„Hä, was sagst du?“, fragte Limona verwirrt, scheinbar von Bahe aus den Gedanken gerissen, während Brocken griesgrämig schwieg.
„Ob ihr mir nun helfen könnt, über meine Energie zu verfügen…?“, wiederholte Bahe seine Frage.
„Ah ja, da war doch was“, stimmte Limona ihm unerwarteter Weise sofort zu und murmelte dann: „Ich mag es gar nicht, dass dieser Typ so plötzlich erscheinen und verschwinden kann, ohne dass ich das merke…“
An Bahe gewandt fuhr sie fort: „Es wird höchste Zeit, dass du mächtiger wirst und dich nicht mehr von solchen Idioten rum schupsen lassen musst. Setz dich da vorne unter den Wasserfall auf die Felsen, dann können wir mit deinem Training beginnen.“
„Wie Training?“
„Ja, glaubst du etwa, dass ich nur mit den Fingern schnipsen muss, um Dummheit in Genialität zu verwandeln?“
„Limona…“, begann Bahe warnend.
„Ja…?“, antwortete Limona zuckersüß mit hochgezogenen Brauen.
„… ach, nichts“, gab sich Bahe schnell geschlagen. Schließlich war er es, der etwas von seinen Elementaren wollte und nicht umgekehrt.
Schnell zog er sich bis auf die grobe Unterwäsche aus, die in diesem mittelalterlichen Fantasysetting zum Standard gehörte und kletterte vorsichtig auf den kleinen Felsen unterhalb des Wasserfalls.
Der Wasserfall des Bachlaufs war alles andere als spektakulär. Im Sitzen fiel ihm das Wasser nur sanft auf die Schultern, aber Limona schien zufrieden.
Sie wandelte den Aggregatzustand ihres Körpers mal wieder in flüssiges Wasser und floss förmlich über die Bachoberfläche, bis sie vor Bahe Stellung bezog.
„Gut“, meinte sie und fragte: „Sitzt du bequem?“
„Ich denke schon“, gab Bahe zur Antwort.
„Das ist wichtig“, sagte Limona nickend. „Im Folgenden solltest du dich nicht bewegen, da sind taube Füße oder dergleichen eher unpraktisch.“
Bahe nickte nun ebenfalls, soweit war er mit Limona einer Meinung. Welch Seltenheit, dachte er.
„Nun zu den Gründen, weshalb wir überhaupt hier sind“, begann Limona von Neuem. „Die Energie in deinem Körper ist stark von zwei Elementen Raoies geprägt, von der Erde und dem Wasser. Welche Überraschung…“, wedelte Limona dabei belustigt mit den Händen. „Schließlich sind Brocken und ich ja auch an dich gebunden. Das hat aber auch zur Folge, dass es dir schwer fällt neutrale Energie in deinem Körper zu finden. Normalerweise sind Elemente in den Körpern unerfahrener Menschen wesentlich schwächer ausgebildet. Hinzu kommt obendrein noch, dass du unfassbar viel Lebensenergie in dir versammelt hast. Wärst du kein Elementflüsterer, würdest du Gefahr laufen, jeden Moment vor unbändiger Macht zu platzen. Kannst du mir noch folgen?“
„Soweit komme ich mit“, bestätigte Bahe.
„Gut“, nickte Limona, obwohl sie ihn vorübergehend noch skeptisch musterte. Danach erklärte sie weiter: „Aus diesen Gründen sind wir hier her gekommen. Wir haben hier beide Elemente, sowohl Wasser als auch Erde, in ihrer reinsten Form vertreten. Du sitzt auf einem Felsen und damit auf dem Element Erde und lässt Wasser über dich fließen. Näher kannst du den Elementen nicht kommen, wodurch es für dich leichter wird Energie, die von eben diesen Elementen geprägt ist, wahrzunehmen.“
Bahe hörte aufmerksam zu und nickte hin und wieder bei Limonas Ausführungen.
„Brocken und ich werden dich bei diesem Prozess zusätzlich unterstützen. Aber glaube nicht, dass es einfach sein wird…“, pausierte Limona bedeutungsschwer, ehe sie fortfuhr: „Versuche für den Anfang zunächst mal alleine die Energie in dir und um dir herum wahrzunehmen.“
„Äh… und wie soll ich das machen?“
„Uff… ich vergesse immer wieder mit wem ich mich herum schlage…“, seufzte Limona, während sie sich an die Stirn fasste. „Schließ die Augen und versuche die Energie um dich herum zu erspüren.“
Auch, wenn er es schon viele Male hoffnungslos versucht hatte, kam er Limonas Worten nach. Aber da war einfach gar nichts… Er spürte wie sich sein Brustkorb beim Atmen bewegte... wie das Wasser des Baches ihm über die Schultern plätscherte… Sonst nahm er nichts wahr…
„Da ist nichts…“, meinte er zögerlich, stellte aber überrascht fest, dass Limona aufmerksam die Augen zusammen gekniffen hatte.
„Hmmm…“, nickte sie. „Es ist genauso, wie ich es mir gedacht habe. Versuche es nochmal und höre erst auf, wenn ich es dir sage.“
Bahe zuckte die Schultern und schloss erneut die Augen. Er atmete tief ein und aus und versuchte so gut es ging an nichts zu denken. Erneut war da nur das Wasser, das Felsgestein unter ihm und die Luft an den Stellen an dem ihn die anderen beiden Elemente nicht berührten. Was bezweckte Limona damit?
Grimmig verbannte er alle Zweifel aus seinen Gedanken und konzentrierte sich so gut es ging auf seine Umgebung.
„Spüre jetzt in dich hinein “, sprach Limona auf einmal ganz sanft. „Löse dich von allen Geräuschen und Gefühlen die von außen auf dich einströmen und konzentriere dich nur auf dich.“
Für einen Moment war Bahe von ihrem sanften Tonfall überrascht, kam dann aber ihren Anweisungen nach. Es war eine merkwürdige Erfahrung… Nach und nach verschwanden tatsächlich alle Umgebungsgeräusche und wurden durch ein leichtes Kribbeln in seinem ganzen Körper ersetzt. Gedanklich hielt er sich an diesem neuartigen Gefühl fest. Es war nicht zu vergleichen mit dem Kribbeln, wenn einem irgendwelche Gliedmaßen einschliefen… es war sanfter und doch wirkten die Stellen an denen er es verspürte so… lebendig… War das die Energie, die seinen Körper durchfloss?
„Sehr gut“, durchbrach Limona seine Konzentration. „Jetzt solltest du die Auswirkungen der Energie in deinem Körper verspürt haben. Du kannst aufhören.“
Neugierig öffnete Bahe die Augen. Was würde er wohl als nächstes erfahren?
„Brocken, ich brauche jetzt deine Hilfe“, wandte sich Limona an Bahes anderen Elementar.
„Schaffst du… es nicht alleine?“, meinte dieser mürrisch.
„Boar, jetzt hör schon endlich auf eigeschnappt zu sein!“, ereiferte sich Limona. „Balu ist doch gar nichts passiert!“
„Könnte es aber noch!“
„Dann hilf mir, damit unsere Dumpfbacke von Meister, demnächst etwas dagegen unternehmen kann!“
„Ist ja… schon gut…“, gab Brocken klein bei und erhob sich.
„Wieso muss Brocken helfen?“, fragte Bahe.
„Vorhin habe ich schon mal gesagt, dass du die neutrale Energie in dir nicht wahrnehmen kannst, weil dich die Elemente Erde und Wasser zu sehr geprägt haben. Genau das versuchen wir jetzt zu ändern. Brocken und ich werden die Energie, die sich in deinem Körper einem der beiden Elemente verschrieben hat, bündeln und dadurch mehr Raum für die neutrale Energie in deinem Körper schaffen. Diese musst du dann nur noch erfühlen können“, erklärte Limona. „Was zugegebenermaßen leichter gesagt ist als getan.“
„Du sagtest bereits, dass es dauern würde“, sagte Bahe, der immer noch hoffte vielleicht ein Ausnahmetalent zu sein.
„Genau, es wird dauern“, nickte Limona ernst. „Besonders, weil wir dir nur begrenzt helfen können. Die meiste Arbeit muss von dir kommen. Für den Anfang musst du erst mal lernen die verschiedenen Energien zu unterscheiden… Aber der Reihe nach“, winkte sie ab, als Brocken durch das Wasser gewatet kam und fügte hinzu: „Schließe erst mal wieder die Augen.“
Bahe beobachtete noch, wie sich Brocken an seine Seite auf einen der Felsen im Wasser setzte und ihm zu nickte, ehe er die Augen schloss.
„Fühle wieder in dich selbst hinein. Finde das Gefühl von vorhin wieder“, meinte Limona in sanftem Tonfall.
Begierig ignorierte Bahe seine Umgebung und konzentrierte sich nur auf sich selbst. Er war erstaunt, wie leicht er sich erneut in diesen Zustand hinein versetzen konnte.
Doch dann nahm er plötzlich zwei kleine Hände auf seinen Schultern wahr und hörte Limona sagen: „Wir versuchen uns jetzt mit dir verbinden. Das kann aber nur funktionieren, wenn du dich darauf einlässt. Eigentlich besitzt du unfassbar viel Energie für einen Anfänger, aber für unsere Verbindung ist selbst das noch zu wenig. Du wirst nur einen kurzen Moment durch unsere Augen schauen können. Hoffentlich erkennst du die Unterschiede schnell genug.“
„Bist du bereit?“, fragte Brocken.
Bahe nickte.
„Gut“, sagte Limona. „Dann fangen wir jetzt an.“
Gespannt wartete Bahe auf irgendeine Veränderung als er plötzlich etwas Unbekanntes an seinem Bewusstsein verspürte. Es war eine Art Licht, wenn er sich nicht täuschte… es fühlte sich an wie eine Mischung aus Umarmen, Zerren, Klopfen und Handreichen zugleich.
Dann erschien ihm plötzlich ein Benachrichtigungsfenster vor dem inneren Auge, welches ihn beinahe aus der Fassung brachte:
Limona und Brocken wollen von sich aus ihren Seelenbund mit dir aktivieren!
Stimmst du zu, werden deine beiden klassenspezifischen, legendären Fähigkeiten „Erdmaterie“ und „Wassermaterie“ aktiviert.
Du verfügst noch nicht über genug Mana, um auch nur eine der Fähigkeiten von dir aus aktivieren zu können. Erlaubst du deinen Elementaren, den Seelenbund zu aktiveren, kann es folgenschwere Konsequenzen für dich haben!
Aktivieren?
Ja? / Nein?
Bahe war zwar verblüfft, aber letztlich hatte Limona ihn ja bereits vorgewarnt. Ohne zu zögern erlaubte er die Aktivierung des Seelenbundes und konnte sich schon bald vor Verwunderung nicht mehr einkriegen.
Er hielt die Augen noch immer geschlossen, doch trotzdem sah er sich plötzlich selbst und obendrein aus zwei unterschiedlichen Perspektiven. Doch noch viel erstaunlicher waren die Farben die ihn in wolkenartigen Gebilden umgaben. Braun- und Blaufarbtöne sammelten sich je auf einer Hälfte seines Körpers, wodurch ihre Farben immer intensiver wurden. Waren das die elementgeprägten Energien?
Ein Gefühl der Ehrfurcht stieg in ihm auf, als er beobachtete wie sich die Farben verdichteten und sich plötzlich ein weißes, pulsierendes Leuchten aus seinem Innern heraus kristallisierte…
Doch dann wurde eins der Blickfelder auf einmal dunkel! Das andere Blickfeld wandte sich daraufhin schnell von seinem Körper ab und Bahe entdeckte wie Limonas Körper in erschreckend durchsichtiger Form zurück ins Wasser fiel. Dann verschwand auch das zweite Sichtfeld und eine Welle der Erschöpfung drohte sein Bewusstsein wegzuschwemmen.
Mit einem letzten Kraftakt schaffte er es seine Augen einen Spalt zu öffnen und sah, wie auch Brockens Körper viel durchsichtiger als sonst zusammen gesackt auf seinem Felsen lag. Dann fiel Bahe jedoch ebenfalls. Irgendwo im Innersten seines Unterbewusstseins schrie etwas auf, dass er nicht im Wasser ohnmächtig werden dürfte, doch er war zu keiner Regung mehr fähig. Er glaubte noch zu merken, wie er ins Wasser fiel, dann wurde es dunkel um ihn.
Teil 2/2!
RiBBoN