»Ihr sprecht mir voraus, guter Herr«, nickte Ben dem Sprecher entgegen. »Wie ihr bei aufmerksamer Betrachtung erkennen könnt, werden die Karren hinter mir noch immer bewacht. Irgendetwas muss sich demnach noch in diesen befinden und ich habe vor die Inhalte noch heute zu verteilen. Wir benötigen für unsere kommenden Wege, diese in leerem Zustand und die Lasten sollen andere tragen.«
Der Sprecher neigte sein Haupt und trat zurück. Um sein Eingeständnis zu vermitteln, schluckte jedoch schwer und hob vorsichtig die Brauen.
»Wir haben Entsatz aus dem Pass-Weiler sowie den äußeren Gehöften unter uns die ihren Mann, genau wie ihr, stehen, wenn etwas oder jemand unsere Mark bedroht. Schaut euch um und ihr werdet erkennen, dass wir hier über eine Vielzahl im waffenfähigen Alter verfügen. Wir haben uns dazu entschieden, es einem jeden zu ermöglichen, sich an den Waffenübungen zu beteiligen, sofern er seine sechzehn Sommer erreicht.« Ben blickte sich um, bevor er weitersprach. »Unsere Schmiede und fleißigen Frauen scheuten keine Mühen, unsere Vorräte an Ausrüstung aufzustocken. Diese reichen bei Weitem nicht aus, alle waffenfähigen Männer zu versorgen, was auch nicht sein soll oder muss. Viele von euch führen eigene Waffen oder haben diese als Erbstück unter ihrer Habe. Was jedoch, im Laufe der kommenden Monde, an Mengen ausreichen wird, sind unsere stolzen Symbole der Zugehörigkeit.«
Abermals traten Frauen und Männer aus den Schatten und trugen zusammengelegte Umhänge vor sich her. Diese waren jedoch nicht blau umsäumt, wie die der Schwertmänner, sondern in einem schlichten Grün.
»Ein jeder Mann, der den Eid von Herzen vorträgt, soll zum Symbol seiner freien Lordschaft einen solchen erhalten und diesen mit Stolz tragen. Sofern es an der Mittellosigkeit einer zu führenden Waffe liegt, dass einige den Eid nicht vortragen können oder sich deswegen grämen, so soll auch dem abgegolten werden. Die umstehenden Wachen werden jenen eine Waffe freier Wahl übergeben.«
Ben hob abermals die Hände und schwenkte diese nach rechts und links auseinander, um den Schwertmännern die sprachlose Order zu erteilen einen breiten Gang zu schaffen. Jarik trat auf Kopfnicken vor und erhob die Stimme. »Männer Neumarks. All die, die sich im waffenfähigen Alter von mindestens sechzehn Sommern befinden und sich der freien Lordschaft nicht verschließen, sollen sich nun zu jeweils einer Zehn vor dem Podest einfinden.«
Leises Gemurmel setzte ein und Bewegung entstand in der schieren Menge. Die bereits herausgetretenen Schwertmänner bildeten einen weiteren Durchgang, durch den die ersten Männer, zuerst verhalten aber dann aufrichtig und stolz schritten und nicht minder wenige folgten ihnen. Eine enorme Traube bildete sich am Ende, die sich allmählich aufreihte und so zu fünft in zwei Reihen durch den gebildeten Gang trat und vor dem umfunktionierten Karren stehen blieb.
»Ihr – Männer Neumarks. Ich erkenne euer waffenfähiges Alter, seid ihr gewillt dem Treueid zu folgen und die Mark als auch dessen Bewohner mit Eurem Leben zu verteidigen? Seid ihr bereit der Losung eures Fürsten zu folgen und mit dem Banner in den Krieg zu reiten? So sprecht der Tradition gezollter Worte.«
Die vorgetretenen Männer hoben die rechte Faust zum Herzen und sprachen gemeinsam den Eid. »In Treue fest, dem Volke Gefahr bedroht, mein Pferd mich trägt zu dessen Not, soll Eile sein stets das Gebot. Im Dienste unseres Fürsten Benjamin.«
»Nun denn, ich erkenne eure tapferen Herzen und nehme euren Eid entgegen. Fortan sollt ihr den Titel der freien Lordschaft und mit Stolz den Umhang als Symbol dessen tragen«, akzeptierte Ben deren Worte und ließ ihnen die Umhänge reichen, die diese mit stolzbeladener Brust umlegten. Verschlossen wurden diese, nicht wie bei den Schwertmännern mit goldenen Verschlüssen, sondern mit einer Fibel, die das Symbol der Mark zeigte. Eine aufgehende Sonne mit einem springenden Pferd.
Die Männer neigten die Häupter und traten aus dem Spalier. Von beiden Seiten wurden sich mit leichtem Kopfnicken wie ehrlichem Lächeln im Kreise der Lordschaft begrüßt. Zurück in der Menge der ihren und Familien wurden Glückwünsche und freudige aber leise Gespräche geführt.
Die Ernennungszeremonie wurde noch weitere vierzehn Mal wiederholt, sodass neben den Schwertmännern nun auch einhundertfünfzig freie Lords ihre Ernennung erhielten. Weitere sollten vorerst vertagt werden, um Zeit zu erhalten, Umhänge in Nachschub zu fertigen, da aktuell alle ausgeteilt waren. Es waren zwar mancherorts betrübte Blicke zu erhaschen, aber niemand wagte, seinen Unmut lauthals auszusprechen, zumal alle wussten, welche Mühen es gekostet haben mag, im Verbogenen jene Überwürfe zu nähen. Die Männer, die dem Eid gewillt waren vorzutragen, wurden von Jarik gebeten, diesen zu einem späteren Zeitpunkt zu leisten. Niemand sollte seine Ernennung erhalten, wenn er diese nicht auch stolz präsentieren konnte, erklärte er umschweifend und versprach für weitere zu sorgen. Im Herzen seien sie bereits Lords, rief er laut nur die förmliche Ernennung stünde noch aus. Weiterhin würde der Umhang bei den vor ihnen liegenden Arbeiten eh nur stören.
Mit gemischten Gefühlen, aber dennoch einsehend, nickten viele und vertrösteten sich hörbar mit: »Dann zu späterer Zeit.«
Die Menge war im Begriff sich zu zerstreuen, als Ben neuerlich das Wort ergriff und sie erinnerte über dreierlei Dinge reden zu wollen und bisher nur zwei abgeschlossen seien. Er sprach kurz mit Yaeko und bedeutete ihm mit der Rechten eine Richtung, in die er sodann entschwand.
»Mein drittes Anliegen an euch ist von ähnlich froher Natur. Einst bestritten die Lords der Marken ihre Abenteuer Seite an Seite mit ihren Verbündeten«, begann Ben. »Eben diese längst vernichtet geglaubten haben unseren zweiten Tross zur Seite gestanden, als die Not groß war, lebend in unsere Mark einreisen zu können. Mir sind bereits die verrücktesten Geschichten zu Ohren gekommen und ich habe nun vor, euch unsere alten und neuen Freunde zu Gesicht zu führen.«
Ben deutete leicht zu seiner Linken, wo zum Erstaunen der umherstehenden Fackeln entzündet wurden und einen sich nahendes Gefolge zeigten, welches mehrere Fuhrwerke hinter sich herführte. Wissende Äußerungen wurden Laut und viele wisperten verstohlen ihre Bewunderung.
»Begrüßt mit mir zusammen Goram, König der Naïns mit seinem Sohn, Prinz Aguschal, samt Gefolge.«
Zwei Zehnen schritten neben den beiden genannten her. Die Begleitenden hatten allesamt eines gemeinsam, sie trugen Äxte auf den Rücken geschnallt, die in Futteraalen griffbereit ruhten. Stolz schenkten sie der Menge freundschaftliche Blicke und ehrliches Lächeln.
Fürst und oberster Schwertmann traten ihnen entgegen, bis sie voreinander zum Stehen kamen. Ben streckte einladend seine Rechte zum Gruß aus und ergriff beherzt die des Königs.
»König Goram, seit uns mit eurem Gefolge willkommen. Ich freue mich, dass ihr unserer Einladung gefolgt seid.«
»Auch ich freue mich, hier sein zu dürfen. Ich habe bereits viel von euch und euren Taten zu hören bekommen. Ich bin begierig, das einstig geschlossene Bündnis mit den Pferdeherren zu erneuern.«
An seinem Sohn gerichtet ordert er an, sich um die mitgeführten Karren zu kümmern.
»Ich habe euch und den euren anlässlich dazu ein Geschenk mitgebracht. Ich sehe, dass viele von den Pferdeherren aufmerksam stehen und lauschen. Wir vom Volke der Naïns feiern jedoch herzlichst gern und ihr sollt euch eingeladen fühlen, dies mit uns nun auch zu tun. Mein Sohn lässt augenblicklich die Karren entladen, auf denen wir unser berühmtes Bëor fässerweise zum Besäufnis anbieten.«
Überall brach ungehaltener Jubel aus und vielerorts wurden Hochrufe auf die Naïns und ihrem Fürsten gejohlt.
»Die Versammlung gilt als beendet. Nun wollen wir gemeinsam feiern«, rief Ben über die Laute der Menge hinweg, die sich begann zu zerstreuen. Kurz darauf loderten die ersten entzündeten Lagerfeuer. Lieder wurden angestimmt und die abkommandierten Schwertmänner kehrten zurück zu ihren Aufgaben. Zu dem mitgebrachten Naïnbier reichten Männer und Frauen eigens für diesen Tag geschlachtetes Hornvieh und luden Fleisch- wie Fischplatten auf Tischen. Goram mit seinem Sohn und Ben mit seinem obersten Schwertmann begaben sich in das große Zelt, in dem sie ansonsten ihre Besprechungen abhielten. Der Tisch wurde aufgeräumt und Notizen ordentlich in die dafür bestimmten Regale sortiert. Für die heutige Tageswende sollte das Zelt dem feucht fröhlichen dienen.