Nach fünf quälenden Minuten tauchten die beiden Spieler endlich auf. Der vorherige Bestimmungsmeister des Auktionshauses, sowie ein junger Bediensteter folgten ihnen im Schlepptau.
Der junge Diener öffnete erneut die Tür bat Bahe und den Rest herein.
„Erlauben Sie mir den Ablauf und meine Anwesenheit zu erklären“, wandte sich der Bestimmungsmeister an Bahe. „Diese beiden Herren haben sich der Dienste des Auktionshauses versichert, um Sicherheit zu haben, dass alle Kauf- und Tauschhandlungen mit rechten Dingen zugehen. Ich werde nicht nur ihr Sensenschwert erneut prüfen, sondern ebenfalls das entsprechende Buchexemplar mit den Feuerzaubern, um für alle Beteiligten einen zufriedenstellenden Abschluss gewährleisten zu können.“
„Hört sich gut an“, sagte Bahe positiv überrascht.
„Bevor wir auf irgendeinen Handel eingehen, möchte ich das Sensenschwert zunächst noch einmal sehen“, verlangte jedoch der Spieler in der Lederkleidung, bevor der Bestimmungsmeister weiter machen konnte.
Bahe zuckte nur die Schultern und händigte seine Waffe aus.
Die beiden Spieler zogen sich eine Weile zurück und unterhielten sich im hektischen Flüsterton, ehe sie beide frustriert seufzten und der Spieler im Lederoutfit sagte: „Du hast so ein unfassbares Glück, dass wir die Waffe so dringend brauchen. Andernfalls würden wir diesen Handel niemals eingehen. Die Waffe und deine vierzig Silbermünzen und wir haben einen Deal, ok?“
„Alles klar“, bestätigte Bahe und griff in seinem Speichergegenstand nach seinem kleinen Vermögen.
„Wenn ich bitten dürfte?“, fragte derweil der Bestimmungsmeister und Bahes Gegenüber reichte ihm das Sensenschwert.
Nach einem Moment nickte der Bestimmungsmeister zustimmend und bat um das Zauberbuch, welches er ebenfalls mit einem Nicken quittierte.
„Beide Artefakte sind genauso wie von den Involvierten beschrieben. Dem Handel steht nichts im Wege“, verkündete er anschließend und reichte das Zauberbuch an Bahe, der es eifrig entgegen nahm und ihm im Austausch die vierzig Silbermünzen in die Hände drückte, die dieser ohne eine Gesichtsregung an die beiden Spieler weiter reichte.
„Damit wäre der Handel vollzogen“, erklärte der Bestimmungsmeister und zog sich zurück.
Die beiden Spieler nickten Bahe noch einmal grimmig zu und verschwanden dann ebenfalls, so dass nur noch Bahe mit dem jungen Diener des Auktionshauses zurück im Raum blieb.
Ehrfürchtig studierte Bahe das Zauberbuch, bis ihn ein Räuspern aufschreckte und er den noch immer wartenden Bediensteten an Tür stehen sah. Verlegen strich sich Bahe mit einer Hand über den Kopf, während die andere Hand das Buch in seinen Speichergegenstand steckte. Danach beeilte er sich aus den Raum zu kommen.
Wenig später verließ er zügigen Schritts das Auktionshaus und machte sich daran seine letzten Vorbereitungen zu treffen, ehe er im Laufschritt aus der Stadt lief und sich auf den Weg zu den Belungaminen machte.
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„Und du bist dir sicher, dass dieser Kerl einen Handel mit den beiden Spielern abgeschlossen hat?“, fragte eine großgewachsene Spielerin mit üppiger Oberweite und markanten Gesichtszügen, einen wesentlich kleineren Spieler mit Hakennase.
„Ich bin mir sicher, Boss. Schließlich habe ich den Bestimmungsmeister des Auktionshauses nicht umsonst bestochen“, erklärte der kleingewachsene Spieler stolz.
„Dann sollten wir uns lieber beeilen, bevor er das Zauberbuch nutzt“, meinte die hochgewachsene Spielerin mit einem schadenfrohen Grinsen. „Sag den anderen Bescheid, wir brechen sofort auf.“
„Hehe, wird gemacht“, sagte der kleine Spieler, dessen bösartiges Grinsen, dank seiner Hakennase noch intensiver wirkte. Anschließend verließ er eilig den Raum.
„Was für ein Idiot… die Zauber nicht sofort in der Stadt zu erlernen…“, murmelte die hochgewachsene Spielerin, während sie sich ihre große, doppelschneidige Axt griff, sie mit Leichtigkeit über ihre Schulter warf und durch die Tür nach draußen marschierte. Oh, wie hatte sie es vermisst. Dieses Gefühl der Erwartung und die Vorfreude auf große Beute… Es wurde Zeit zu jagen…
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Sin of Birth spähte aufmerksam aus dem eigenen Versteck und beobachtete die nähere Umgebung Waldenstadts. Mürrisch ließ sich Sin dabei von mehreren Zweigen wie in einer Art Hängematte hin und her wiegen. Die letzten Quests dauerten wesentlich länger als gedacht und so lief die maximale Haltbarkeit des Blattmarkers ab, den Sin am Körper von diesem Anael angebracht hatte. Dabei war der Kerl einfach zu lustig gewesen und beim Gedanken an sein gut gewürztes Grillfleisch lief Sin noch immer das Wasser im Munde zusammen.
So eine Schande, dachte Sin of Birth und seufzte vor sich hin.
Sin war es selbst nicht klar, was genau an diesem Anael so interessant war, aber irgendwie hatte Sin die Zeit mit diesem Geister sehenden Spieler genossen. Lag es vielleicht daran, dass er sich so ungewöhnlich verhielt?
Sin vermochte es nicht zu sagen.
Auf jeden Fall war es eine willkommene Abwechslung von all den ernsthaften Spielern gewesen, die nichts anderes taten als zu leveln. Kaum ein Spieler verbrachte seine Zeit außerhalb der Startstädte mit alltäglichen Aktivitäten aus dem realen Leben. Natürlich gab es die ein oder anderen die ihr Essen selbst zubereiteten, aber in Raoie beschränkte sich dieses Verhalten hauptsächlich auf die Spieler, die der Profession des Kochs hinterher eiferten und diese bewegten sich üblicherweise nicht außerhalb der Mauern der sicheren Startstädte. Für ihre Berufsklassen war es schlicht weg nicht nötig.
Da Sin sich hier draußen einfach so unendlich viel wohler fühlte, als in dem engen Gedränge der Startstädte, blieben einfache, fast schon alltägliche Interaktionen mit Spielern oder NPCs meistens aus. Für die meisten Menschen war dies wahrscheinlich keine große Sache, da sie dies im realen Leben nachholen konnten. Aber für Sin war das Gegenteil der Fall. Raoie war die einzige Chance auf ein echtes Leben, ganz im Gegensatz zu der beklemmenden und grausigen Wirklichkeit.
Mit einem weiteren Seufzen beschloss Sin of Birth nicht länger vor Waldenstadt herum zu lungern. Die letzten zwei Tage der Beobachtung Waldenstadts waren sowieso nur ein Schuss ins Blaue gewesen. Sin hatte nie wirklich damit gerechnet, dem bescheuerten Spieler zu begegnen.
Sanft ließ sich Sin von den Zweigen der eigenen Hängematte in den sicheren Stand heben und streckte sich im Anschluss einmal gut durch. Doch gerade als Sin sich vollends von Waldenstadt abwenden wollte, hob sich eine Gestalt von all den anderen Spielern ab, die aus dem Süd-Tor strömten.
Sin of Birth grinste und setzte sich sofort in Bewegung.
Manchmal waren die Wege des Schicksals wahrlich unergründlich…
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„Verdammt noch mal, Stallion“, beschwerte sich Yings Auftraggeber Alucard. „Bist du dir sicher, dass er vorhin erst die Stadt verlassen hat? Wir sind schon eine halbe Stunde unterwegs und haben ihn immer noch nicht eingeholt.“
„Natürlich bin ich mir sicher, schließlich habe ich es mit eigenen Augen gesehen“, erklärte Ying und sah sich um. Wenig später entdeckte er die Spuren des jungen Spielers im weichen Waldboden und meinte in die Richtung zeigend: „Wir müssen da lang.“
Doch dieser Alucard musterte ihn nur schweigend.
„Hey, ich bin ein guter Spurenleser!“, verteidigte Ying sich. „Zu Anfang war ich Jäger, ehe ich die Berufsklasse des Bogenschützensoldaten angenommen habe. Wahrscheinlich hat dieser Anael alle seine Punkte in Ausdauer gesteckt oder er ist im Level stark aufgestiegen. Anders kann ich mir nicht erklären, wie er plötzlich so schnell im Wald unterwegs sein kann.“
„Hast du sein Level nicht überprüft?“, fragte Alucard.
„Du weißt schon, dass die Fähigkeit Überprüfen nutzlos ist, wenn man sie nicht hochlevelt? Ich kann nur von Spielern unter Level 10 die Stats offenbaren. Dieser Anael ist definitiv über Level 10“, meinte Ying ohne groß nachzudenken und bereute es sofort, als sich Alucards Miene verfinsterte.
„Und du weißt schon, von wem du bezahlt wirst, oder?“, warf Alucard wenig begeistert ein und wedelte unwirsch mit der Hand, während er sagte: „Worauf wartest du? Wir müssen weiter.“
Ying nickte diesmal nur und nahm sich vor, keine großen Töne mehr zu spucken, solange er noch in den Diensten des vermögenden Alucards stand. Er war viel zu abhängig von den Geldbeträgen, als dass er es sich mit ihm verscherzen wollte.
Mit aufmerksamen Blick suchte er ihre Umgebung ab und nahm dann erneut Anaels Verfolgung auf, nachdem er sich sicher war, dass sie der richtigen Spur folgten.
Teil 2/2!
Viele Perspektivwechsel in einem so kurzen Teil, aber für die nachfolgenden Kapitel war das notwendig... Was da wohl auf Bahe zu kommt...?
Bis Donnerstag!
RiBBoN