„Joar… gute Frage“, gab Feiying sich am Kopf kratzend zu und auch Bahe konnte nur mit den Schultern zucken.
„Moment mal“, meinte Stallion ungläubig. „Ihr habt uns hier rein geschleppt, ohne auch nur irgendeine Ahnung zu haben, was wir hier tun müssen?“
„Jein“, erwiderte Feiying. „Siehst du die ganzen Kristalle, die hier an den Wänden hängen?“
„Sicher…“, antwortete Stallion.
„Für die Dinger sind wir hier. Sofern es wirklich die richtigen Exemplare sind“, erklärte Feiying und zog Bahe mit einem fragenden Blick zur Seite.
„Bist du dir mit den Typen wirklich sicher?“, wollte er im Flüsterton wissen.
„Nicht wirklich“, flüsterte Bahe zurück und zuckte nur hilflos mit den Schultern. „Aber aus irgendeinem Grund sind mir die zwei von Waldenstadt gefolgt. Irgendetwas wollen sie also von mir. Ich bezweifele, dass sie uns in den Rücken fallen, ehe sie haben was sie wollen. Abgesehen davon hatten wir vorhin nicht wirklich eine Wahl oder?“
Feiying nickte grimmig.
„Wozu sollen die nützlich sein?“, schaltete sich diesmal Alucard bei ihrem Getuschel ein.
„Kläre du die Beiden mal auf, ich schau erst mal nach, ob sich all der Aufwand für uns lohnen wird“, meinte Bahe und machte sich schnell daran, sich die Kristalle genauer anzusehen.
„Schon mal von Helionen gehört?“, vernahm Bahe seinen Freund in seinem Rücken, als er einen Moment später immer aufgeregter einen der Kristalle studierte.
„Irgendwie klingelt da was…“, meinte Alucard.
„Nee, noch nie“, sagte Stallion schlicht.
„Sie sind es, Feiying!“, machte Bahe in diesem Moment seiner Freude Luft und stieß aufgeregt die Hände in die Luft.
Er war sich nahezu hundertprozentig sicher, dass er die entsprechenden Upale vor sich hatte. Mit dem gelernten Zauber sollte er all diese Kristalle an den Wänden und an der Decke in Helionen umwandeln können.
„Yes!“, freute sich auch Feiying, während Stallion genervt meinte: „Könnt ihr uns jetzt endlich mal einweihen?“
„Helionen sind quasi mit Mana aufgeladene Kristalle, die Artefakte verbessern können“, erklärte Bahe.
„Artefakte… verbessern?“, echote Stallion ungläubig.
„Nun ja…“, sagte Feiying. „Zumindest in der Theorie.“
„Bekommen die Artefakte zusätzliche Fähigkeiten oder verbessern diese Helionen sogar den Rang?“, fragte Alucard.
„Ähm… Bahe?“, überließ Feiying es Bahe zu antworten.
„Nachdem was ich in der Bibliothek in Waldenstadt zu diesen Helionen gelesen habe, gibt es kein Limit der Verbesserung der Gegenstände. Sowohl neue Fähigkeiten aktiver oder passiver Natur, als auch mehrfache Steigerungen des Ranges der Gegenstände sollen möglich sein“, erzählte Bahe, was er herausgefunden hatte.
Stallions Kinnlade war längst herunter gefallen, als er fassungslos auf all die Kristalle in der Höhle blickte und selbst Alucard wirkte plötzlich seltsam angespannt.
„Freut euch nicht zu früh“, fuhr Bahe lieber schnell fort. „So genial wie die Möglichkeit anfangs auch klingt, Artefakte des diamantenen, mystischen, oder gar legendären Ranges herstellen zu können, so einfach wird es letztlich dann doch wieder nicht. Nach jeder Verbesserung des Artefaktes werden mehr von den Helionen benötigt und nicht jede Benutzung eines Helion wird erfolgreich sein. Die Erfolgschancen der Verbesserungen sollen mit steigendem Rang immer geringer ausfallen.“
„Scheißt doch auf diese Details!“, rief Stallion. „Seht ihr nicht, wie unfassbar viele Kristalle hier allein in dieser Eingangshöhle stecken? Die sollten doch mehr als genug sein, um eins unserer Artefakte ordentlich aufzuleveln!“
„Hast du überhaupt irgendein Artefakt, welches den Einsatz solcher wertvollen Gegenstände lohnt?“, raunte Alucard abschätzig.
„Ähm…“
„Wusste ich es doch“, schüttelte Alucard den Kopf. „Ich für meinen Teil, habe auch nicht wirklich ein Artefakt, welches den Einsatz dieser Kristalle rechtfertigen würde. Was mich aber zu einem anderen Punkt bringt… Die Teile sind doch bestimmt gut zu verkaufen oder?“
„Ich habe mich tatsächlich schon damit auseinandergesetzt“, erklärte Feiying stolz. „Wenn wir es richtig anstellen und nicht gleich die Auktionshäuser mit den Helionen fluten, sollten wir bis zu zehn Goldmünzen pro Helion bekommen.“
„Moment…“, warf Stallion ein. „Was genau ist ein Helion? Ein solches Kristallknäul oder wie auch immer man die Konzentration mehrerer Kristalle an einer Kristallwurzel nennt oder die einzelnen Ausläufer?“
„Jeder einzelne Ausläufer kann zu einem Helion umgewandelt werden“, antwortete Bahe.
„Verdammt…!“, gab Stallion verblüfft von sich und sah sich um. „Dann hängen hier ja mehrere Kristallmünzen an den Wänden!“
„Auf den reinen Geldwert bezogen, ja“, meinte Feiying. „Aber ich glaube, dass es viel besser wäre, diese Dinger gegen wertvollere Artefakte einzutauschen. Denkt doch nur mal an all die Progamer, die unbedingt ihre hochrangigen Artefakte verbessern wollen und problemlos dafür einige besondere Artefakte niederer Ränge abdrücken können.“
„Geil…“, sabberte Stallion vollkommen in seinen Tagträumen versunken.
„Dann geht es jetzt erst mal darum diese Kristalle von den Wänden abzuschlagen?“, hakte Alucard nach.
„Ich bin dafür“, nickte Feiying. „Wenn wir uns weiter ins Dungeon vorwagen lösen wir nachher noch irgendwas aus und verpassen unsere Chance auf diesen Reichtum.“
„Kein Problem, ich bin dabei!“, rief Stallion enthusiastisch und Bahe hätte schwören können, Goldmünzen in seinen Augen sehen zu können.
„Mir soll es auch recht sein“, stimmte Alucard zu.
Danach wandten sich alle Blicke Bahe zu und er erklärte genauso eifrig wie der Rest sein Einverständnis. Wenn er es richtig anstellte, besaß er mit diesem Vermögen genug Möglichkeiten seine Familie in der Realität unterstützen zu können. Der Inhalt dieser Höhle war überhaupt erst der Grund, wieso er die lange beschwerliche Reise auf sich genommen hatte.
„Ah, bevor ich es vergesse“, begann Bahe die beiden fremden Spieler seinem Kumpel Feiying vorzustellen. „Das hier ist Alucard.“
Dabei zeigte er auf die vermummte Gestalt des Diebes, dessen untere Gesichtshälfte hinter einem dunklen Tuch verborgen lag, während seine schwarzen Haare ihm tief in die Stirn fielen und gerade noch seine streng dreinblickenden Augen preisgaben.
Doch zur allgemeinen Überraschung zog Alucard sein Tuch herunter und streckte Feiying mit einem Lächeln seine rechte Hand entgegen. Bahe musste feststellen, dass Alucard erstaunlich jung aussah. Er war vermutlich mit sechszehn gerade alt genug, um Raoie spielen zu können. Sein Lächeln raubte Alucards Blick auch sofort die strenge Ader, wodurch er nun beim zweiten Eindruck recht sympathisch wirkte.
„Freut mich dich kennen zu lernen. Auf eine gute Zusammenarbeit in diesem Dungeon, ähm… Feiying?“, sagte Alucard am Ende fragend.
„Mein Nickname ist Gold Digger“, erklärte Feiying und zeigte zu Bahe. „Aber da ich Bahe aus dem Real Life kenne, sprechen wir uns meistens mit dem Vornamen an. Du kannst mich Feiying oder Gold Digger nennen, was immer einfacher ist.“
Danach ergriff er Alucards Hand und erwiderte den Händedruck.
„Und ich bin Stallion“, stellte sich der Bogenschütze überschwänglich vor und reichte Feiying ebenfalls die Hand. „Oder Ying, was auch immer ihr lieber mögt.“
Der Bogenschütze ragte ganze eineinhalb Köpfe über Alucard und Bahe auf und übertraf selbst Feiying noch mit einer guten Handbreite. Seine teils fettigen, braunen Haare standen in alle Richtungen ab und gaben ihm am Kopf Volumen, welches an seinem restlichen Körper offensichtlich fehlte. Denn er war die Schlaksigkeit in Person, groß gewachsen aber spindeldürr.
Es war schon krass, wie hektisch die vergangen Spielstunden gewesen waren, dass Bahe erst jetzt seine Mitspieler genauer studieren konnte. Er spürte auch zunehmend die Müdigkeit und das stete Hungergefühl, welches ihn in Raoie nur zu gerne einholte.
Feiying erwiderte auch bei Stallion den Händedruck, woraufhin dieser auf Bahe zukam und ihm ebenfalls die Hand hinstreckte.
Bahe nutzte diesen Moment, um noch einen Blick auf Stallions oder Yings Gesicht zu werfen. Es wirkte relativ schmal, fast schon so ausgezehrt wie Bahes Züge, nach den Monaten seiner Strapazen. Etwas mehr Fleisch auf den Knochen würde dem Kerl gut tun, wie Bahe fand. Er war nicht direkt hässlich, seine markanten Gesichtszüge stachen mit der Ausgezehrtheit jedoch mehr hervor als gut für ihn war. Aber dennoch… irgendwas kam ihm merkwürdig bekannt vor…
Hatte er ihn schon mal gesehen?
Mit einem großen inneren Fragezeichen ergriff er schließlich Stallions Hand und stellte fest, dass dieser ihn ebenfalls mit zusammen gekniffenen Augen anblickte, bis sie plötzlich beide entgeistert aufschrien: „Aaah!“
Teil 5/?
RiBBoN