*
*
*
Als Bahe am Markt ankam, blieb sein Blick unwillkürlich an dem großen Gebäude hängen, welches mit seinen vier Stockwerken hoch hinter den Marktständen aufragte. Die größte Handelsgilde des Königreiches hatte keine Kosten und Mühen gescheut, um sich an dieser Stelle mit einem berühmten Aktionshaus zu verewigen. Es wurde viel Positives über die dort vorhandenen und seltenen Gegenstände berichtet. Das Problem war oft nur der Preis dieser Artefakte. Verunsichert checkte Bahe sein kleines Vermögen. Ob er mit seinen wenigen Silbermünzen wohl eine Chance hätte irgendetwas zu ergattern?
Mit einem Seufzen entschied er sich vorerst nur um das Wichtigste zu kümmern und ging auf einen der vielen Lebensmittelstände zu, um seine Nahrungsreserven aufzustocken. Er war fast an einem Brotstand angekommen, als ihm zunehmend Leute auffielen, die zu ihm zeigten und aufgeregt auf ihre Freunde einredeten. Misstrauisch blieb Bahe stehen und blickte sich um. Nach und nach fielen ihm immer mehr dieser Leute auf. Die Meisten erkannte Bahe an ihren Speichergegenständen recht schnell als Spieler. Aber was wollten sie von ihm?
„Hey! Du bist doch Anael, oder?“, rief ein besonders euphorisch dreinblickender Kerl, dessen ganzes Erscheinungsbild einfach das komplette Klischee eines Obernerds bediente. „Anael von der Schlacht im Belungegebirge? Stimmt es, dass du auch der Anael aus Dreamworld bist?!“
Als der Typ immer schneller zu reden begann, verstand Bahe endlich was Sache war und blickte an sich hinunter. Er trug immer noch den Kapuzenumhang der Felsgnome und das Stück Stoff, welches Mund und Nase verdeckte. Kein Wunder, dass sie ihn erkannten…
Genervt über seine eigene Nachlässigkeit, verdrehte Bahe die Augen. Er hatte sich schon gedacht, dass sein Erscheinungsbild nach dieser Schlacht die Runde machen könnte. Nicht umsonst war er dazu übergegangen sich mit Kapuze und Tuch vor der Schlacht zu maskieren. Aber in all seiner Euphorie über die letzten Erfolge, war ihm schlicht weg entfallen diese Tarnung beim Betreten der Stadt abzulegen…
Ohne dem Nerd noch eine Chance zu geben, nahm Bahe schleunigst die Beine in die Hand und rannte in eine der zwei Richtungen, wo er noch niemanden aufgefallen war. Im Zickzack sprintete er zwischen mehreren Marktständen hindurch, ehe er den Markt verließ und wenig später in eine Seitengasse einbog. Hinter ein paar Fässern, die am Hinterausgang eines alten Gasthauses standen hockte er sich schnell hin und kontrollierte die Gasse vorsichtig zu beiden Seiten.
Als er sich sicher war, dass sich außer ihm niemand in der Gasse befand, legte er schnell den Umhang ab, wickelte sich das Tuch vom Hals und verstaute alles schnell in seinem Speichergegenstand. Anschließend schlenderte er im gemütlichen Gang aus der Gasse, um ja keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Wie sich herausstellte, war seine Entscheidung goldrichtig gewesen, als der Nerd ihn am Ende der Gasse fast über den Haufen rannte.
„Hey, hast du einen Kerl mit Kapuzenumhang und maskierten Gesicht gesehen, Kleiner?“, fragte ihn der Nerd.
„Ähm… nein“, gab Bahe überrascht von sich und versuchte dabei seine Stimme möglichst glaubhaft zu verstellen. Wenn schon, denn schon, nicht wahr?
„So ein Mist! Wenn ich doch nur herauskriegen würde, wer er ist!“, regte sich der Nerd auf und stampfte, ohne Bahe eines weiteren Blickes zu würdigen, weiter.
„So ein Stalker…“, zischte Bahe leise, der immer noch zornig darüber war, dass der Kerl ihn Kleiner genannt hatte. Er hasste es, wenn sich andere Kerle über seine Größe ausließen…
Anschließend ging er ruhigen Schritts zum Markt zurück, bis er zufällig das Gespräch von zwei Spielern mitbekam, die sich über eine Versteigerung im Aktionshaus unterhielten und wenige Meter vor Bahe herliefen.
„Ich schwöre dir, es stimmt wirklich, dass in der heutigen Auktion zwei Zauberspruchbücher versteigert werden, Kradillias.“
„Wenn dem so ist, gut, andernfalls kannst du dich auf etwas gefasst machen, Mals“, meinte der Andere mit Namen Kradillias mürrisch. „Ich bin schon zwei Mal auf dein Gerede reingefallen. Ein drittes Mal überlebst du nicht, verstanden?!“
„Verstanden, verstanden!“, nickte Mals eifrig und versicherte schnell: „Du wirst es nicht bereuen. Eins der Zauberspruchbücher enthält Zauber des Luftelements, genauso, wie du es haben wolltest.“
„Und das Andere?“, fragte Kradillias.
„Ich glaube Feuerzauber… angeblich soll es sogar den Zauber Feuerwalze beinhalten…“, raunte Mals so leise, dass Bahe es nur mitbekam, weil er gerade unauffällig aufgeschlossen war.
„Feuerwalze?! Bist du sicher?“, hakte Kradillias aufgeregt nach.
„Sicher bin ich mir nicht… Wann wird schon mal ein so guter Flächenangriffszauber in einer Auktion versteigert? Die ganzen großen Gilden horten die besonderen und starken Zauberspruchbücher doch nur in ihren Schatzkammern…“, verteidigte sich Mals.
„Wenn es tatsächlich diesen Zauber geben sollte, dann muss ich ihn ersteigern!“, hörte Bahe diesen Kradillias grimmig sagen und verlangsamte seine Schritte allmählich wieder. Er hatte genug gehört. Hin und her gerissen blieb er für einen Moment stehen und dachte nach.
Für seine Berufsquest musste er sich über kurz oder lang das Blut von lebenden Drachen der verschiedenen Elemente zu eigen machen. Unabhängig davon, wie schwer ihm diese Quest erschien, würde er theoretisch gesehen dazu befähigt, über starke Magie sämtlicher Elemente zu verfügen. Zurzeit konnte er vielleicht noch nicht behaupten eine gute Affinität mit dem Element Feuer zu haben, aber irgendwann würde sich das ändern… Sollte er solch eine Chance, einen großartigen Feuerzauber zu erwerben, dann nicht nutzen?
Missmutig sah er in seinen Speichergegenstand und zählte erneut die dreiundvierzig Silbermünzen, die seinen ganzen Reichtum darstellten. Der Ausbilder Olar war aufgrund der unerwarteten Schlacht außerordentlich großzügig gewesen und hatte ihn mit ganzen zwanzig Silbermünzen belohnt. Mit einem Schlag verdoppelte sich so Bahes komplettes Vermögen, welches er sich zuvor über viele Wochen zusammengespart hatte. Dennoch war ihm klar, dass die Preise der Zauberbücher oftmals in einer ganz anderen Liga spielten. Auktionspreise von dreißig bis vierzig Goldmünzen waren keine Seltenheit. Zauberbücher mit besonders starken Zaubern konnten unter Umständen sogar das Doppelte oder Dreifache erzielen… Je nachdem wie gefragt der jeweilige Zauber war.
Denn im Gegensatz zu den Startzaubern, die ein jeder Magier erhielt, wurde es danach erheblich schwieriger neue Zauber zu erlernen. Dazu hatte Bahe sich schon vor Wochen im Detail informiert.
Um neue Zauber zu erlernen, gab es im Grunde nur drei Wege. Zum einen erlangte man mit jedem Aufstieg im Berufsstatus der Magierklasse einen weiteren Zauber. Aber man brauchte ewig um vom Anfänger zum Lehrling oder gar zum Gesellen aufzusteigen. Selbst die führenden Spielerinnen und Spieler waren angeblich noch nicht über den Berufsstatus eines Gesellen hinaus gekommen.
Die zweite Variante, zu versuchen, selbstständig neue Zauber zu erlernen, wurde allgemeinhin als nahezu unmöglich angesehen. Weshalb sich der größte Teil der Magier auf den dritten und letzten Weg fokussierten und durch jedwede Möglichkeit versuchten eines Zauberbuchs habhaft zu werden. Soweit es Bahe richtig verstanden hatte, erlaubten Zauberbücher es dem Magier die darin befindlichen Zauber einmalig zu erlernen. Sie waren also quasi Verbrauchsgegenstände, die nur eine einzige Person nutzen konnte. Im Grunde verhielt sich Raoie an dieser Stelle wie jedes andere Online-Rollenspiel.
Welche magischen Fähigkeiten sie beinhalteten, war stets unterschiedlich. Sie konnten genauso gut die Startzauber enthalten, die ein Magier zu Beginn seines Klassenerhalts erwarb, wie die fortgeschrittenen Fähigkeiten aller Elemente, von denen Magier nur träumen konnten.
Die Zauberbücher der Auktion waren für Bahe in zweierlei Hinsicht interessant. Denn im Gegensatz zu allen Magiern hatte er dank seiner seltenen Berufsklasse nie die typischen Startzauber der Magier erlernen können. Seine magischen Fähigkeiten waren eher defensiver und unterstützender Natur. Ein richtiger Angriffszauber käme ihm sehr gelegen. Der andere Aspekt bestand darin, dass seine Berufsklasse bereits den Berufsstatus Legende inne hatte. Bahe hatte bereits hin und her überlegt und fürchtete wirklich, dass sein Berufsstatus keine weitere Steigerung erfahren würde. Denn egal wie er es drehte und wendete, der Berufsstatus Legende schien ihm wesentlich höher als Geselle zu sein…
Dementsprechend würde er in naher Zukunft wohl keine neuen Zauber durch irgendeinen Aufstieg in seiner Berufsklasse freischalten können. Die einzige kurzfristige Steigerung seiner Angriffsmöglichkeiten bestand für ihn also ebenfalls in der Erwerbung dieser Zauberbücher.
„Hah…“, seufzte Bahe irritiert und setzte sich in Bewegung. Egal wie ausweglos es erschien, er musste es zumindest versuchen. Sollten sich die Preise der Zauberbücher in unanständigen Höhen bewegen, dann konnte er sich nur geschlagen geben. Aber was hatte er bis auf ein paar Stunden seiner Spielzeit sonst schon zu verlieren?
Feiying würde schon verstehen, dass er eine solche Chance nicht einfach links liegen lassen konnte.
Entschlossenen Schritts kämpfte er sich durch die Menschenmassen auf dem Markt und ging letztlich auf das Auktionsgebäude zu. Wenig später betrat er die Eingangshalle und musterte seine Umgebung. Amüsiert musste er feststellen, dass der innere Bereich stark dem Aufbau einer modernen Bank oder eines Informationscenters glich. Es gab insgesamt fünf kleine Theken, hinter denen jeweils eine Bedienstete stand, die nach und nach, die Anliegen, der in mehreren Warteschlangen stehenden Personen bearbeiteten.
Bahe suchte sich die kürzeste Warteschlange und stellte sich hinten an. Es dauerte eine ganze Weile, bis er schließlich an der Reihe war.
„Willkommen im Auktionshaus Greifenhaus, möchten Sie an der heutigen Auktion als Bieter teilnehmen oder haben Sie Artefakte oder Materialien, von denen Sie glauben, dass sie unser Interesse wecken könnten?“
„Ich möchte als Bieter teilnehmen“, antwortete Bahe.
„Wie Sie wünschen“, nickte die Bedienstete vor ihm und ergänzte: „Für jede Teilnahme einer unserer Auktionen wird immer eine Gebühr von einer Silbermünze fällig. Möchten Sie in bar oder in Form von Artefakten oder Materialien zahlen?“
„Eine Silbermünze?“, echote Bahe verblüfft über den horrenden Preis allein zur Teilnahme an der Auktion.
„War das eine Frage?“, äußerte sich die Bedienstete immer noch höflich, während ihre Augen bereits einen Hauch kälter wurden.
„Ähm… bevor ich die Gebühr zahle… Können Sie mir vielleicht sagen, ob in der Auktion wirklich Zauberbücher versteigert werden?“
Ein wissendes Lächeln umspielte die Mundwinkel der Angestellten, als sie antwortete: „In der Tat sind magische Artefakte, wie Zauberbücher immer besonders gefragt. Ich versichere Ihnen, dass Sie richtig informiert sind und diese Artefakte bei uns im Angebot sein werden.“
„Dann hier“, antwortete Bahe sofort und reichte der Frau die Bezahlung.
Die Angestellte nahm die Silbermünze ohne mit der Wimper zu zucken entgegen und erklärte mit einem selbstzufriedenen Lächeln: „Ich sollte Ihnen fairer Weise mitteilen, dass das Zauberbuch mit den Feuerzaubern nicht in üblicherweise zur Versteigerung steht. Der Verkäufer hat ausdrücklich erklärt, dass er das magische Artefakt nur gegen ein Angriffsartefakt tauschen wird, welches seinen Anforderungen in der Berufsklasse der Assassinen genügt.“
„…“, Bahe war sprachlos über die Dreistigkeit der Angestellten, die Hälfte der Informationen wegzulassen, nur um ihn um sein Geld zu erleichtern.
„Gibt es sonst noch etwas, was ich für Sie tun kann?“, fragte die Frau hinter der Theke.
Bahe schüttelte nur den Kopf und wollte schon zur Seite treten, als ihm ein Gedanke kam und er hektisch fragte: „Was für Anforderungen hat der Verkäufer an das Angriffsartefakt?“
Überrascht über seine eifrige Frage, zog die Angestellte die Augenbrauen hoch und meinte so schlicht, dass es fast schon ein Wenig spöttisch wirkte: „Es muss mindestens in der Goldklasse sein und einen Angriffswert besitzen, der nach der Standardskala einem Wert von über einhundert Punkten entspricht. Haben Sie etwa ein solches Artefakt in ihrem Besitz?“
„Ähm… ich habe kein Artefakt der Goldklasse“, begann Bahe und konnte beobachten wie sich sofort wieder das selbstzufriedene Grinsen im Gesicht der Frau ausbreitete.
„Allerdings habe ich ein Artefakt der Silberklasse, welches einen Angriff von über einhundert Punkten aufweist…“, fuhr Bahe stur fort und konnte diesmal zur eigenen Zufriedenheit beobachten, wie die Angestellte die Stirn in Falten legte und einen Moment still blieb.
„Ihr Exemplar entspricht vermutlich nicht den Anforderungen, aber der Verkäufer hat unserem Auktionshaus einen nicht unerheblichen Betrag dafür gezahlt, dass wir für ihn ein entsprechendes Artefakt finden“, meinte die Frau wenig später. „Wenn Sie mögen würde ich bereits im Vorfeld den Kontakt zum Verkäufer herstellen und Sie können alles Weitere mit ihm persönlich besprechen. Wäre dies zu Ihrer Zufriedenheit?“
„Ähm… sicher“, nickte Bahe schnell.
„Gut“, nickte die Frau ebenfalls und meinte, während sie einen jungen Burschen heran winkte: „Bevor wir Sie dem Verkäufer vorstellen, wird zunächst einer unserer Klassifizierungsmeister Ihr Artefakt auf die versprochenen Attribute überprüfen. Folgen Sie bitte diesem Jungen, er wird Sie in den richtigen Raum geleiten.“
Bahe nickte ein weiteres Mal und machte in den folgenden Minuten die ganze Prozedur zur Klassifizierung seines Artefaktes mit. Wie erwartet, bestätigte der Bestimmungsmeister des Auktionshauses die Attribute von Bahes Sensenschwert der Höllenvorboten und zog sich wenig später zurück, um die Verkäufer zu verständigen.
Insgeheim fieberte Bahe dem Treffen entgegen. Das Sensenschwert hatte er ursprünglich verkaufen wollen, um im realen Leben etwas an Geld für seine Familie zu verdienen, aber wenn ihm dieser Handel ermöglichte an ein seltenes Zauberbuch zu kommen, dann würde diesen Deal ohne mit der Wimper zu zucken eingehen. Er konnte nur hoffen, dass dem Verkäufer sein Sensenschwert gefiel.
Ein leises Klacken riss Bahe sofort aus seinen Gedanken und er sah gerade noch wie die Türklinke runter gedrückt wurde, ehe erneut ein junger Bursche die Tür aufzog und zwei junge Männer herein bat, die Bahe an ihren Speichergegenständen sofort als Spieler erkannte.
„So, du hast also ein Artefakt mit über einhundert Punkten im Angriff?“, meinte der linke Spieler, mit markanten Gesichtszügen und einem Outfit vollkommen aus schwarzem Leder, während er Bahe aufmerksam musterte.
Teil 1/2!
Für den Fall, dass ihr mich unterstützen wollt, so könnt ihr gerne mal meine Patreon-Seite besuchen:
https://www.patreon.com/RiB_BoN
Da gibt es Bilder von Balu, Brocken und Limona, auch wenn ich gestehen muss, dass meine Grafik-Design-Künste da sehr an ihre Grenzen stoßen ;-)
Bis Sonntag!
RiBBoN