bahe verfolgte wie die Soldaten sich trotz der Dunkelheit nahezu geräuschlos mit großen Gesten und Kopfnicken verständigten. Ein, zwei Mal kam es zu Missverständnissen, bis schließlich jeder seine Position gefunden hatte.
Dennoch war Bahe beeindruckt. Er hatte das Gefühl, dass die Soldaten nahezu intuitiv wussten, was ihre Kameraden von ihnen verlangten.
So kam es, dass sich entsprechend der Gegner zwei kleine Gruppen bildeten. Der Plan sah vor, dass jeweils drei Soldaten zusammen eine Feindesgruppe von hinten überraschten. Bahe würde Veteran Herolds Gruppe unterstützen, der verletzt war und daher einen vierten Mann gut gebrauchen konnte. Zu guter Letzt gab es noch die beiden Soldaten, die zur Ablenkung zurück geblieben waren. Diese würden dazu stoßen, sobald ihr Überraschungsangriff die Feinde kalt erwischte.
„Seid ihr bereit?“, flüsterte Herold.
„…“, die Soldaten gaben keinen Laut von sich und hoben stattdessen zur Bestätigung nur die Arme. Danach ging alles plötzlich sehr schnell und Bahe musste sich beeilen, um hinterher zu kommen.
Legten die Soldaten die ersten Schritte noch leise und bedacht zurück, steigerten sie ihre Geschwindigkeit plötzlich explosionsartig und sprinteten den feindlichen Schemen in der Dunkelheit entgegen. Bahe folgte keine zwei Meter hinter ihnen und holte im Laufen mit einem Griff sein Schwert aus dem Speichergegenstand.
Bahe und die heranstürmenden Soldaten waren jedoch alles andere als leise, was ihre Feinde natürlich auf sie aufmerksam machte. Hektisch bewegten sich die dunklen Schemen am Rande von Bahes Sichtfeld, doch bevor auch nur ein Pfeil abgeschossen werden konnte, rammten die Soldaten die Gegner quasi zu Boden. Axt, Schwert und Schulter schleuderten die Gegner zuerst gegen die Hauswand, woraufhin sie bewusstlos, verwundet oder gar tot zu Boden sackten. Bahe wusste es nicht. Das Einzige, was er wusste, war die Tatsache, dass sich der Kampf für ihn erledigt hatte, ehe er überhaupt dran teilgenommen hatte.
Zur Sicherheit ließen die Soldaten zwei Mal ihre Waffen auf die Gestalten niederfahren, ehe sie zur Seite traten und nach ihren Kameraden Ausschau hielten.
Vom abrupten Ende des Kampfes überrumpelt, kam Bahe zum Stehen und trat langsam näher heran, um sich die Feinde einmal näher anzusehen. Die Dunkelheit der Nacht erschwerte ihm dies jedoch erheblich.
Was er erkennen konnte, waren gedrungene Gestalten. Irgendwie menschenähnlich und doch auch wieder nicht. Sehr längliche, spitz zulaufende Ohren, die wie perfekte Segelohren von den Köpfen abstanden. Selbst die Nasen waren extrem lang und spitz ausgeprägt, ähnlich wie der Rest der Gesichts- und Kopfform. Zumindest soweit er es im Dunkeln beurteilen konnte.
„Typische Goblins“, sagte Herold, als er Bahes Beobachtungen bemerkte. „Nicht ansatzweise mit den Goblins zu vergleichen, die uns auf unserem Weg hierhin angegriffen haben. Es ist merkwürdig, dass diese feigen Viecher überhaupt den Mut gefunden haben uns aktiv anzugreifen…“
„Das hier sind also die normalen Exemplare?“, hakte Bahe nach.
„Genau“, bestätigte Roland, der inzwischen dazu getreten war.
„Gut gemacht“, lobte Herold den Soldaten, der es ihnen ermöglicht hatte, sich von hinten an die Feinde anzuschleichen.
Doch Roland winkte ab. Zumindest insofern Bahe die Geste richtig deutete. Es war einfach viel zu dunkel.
„Herold?“, fragten die Soldaten der anderen Kleingruppe, als sie vorsichtig an sie heran traten.
„Wir sind hier“, bestätigte Herold. „Alle bei euch wohl auf?“
„Selbstverständlich“, meinte der Soldat nur.
„Der Kampf sah mehr nach einem Gemetzel aus…“, kam Bahe nicht umhin zu bemerken.
„Die Viecher sind in so geringer Anzahl ein gefundenes Fressen für unsereins“, nickte Herold. „Einzig ihre gute Nachtsicht macht uns immer so zu schaffen.“
„Da hat Herold recht“, schaltete der Soldat Roland sich ein. „Die Viecher sind körperlich normalerweise viel schwächer als wir Menschen. Was sie aber nicht davon abhält uns in Massen zu überrennen oder uns in Fallen zu locken.“
„Wir müssen weiter vorrücken“, erklärte Herold und fuhr fort: „Der Hauptmann erwartet uns am nördlichsten Ende des Dorfes. Sehen wir zu, dass wir die Umgebung vom Ungeziefer befreien.“
„Was ich jetzt für eine Fackel geben würde…“, murmelte Roland.
„Wozu, damit du zur laufenden Zielscheibe wirst?“, flüsterte einer der Soldaten belustigt.
„Ich hasse einfach diese Finsternis“, zuckte Roland mit den Schultern oder machte zumindest etwas, was dieser Bewegung sehr nahe kam, wie Bahe fand.
Danach machten sie sich wieder auf und liefen diesmal von einer Deckung zur Nächsten, um einem erneuten möglichen Beschuss keinerlei Ziele mehr zu geben.
Der Rest der nächtlichen Jagd verlief ähnlich ertragreich. Sie stießen noch auf eine weitere Feindesgruppe, doch auch hier kam Bahe nicht zum Einsatz. Dafür waren die Soldaten im Umgang mit den Goblins viel zu effizient.
Dennoch lag wenig später eine bedrückte Stimmung über dem Lager der Garnison, als sich bis auf die Beobachtungsposten wieder alle Soldaten versammelt hatten.
Wie Bahe in den Gesprächen der Soldaten erfahren hatte, war Herolds Trupp noch relativ harmlos davon gekommen. Die Veteranen Mats und Helmut hatten beide zwei Soldaten in den Hinterhalten verloren und ein weiterer war so schwer verletzt, dass er vorläufig kampfunfähig war.
Hauptmann Peros grimmige Miene sprach Bände. Fünf Tote bevor auch nur das erste ernst zu nehmende Gefecht gegen den Goblinstamm stattgefunden hatte, war ein neuer Tiefschlag in Anbetracht ihrer derzeitigen Lage.
Es war allen klar, dass die Opfer nur möglich gewesen waren, weil die hier stationierten Soldaten es nie für nötig erachtet hatten, einen vernünftigen Wall oder eine Mauer zu errichten, um die Siedlung zu verteidigen.
So hatten die Feinde bei der Infiltration des Dorfes, im Zusammenhang mit ihrer guten Nachtsicht, leichtes Spiel gehabt, da die wenigen Wachposten niemals das ganze Dorf im Blick behalten konnten.
Hauptmann Pero befahl den Soldaten schließlich sich hinzulegen, sofern sie nicht Wache halten mussten und verschwand wenig später selbst in einem Zelt. Seine Männer zierten sich nicht lange und taten es ihm gleich. Ihnen allen war klar, dass in den kommenden Tagen jede Minute Schlaf von größter Bedeutung für sie werden würde. Denn allein heute hatten sie einen Hinterhalt ungewöhnlich starker Goblins abgewehrt, einen Gewaltmarsch hinter sich gebracht und obendrein auch noch einen Nachtangriff des Goblinstammes zurückgeschlagen.
So trainiert diese Sondereinheit von Hauptmann Pero auch war, irgendwann stieß jeder an seine Grenzen.
Da sich auch Bahes Spielzeit dem Ende näherte, hatte er sich ein wenig an den Rand des Lagers gesetzt und wollte gerade noch mal den Zauber Steinhaut ausprobieren, als er Stimmen vernahm, die er niemals in der Nähe von Menschen erwartet hätte.
„Psst!“, zischte Limona.
„Anael…“, flüsterte Brocken.
Überrascht blickte Bahe sich um und entdeckte Brocken und Limona unweit des Lagers am Rande seines Sichtfeldes. Hastig stand er auf und lief zu ihnen hinüber.
„Was gibt es?“
„Ich… ich glaube es ist hier…“, flüsterte Brocken nachdenklich.
„Was ist hier?“, hakte Bahe nach.
„Das… Ungleichgewicht“, raunte Brocken.
Teil 1/2!
Bis Sonntag!
RiBBoN