Ihr Ritt führte sie zuerst über die rotgoldene, vom Schein des Sonnengottes, hell erleuchte Landschaft. Die wie Rubine schimmernden Löwen, in dessen Fell sich das Licht in wechselnder Intensität verfing, schienen manchmal gänzlich mit der Umgebung zu verschmelzen. Die Pegasosse leuchteten im hellen Tageslicht manchmal so hell, dass es beinahe blendete und bekamen dann eine Transparenz, die Aellia immer wieder von neuem faszinierte. Wenn es Abend wurde und das matter werdende Licht auf die geflügelten Pferde fiel, sah es aus, als hätte man Honig in ein Glas Milch geträufelt. Mellila welche ab und zu an ihrer Seite ritt, schien mit ihrem honigfarbenen Teint und den goldenen Augen, wie aus diesen sanften Abendstunden selbst geboren. Seit einiger Zeit ging auch ein ganz besonderes Leuchten von ihr aus. Vermutlich weil sie verliebt war. Aellia hatte jedoch vorerst andere Dinge, über die sie nachdenken musste. Ihre ganze Aufmerksamkeit war nun auf ihr Volk gerichtet und darauf, wie es wohl auf die aussergewöhnliche Delegation, die sie zusammengestellt hatte, reagieren würde.
Schliesslich wurde die Landschaft immer fruchtbarer. Zuerst glitt trockenes, grünbraunes Steppengras und eine karge Buschvegetation unter ihnen dahin und bald darauf, erkannte Aellia das silbrig-blaue, von saftigem Grün umrahmte, glitzernde Band, eines der Grossen Flüsse. Man nannte den Fluss Venyx. Seine Quelle lag irgendwo weit im Norden, westlich des Grossen Meeres. Irgendwann wollte Aellia diesen Flusslauf bis zu seinem Ursprung folgen, wenn sie… einst vielleicht hier lebte…
Sie hatte darüber noch nicht viel gesprochen, denn sie wollte sich zuerst ganz sicher sein. Die endgültige Entscheidung konnte sie erst fällen, wenn sie noch einmal in ihrem Heimatland gewesen war. Dennoch…, wenn sie mit Nannios für immer zusammen sein wollte, dann konnte sie vermutlich sowieso nicht im Land des dunklen Mondes bleiben, denn dies war zu lebensfeindlich für ihren Liebsten und er wäre dort auch kaum glücklich geworden.
Die Landschaft wurde nun immer grüner und saftiger. Die ersten grossen Bäume des lunarischen Reiches, tauchten auf. Es wurden immer mehr und schliesslich erblickten sie unter sich richtig dichte Wälder und weite, grüne Ebenen, die wie mit hunderten von silbrig- glitzernden Adern durchzogen schienen. Wenn man etwas tiefer ging, erkannte man die in das hüglige Reich eingebetteten Flüsse und die zahllosen Wasserfälle, welche von hohen Felswänden herabstürzten. Ein eigenartiges Gefühl der Geborgenheit erfasste die junge Harpya, als sie das Land des Silbermondes so unter sich dahingleiten sah. Erinnerungen stiegen in ihr hoch, Erinnerungen voller Schönheit und Harmonie, welche sie erst hier richtig kennengelernt hatte. Ja… hier liess es sich wahrlich gut leben!
Der Empfang in der Stadt des Silbermondes war herzlich. Alle waren gekommen, um die siegreichen Helden zu feiern und ihnen zuzujubeln. Die Augen der Lunarier, vor allem die der Kinder, blickten die Solianer mit den feurig gefärbten Gefiedern und natürlich auch deren eindrucksvollen Reittiere, mit grossen Augen an. Es war überhaupt ein faszinierender Anblick, wie die Delegation, bestehend aus den Schattierungen aus Weiss, Rot, Gold und Schwarz auf den Mondtempel zu schwebte. Dort wurden sie sogleich von Artemia, der Hohepriesterin, dem König und einigen ihrer Getreuen empfangen. Auch die restlichen Harpyas, die mit Irisa gekommen waren und natürlich auch der Lunarier Silvanos befanden sich hier. Sie waren mit der Armee des Mondvolkes zurückgeritten.
Es wurden Umarmungen und liebevolle Worte ausgetauscht und dann zogen sich alle in die Räumlichkeiten von Varthemos zurück, um das weitere Vorgehen zu besprechen.
16. Kapitel
Pünktlich traf das Wasserschiff der Drakonier im Reich des Silbermondes ein. Sein roter Rumpf, bemalt mit schwarzem Drachenmotiv, endete beim Heck in einem edel geschnitzten, rotschwarzem Drachenkopf, dessen Maul etwas offenstand. Es war ein sehr grosses Schiff, grösser als die normalen Passagierschiffe. Mächtige Fässer aus dunklen Holzdauben, zusammengehalten mit metallenen Fassreifen, nahmen fast die ganze Fläche des Schiffes ein. Vier Männer befanden sich darauf. Alle von ihnen, ausser dem Magier, der den Flugzauber wob, trugen schwarze Rüstungen mit roten Drachenköpfen darauf. Sie gehörten ja auch zum Roten Drachenschwarm, der hauptsächlich an den Ufern des Grossen Meeres lebte. Sie besassen ledrige Schwingen, ähnlich denen von Fledermäusen. Einen dieser Männer, erkannte Aellia sofort wieder. Es war Mangios, welcher ihr einst das Leben gerettet hatte!
Als sie ihn sah, schwebte sie mit einem freudigen Ruf auf ihn zu. „Mangios! Wie schön dich wieder zu sehen!“
Der Drakonier mit dem schwarzen, langen Haar und den dunklen Augen, begrüsste sie lächelnd. „Hallo Aellia. Wie geht es dir? Hast du dich auf Equilibria schon gut eingelebt?“ „Ja, das kann man wohl sagen. Es…geht mir sehr gut.“ Sie schaute liebevoll Nannios entgegen, der sich nun zu ihnen gesellte.
Der Drakonier lächelte vielsagend und meinte: „Es freut mich, dass es dir hier so gefällt und du… scheinbar dein Glück gefunden hast.“ Er nickte dem jungen Lunarier freundlich zu.
„Ja“, meinte Nannios grinsend. „Es ist wahrlich eine glückliche Fügung gewesen, dass du Aellia zu mir gebracht hast.“
„Das ist sehr schön zu hören. Ich hatte, wenn ich ehrlich bin gehofft, dass Aellia sich durch diese gänzlich andere Welt, etwas zum Umdenken bewegen lässt.“ Er deutete auf die wenigen weissen Federn, welche das dunkle Gefieder der Harpya schmückten. „Ich hoffe du hast dich mittlerweile an sie gewöhnt?“
Aellia wurde sich erst jetzt wieder der weissen Federn bewusst und erwiderte: „Ja, ich glaube, sie sind ein gutes Symbol für die Wandlung, welche in den letzten Wochen durchgemacht habe. Ich sehe jetzt vieles klarer und… wie du sicher gehört hast, zeichnet sich auch in der ganzen, uns bekannten Welt, eine Wandlung ab.“ Sie deutete auf Trojanas, Mellila und die andern Solianer.
„Ja, es freut die Drachenvölker immer, wenn Frieden und Eintracht zwischen den verschiedenen Bewohner unserer Welt herrschen. Das hätte schon früher geschehen dürfen, aber… es gibt wohl für alles den richtigen Zeitpunkt...“
„Genau und dieser Zeitpunkt ist nun da! Ich hoffe jetzt nur noch, dass ich auch mein Volk davon überzeugen kann.“
„Es wird sich bestimmt alles zum Besseren wenden, auf die eine… oder andere Weise,“ erwiderte der Drakonier vielsagend.
Aellia nickte ohne weiter über seine Worte nachzudenken und erwiderte: „Nun wird es aber bald Zeit ins Reich des dunklen Mondes aufzubrechen! Wir ruhen uns nur ein paar Stunden aus, dann geht es weiter!“
„Ich hörte Irisa reist mit mir und meinen Brüdern auf dem Wasserschiff?“ fragte Mangios. „Ja, sie wird mein Volk von unserem Kommen in Kenntnis setzen, immerhin sind es einige Drachenschiffe, welche da in meine Heimat reisen werden. Ich hoffe, es ist am Ende nicht noch vergebens.“
„Das ganz bestimmt nicht! Deine Schwestern werden erkennen, dass diese ihre grosse Chance ist, ihren Fortbestand zu sichern und sie lernen etwas ganz Neues kennen. Es schadet nie den Horizont etwas zu erweitern und einst werden sie begreifen, dass derselbe Mond über uns allen scheint.“
Aellia horchte bei diesen Worten mit klopfendem Herzen auf. Was meinte Mangios, wenn es sagte, über allen leuchte derselbe Mond? Irgendwie war sie auf einmal vollkommen wach und aufmerksam. Sie hatte das Gefühl, als würde ihr sogleich eine tiefe Erkenntnis zuteilwerden. Deshalb stellte sie die entscheidende Frage: Was meinst du damit, wenn du sagst, über allen leuchtet derselbe Mond?“
Mangios schwieg einen Moment lang etwas betroffen, als habe er gerade ein Geheimnis preisgegeben, welches er eigentlich noch hatte für sich behalten wollen. Doch dann meinte er: „Nun gut, es spielt jetzt auch keine Rolle mehr! Ich glaube, du kannst mit der Wahrheit umgehen.“ Er zögerte eine Weile, als bemühe er sich um die richtigen Worte und Aellia merkte wie Ungeduld in ihr aufstieg. Dann jedoch meinte Mangios mit ernster Stimme: „Es ist tatsächlich so…: Lilithia und…Lunaria sind ein und derselbe Mond! Bei euch wirkt dieser Mond nur so schwarz, weil ihr noch immer so viele vulkanischen Aktivitäten in eurer Welt habt, dadurch entwickelt sich schwarzer Rauch, welcher die ganze Atmosphäre durchdringt, durch ihn entsteht dieser besondere Effekt des Dunklen Mondes.“
„Aber…dann ist meine Göttin ja gar nicht die dunkle Mondgöttin, sie…ist… eigentlich Lunaria, nur in einem etwas anderen Gewand!“ Einen Augenblick lang war es der jungen Harpya, als würde sie den Boden unter den Füssen verlieren. Mit einem Schlag war alles, an das sie geglaubt hatte, vollends aus den Fugen geraten. Es gab Lilithia gar nicht! Sie war… nur eine Illusion! Diese Erkenntnis traf sie tiefer als alles bisher Dagewesene. Nannios legte den Arm um sie, um ihr Halt zu geben und Mangios schaute sie mitfühlend an: „Es ist die Wahrheit Aellia“, sprach er dann. „Doch bedenke, dass nichts aus Zufall geschieht! Die Mondgöttin zeigt sich in eurem Reiche nicht umsonst in diesem Kleide, davon bin ich überzeugt. Du weisst, dass die dunkle Seite des Mondes die kriegerische Seite der Frau ist. Ausserdem ist eure Welt in einer Position, wo sie die Sonne kaum erreicht, die Verdunkelung durch die vulkanischen Aktivitäten trägt ihr Übriges dazu bei. Ihr kennt also auch keinen Sonnengott, wie er hier der Fall ist. Auch darum ist euer Volk so matriarchalisch bestimmt. Ihr lebt einen besonderen Aspekt, vor allem einen der Aspekte der Göttin oder…vielleicht auch einer grossen Gottheit. Es gibt da verschiedene Ansichten, über die ich mit euch jetzt aber nicht diskutieren will.
Tatsache ist aber sicherlich, dass ihr bei euch im Reich des dunklen Mondes einen der göttlichen Aspekte überbetont. Inspiriert durch eure Welt, durch euer Leben, durch die ständige Gegenwart des dunklen Mondes, der so viel Wunderbares, aber auch Düsteres, beinhaltet. Lilithia ist da, sie ist keine Illusion, doch sie ist nur ein Teil der Gottheit. Wie auch Lunaria und Heliosus das sind. Nur wenn alle Aspekte sich vereinen, wie es jetzt auch zwischen den geflügelten Völkern auf wundersame Weise passiert, kann wahrer Frieden, wahre Harmonie entstehen.“
„Du darfst das nicht zu schwer nehmen!“ tröstete Nannios Aellia seinerseits. „Eigentlich ist es doch wunderbar zu wissen, dass wir ein und dieselbe Göttin verehren. Alles ist Teil eines Grossen Ganzen, wir sind Teil eines Grossen Ganzen und jeder Aspekt, jedes Volk hat wieder andere Qualitäten. Wir brauchen all diese Qualitäten.“
Aellia nickte still, dann meinte sie: „Dennoch…brauche ich jetzt etwas Zeit für mich. Ich… muss das erst einmal verarbeiten. Das ist schon eine einschneidende Erkenntnis.“ Sie wandte sich mit gesenktem Blick ab und schwebte davon.
Die andern sahen ihr ernst und etwas besorgt hinterher.