Artemia, war überaus froh, dass sie wieder ihren Stab hatte. Er verlieh ihr viel mehr Macht. Zum Glück hatte sie ihn nicht dabeigehabt, als sie von Kelana gefangen genommen worden war. Ihre Sinne waren bis zum Äussersten angespannt. Sie aktivierte alle Wahrnehmungen, die sie besass und sah viele Angriffe der Gegnerinnen bereits voraus, ehe diese stattfanden. In ihr war eine gewaltige Macht entfacht: Die Macht der kriegerischen Seite der Göttin. Die Macht der Lilithia, wie sie sie nun nannte. Durch Aellias Erscheinen in ihrer Welt, hatte sie diesen Aspekt erst so richtig kennengelernt und für sie waren Lilithia und Lunaria keine Widersprüche. Sie waren Teil ein und derselben Gottheit, ein und derselben Macht, die sie alle lenkte und führte. Jeder Aspekt der Gottheit war wichtig. Nun, da sich die Hohepriesterin das erste Mal in ihrem Leben in einem richtigen Gefecht befand, begriff sie erst, wie mächtig Lilithia in ihr sein konnte. Ihr ganzer Körper hatte sich verändert, er besass mehr Spannkraft, mehr Geschick, wurde unempfindlicher gegen Schmerz. In den sonst sanften, blauen Augen von Artemia, loderte nun ein Feuer- das Feuer der Kriegerin. Sie konzentrierte sich zwar immer noch hauptsächlich auf die Heilung der Verwundeten. Doch nun, da sie immer heftigeren Angriffen trotzen musste, kämpfte sie mit wilder Entschlossenheit. Vor ihrem inneren Auge sah sie wie zwei harpische Priesterinnen, sie ins Visier genommen hatten, während sie gerade jemanden heilte. Sofort hob sie ihren Stab, silberne Lichtschleier strömten aus ihm heraus und bildeten eine glänzende Schutzglocke um sie herum. Sie sprach mit schneidender Stimme eine Formel und sandte dann, mit einer Bewegung ihrer rechten Hand, einen Zauber gegen die eine Harpya. Diese wurde, wie von einer kleinen Explosion getroffen und brach keuchend zusammen. Sie war augenblicklich tot und fiel hinab in die Tiefe. Artemia empfand Trauer und auch Wut, dass sie solche Methoden anwenden musste, doch die Anhängerinnen von Kelana waren der Vernunft nicht mehr zugänglich, auch wenn sie manchmal versuchte, sie doch noch zur Umkehr zu bewegen. Doch alles half nichts. Die Harpyas, stur wie die meisten von ihnen nun mal waren, liessen sich nicht von ihrem Standpunkt abbringen. Viele von ihnen waren sehr fanatisch und Kelana bis in den Tod hinein ergeben, besonders die Priesterinnen und diese… kosteten Artemia sehr viel Kraft. Während die eine Harpya von ihrem Zauber getroffen wurde, prallte die Magie der zweiten von dem Schutzschild ab. Es war ein Feuerzauber, der wie ein Buschbrand über die Oberfläche der silbernen Schutzglocke züngelte. Doch er war zu schwach, um dieser etwas anzuhaben. Artemia sprach erneut eine Formel und die Flammen zogen sich, ehe sie verglühten, an einer Stelle zu einem feurigen Keil zusammen, den die Lunarierin nun gegen die zweite Feindin schleuderte. Diese wurde von ihrer eigenen Magie getroffen und zurückgeworfen. Als Artemia einen Augenblick Ruhe hatte, legte sie der schwer verwundeten Harpya, welche erstaunt und bewundernd zu ihr aufblickte, die Hand auf die Brust. Sofort schloss sich die Wunde und kurz darauf, stürzte sich die geheilte Kriegerin, mit neuer Kraft in die Schlacht.
Artemia schaute sich um, ob noch jemand ihre Hilfe brauchte. Einen Moment lang, war sie unkonzentriert und achtete nicht auf Feinde. Doch dann kribbelte ihre Haut auf einmal. Sie spürte eine magische Entladung, direkt hinter sich, wirbelte herum und… sah gerade wie ein mächtiger Armbrustbolzen, mit einem zischenden Laut, durch die Luft fuhr und eine dritte Harpya, die sie hatte angreifen wollen, direkt ins Herz traf. Die Wucht des Schusses, schleuderte diese nach hinten und ihre leblose Hülle zerschellte auf den Planetenscherben unter ihnen.
Dankbar blickte Artemia nach oben. Ein mächtiger Schatten kreiste am rotschwarzen Himmel. Es war Kethia, die auf ihrem Rücken Tantalius trug. Artemia spürte die geistige Verbindung zu dem Greif, welche sie die letzten Tage aufgebaut hatte. Sie spürte jedoch auch den Geist des harpischen Rebellenführers. Sie kannte seinen Geist schon gut. Er war ihr vertrauter, als er vielleicht ahnte. Sie wusste um seine Gefühle für sie, die er doch stets so angestrengt zu verbergen suchte. Warum eigentlich, wusste sie nicht so recht. Er hatte keinen Grund, sich dieser Empfindungen zu schämen, denn sie mochte ihn ebenfalls sehr. Auch wenn… da immer noch etwas war, das ihn umgab, etwas, dass sie einfach nicht so recht deuten konnte. Etwas Verborgenes, das ihr unerschlossen blieb, dass sein Geist vor ihr verborgen hielt. Er war nicht der den er zu sein schien, er war jedoch auch mehr, als er selbst ahnte. Sein äusseres Erscheinungsbild, war weniger spektakulär, doch Artemia sah hinter diese Fassade, wie sie es bei allen tat, die ihr auf ihrem Wege begegneten. Sie sah ein Licht, das aus ihm herausstrahlte, eine Kraft, die er geschickt verbarg, so geschickt wie er all seine Gefühle zu verbergen verstand. Und dennoch… so viele folgten ihm, waren ihm treu ergeben. So manche Frau, fand ihn interessanter, als er glaubte. Doch diese Dinge sah er nicht, er war… auf seine Weise zu bescheiden, oder dachte zu viel nach. Er dachte nach, wo vielleicht eher Spontanität und der Glauben an sich selbst, gefragt gewesen wäre. In einigen Dingen besass er grosses Selbstbewusstsein, doch ganz sicher nicht im Hinblick auf das weibliche Geschlecht, was ja auch verständlich war, für einen Mann der unter der Herrschaft von Frauen aufgewachsen war. Er faszinierte manche Menschen mehr, als er es zu erahnen vermochte. Auch Artemia fand ihn faszinierend. Sie hatte eine Menge für ihn übrig, doch… vermutlich würde sie ihm das zuerst zeigen müssen. Er würde wohl kaum den ersten Schritt wagen. Sie schaute zu ihm hinauf und lächelte dankbar, während sie ihre Hand zum Gruss hob und…Tantalius Herz klopfte auf einmal wild.
22. Kapitel
„Waas! Die Drakonier, lassen euch nicht auf die Schiffe?“ Kelanas Augen funkelten wild vor Zorn. Sie schwebte unruhig in dem Raum, in den sie sich zu ihrem Schutz zurückgezogen hatte, hin und her. Die Priesterin, mit dem kurzem, schwarzen Haar, welche ihrer Herrin die schlechte Nachricht überbracht hatte, trat schuldbewusst von einen Fuss auf den andern. „Ja, so ist es grosse Mutter. Sie haben… ihre Drachengestalt angenommen. Wir haben keine Chance gegen sie. Sie stehen einfach nur da und versperren uns den Weg. Unsere Waffen und Pfeile, prallen von ihrer dicken Schuppenhaut ab, die hart wie Stein ist. Ich… glaube fast… wir müssen aufgeben. Unsere Kräfte sind erschöpft. Wir haben nicht mehr genug Leute. Diese… Rebellen, haben auch ein Heilmittel, das sie nur ihren Sympathisanten geben. So gut unsere Kriegerinnen auch sind, wir… haben… einfach nicht mehr genug davon. Aellia hat sehr grosse Macht, keine unserer Priesterinnen, konnte sie bisher besiegen. Auch der Versuch die magischen Kräfte mehrerer Priesterinnen zu vereinigen, ist fehlgeschlagen, denn…die Solianer und vor allem die beiden Lunarier, Artemia und Nannios, sind ebenfalls sehr mächtig. Nannios… hat Aellia in diesem Kampf schon mehrmals das Leben gerettet.
„Verflucht!“ zischte Kelana und schlug mit der Faust gegen die Wand. „Sie hätten nie freikommen dürfen! Sie waren unser bestes Druckmittel! Man sollte alle Wächterinnen, die versagt haben, auf der Stelle hinrichten!“
„Dann hättet ihr allerdings noch weniger Leute, Herrin“, sprach die Angesprochene trocken. „Meiner Ansicht nach, wäre es besser zu kapitulieren, besonders jetzt, da auch noch die Drakonier sich gegen uns stellen.“
Kelana machte eine heftige Handbewegung. „Das kommt gar nicht in Frage! Dass du mir zu so etwas überhaupt rätst! Willst du dich etwas gegen die Göttin stellen?!“ „Nein… natürlich nicht, “ meinte die dunkelhaarige Harpya nun kleinlaut. „Aber dennoch… was sollen wir tun? Die Göttin… scheint uns nicht mehr wirklich gewogen zu sein.“
„Das ist Unsinn! Wir werden triumphieren, weil es Ihr Wille ist. Wir verteidigen Ihr Land, Ihre Ehre!“
„Aber wie, Mutter?“
Kelana überlegte: „Ich werde selbst in die Schlacht eingreifen und ich werde Aellia töten. Sie ist die Anführerin dieses ganzen Widerstandes. Wenn ich meine Macht an ihr demonstrieren, werden ihre Anhänger vor mir erzittern.“
„Ich weiss nicht, ob das wirklich viel nützen würde, schliesslich sind da auch noch die anderen der Delegation, vornehmlich die Lunarier. Sie werden den Widerstand weiter anführen.“
„Nicht, wenn ich um Verhandlungen ersuche und Aellia zum Zweikampf herausfordern. Ich werde die Bedingung stellen, dass die Delegation abreisen muss, wenn ich siege.“
„Aber woher wisst ihr, dass ihr Aellia besiegen könnt? Ihr habt… schon einmal… beinahe das Leben verloren, als ihr gegen sie gekämpft habt.“
Kelanas Augen funkelten zornig. „Wie kannst du es wagen!?“ Sie machte eine drohende Bewegung auf die andere Harpya zu. „Damals habe ich Aellia unterschätzt, das wird mir nicht mehr passieren. Ich werde all meine Kräfte mobilisieren, um sie zu besiegen und diesmal… werde ich siegreich sein!“
„Dennoch… ihr seid noch immer verwundet vom ersten Kampf.“ Die Harpya zeigte auf die Wunde in Kelanas Brust, die noch nicht so wirklich gut verheilt war. „Die Heilkräfte unserer Heiler, sind nicht mal halb so gut, wie jene der Lunarier. Aellia ist bestimmt wieder vollkommen genesen. Ihr hingegen…“
„Das spielt keine Rolle. Ich werde noch mehr von den Schmerzmitteln nehmen und dann werde ich das schon schaffen.“
Die andere Harpya, blickte nun aufrichtig besorgt. „Meine Mutter…ich weiss wirklich nicht, ob das klug ist. Ihr… werdet womöglich bleibenden Schaden davontragen, wenn ihr… so einen heftigen Kampf eingeht. Nur noch einmal müsst ihr schwer verwundet werden und… euer Körper könnte euch den Dienst verweigern.“
„Das lass mal meine Sorge sein! Ich kann keinesfalls zulassen, dass diese Delegation und diese… widerlichen masculinischen Rebellen, die Macht übernehmen. Das würde unsere ganze Welt zerstören und dann, würde die Göttin uns wahrlich den Rücken kehren.“
„Wie ihr meint“, erwiderte die dunkelhaarige Harpya resigniert.
„Dann…werde ich also um Verhandlungen ersuchen.“
„Ja, tu das. Ich werde mich währenddessen für den Kampf rüsten.“
Aellia und ihre Anhänger, setzten währenddessen ihren Feindinnen immer mehr zu. Diese wurden immer weniger und jene, die es auf die Schiffe schafften, wurden nun auch noch von den Drakonier aufgehalten, die zum grossen Teil ihre eindrückliche Drachengestalt angenommen hatten. Voller Ehrfurcht betrachtete Aellia die grossen Kreaturen, welche so überaus mächtig und doch so friedfertig waren. Sie griffen Kelanas Anhänger nicht mal an, sie hielten einfach nur die Stellung. Mächtigen, roten Felsen gleich, auf deren Schuppen die letzten Lichter, des langsam vergehenden, Tages reflektierten. Alle Waffen und Pfeile, prallten einfach von ihnen ab. Nichts konnte sich ihnen wirklich entgegenstellen. Das merkten auch die gegnerischen Harpyas und langsam schien sich eine schleichende Verzweiflung unter ihnen breit zu machen. Kelana war noch immer nicht aufgetaucht. Wo war sie bloss?