Aellia kam pünktlich bei den Gemächern der Königin an. Das grosse, schmiedeeiserne Tor, von zwei weiblichen Wachen flankiert, schwang zurück und sie betrat ein Gemacht, das mit hölzernen, schön geschnitzten Zwischenwänden und Säulen verziert war.
Ein trockenes, heftiges Husten, im hinteren Teil des Raumes, erregte ihre Aufmerksamkeit.
„Tritt näher, Aellia!“ hörte sie eine heisere Stimme. „Ich kann dich leider nicht auf würdigere Weise empfangen. Doch ich muss dringend mit dir sprechen.“
Die junge Harpya, schwebte auf die Stimme zu und sah die Königin auf einem grossen, aus dunklem Holz bestehenden Bett liegen, das wie die meisten Betten, mit eisernen Ketten an der Decke befestigt war. Sie sah gar nicht gut aus, war sehr bleich und wirkte äusserst mitgenommen. Am Bettrand sass ein junger, gutaussehender Masculina, mit wunderschönen schwarzen Augen, in denen ein Regenbogen gefangen zu sein schien. Sein Ausdruck war sanft und besorgt. Er hielt die Hand der Königin und nickte Aellia ehrerbietig zu, als diese nähertrat.
„Das hier ist Iquitos, mein…Liebster“, stellte Podargia ihn vor und die Augen des jungen Mannes leuchteten voll Freude auf, als sie das sagte. Aellia nickte ihm freundlich zu und schwebte noch etwas näher heran. Doch sie war unentschlossen, ob sie sich weiter vorwagen sollte, denn sie wusste ja nicht, was für eine Krankheit die Königin wirklich hatte.
Vielleicht handelte es sich dabei um jene seltsame Seuche, die auch schon viele andere des Harpya- Volkes heimgesucht hatte. Sie musste sehr ansteckend sein, sonst hätte sie sich nie so schnell verbreiten können. Aellia und ihre Freunde versuchten, zusammen mit den harpischen Heilern, herauszufinden, um was es sich dabei handelte, doch bisher waren sie noch kein Stück weitergekommen.
„Du musst nicht näherkommen“, meinte die Königin. „Ich verstehe, wenn du Angst hast dich anzustecken.“
„Es tut… mir leid, Herrin. Wir wissen einfach noch zu wenig über diese Krankheit und… wie ansteckend sie ist.“
„Ja. Das alles müsste nicht auch noch sein. Manchmal frage ich mich wirklich, ob uns die Göttin womöglich bestrafen will.“
Aellia fragte vorsichtig: „Warum denkt ihr das Herrin?“
„Podargia seufzte und hustete erneut heftig. Als sie weitersprechen konnte, erwiderte sie: „Weil ich glaube, dass wir uns schwer versündigen, wenn wir euer Angebot nicht annehmen. Wir setzen das Wohl unseres ganzen Volkes aufs Spiel und das nur…,weil einige von uns einfach nicht umdenken können. Ich habe lange über das nachgedacht, was ihr uns gesagt habt und ich glaube wirklich, es müsste sich etwas verändern. Auch wenn… mir die neuen Gesetze teilweise schon noch etwas suspekt sind. Dennoch, versuchen müssen wir alles und… mit den anderen Völkern Krieg zu führen, obwohl sie uns so freundlich begegnen und uns doch helfen wollen, empfinde ich als falsch.“
Sie blickte etwas hilfesuchend zu Iquitos und Aellia staunte, wie sich die Königin in den letzten Monaten verändert hatte. Ihre Züge waren weicher geworden und sie schien diesen Mann wirklich sehr zu lieben.
Iquitos drückte ihre Hand ermutigend. Auch er liebte Podargia von Herzen, das sah man in seinen Augen. Das berührte die junge Harpya zutiefst.
„Das stimmt allerdings“, erwiderte sie. „Es wäre ein grosser Fehler, denn die Welt da unten, hält so viel Wunderbares bereit und es würde sich so vieles für uns verbessern, davon bin ich zutiefst überzeugt. Ich habe schon einige Ideen, wie wir unser Leben etwas besser gestalten könnten und… laut den Drakonier, verändert sich die Ökologie dieses Reiches auch wieder. Es wird lebendiger, weniger lebensfeindlich werden. Es ist so vieles möglich, meine Königin und wir müssen uns nicht vor der Macht der Männer fürchten, wenn wir in uns selbst sicher sind und etwas mehr Vertrauen lernen.“
Iquitos nickte zustimmend und schaute dann die Königin fast etwas flehentlich an. Die Königin nickte ebenfalls und meinte: „Ja. Das denke ich auch. Doch Kelana lässt sich leider nicht überzeugen. Sie bleibt dabei, dass ihr gedenkt, uns ins Unglück zu stürzen. Darum… habe ich beschlossen, ohne ihre Erlaubnis zu handeln. Zumindest wollte ich mit einigen meiner Getreuen, auch mit einigen Männern, hinunter nach Equilibria gehen. Wir wollten uns dort mit den Lunarier und Solianer paaren, zumindest wäre dann wenigstens die nächste Generation gesichert. Wir würden die Gesetze, die ihr vorgeschlagen habt, zumindest bei unseren Kindern befolgen. Ich bin entschlossen, dafür zu kämpfen, dass allen Respekt zuteilwird, ob Frau oder Mann. Einige meiner Getreuen neigen sogar dazu, Equilibria als ihre neue Heimat zu erwählen. Doch nun… bin ich unerwartet krank geworden und…ich werde in diesem Zustand, diese weiter Reise, nicht unternehmen können. Trotzdem, ich kann mein Volk nicht einfach so ins Verderben laufen lassen, darum bitte ich dich, Aellia dich darum zu kümmern, dass meine Getreuen trotzdem auf die Reise gehen können.“
Die Königin zog eine Schriftrolle hervor und reichte sie der jungen Priesterin. „Hier…ist eine Liste aller, die mir treu ergeben sind und die die Reise antreten wollen. Auch Iquitos wird mit euch kommen, ebenso einige von mir auserwählte Masculinas. Sie sollen die Chance bekommen, wenn nicht hier, dann wenigstens an einem andern Ort, um ein neues Leben zu beginnen.“
„Nein, meine Königin“, sprach Iquitos. „Jetzt, da ihr krank seid, werde ich nicht gehen, mein Platz ist an eurer Seite und wird es immer sein.“
Aellia war zutiefst berührt von den Worten des jungen Mannes und auch die Königin, schien sehr bewegt. Einen Moment lang, wirkte es, als würden Tränen in ihren Augen glitzern. Sie neigte sich zu Iquitos vor und schmiegte sich an ihn. Er streichelte liebevoll ihr zerzaustes, nun von der Krankheit stumpf gewordenes Haar.
Als die junge Priesterin diese Hingabe, diese Liebe zweier Menschen zueinander sah, erkannte sie erneut, dass sie auf dem richtigen Weg war.
„Ja, meine Königin!“ sprach sie entschlossen. „Ich werde mich darum kümmern. Jene die wollen, sollen mit den Drachenschiffen nach Equilibria fliegen können und Kelana wird uns nicht aufhalten! Wir alle haben unseren eigenen Willen und das Recht, für uns selbst zu entscheiden. Nichts wird uns davon abhalten, das Richtige zu tun!“
Dann wurde ihr Miene wieder ernster und sie fügte hinzu: „Wir werden auch euch und die anderen Kranken, keinesfalls im Stich lassen. Wir werden herausfinden, um was für eine Seuche es sich handelt und wir werden ein Heilmittel finden. Eines Tages werdet auch ihr die Schönheit Equilibrias erblicken!“
Die Königin nickte bewegt und sprach: „Dann ist es also beschlossen! Du wirst dich, während ich krank bin, darum kümmern, dass alle die wollen, in die neue Welt gebracht werden! Das andere, wird sich bestimmt nach und nach fügen, denn ich glaube, dass die Göttin uns in dieser Hinsicht wohlgesinnt ist.“
Aellia nickte zustimmend und wollte gerade das Gemach der Königin verlassen, als auf einmal die Tür aufging und ein Bote eintrat. Eine der harpischen Wächterinnen salutierte und sprach: „Dieser Bote, hat eine sehr wichtige Nachricht für euch, meine Königin. Es betriff die Seuche.“
„Die Seuche?“ Die Königin runzelte die Stirn und nach einem weiteren schlimmen Hustenanfall, nahm sie das Schriftstück entgegen. „Führt den Boten in unsere Gästeunterkunft und gebt ihm zu essen und zu trinken. Er soll warten, falls wir ihn noch brauchen!“ Die harpischen Kriegerin nickte und gebot dem, eher etwas verunsicherten Boten, sie zu begleiten.
Als er draussen war, begann die Königin zu lesen. Ihre Augen weiteten sich vor Entsetzen. Aellia, welche gebeten worden war, noch zu warten, reckte ihre Hals. Die Neugier wurde beinahe unerträglich.
„Bei der grossen Göttin!“ rief Podargia aus und reichte Aellia das Schriftstück. Diese begann zu lesen und auch ihre Augen weiteten sich dabei immer mehr.
Verehrte Obrigkeit
Wenn Ihr dieses Schreiben erhaltet, werden schon viele des harpischen Volkes, an der neuen Seuche erkrankt sein. Wir, die „Masculinische Widerstandsbewegung“ wissen, dass es sehr schwierig ist, ein Heilmittel dafür zu finden und wir wissen auch, dass, wenn die Seuche nicht bald behandelt wird, das den sicheren Tod für die Erkrankten bedeuten wird. Darum treten wir heute an Euch heran, um Euch unsere Hilfe anzubieten, denn wir verfügen über das nötige Heilmittel und können allen Kranken das Leben retten. Allerdings werden wir das nicht ohne Bedingungen tun. Wir vertreten die Rechte der Männer im harpischen Reich und wir werden nicht weiterhin tatenlos zusehen, wie selbige von den Frauen unterjocht und gedemütigt werden. Heute stehen wir auf, um zu verkünden, dass sich vieles in unserem Reiche ändern muss! Wir werden Euch helfen, wir werden euch heilen, jedoch nur unter der Bedingung, dass ihr die unten aufgeführten Gesetze einführt, die allen ein menschenwürdiges Leben ermöglichen. Denn vor der Göttin sind wir alle gleich!
Mit ehrerbietigem Gruss
Masculinischen Wiederstandsbewegung
Aellia las die Gesetze, welche die Schreiber des Briefes, auf einem zusätzlichen Pergament aufgeführt hatten. Es waren beinahe dieselben Gesetze, wie jene, die sie und die anderen Völker, der Obrigkeit bereits unterbreitet hatten, mit einigen geringen Unterschieden. Es waren eigentlich sehr gute Gesetze, auf angenehme Weise gemässigt, obwohl diese Wiederstandbewegung, noch viel mehr hätte verlangen können, falls sie tatsächlich das Heilmittel besass. Eigentlich lagen die Leben der Harpyas in ihren Händen. Sie konnten willkürlich entscheiden wer lebte oder wer starb. Ein Gedanke durchzuckte Aellia für einen Moment, doch sie schob in beiseite, denn sie schämte sich irgendwie dafür.
Die Königin wirkte nun noch bleicher und mitgenommener, diese Aufregung war zuviel für ihren geschwächten Körper. „Das sind…beinahe dieselben Gesetze wie wir sie vorsehen, “ sprach Aellia nachdenklich.
„Ja, das ist mir auch aufgefallen. „Ich sagte, dass die Männer sich irgendwann gegen die Herrschaft der Frauen auflehnen werden, meine Königin. Das hier ist das beste Beispiel. Sie wollen ein besseres Leben. Wir müssen ihnen ein besseres Leben geben. Jetzt sowieso.“ Iquitos schaute Podargia an und nickte fast unmerklich. Einen Moment lang flackerte Misstrauen in den Augen der Königin auf und sie musterte Aellia prüfend. Die junge Frau verstand das. Es sah wirklich so aus, als würden sie und diese masculinische Widerstandsbewegung gemeinsame Sache machen. „Ich weiss, was ihr denkt, meine Königin,“ sprach sie, „aber wir haben nichts damit zu tun. Ich kenne diese Rebellen nicht. Doch… würde ich sie kennen, dann würde ich sie wohl in den meisten Punkten unterstützen, das sage ich ganz offen. Was sie wollen ist etwas ganz Natürliches und sollten sie das Heilmittel besitzen, könnten sie noch viel mehr fordern. Sie tun es aber nicht. Sie beanspruchen die Macht nicht allein für sich, sondern wollen einfach gleichberechtigt behandelt werden. Es ist sehr ähnlich, wie es damals bei den solianischen Frauen war. Die Idee, mit dem König an eurer Seite, finde ich übrigens auch nicht schlecht. So wie es aussieht, habt ihr bereits den richtigen Mann dafür.“ Sie nickte lächelnd in Iquitos Richtung.
„Ja, eine ihrer Bedingungen ist es ja, dass ein Mann an meiner, oder Kelanas Seite herrschen soll, welcher die Masculinas repräsentieren und sich um ihre Anliegen kümmert. Das…wäre nur fair, sollten wir diese und auch eure Gesetze annehmen.“
„Wir werden darüber nun sehr gründlich nachdenken müssen, Herrin! Wie wollen wir weiter vorgehen?“
„Das ist eine schwierige Frage. Ich glaube, ich brauche jetzt mal etwas Zeit für mich. Ausserdem bin ich immer noch sehr schwach. Ich werde dich und deine Freunde wieder rufen lassen, wenn ich euch brauche.“ Sehr wohl, Herrin.“
„Ich danke dir für deinen Besuch.“
„Ich habe zu danken, dass ihr mir solch grosses Vertrauen schenkt.“
Podargia erwiderte: „Ich stehe zwar der Göttin nicht so nahe, wie z.B. die Priesterschaft, aber ich spüre tief in meinem Inneren, dass ich dir vertrauen kann Aellia, und dass du uns an einen wundervollen Ort führen wirst.“ Aellia nickte: Danke meine Königin. Ich werde euch nicht enttäuschen!“