Mein erstes veröffentlichtes Kapitel im Belletristica 2.0!
Viel Spaß beim Lesen!
RiBBoN
Den Rest seiner Spielzeit verbrachte er wie üblich mit der Jagd nach Wildwurzelkaninchen, ihrem Ausnehmen und anschließend mit seinem Besuch in der Bibliothek.
Es kam ihm manchmal so vor, als ob es schlicht weg keine Atempause gab. Jede Minute seiner Lebenszeit nutzte er für eine ganz bestimmte Aufgabe, ganz egal ob Realität oder Raoie. Und verdammt, er hatte schon wieder vergessen Feiying nach seinem In-Game-Namen zu fragen. Es wurmte ihn tierisch, dass er die Schriftrolle gekauft hatte, ihren Zauber bisher aber noch nicht ein einziges Mal hatte nutzen können.
In den letzten dreißig Minuten seiner Spielzeit befand er sich mit seinen Elementaren wieder am Katharsee nördlich von Waldenstadt. Ein Besuch dieser Idylle war irgendwie zum rituellen Abschluss ein jeder Spieleinheit geworden.
Brocken spielte im Knie hohem Gras, während er nebenbei noch die Wächterkreatur in Schach hielt und Limona plantschte derweil aufgeregt im See, während sie sich ab und an mit Enten oder anderen Seebewohnern ein Wettrennen lieferte.
Bahe begann unterdessen mal wieder das Meditieren und versuchte die Energie seiner selbst und seiner Umgebung zu erfühlen. Nun, abgesehen von einem leichten Kribbeln auf seiner Haut nahm er nicht wirklich etwas wahr. Wobei er sich nicht mal wirklich sicher war, ob er sich das Kribbeln vielleicht auch nur eingebildete.
„Bahe!“, schrie Limona vom See herüber und ließ ihn vor Schreck zusammen zucken.
„Ich meditiere gerade!“, raunte er missmutig zurück, konnte die Fassade aber nicht lange aufrecht erhalten, da er innerlich froh darüber war, von der langweiligen Aktion abgelenkt zu werden.
„Was bist du bloß immer so negativ veranlagt?“, meinte Limona am Ufer ankommend und zog höchst energisch die Augenbrauen nach oben.
„Was wolltest du denn sagen?“, fragte Bahe, dessen Mundwinkel belustigt zuckten.
„Nun, ich wollte dir eigentlich nur raten, dass wir ab Morgen besser nicht mehr hier her kommen.“
„Hä… wieso denn das?“
„Na ja, seitdem du jeden Tag außerhalb der Stadt im Fluss schwimmst, hat der Drachengeruch stark abgenommen. Heute haben bereits ein paar der Kreaturen des Waldes unsere Witterung aufgenommen“, erklärte sie hochnäsig und fuhr dann fort: „Zurück kommen wir wahrscheinlich noch, aber das war es dann wohl auch. Solange du im Umgang mit den Wesen Raoies nicht wesentlich erfahrener bist, würde ich dir stark davon abraten nochmal diesen Wald zu betreten.“
Bahes Mundwinkel zogen sich nach oben. Scheinbar konnte auch Limona ganz nützlich sein, wenn sie wollte.
„Danke dir“, antwortete Bahe schlicht und Limona nickte knapp.
„Schade… dass wir den Luaris lange Zeit… nicht mehr… wiedersehen“, schaltete sich auch Brocken ein.
„Was meinst du mit Luaris?“, fragte Bahe entgeistert.
„Na, Blaufell“, erklärte Brocken und zeigte dabei auf die Wächterkreatur.
„Die Kreatur ist ein Luaris…? Moment mal, es hat einen Namen?!“
„Hat nicht… jeder einen Namen…?“
„Ich weiß auch nicht, was unsere Dumpfbacke von Elementflüsterer schon wieder für ein Problem hat!“, ereiferte sich Limona.
„Was ich für ein Problem habe?!“, rief Bahe lauthals. „Wieso habt ihr mir nicht sofort gesagt, dass ihr wisst, um was für ein Wesen es sich bei dieser Wächterkreatur handelt? Luaris… richtig?“
Brocken nickte.
„Ja“, seufzte Limona herablassend.
Bahe entschied sich ihr Benehmen zu ignorieren.
„Und es heißt Blaufell?“
„Er… heißt Blaufell“, stellte Brocken richtig.
„…“, Bahe hielt es für besser nichts mehr hinzuzufügen.
Jetzt, wo er einen Namen hatte, besaß er endlich die Möglichkeit mehr über die Wächterkreatur herauszufinden. Zumindest hatte er eindeutig bessere Anhaltspunkte, um in der Bibliothek fündig zu werden.
„Ich habe mich das schon die ganze Zeit gefragt, aber wieso hört… Blaufell… eigentlich auf euch?“, verlangte Bahe zu wissen.
„Bist wohl mal wieder auf den Kopf gefallen?“, meinte Limona abschätzig.
Bahe wollte schon etwas erwidern, als Brocken ihm zuvor kam.
„Wir sind… Elementare.“
„Zumindest so viel weiß ich auch…“
„Wir sind… mit bin der… Natur verbunden. Mein Element… ist das der Erde und Limonas Element… ist das Wasser. Dieser Ort… besteht zum Großteil aus diesen Elementen, weshalb… Blaufell sich auch so viel Mühe… gibt… den See und seine Umgebung zu schützen. Da er sich hier… besonders zu Hause fühlt.“
„Der Luaris hört auf uns, weil er uns als das anerkennt, was wir sind. Wir sind Elementare, die natürlichste Lebensform Raoies. Kein anderes Lebewesen ist so sehr mit seinem Element verbunden wie wir. Blaufell ist ein Wesen, das sich unseren Elementen verschrieben hat. Er erweist uns den nötigen Respekt, weil er erkannt hat, dass wir weit mächtiger sind als er“, ergänzte Limona.
„Ihr seid mächtiger als dieser Luaris?“, fragte Bahe zweifelnd. „Wieso helft ihr mir dann nie wirklich aus?“
„Ich habe… dir… doch mit den Wildwurzelkaninchen geholfen!“, empörte sich Brocken.
„Was ich meinte, war diese Tiere schnell zu erlegen, anstatt mich zu zwingen sie mit einem Stein zu erschlagen, nachdem du sie in meine Falle getrieben hast.“
„Sowas tun wir nicht! Wir sind Elementare! Wir werden uns nicht an den Verbrechen an der Natur beteiligen, die ihr Menschen ständig begeht!“, rief Limona.
„In der Natur gibt es doch auch Raubtiere, die für ihr Überleben andere Tiere jagen…?“
„Das… das…“, stotterte Limona, die offenbar aus dem Konzept gebracht worden war.
Hmpf, dachte Bahe, endlich hatte er sie auch mal erwischt.
„Wir können… sowas… noch nicht“, setzte Brocken an.
„Was meinst du damit?“
„Sie uns doch an… wir sind noch jung…“
„Sei still, Brocken!“, rief Limona entsetzt.
Jetzt wurde Bahe neugierig: „Wieso spielt es eine Rolle, ob ihr jung seid oder nicht?“
„Brocken hat dir nichts mehr zu sagen!“, rief Limona hektisch.
„Aber er muss es… doch wissen…“
„Nichts muss er wissen!“
„Hör mal Limona…“, wollte Bahe gerade seine Elementarin zurechtweisen, als es dunkel um ihn wurde und ein Fenster vor ihm aufklappte:
„So ein Mist!“, fluchte Bahe verärgert.
Ausgerechnet in solch einem Moment musste mal wieder seine Spielzeit enden…
Als das Dimensional Leap-System aufklappte, lag Bahe für einen Moment nur so dar. Der heutige Tag würde über sein zukünftiges Leben entscheiden. Er sehnte den Abend herbei und hatte gleichzeitig Angst vor einem schlechten Ausgang.
Irgendwann raffte er sich schließlich doch auf und begann sich eiligst mit selbst gestellten Aufgaben zu beschäftigen, um nicht länger an seinen Termin am Abend denken zu müssen.
Er brachte seine Geschwister zum Kindergarten, kaufte danach ein und kniete anschließend vor dem Chin-Anwesen. Am Nachmittag holte er seine Geschwister wieder ab und spielte mit ihnen bis das Abendessen diesmal besonders früh auf den Tisch kam.
Als sich Bahe am Abend die Schuhe anzog, konnte er nicht anders als mit Gedanken ganz wo anders zu sein. Er war den ganzen Tag so nervös gewesen, dass selbst die Stunden vor dem Chin-Anwesen im Nu verflogen waren.
Bahe verabschiedete sich noch schnell von seinen Großeltern und begab sich danach schleunigst zum vereinbarten Treffpunkt.
Letztlich kam er zehn Minuten zu früh am Restaurant an, aber sowohl Han Ning als auch Polizist Bang Tuo waren schon da.
„Hallo Bahe“, begrüßte ihn der Anwalt, der sich scheinbar in seinem besten Anzug zurechtgemacht hatte.
„Hi“, erwiderte Bahe die Begrüßung.
Bang Tuo nickte nur locker, auch er hatte sich herausgeputzt und seine Polizeiuniform angezogen.
Bahe fragte sich langsam, ob er sich vielleicht auch besser etwas anderes als Jeans und T-Shirt hätte anziehen sollen… Die einfache Jacke, die er sich übergeworfen hatte, machte es auch nicht wirklich besser…
„Wir haben Glück, Mai Ping Lun sitzt schon an seinem Tisch und Polizist Lis Informationen waren auch korrekt. Dieser Shang, von dem du mir erzählt hast ist ebenfalls vor Ort“, klärte ihn Han Ning auf. „Bist du bereit?“
„Ich glaube schon“, sagte Bahe, auch wenn er sich nicht bereit fühlte. Er wollte es nur endlich hinter sich bringen.
„Dann lasst uns hinein gehen“, meinte Bang Tuo.
Han Ning nickte, bat aber noch: „Wenn wir drinnen sind, überlass mir das Reden Bahe, verstanden?“
„Sicher.“
„Gut.“
Bang Tuo ging vor und führte sie im Restaurant bis zum fünften Stockwerk, welches für besondere Gäste vorbehalten war. Mehrere Bedienstete wollten sie zwischenzeitlich aufhalten, mussten sich Bang Tuos Stellung aber schließlich geschlagen geben.
Etwa fünf Minuten später fanden sie sich schließlich oben ein und Bahe betrat mit einem Klopfen von Han Ning und Bang Tuo gemeinsam die Privatbereich von Mai Ping Lun.
Bahes Augen fanden sofort den Mann, den er bis vor einiger Zeit immer noch als ‚Onkel‘ Shang gesehen hatte.
Der Mistkerl hatte scheinbar schon einiges intus, wenn Bahe seine geröteten Wangen und das glucksend bis schallende Lachen richtig deutete, als sie den Raum betraten. Er hatte zu jeder Seite eine Frau um sich, die ihn scheinbar liebreizend umgarnten, während er sich gerade wieder nachschenkte.
Die anderen Männer an dem runden Tisch erkannte Bahe nicht, aber bis auf zwei waren sie alle von irgendwelchen Frauen umgeben.
An diesen Beiden blieb Bahes Blick schließlich hängen. Der eine sah mit zwei Narben, die sich quer durch sein Gesicht zogen, gefährlich aus, während der Andere die Harmlosigkeit in Person war.
Ein Mann Anfang vierzig, dessen kurzes Haar sich an den Schläfen leicht grau färbte, aber im gesamten einen gutmütigen Eindruck machte. Sein Körperbau ließ sich im Sitzen nicht wirklich erkennen, doch er wirkte schlank und insgesamt eher durchschnittlich, um nicht zu sagen unauffällig.
Der Mann mit den Narben zu seiner Rechten hingegen, war das genaue Gegenteil. Die schwarzen Haare waren mittellang und nach hinten frisiert. Ein Bart akzentuierte seine starken Kieferpartien und gab ihm ein äußerst markantes Äußeres. Zudem konnte seine Sitzhaltung nicht die Muskeln verstecken, die sich unter seinem Anzug wölbten.
Noch vorgestern hätte Bahe diesen Mann eindeutig als Mai Ping Lun identifiziert, aber nach seinen Erlebnissen mit diesem Staranwalt wusste er es besser.
Bahe schaute zurück zu dem gutmütig wirkenden Mann, welcher Han Ning und Bang Tuo nur eines kurzen Blickes würdigte, ehe er Bahe aufmerksam musterte. Als sich ihre Blicke trafen, spürte Bahe plötzlich wie sich dieser gewöhnliche Mann in etwas verwandelte, was ihm eisige Schauer über den Rücken jagte. Er konnte es nicht genau festmachen was es war, aber Bahe war sich sicher, dass dieser Mann die gefährlichste Person im Raum war.
Das musste Mai Ping Lun sein!