Der nächste Augenblick verging wie in Zeitlupe. Noch während die Streitaxt der Frau horizontal auf Sin of Births Kopf zuflog, registrierte Bahe zu seinen Seiten zwei Männer die ebenfalls aus dem Gebüsch gesprungen waren und auf ihn zu rannten.
Der Linke trug den typischen Gürtelspeichergegenstand der Spieler. NPCs waren es allso nicht.
Hinter dem Rechten glaubte Bahe noch einen weiteren Spieler auszumachen, der sich in den Büschen versteckt hielt.
Fieberhaft überschlugen sich Bahes Gedanken auf der Suche nach einer Möglichkeit die Situation kontrollieren zu können. In diesem Moment standen seine Chancen eher schlecht. Wenn dieser Sin of Birth sich nicht zufällig dem gefährlichen Axthieb erwehren konnte, würde Bahe es bald allein mit vier gegnerischen Spielern zu tun haben.
Ohne noch länger zu zögern, entschied er sich dazu seinen Bogen samt Pfeile aus seinem Speichergegenstand zu holen und im gleichen Moment, nahm die Situation um ihn herum wieder an Fahrt auf.
Mit angehaltenem Atem beobachtete er, wie die schwere Streitaxt mit voller Wucht den Kopfbereich der rechten Schläfe von Sin of Birth traf, ehe er zur Seite sprang und mit Pfeil und Bogen den Gegner zu seiner Linken ins Visier nahm.
Doch plötzliche Aufschreie ließen ihn innehalten.
„Was zur Hölle?!“
„WTF?!“
An der Tonlage der Stimmen erkannte Bahe sofort, dass die beiden Spieler gesprochen hatten, während die Frau nichts vernehmen ließ. Diese stand inzwischen hinter Sin of Birth und trug eine ziemlich grimmige Miene zur Schau. Die Ursache war offensichtlich ihre Axt, die in Sin of Births Helm aus Baumrinde stecken geblieben war, ohne das Sin große Anstalten zu machte etwas dagegen zu unternehmen. Stattdessen aß dieser weiter das Wildwurzelkaninchenfleisch, welches ihm kurz zuvor von Bahe überreicht worden war.
„Fucking Troll! Du glaubst dein Trick mit dieser dämlichen Holzrüstung hält mich davon ab, dir den Arsch aufzureißen?!“, fasste sich die Spielerin fast sofort wieder und riss ihre Axt mit einem Gewaltschrei aus Sin of Births Helm frei. Anschließend leuchtete die Axt in einem roten Schimmer auf, ehe die Spielerin zu einem neuen Schlag ansetzte.
Bahe sah wie Sin of Birth kurz die Schultern hochhob, ehe er etwas in sich zusammensackte. Seufzte er etwa gerade?
Doch Sins nächste Aktion ließ Bahe verblüfft blinzeln. Seine Hand wedelte kurz, als ob er Anweisungen an seine Untergebenen weitergab und im nächsten Moment schossen Wurzeln und Gräser aus dem Boden. Blitzschnell umwickelten sie die Gliedmaßen der Spielerin, bis sie vollkommen fixiert war.
„Was ist das denn für eine Scheiße?!“, fluchte diese, während Bahe ungläubig drein blickte.
„Hahh?!“, entfuhr es Bahe, als er vor lauter Verblüffung den Pfeil sausen ließ. Den Schmerzensschrei nahm er kaum wahr, bis ein Benachrichtigungsfenster vor ihm aufklappte:
Du trägst das Mal des Mörders!
Du hast den Spieler Fan-von-großen-Brüsten ermordet. Für die nächste Woche kannst du keine Menschenstadt betreten ohne Gefahr zu laufen von der Stadtwache verhaftet zu werden. Außerdem darf für die kommende Woche jeder Spieler Jagd auf dich machen, ohne die gleichen Folgen erwarten zu müssen.
Verwirrt schaute Bahe zurück zu seinem Gegner zu seiner Linken, der inzwischen reglos auf dem Rücken lag. Ein Pfeil steckte in seiner linken Augenhöhle. Ein absolut perfekter Treffer, den Bahe vielleicht einmal in tausend Schüssen vollbringen konnte.
Nicht wissend ob er lachen oder weinen sollte, stand Bahe nur da und blickte zu Sin, der ihm mit nickendem Kopf einen Daumen nach oben gab, während er die noch immer wütend schreiende Spielerin in einem Geflecht aus Wurzeln und Gräsern in Schach hielt.
Bahe wusste nicht wie die Situation noch skurriler werden konnte. Abgesehen davon, dass er gerade einen Spieler mit nur einem Schuss getötet hatte ohne hinzusehen, war Sin of Birth offensichtlich dieser Bastard, der ihn vor einigen Wochen mit all den kleinen Ästen piesackte.
„Du warst das mit den Ästen!“, rief Bahe verärgert aus und funkelte Sin wütend an.
Doch dieser lehnte sich einfach ein Wenig zurück und verschränkte die Arme in lässiger Pose vor seiner Brust. Seine ganze Haltung trotze nur so vor Arroganz, als ob er sagen wollte: Und? Was willst du machen?
Zähneknirschend überlegte Bahe, wie er seinem Frust freien Lauf lassen konnte, als die Spieler zu seiner Rechten auf sich aufmerksam machten.
„Boss! Wir holen dich da raus“, rief der sichtbare Spieler und lief mit erhobenem Schwert auf Sin of Birth zu, während Bahe den letzten Spieler nun am Rand der Büsche entdeckte, wie er einen Zauber vorbereitete.
Sins Kopf drehte sich den letzten Störenfrieden entgegen und legte sich kurz schief, bis etwas passierte, was Bahe gehörig den Magen umdrehte.
Die Wurzeln und Gräser umschlangen den Körper der Spielerin komplett, bis sie ihn mit einem einzigen Gewaltakt in zwei Hälften rissen. Blut spritze, Knochen brachen und hier und da hielten ein paar letzte Gedärme die beiden Körperhälften zusammen.
Doch während Bahe von all der Gewalt schockiert und sprachlos war, drehte der gegnerische Spieler abrupt um und nahm die Beine in die Hand.
Bildete Bahe sich das ein oder war er jetzt sogar noch schneller unterwegs als bei seinem Angriff? Dennoch kam Bahe nicht umhin die schnelle Auffassungsgabe des Gegners zu würdigen, der seinen Angriffsakt ohne zu zögern in eine entschlossene Fluchtbewegung umgewandelte. Der Magier tat es ihm gleich und verschwand mit seinem Kameraden zusammen in dem Dickicht des Waldes.
„Uäh…“, meldete sich Limona am Ende der Kampfsituation, die nicht einmal zehn Sekunden währte. „Ich glaube mir wird schlecht…“
„Balu und ich schnappen uns die beiden Feiglinge!“, rief Brocken derweil enthusiastisch und Bahe wollte sie noch aufhalten, als sie schon zwischen den Büschen außer Sichtweite verschwanden.
Und so blieb Bahe mit Sin of Birth allein zurück, wenn man mal von der reihernden Limona absah, die sich mitten im Bach lautstark übergab.
Bahes Frustration hatte sich dank des grauenvollen Anblicks verflüchtigt. Stattdessen seufzte Bahe resigniert. Er wusste nur zu gut, dass er sich vorläufig nicht an Sin of Birth rächen konnte. Dafür war dieser ihm einfach viel zu weit voraus.
Die Wurzeln und Gräser hinter Sin of Birth waren derweil nie wirklich zur Ruhe gekommen und machten sich gerade daran, das Erdreich aufzureißen. Wenig später war eine Grube groß genug für einen Leichnam ausgehoben und Sin veranlasste die Pflanzen die Körperhälften hinein zu schmeißen. Danach wühlten die Gräser und Wurzeln das Erdreich wieder zusammen und bedeckten die menschlichen Überreste völlig. Erst danach ließ der eklige Fäkalgestank etwas nach, der vermutlich durch die zerrissenen Gedärme verursacht worden war.
„Puh…“, schnaufte Bahe angestrengt vor sich hin. „Es stinkt immer noch…“
Bahe sah Sin of Birth daraufhin etwas in den Boden kratzen, als lautes, panisches Geschrei erklang. Das Geschrei wurde zunehmend lauter, bis die zwei gegnerischen Spieler plötzlich wieder aus den Büschen schossen. Offensichtlich flüchteten sie vor etwas, was ihnen eine Heidenangst einjagte, so dass sie gar nicht bemerkten, in welche Richtung sie gerannt waren.
Vor Schreck wieder an ihrem Ausgangspunkt angekommen zu sein, blieben sie kurz stehen und ermöglichten es so ihrem Verfolger sie einzuholen. Balu preschte mit einem ohrenbetäubenden Brüllen zwischen den Büschen hervor und ließ seine mächtigen Pranken voller Wucht auf die beiden Spieler niederfahren.
Unter schmerzvollen Schreien gingen die Beiden zu Boden, nur um von den scharfen Krallen des Bergbären in einem Ansturm der Prankenhiebe zerfleischt zu werden.
Bahe erkannte Balu überhaupt nicht wieder. Wie eine tollwütige Bestie machte sich Balu über die beiden her und vergas alles und jeden um sich herum. So auch Brocken, der inzwischen verzweifelt darum bemüht war, den Bären zu beruhigen.
Wenig später klappte ein neues Benachrichtigungsfenster auf:
Du trägst das Mal des Mörders!
Eine dir zugeordnete Kreatur hat die Spieler Fan-von-großen-Ärschen und Fan-von-großen-Füßen ermordet. Für die nächsten drei Wochen kannst du keine Menschenstadt betreten ohne Gefahr zu laufen von der Stadtwache verhaftet zu werden. Außerdem darf für die kommenden drei Wochen jeder Spieler Jagd auf dich machen, ohne die gleichen Folgen erwarten zu müssen.
„…“, Bahe schüttelte nur noch den Kopf. Dieser ganze Kampf war eine einzige Farce gewesen…
Das Gedicht zum Feuer (letzter Teil) entstammt im Übrigen meiner eigenen Fantasie. Konnte es sich sehen lassen? Trägt es zur Atmosphäre bei?
Lasst mir doch ein paar Kommentare da, wenn euch dieses Kapitel gefallen hat ;-)
Teil 2/?
Bis Sonntag...?
RiBBoN