Interessiert sah Feiying den Dieb an, der genervt die Augen verdrehte und sagte: „Ich frage mich wirklich, wieso ich dir überhaupt irgendetwas erzählt habe…“
„Äh… sollte das etwa ein Geheimnis bleiben?“, fragte Stallion sich am Kopf kratzend.
„Nein“, meinte Alucard. „Was aber nicht heißt, dass du immer gleich alles hinaus posaunen musst, was dir gerade durch den Kopf geht…“
„Und? Stimmt es, was Stallion gesagt hat?“, konnte Feiying nicht wiederstehen nachzuhaken.
„Definitiv!“, sagte Alucard schwärmerisch. „Meine ganze Familie hat damals bei seinen Sologängen durch die schwersten Dungeons mit gefiebert. Es ist schon irgendwie schade, dass TNL nicht die besonders beeindruckenden Szenen der besten Spieler streamt wie es der Konzern hinter Dreamworld noch immer macht. Hier muss sich der Spieler selbst dazu entscheiden, sein Gameplay zu veröffentlichen und die meisten Progamer entscheiden sich meist dagegen.“
„Wobei Anael aber letztens noch zu sehen war!“, schaltete sich Stallion ein.
„Du meinst die Schlacht im Belungagebirge?“, nickte Alucard mit leuchtenden Augen. „Ich hoffe, wirklich dass er es war… Aber so wirklich sicher ist sich ja noch niemand…“
„Klar, Hall of Fame will natürlich mit so einem bekannten Namen locken, aber eigentlich ist der Sender doch von der seriösen Sorte. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie der Öffentlichkeit dermaßen Lügen auftischen“, erwiderte Stallion.
„Wovon redet ihr?“, fragte Feiying verwirrt.
„Hä? Hast du etwa letztens nicht die groß angekündigte Sendung über die Schlacht am Belungagebirge gesehen?“, stellte Stallion verdatterrt eine Gegenfrage.
So langsam begriff Feiying, dass ihm wohl etwas entgangen war. Vielleicht hatte ihm Bahe einfach nicht alles erzählt. Aber jetzt wo er so darüber nachdachte, war er gar nicht auf den Gedanken gekommen seinen Kumpel mal im Detail über seine Spielsessions auszufragen.
Während er die Nächte immer in Raoie verbrachte und frei war, wurde sein Leben in der Realität stark überwacht. Nur in Gesellschaft seiner Großmutter konnte er ab und an mit Bahe telefonieren oder seinem Gamerherzen nachgehen und die neusten Videos zu Raoie sehen. Ansonsten überwachte immer einer der Sicherheitsleute seines Großvaters seine sozialen Kontakte und seinen Medienkonsum. Sobald jemand oder etwas als seiner unwürdig angesehen wurde, verbot ihm sein Großvater in der Regel jeden weiteren Kontakt mit diesen Individuen oder den Zugang zu entsprechenden Medien.
Was letztlich bedeutete, dass nahezu alles was nicht seiner zukünftigen Karriere und seiner Ausbildung zum nächsten Chef des Ting-Konzerns diente, verboten wurde.
Seine Großmutter, die sich sonst nur selten für seine Freiheit einsetzte, hatte bei dem Dimensional Leap-System für Raoie den Himmeln sei Dank eine Ausnahme gemacht und ihn vor seinem Großvater verteidigt. Doch Feiying sah den widerwilligen Gesichtsausdruck seines Großvaters immer noch vor seinem inneren Auge. Die Geringschätzung, die sein Großvater allem zuteilwerden ließ, was nicht seiner Firma diente, erdrückte ihn seit Jahren. Mehr als nur einmal hatte er daran gedacht, einfach aus dem Anwesen zu flüchten und sich billig auf einer Baustelle zu verdingen. Doch der Gedanke, dass sein gefühlskalter Großvater daraufhin nur noch mehr auf ihn herabsehen würde, hielt ihn letztlich immer davon ab.
Wollte er sich ihm beweisen?
Nein, das nicht. Solange es nach ihm ginge, würde er seinen Großvater in dem Glauben lassen, den Konzern zu übernehmen, nur um ihn vor seinen Augen zu verscherbeln und im besten Falle vollends zu Grunde gehen zu lassen.
In Anbetracht der Vielzahl an Jobs und Menschenleben, die der Konzern versorgte, würde er sich aber wahrscheinlich niemals dazu durchringen können.
„Gold Digger?“, riss ihn Stallions Stimme aus seinen Gedanken.
„Ah… nein, habe ich nicht“, antwortete Feiying. „Ich… war anderweitig leider beschäftigt…“
„Man, du hast was verpasst!“, meinte Alucard mit Nachdruck und schüttelte bemitleidend seinen Kopf.
Amüsiert zuckten Feiyings Mundwinkel, als er daran dachte, dass sich die beiden Kerle wie äußerst enthusiastische Fangirls verhielten und noch einmal wussten, dass das Ziel ihrer Begierde gerade einmal ein paar Meter entfernt in diesen Höhlen saß…
„Und ob er was verpasst hat!“, ereiferte sich auch Stallion noch einmal. „Aber ich glaube, man kann sich die Sendung noch auf der Homepage von Hall of Fame anschauen. Du musst da später unbedingt nachschauen.“
Feiying nickte nur und schloss beim gehen das typische Benachrichtigungsfenster, welches ihm das baldige Ende seiner Spielzeit verkündete.
Ein paar Sekunden später kamen sie wieder in ihrer Starthöhle an und Bahe meinte schon von weitem: „Meine Spielzeit ist jeden Augenblick vorbei. Wir werden erst Morgen über die Helionen reden können. Aber es sieht so aus, dass es mir gelungen ist.“
Dabei hielt er grinsend einen sanft golden leuchtenden Kristall hoch.
„Ja, nice!“, rief Stallion. „Und kein Ding wegen dem Logout. Ich bin wohl in vierzig Minuten auch dran.“
„Wen soll das schon interessieren…“, sagte Alucard abschätzig.
„Boss…“, lamentierte Stallion.
„Wie wäre es, wenn du mir mal von deiner Schlacht am Belungagebirge erzählst, Bahe“, wandte sich Feiying mit einem breiten Grinsen an seinen Freund. „Oder soll ich besser sagen, Anael, Progamer aus Dreamworld?“
„Häh?“, meinte Bahe offensichtlich verwirrt. „Ich meine, kann ich machen. Aber wieso packst du wieder alte Geschichten aus? Ist lange her, dass ich in Dreamworld berühmt war und als Progamer würde ich mich nicht gerade bezeichnen…“
„Huh?“, gab Stallion vollkommen baff von sich.
„Moment mal… was?“, schloss sich Alucard an.
„Er…“, meinte Feiying süffisant. „ist der Spieler Anael von dem ihr vorhin die ganze Zeit gesprochen habt.“
„Waahh!“, kreischten beide gleichzeitig los.
„Feiying?“, hob Bahe fragend die Augenbrauen und löste sich kurz darauf in lauter Lichterfunken auf. Seine Spielzeit hatte soeben ihr Ende erreicht.
„Nein!“, schrien Alucard und Stallion erneut gleichzeitig, ehe sich ihre Blicke an Feiying hefteten.
„Du… du…“, stotterte Stallion aufgebracht.
„Hast das absichtlich gemacht!“, schimpfte auch Alucard aufgeregt.
„Jop!“, grinste Feiying ein letztes Mal, winkte den beiden dreist und sagte: „Bis Morgen!“
Dann loggte er sich aus und lachte laut los.
Nun, er hätte noch eine Minute länger spielen können, aber ihre Gesichtsausdrücke bei seiner Verabschiedung waren den kleinen, vorzeitigen Logout mehr als wert gewesen. Mit guter Stimmung ließ er die vorübergehende Dunkelheit über sich ergehen und nahm sich vor herauszufinden, was Bahe zuvor im Belungagebirge passiert war.
Teil 3/3!
Bis Dienstag!
RiBBoN