»Herr!« Beide, Ben und Korian, drehten sich um und sahen einen kräftigen Mann, um die vierzig Sommer, der sich ihnen mit großen Schritten näherte.
»Herr, ihr hattet euch nach einem Getreidebauern erkundigt. Unter den Bauern hat man mich als Sprecher gewählt. Was können wir für euch tun?«
»Begleitet uns hinauf zur Anhöhe. Dann erkläre ich, was mir vorschwebt.«
»Gern, Herr.«
Ben hob unerwartet die rechte Hand an die Stirn und schüttelt den Kopf. »Verdammt, nun hab ich das völlig vergessen. Wartet kurz auf mich.« Auf halbem Wege zur Anhöhe drehte er sich zu den wartenden Leuten des Trosses herum und hob seine Arme weit über den Kopf, um auf sich aufmerksam zu machen. »Männer und Frauen der alten Heimat, hört mir zu«, rief er Laut, um sich Gehör zu verschaffen. Viele drehten sich in seine Richtung und wiesen andere an, es ihnen gleich zu tun. Gespräche wurden unterbrochen und allmählich kehrte Ruhe ein.
»Hinter uns liegt ein langer und beschwerlicher Weg. Wir haben unsere erste Schlacht geschlagen und verfolgen ein gemeinsames Ziel. Diesem sind wir nah, aber es gilt für einen jeden von uns, viel zu tun. Wie ihr unschwer erkennen könnt, herrscht ein heilloses Durcheinander. Um Ordnung und für uns selbst benötigte Ruhe in die Reihen zu bekommen, müssen wir zusammenarbeiten.« Nach einer kurzen Atempause fuhr er fort und senkte die Arme. »Wie ihr wohl bemerkt habt, sind die ersten Aufgaben verteilt. Der gute Herr Angrol, unser Steinmetz, kümmert sich um die Errichtung eines dringend benötigten Steinbruchs und lenkt Materialkarren zu seinem Bauplatz. Daneben bauen unsere tapferen Jäger eine provisorische Koppel. Damit wir gemeinsam unser Lager aufschlagen können, müssen alle Materialkarren aus dem Weg geschafft werden.« Ben deutete mit der Linken zur rechten wie linken Seite. »Lenkt Eure Karren zu den Anstiegen dieser Anhöhe. Von dort aus haben wir direkten Zugriff auf mitgeführtes Baumaterial sowie unserer Habe. Sobald die Karren fortgeschafft sind, werden euch die Jäger den vor euch befindlichen Bereich bis hinüber zum Waldrand frei geben, wo ihr eure Unterkünfte errichten sollt. Grabt Feuergruben und schichtet Brennholz für die Dämmerung. Heute wollen wir uns ausruhen und pünktlich im Morgengrauen mit der Gestaltung unserer Zukunft beginnen. Geht nun, ab dem morgigen Tag, wartet harte Arbeit auf einen jeden von uns.« Ben schaute noch eine Weile den in Bewegung kommenden Leuten zu und drehte sich zu den wartenden beiden herum, die sich ihm bereits auf Armlänge genährt haben.
»Die Leute sind sich unsicher, Herr.«
»Da habt ihr wohl Recht, Korian. Sobald morgen die ersten Hammerschläge ertönen, wird sich das hoffentlich legen. Lasst uns hinaufgehen.«
Es geschah wie geheißen, die Materialkarren, die nicht für den Steinbruch benötigt wurden, wurden aus dem Tross hervorgelenkt und zu den beiden ansteigenden Seiten der Anhöhe gelenkt, um zum Entladen vor Ort zu belassen. Die abbeorderten Jäger, die die Flächen für die Zeltstadt abgrenzten, winkten die wartenden Frauen herbei, halfen ihnen beim Tragen und Aufrichten der Zelte wie auch beim Ausheben der Feuergruben.
Oben angelangt blieb Ben stehen. Er deutete das gesamte Areal mit ausgestrecktem rechten Arm an. »Hier auf der Anhöhe soll unser erster Weiler errichtet werden. Ihr wisst um einen Weiler, Korian?«
»Ja, Herr. Bevor einst Inats Horden einmarschierten, wohnten weitestgehend alle in einem solcher Zusammenschlüsse. Wir können aber nicht alle Menschen hier unterbringen, viele werden nach wie vor in ihren Zelten leben.«
»Das stimmt. Für viele wird sich nicht gleich das Leben einstellen, was sie erhofft haben, zu finden. Habt ihr etwa mit anderem gerechnet? Eine fertige Stadt etwa?«
»Nein Herr, natürlich nicht. Das Volk vertraut euch und euren Ideen – niemand würde euch sonst folgen. Wenn wir in diesem Tal unbehelligt in unseren Zelten leben dürfen, wäre das bereits eine deutliche Verbesserung der Lage.«
Mitfühlend legte Ben dem Schreiner die Hand auf die Schulter. »Grämt euch nicht. Wir müssen für eine lebenswerte Zukunft entsprechend arbeiten und unter Umständen auch kämpfen. Ich möchte mit euch den Bebauungsplan besprechen und die ersten Bauplätze abstecken. Schafft uns dazu Helfer herbei und den Karren mit den Pflöcken, die ihr und euresgleichen dazu hergestellt habt.«
»Was soll oder kann ich tun, Herr?«
»Ihr Fahron, könnt uns beim Abstecken helfen und bei meinen Plänen für die Höfe der Bauern behilflich sein. Dieser Punkt betrifft euch schließlich am ehesten.«
Korian neigte zum Verständnis währenddessen den Kopf und ging zurück zu dem sich lichtenden Tross. Ben sah hinüber in Richtung des zukünftigen Steinbruches und sah anerkennend das Materialkarren bereits durch viele helfende Hände abgeladen und die Baumaterialien geordnet bereitgelegt wurden. Andere wiederum errichteten bereitwillig ihre Zelte, um der Baustelle nahe zu sein. Yaeko, der auf Patrouille ausgeschickt war, ritt in Sichtweite und winkte. Er bedeutete seiner Schar, hinüber zur Koppel zu reiten und die Pferde abzusatteln. Er schaute ihnen einen Augenblick hinterher und hielt auf die Anhöhe zu.
»Hey Benjamin.«
»Yaeko, gut, dass du zurück bist. Sind konstante Patrouillen eingeteilt und hast du Wissenswertes erspäht?«
»Natürlich, es wird wie gewünscht stets eine Schar in Bewegung sein. Unterwegs ist nichts Bemerkenswertes vorgekommen und kein Heuler kam uns in die Quere.« Er sah sich ungezwungen um. »Ein ganz schönes Durcheinander hier«, bemerkte er unnötigerweise.
»Mhm«, brummte Ben missmutig. »Sobald die Arbeiten beginnen, wird sich das hoffentlich entspannen. Du musst etwas für mich tun.«
»Das wäre?«, fragte Yaeko, während er sein rechtes Bein über den Kopf seines Pferdes schwang und vom Sattel hüpfte.
»Ich habe Jarik mit Thanh ausgeschickt, Landmarken auf eine ordentliche Karte zu bringen und allein schaffe ich es nicht, für Ordnung zu sorgen.«
»Verstehe. Was kann ich tun?«
»Zweierlei mein Freund. Siehst du den relativ ebenen Abschnitt, dort in nördlicher Richtung? Ich möchte, dass du unsere Bauern auf diesen Bereich ansetzt. Sie sollen beginnen, Ackerflächen vorzubereiten.«
»Auf der gesamten Fläche? Die ist so groß, dass wir mit einer einzigen Ernte fast die doppelte Anzahl Mäuler stopfen könnten, die wir hier um uns haben. Bist du dir sicher?«
Bens Blick richtete sich in die Ferne und schien fertig errichtete Höfe samt ernte fähiger Acker zu erblicken, als er zustimmend nickte. »Durchaus. Die gesamte Fläche. Die Bauern sollen sich entsprechender Helfer bedienen. Ihre Zelte und benötigte Materialkarren ebenfalls – bevor sie beginnen, ihre dort unten aufzuschlagen. Yaeko, wir brauchen Platz, sonst gehen sich unsere Leute über kurz oder lang an die Hälse.«
Mit einem verschmitzten Grinsen deutete Yaeko seine Zustimmung an.
»Herr, ich bin als Sprecher der Bauern gewählt. Ich gehe mit ihm und führe sie zu jener Stelle. Diese scheint mir wahrlich brauchbar und niemand wird sich sträuben. Wir sind eh lieber unter uns, von daher ist das nicht weiter tragisch.«
»Gut, das spart mir Diskussionen. Wenn die Bauern zugeteilt sind, was kann ich dann noch tun?«
»Die Helfer sollen die mit Holz beladenen Karren entladen und mit den Holzfällern anfangen, den Wald zu lichten. Wir benötigen deutlich mehr Stämme, Balken und Bretter, als wir mitbringen konnten. Schreiner sollen sich um die Bearbeitung kümmern. Wir brauchen Glutstellen zum Trocknen des Holzes und ich möchte eine Handvoll Leute, die sich darum kümmern, junge Bäume aus dem Wald zu graben.«
»Junge Bäume ausgraben? Was soll das nun wieder?«, begegnete Yaeko mit fragendem Blick dem Bens und verzog dabei seltsam die Augenpartien.
»Diese sollen, beginnend am Pass, in nördliche Richtung verpflanzt werden. Wenn wir schon Unmengen von Bäumen schlagen, müssen wir dafür auch Sorge tragen, dass neue Bestände heranwachsen können. Außerdem werden sie eines Tages die direkte Sicht vom Pass aus verhindern und somit einen natürlichen Sichtschutz bilden.«
»Reichlich weit vorgedacht. Lass mich raten, die entsprechenden Arbeiter sollen ihr Lager auch vor Ort errichten?«
»Zusammen mit einigen der Jäger, ja. Ich will, dass kein einziges Lager ohne ausreichend Schutz aus der Masse gezogen wird. Unser Volk hat zusätzlichen Schutz verdient.«
»Gut, ich kümmere mich darum.« Yaeko hielt inne und hob mahnend den rechten Zeigefinger. Drehte sich nochmals herum und öffnete den Mund, doch Ben kam ihm zuvor. »Ja. Ich sagte unser Volk. Du hast richtig gehört. Ich bin mit Herz und Verstand einer der euren. Jarik zeigte denselben Blick wie du gerade.«
»Ich wollte mich nur vergewissern. Willkommen Zuhause, Benjamin.« Er schenkte seinem Freund ein herzhaftes und aufrichtiges Lächeln.
»Danke. Ich werde mit unserem Schreiner beginnen, die Bauplätze abzustecken. Da vorn kommt er ja bereits mit Helfern. Wir sehen uns später am Feuer?«
»Geht klar.« Yaeko drehte sich beim Gehen nochmals um und schüttelt lächelnd mit dem Kopf. »Unser Volk, tzzz. Als hätten wir dich je wieder fortgehen lassen.«