Konzentriert nahm Bahe das Chaos vor ihm in sich auf und wechselte schnell seine Waffe, als ihm einfiel, dass sein Schwert schon damals, beim Hinterhalt, nicht in der Lage gewesen war, die dicke Haut der Riesengoblins zu durchdringen.
Hastig zog er das einzige Angriffsartefakt des Silberranges aus seinem Speichergegenstand. Sein Sensenschwert der Höllenvorboten würde aufgrund der wesentlich kürzeren Klinge erheblich schwieriger zu handhaben sein. Aber eine Machete die Schnittwunden verursachte, war immer noch besser, als ein Schwert, welches man nur als stumpfe Prügelwaffe nutzen konnte.
Bahe konnte gerade noch seine Standposition auf der felsigen Hand Felsurs festigen, ehe die ersten rollenden Felsen mit voller Wucht in die Reihen der Riesengoblins prallten. Dann passierte alles auf einmal.
Die letzten verteidigenden Spieler stoben in alle Richtungen auseinander, um bloß nicht zerquetscht zu werden, während einige der hintersten Riesengoblins von den Geschossen überrascht und niedergerissen wurden. Fünf Riesengoblins starben kaum einen Moment später, als die zweite Welle von Felsbrocken über ihre, am Boden liegenden, Leiber walzten. Zurück blieben zerschmetterte Brustkörbe und malträtierte Schädel, aus denen Gehirnmasse hervorquoll.
Sieben anderen Riesengoblins hatten die Felsen hingegen nur mehr oder weniger schwer zugesetzt. Drei Riesengoblins blieben mit gebrochenen Beinen zurück, was sie nichts desto trotz zu Fall brachte, während die anderen Vier nur schwer zu humpeln schienen.
Nun, zumindest war ihre Bewegungsfreiheit fürs Erste arg eingeschränkt.
Bahes Euphorie währte aber nur kurz. Denn die anderen Riesengoblins schafften es unter gemeinschaftlicher Anstrengung die rollenden Felsbrocken zum Stillstand zu bringen oder von ihnen weg abzulenken. Zwei der rollenden Felsgeschosse prallten so in die flüchtenden Verteidiger und führten in Sekundenschnelle zu mehreren ungewollten Todesfällen.
Bahe achtete jedoch nicht weiter darauf, sondern verschob sofort sein Gleichgewicht als Felsur zu einer Kurve ansetzte. Mit wahnwitzigem Tempo schossen sie links an einem Riesengoblin vorbei und Bahe nutzte prompt die Gelegenheit, um seine Klinge auf den einzigen ungeschützten Bereich des Riesengoblins niederfahren zu lassen, an den er heran kam.
Ein schmerzvoller Aufschrei und spritzendes Blut begleiteten den Moment, als Bahes Klinge einen tiefen Schnitt in der Kniekehle des Riesengoblins hinterließ. Nur am Rande bemerkte Bahe noch, wie der Riesengoblin zusammensackte, war doch seine Aufmerksamkeit schon auf sein nächstes Ziel gerichtet.
Felsur war so schnell unterwegs, dass Bahe nur drei der Riesengoblins angreifen konnte, ehe sie durch ihre Angriffslinie hindurch gebrochen waren. Mit einem Blick über die Schulter stellte er jedoch grimmig fest, dass einer seiner Hiebe wirkungslos geblieben war. Entweder hatte er nicht richtig getroffen oder der Riesengoblin besaß bessere Stats als seine Artgenossen. Hoffentlich war nur Ersteres der Fall.
Abrupte Ausweichmanöver Felsurs brachten Bahe im nächsten Moment dazu, seine ganze Aufmerksamkeit wieder auf das Halten des eigenen Gleichgewichts zu lenken. Felsur vollführte wahre Schlangenlinien, um den teilweise immer noch flüchtenden oder auch verblüfft in der Gegend rum stehenden Spielern auszuweichen.
Währenddessen verlangsamte Felsur seine Geschwindigkeit ein Stück weit und drehte schließlich um, ehe er erneut auf die immer noch wütenden Riesengoblins zu hielt.
Dank des Eingreifens von Bahe, der Felsgnome und der Erdelementare hatte sich die Situation erheblich verbessert.
Im Gegensatz zu Bahe und Felsur waren die meisten Erdelementare, samt ihrer Felsgnome, direkt zum Nahkampf übergegangen. Im aufgerichteten Zustand trotzten sie den Riesengoblins mit nicht weniger kolossalen Ausmaßen und ließen ihre felsigen Fäuste den Hieben der Riesengoblins entgegenfahren. An anderer Stelle rangen Erdelementare mit den Riesengoblins regelrecht und die Felsgnome nutzen die Chance. Sie kletterten auf die Schultern und Köpfe der Riesengoblins und begannen mit ihren Speeren und kleinen Dolchen wie wild geworden auf die Gegner einzustechen.
Weiter links, kurz vor den Soldaten, entdeckte Bahe einige Spieler, die sich erstaunlich gut behaupteten. Ein Feuerzauberer, eine Meuchemörderin, wenn Bahe ihre Fähigkeiten des abrupten Erscheinens und Verschwindens richtig deutete, sowie drei Bogenschützinnen und einige Nahkämpfer.
Wahrscheinlich eine Gilde, dachte Bahe, ob ihrer gut abgestimmten Angriffs- und Verteidigungshaltungen.
Ansonsten war nur noch ein Kerl in Bahes Nähe erwähnenswert, der wie wahnsinnig lachend, mit seinem Schwert den Hieben einer Riesengoblinkeule trotzte. Hin und wieder wurde er von einem Hieb jedoch unvorbereitet getroffen und gute fünfzig Meter zurück geschleudert, ehe er aufstand als ob nichts gewesen wäre und erneut mit euphorischen Geschrei zurück zu seinem Gegner sprintete.
„Was zur Hölle…“, murmelte Bahe sprachlos.
Felsur war gerade auf halben Weg zurück ins Gefecht, als ein bösartiges, unnatürliches Gebrüll über den Gebirgshang hallte und Bahe seinen Blick sofort nach oben, zum Anführer der Goblinarmee, richtete. Ihm gefiel ganz und gar nicht, was er da oben sah…
„He…“, grinste Magnifus, nachdem er durch die Soldaten erneut auf diesen Anael aufmerksam gemacht worden war und ihn gerade mit unzähligen Felsbrocken im Schlepptau den Gebirgshang hinunter rennen sah.
„Augen nach vorn, Leute!“, bellte er schnell den Befehl, als er merkte, dass auch viele seiner Gildenkameraden auf den Spieler aufmerksam geworden waren.
„Jawohl!“, schrien die Meisten sofort und konzentrierten sich wieder auf ihre unmittelbaren Gegner, während ein paar Ausnahmen sich ihren Beitrag nicht verkneifen konnten.
„Verdammt!“
„Der Kerl hat Eier in der Hose…“
„Wer sagt euch denn, dass es ein Kerl ist?!“
„Jetzt geht das schon wieder los…“
Wenn sie nicht gerade mitten in einer Schlacht wären, hätte Magnifus es seinen Leuten nur zu gern gegönnt, dem Spektakel in aller Seelenruhe zuzusehen, aber vorerst mussten sie mit dieser Goblinhorde fertig werden.
Das Aufkreuzen dieses Spielers war für die rechte Flanke der Verteidiger der reinste Segen, dachte Magnifus aufatmend. Zumindest hatten sie nun eine Chance. Und Magnifus wurde in seinem Eindruck nur noch bestärkt, als er sah, wie der Kerl mitsamt dieser rollenden Felsscheiben durch die Goblinreihen preschte.
„Donnar, sehe ich das richtig? Hängen da irgendwelche Kreaturen rechts und links von diesen rollenden Felsscheiben?“
„Äh, Moment!“, rief Donnar schnell und antwortete einen Augenblick später: „Ähm, die Hängen nicht, die stehen auf einer Art Felshände… Aber was das für Kreaturen sind… keine Ahnung. Vielleicht Zwerge? Aber die sind echt winzig… und Bärte haben die auch nicht…“
„Hmm…“, dachte Magnifus nach und zuckte schließlich die Schultern.
Ganz egal was für Kreaturen es waren. Allein die Tatsache, dass sie mit diesem Spieler in die Schlacht zogen, bedeutete wohl, dass sie auf ihrer Seite waren, umso mehr Verstärkung, umso besser.
Während auf ihrer Seite die Schlacht tobte und sie unter immer größeren Verlusten allmählich die Riesengoblins nieder rangen, warf er immer wieder aufmerksame Blicke zur rechten Flanke und beobachtete begeistert, wie der Spieler Anael mit seiner Angriffswelle von hinten in die Riesengoblins krachte.
„Er ist erst Level 9 und kann diesen Riesengoblins schon Schaden zufügen?“, kniff Magnifus die Augen zusammen, während er überlegte. „Das Artefakt muss ziemlich gehobene Klasse sein… Mindestens hoher Silberrang, wenn nicht schon Gold…“
Doch ein paar Augenblicke stockte ihm dann doch der Atem, als er sah, wie sich große Felskreaturen erhoben und zusammen mit diesen winzigen Gestalten auf die Riesengoblins losgingen.
Innerhalb weniger Sekunden war auf der rechten Verteidigungsseite abrupt wieder ein Gleichgewicht der Kräfteverhältnisse hergestellt.
„Donnar! Such den Spieler, der die Goblinarmee anführt und behalte ihn im Auge!“, schrie Magnifus sofort.
Jetzt, in Anbetracht der ausgeglichenen Situation, befand sich der Mistkerl unter Zugzwang. Ihre Gilde mochte zwar schwere Verluste erlitten haben, aber übrig blieb die Elite. Magnifus glaubte nicht, dass sein Gegner noch einmal so viele Riesengoblins beschwören könnte…
Also… was würde er jetzt tun, nachdem er nahezu all seine Trümpfe bereits ausgespielt hatte?
„Boss… Ich weiß nicht was es ist, was da geschieht, aber auf jeden Fall nichts Gutes…“, rief Donnar plötzlich.
„Genauer, Donnar!“, verdrehte Magnifus die Augen.
Doch Donnar kam nicht mehr zum Antworten, als ein unheilvolles Gebrüll erklang und vollkommen unerwartet dunkelgraue Wolken aufzogen.
Wie gebannt schaute Magnifus den Hang empor. Mit einem grimmigen Nicken, atmete er einmal tief ein. Sein Moment war gekommen. Was sich da oben zusammenbrauchte… dem war kein anderer seiner Gilde gewachsen.
Teil 1/2!
RiBBoN