Vierzig Minuten später kam Han Ning zu Hause an und wurde freudig von seiner Frau und seinen Töchtern empfangen. Es zerriss ihm das Herz seine Frau dabei zu sehen, wie sie ihm seine Jacke und seine Aktentasche abnahm und ihn in die Küche bat.
Wie in Trance ließ er sich von seinen Töchtern an die Hände nehmen und in die Küche führen. Sie bedeuteten ihm Platz zu nehmen und setzten sich ihm gegenüber. Die fröhlichen Mienen seiner Mädchen trieben ihm die Tränen in die Augen, doch er kämpfte dagegen an und unterdrückte sie. Kaum einen Wimpernschlag später kam seine Frau aufgeregt dazu und setzte sich neben ihm.
„Ich hatte dir ja gesagt, dass ich ja mit dir sprechen wollte“, fing sie an.
Jetzt kommt es, dachte Han Ning, dessen Tränen ihm bereits die Sicht trübten.
„Aber eigentlich wollen wir mit dir sprechen“, betonte sie das wir besonders und zeigte dabei auf ihre Töchter.
„Genau“, grinste seine ältere Tochter Mu Rui.
„Wenn du mal darüber nachdenkst, dann hast du Mama, genauso wie uns, in den letzten Wochen kaum gesehen, oder?“, meinte seine Jüngste, Xi Cai.
„Hmm…“, nickte Han Ning, der einfach kein Wort hervor bringen konnte, während er krampfhaft darum kämpfte keine Tränen zu vergießen.
„Wir sind alle im Geheimen Nebenjobs nachgegangen, um dir heute an deinem Geburtstag dies hier schenken zu können“, meinte seine Frau verschmitzt und schob ihm einen, im Geschenkpapier verpackten, Umschlag zu. „Wir haben sogar ein separates Konto angelegt, damit du uns nicht auf die Schliche kommen konntest“, fügte sie noch stolz hinzu.
Wie gebannt starrte Han Ning auf das Geschenk, das vor seiner Nase lag und wusste nicht, ob er sich trauen sollte es zu öffnen…
„Na los, mach schon auf, Pá“, meinte seine Jüngste.
Letztlich bewegten sich seine Hände wie von selbst, zogen das Geschenkpapier ab und öffneten den Umschlag.
Wie vom Donner gerührt blickte er auf die Karte, die er in den Händen hielt und bemerkte nicht mal mehr, wie ihm die Tränen von den Wangen liefen.
„Na, was hältst du von unserem Ge… Schatz, was ist los?!“, begann seine Frau, nur um dann geschockt nachzufragen.
„…“, Han Ning brachte nur ein unterdrücktes Schluchzen zu Stande, als er auf die besorgte Stimme seiner Frau vernahm. Sein Blick war aber noch immer auf die Karte gerichtet.
Er hielt einen Gutschein in den Händen. Einen Gutschein für eine zehn tägige Reise zu den Malediven. Ein fünf Sterne Hotel mit All-Inklusive für ihn und seine Frau…
Seine Hände zitterten, während er fassungslos da saß. Wie sollte er ihnen bloß erklären wie er sich fühlte?
Es war so beschämend… Er fühlte sich so schuldig, dass er keine Worte finden konnte…
Wie konnte er schon erklären, dass er an seiner eigenen Frau gezweifelt hatte? Wie sollte er den Privatdetektiv erklären…?
„Schatz, was ist los?!“, fragte seine Frau diesmal drängender und rutschte zu ihm hinüber.
„Pá?“, meldeten sich auch seine beiden Töchter gleichzeitig zu Wort.
„Ich… Es ist nur…“, versuchte sich Han Ning, geriet aber doch ins Stocken.
„Freust du dich nicht über…“, begann seine Frau.
„Nein!“, fuhr er zwischen zwei Schluchzern dazwischen. „Das Geschenk ist wunderbar! Es ist nur… ich… weiß nicht wie ich es sagen soll… Ich bin so gerührt…“
„Ach, Schatz…“, zerschmolz seine Frau bei seinen Worten regelrecht und umarmte ihn.
„Und ich habe ge… gedacht…“, versuchte Han Ning es über sich zu bringen, scheiterte aber an den liebevollen Blicken seiner Töchter.
„Ja?“, meinte seine Frau lächelnd.
Verdammt, dass macht es jetzt auch nicht leichter, dachte Han Ning.
Schließlich nahm er all seinen Mut zusammen und sagte kleinlaut, während ihm noch immer die Tränen über die Wangen liefen: „Ich dachte, du hättest eine Affäre…“
Für einen Moment herrschte Stille.
Seine drei Mädels sahen ihn vollkommen verblüfft an, ehe sie plötzlich in schallendes Gelächter ausbrachen.
Nun war es an Han Ning überrascht drein zu blicken.
Na ja, dachte er, zumindest nahmen sie es ihm scheinbar nicht übel. Auch, wenn ihm die Tatsache, dass sie sich über sein Verhalten amüsierten, nicht wirklich gefallen wollte.
„Du hast wirklich gedacht, dass Má eine Affaire hat?“, fragte seine ältere Tochter Mu Rui.
„Na ja“, versuchte Han Ning sich irgendwie zu retten. „Eure Mutter ist immer noch schön und ich bin immer mit der Arbeit beschäftigt...“
„Aber Pá!“, meinte seine Jüngste, gespielt entrüstet. Ihr war deutlich anzusehen, dass sie ihn nicht wirklich verurteilte, sondern einfach viel zu viel Spaß an der Situation hatte.
„Als ich dich in den letzten Monaten kaum gesehen habe… da habe ich irgendwann einfach an das Schlimmste gedacht…“, sagte er zerknirscht an seine Frau gewandt.
„Liebling, ich liebe dich doch!“, schob sich seine Frau an ihn heran und umarmte ihn mit einem Lächeln.
„Tut mir Leid, dass ich sowas gedacht habe“, antwortete Han Ning und erwiderte die Umarmung.
Nach einem kurzen Moment lösten sie sich von einander und seine Frau meinte verschmitzt: „Du sagst also, dass ich immer noch so schön bin, dass ich mir ohne Probleme einen Lover angeln kann?“
„Pá, langsam verstehe ich, wie du früher bei Má gelandet bist“, kicherte Mu Rui.
„Ja, scheinbar haben wir ein ganz falsches Bild von dir!“, schloss sich auch Xi Cai an.
„Oh, euer Vater weiß durchaus mit Worten umzugehen“, grinste seine Frau und fügte dann mit verruchter Stimme und wissender Miene hinzu: „Und auch noch mit so viel mehr…“
Han Ning errötete beinahe und schaute seine Frau verblüfft an. Hatte sie das gerade wirklich vor ihren Kindern gesagt?!
„Má, das ist eklig!“, beschwerte sich Xi Cai.
„Was hast du denn, wir sind doch keine zwölf mehr“, grinste Mu Rui.
„Ähem…“, räusperte sich Han Ning, um von der merkwürdigen Stimmung abzulenken. „Dabei fällt mir ein, ich habe vollkommen vergessen, dass heute mein Geburtstag ist.“
„Das realisierst du erst jetzt?“, lachte seine Frau. „Du bist ein grandioser Anwalt, wenn es drauf an kommt, aber zu der Zeit vergisst du absolut alles andere um dich herum. Ich bin ja schon gerührt, dass du wenigstens bemerkt hast, dass ich kaum zu Hause bin.“
„Wie lange habt ihr denn eigentlich für diesen Gutschein gearbeitet?“
„Insgesamt etwa vier Monate“, erklärte seine Jüngste, Xi Cai. „Wobei es bei jeder von uns etwas unterschiedlich war, wann genau wir angefangen haben. Ich habe meinen Job auf jeden Fall gekündigt. Für die nächsten Jahre habe ich genug vom Kellnern.“
„Vielen Dank, euch allen“, erklärte sich Han Ning. „Ich freue mich wirklich sehr, über euer Geschenk.“
„Sieh es einfach als einmaligen Denkzettel, dass du dir endlich mal Urlaub nehmen musst. Egal wie stressig es im Büro auch immer sein mag“, zwinkerte seine Frau ihm zu.
Das brachte Han Ning zum ersten Mal zum Lachen.
„Alles klar, den Wink habe ich verstanden“, antwortete er inzwischen gelassener. „Wobei ich euch noch etwas beichten muss…“
„Wie? Da kommt noch mehr?“, fragte seine Jüngste sofort neugierig. „Bist du etwa fremdgegangen, um es Má heimzuzahlen?!“
„Xi Cai, was quatscht du für einen Blödsinn!“, bemerkte Mu Rui Augen verdrehend.
„Ja, du hast recht. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass es eine Geliebte gibt, die Pá verführen will und umgekehrt schon gar nicht!“, erklärte Xi Cai todernst.
„Xi Cai!“, rief Mu Rui schockiert aus.
„…“, Han Ning saß nur sprachlos da. Hatte seine Jüngste schon immer so ein loses Mundwerk gehabt?
„Und was genau, wolltest du uns jetzt noch sagen?“, fragte seine Frau mit hochgezogenen Brauen.
Han Ning sah sie an und erkannte sofort an ihren zuckenden Mundwinkeln, das die Worte ihrer Tochter sie durchaus amüsiert hatten.
Er verwarf die ablenkenden Gedanken und straffte sich noch ein letztes Mal. Wenn er schon damit angefangen hatte, wollte er sich wenigstens alles von der Seele reden.
„Also, ich habe vermutet, dass du eine Affäre hast. Aber ich war mir nicht sicher… daher wollte ich Beweise und habe deswegen einen Privatdetektiv engagiert, der dich die letzten zwei Wochen überwacht hat…“
Han Ning hatte noch nicht zu Ende gesprochen, als seine Mädels schon wieder in schallendes Gelächter ausbrachen und seine Jüngste diesmal beinahe vom Stuhl viel.
Na toll… aber hatte er es anders verdient?
Frustriert seufzte er und ergab sich seinem kurzlebigen Elend.
Nachdem sich alle beruhigt hatten, aßen sie gemeinsam zu Abend und zum ersten Mal seit Monaten war die Stimmung ausgelassen und von einer Fröhlichkeit, die Han Ning wirklich glücklich stimmte.
Die Mädchen räumten gerade den Tisch ab, um sich anschließend bettfertig zu machen, als seine Frau zu ihm heran rutschte und ihm ins Ohr flüsterte: „Na, wie wär’s, kannst du mir heute Nacht zeigen, womit du sonst noch gut umzugehen verstehst?“
Grundgütiger!
Dachte er nur, während er rot anlief.
Was war nur plötzlich mit seiner Frau los?!
Nicht, dass er sich nicht freute, aber vor den Kindern, um Himmels Willen!
„Und?“, raunte sie ihm noch verführerischer entgegen, was dafür sorgte, dass sich seine Nackenhaare aufstellten und sich eine fast vergessene Körperregion regte.
Han Ning kam sich wie ein grinsender Teenager vor, als er mit hochrotem Kopf eifrig nickte. Aber bei allen Himmeln! Seine Frau wollte ihn! Wer wäre er denn, da nein zu sagen!
„Oh, und bevor ich es vergesse“, raunte seine Frau ein zweites Mal hinüber. „Über den Privatdetektiv reden wir noch, Freundchen!“