Geniella war vor Angst wie erstarrt. Dabei war sie vollkommen ahnungslos auf der Freifläche angekommen.
Innerlich hatte sie noch jubiliert, dass sie diesen Bastard mit den Wildwurzelkaninchen abgefertigt hatte. Da stand dieser Kerl plötzlich vor ihr, inmitten der niedergemetzelten Horde der Kreaturen und lächelte sie Blut überströmt an.
Das blutrünstige Grinsen ließ den Spieler wie die Ausgeburt des Bösen erscheinen… Geniella fragte sich wirklich wer hier das Monster war, als sie die zerstückelten Kadaver der Wildwurzelkaninchen bemerkte.
Sie fröstelte bei dem Gedanken, was er wohl aus Rache mit ihr vor haben könnte.
Dann kamen die anderen Spieler dazu. Sein grimmiger Blick, mit denen er die Umgebung musterte trieben nicht nur sie ein paar Schritte zurück. Ganz zu schweigen von seiner Begrüßung, die an falscher Freundlichkeit und unterschwelliger Bedrohung nicht zu überbieten war.
„Es ist nur ein Spiel… Kein Grund zur Panik…“, flüsterte sie beruhigend immer wieder vor sich her. „Kein Grund zur Panik…“
Kaiwen stand immer noch sprachlos auf einer der Hängebrücken, als Anael die Spieler begrüßte. Die anderen Schaulustigen um sie herum, waren genauso ruhig geworden.
Niemand sagte ein Wort. Selbst die Ausbilder schwiegen verblüfft.
Anaels Hit-and-Run-Verhalten war perfekt ausgeführt worden, bis er keine Pfeile mehr hatte und auch mit dem Messer hatte er sich vollkommen respektabel verhalten. Den Level 2 Spielern hatte er alle Ehre gemacht. Aber dann…
Dann hatte er dieses verfluchte Schwert ausgepackt.
Wie vom Donner gerührt hatte Kaiwen nur da gestanden und beobachtet, wie Anael die Kreaturen auf äußerst brutale Art und Weise abschlachtete.
Ja, es waren Level 0 Monster.
Ja, ihnen war mit guter Technik beizukommen.
Aber nicht mit dieser Art von wilden Hieben, die keinerlei Rücksicht auf die eigene Gesundheit nahmen.
Die Gedärme die durch die Luft geflogen waren… das Blut, das durch die Gegend spritzte… Kaiwen drehte sich immer noch der Magen um.
Spieler höherer Level empfanden es unter ihrer Würde sich mit Level 0 Kreaturen zu beschäftigen. Meistens waren die Kämpfe relativ ausgeglichen, da die Spieler stets bestrebt waren, so viel Erfahrung wie möglich zu sammeln.
Vielleicht lag es daran, dass Kaiwen noch nie ein solches Gemetzel erlebt hatte. So wie es aussah, ging es den anderen Schaulustigen nicht anders. Die anhaltende Stille sprach Bände über den Gefühlszustand der Zuschauer.
„Hallo zusammen!“, vernahm sie am Rande Anaels Worte und konnte vollends nachvollziehen, wieso all die anderen Spieler vor ihm zurückwichen.
Anael war von solch einer mörderischen Aura umgeben, dass man den Abstand instinktiv beibehalten wollte. Sein darauf folgendes Schweigen, verstärkte diesen Effekt nur noch…
„Bwuahaha!“, schallte plötzlich das laute Lachen Tarats über die Festung hinweg. „Gut gemacht, Zahnstocher! Wirklich gut gemacht! Bwuahaha!“
Die Worte des Ausbilders durchbrachen den bedrohlichen Moment und die Schaulustigen, um Kaiwen herum, bemerkten, dass sie vor Anspannung glatt die Luft angehalten hatten.
Mal keuchend, mal zischend, zogen sie allesamt die Luft ein und verfielen danach in aufgeregtes Gemurmel.
„Unglaublich der Kerl…“
„Ist das wirklich ein Level 2 Spieler?“
„Ja, krass oder?“
„Es muss das Schwert sein! Was für ein Artefakt ist es wohl?“
„Gold?!“
„Mach dich nicht lächerlich!“
„Es hat den Rang Gewöhnlich!“
„Wtf?!“
„Kein Scheiß?“
„Ich will das Ding haben…“
„Meint ihr er verkauft es?“
„Pff…“, das unterdrückte Lachen, gehörte zu den letzten Kommentaren, die Kaiwen vernahm, ehe Anael zu einer Erwiderung ansetzte.
„War das etwa schon alles Tarat?“, fragte er herausfordernd.
„Bwuahaha! Fenrir, dein Zahnstocher gefällt mir!“, rief er lauthals seinem Nachbarn zu und wandte sich anschließend an Anael. „Keine Sorge, Zahnstocher. Die Viecher waren doch nur das Aufwärmprogramm!“
Begeistert richtete Tarat sich auf und schrie zu einem Ende der Festung: „Olar, lasst endlich die richtigen Monster frei!“
Es war zu sehen, wie große Gitter angehoben wurden und wenig später hallte ein unheilvolles Kreischen durch die Gänge der Festung.
Kaiwens Augen glitzerten vor Aufregung. Scheinbar war dieser Anael wirklich ihre Goldgrube.
Das unheilvolle Kreischen und Brüllen sorgte dafür, dass Bahe sich wieder auf seine aktuelle Situation konzentrierte.
Hatten die Spieler wirklich Angst vor ihm?
Was auch immer es war, er konnte jetzt nicht auf ihre Gefühle Rücksicht nehmen.
„Ich schlage vor, wir kämpfen zusammen. Wenn diese Viecher nur das Aufwärmprogramm waren, bezweifel ich, dass wir alleine eine Chance gegen die Monster haben, die noch kommen“, erklärte er, während er auf die toten Exemplare zu seinen Füßen zeigte.
Doch noch immer rührte sich kein Spieler.
Letztlich holte er ein Handtuch aus seinem Speichergegenstand und wischte sich so gut es ging, das Blut aus dem Gesicht. Wenig später war es bereits vom roten Blut durchnässt.
„Verdammt…“, murmelte er überrascht. Kein Wunder, dass die Anderen ihm mit Vorsicht begegneten.
Auf seiner Schulter verfing sich beim Abtrocknen irgendetwas in seinem Handtuch und Bahe wühlte genervt nach dem spitzen Gegenstand. Angewidert verzog er den Mund, als er schließlich die abgetrennte Pfote von einem Wildwurzelkaninchen zu Tage beförderte.
Hastig schmiss er die Pfote weg und machte sich mit danach daran über die Kadaver hinweg zu schreiten. Mit kurzer Suche fand er sein Messer und steckte es zufrieden in seinen Speichergegenstand.
„Geniella!“
„Geniella! Wo steckst du?“
Zwei Stimmen lenkten seinen Blick schließlich zu dem Gang aus dem er selbst vorhin erst gekommen war.
„Geniella! Wir haben die Kreaturen in die Flucht geschlagen!“
„Genau, du brauchst dir keine Sorgen mehr zu machen!“
Unter lauten Rufen, traten die Zwillinge aus dem Gang, die zu Beginn des Tutorials noch den gesammelten Zorn aller andern Spieler auf sich gelenkt hatten.
„Ah, da ist sie ja!“, rief einer der Beiden und hielt begeistert zwei Wildwurzelkaninchen hoch. „Schau Geniella, wir haben schon die erste Beute gemacht und ein paar Pfeile haben wir auch noch gefunden!“
„Die Viecher waren überhaupt kein Problem“, schloss sich der andere Zwilling an. „Wir haben achtzehn Stück erlegt, ohne auch nur einen Kratzer davon zu tragen!“
Bahe hätte beinahe laut losgelacht. So dreist zu sein, mit der Arbeit einer anderen Person angeben zu wollen…
Doch die Reaktion von dieser von ihm so verhassten Spielerin verblüffte ihn tatsächlich.
Mit wütenden Schritten lief sie schnell zu ihnen hinüber und verlangte, während sie auf Bahe zeigte: „Gebt ihm die Pfeile!“
„Was?“
„Wieso?!“
„Tut was ich sage!“, schrie sie die Zwillinge förmlich an.
„Ähm… ja… schon gut…“, druckste einer der Zwillinge und wollte auch die Pfeile seines Bruders an sich nehmen.
„Nein!“, sagte der Andere aber bestimmt und erklärte: „Ich will erst wissen, wieso?!“
„Weil ihm die Pfeile gehören“, sagte die Spielerin wütend.
„…äh…“
„…“
Die Zwillinge bekamen große Augen, während ihnen wortwörtlich die Kinnladen herab fielen.
Die Reaktion der Zwillinge war so urkomisch, dass sämtliche Spieler um Bahe herum plötzlich lauthals anfingen zu lachen. Egal, ob in der Festung als aktive Tutorialteilnehmer oder als Zuschauer oben auf den Hängebrücken.
Bahe selbst, zuckte nicht minder vor Lachen, wenn auch in unterdrückter Form. Er hatte schließlich ein Image zu wahren…
Die Spielerin riss den beiden versteinerten Idioten schließlich die Pfeile aus den Händen und trat vor Bahe.
„Tut mir leid wegen vorhin“, sagte sie schlicht, doch Bahe kam nicht umhin ihre Nervosität zu bemerken. „Sind wir damit quitt?“
„Sicher“, antwortete Bahe, der einfach froh, die Pfeile nicht selbst alle aus den Wildwurzelkaninchen ziehen zu müssen. Einen Feind weniger und dafür wieder mehr Ausrüstung, was gab es da noch zu überlegen?
„Dann sollten wir wohl anfangen uns vorzubereiten“, meinte die Spielerin. „Die Monster werden bald hier sein.“
„Helfen deine Idioten mit?“
„Ein Wort von mir reicht, damit sie sich von einer Klippe stürzen…“, murmelte die Spielerin so leise, dass Bahe sie kaum verstand.
„Was?“
„Ja, sie werden helfen.“
„Gut, denn wir sind auch dabei“, erklang es von der Seite und Bahe sah einige weitere Spieler heran treten.
„Und wir auch!“, rief jemand von gegenüberliegenden Seite.
Bahes Mundwinkel zogen sich nach oben. Scheinbar hatte ihm seine Zurschaustellung von Brutalität einiges an Respekt eingebracht.
Ein Fauchen, das nicht mehr allzu weit entfernt war, hallte währenddessen durch die Festung.
„So wie es aussieht, sollten wir uns wohl mit den Vorbereitungen beeilen“, meinte die Spielerin angespannter Miene und hielt ihm ihre ausgestreckte Hand hin. „Ich bin Geniella.“
Bahe ergriff sie und sagte: „Ich bin Anael, Anael Lerua.“