„So viele Gedanken, innerlich ständig auf Trab! Glaubst du Tantalius, dass dies alles ist, was das Leben ausmacht?“ fragte auf einmal eine, ihm nur zu bekannte Stimme, hinter ihm. Sein Herz raste und er fuhr herum.
Artemia stand vor ihm! Sie trug noch immer ihr goldenes Schutzgewand. Ihre langen, silbernen Haare, fingen das spärliche Licht ein. Ihre blauen Augen, umgeben mit sympathischen Lachfältchen, schimmerten leicht silbern. Wie sie so dastand, erinnerte sie Tantalius an ein wunderschönes Standbild, mit edlen, aristokratischen Zügen. Der Rebellenführer begann zu stottern: „Du hier? Aber… was meinst du damit?“
Ihr Gesicht erhellte sich in einem bezaubernden Lächeln. Bist du nervös?“
Tantalius besann sich auf seine Selbstkontrolle und meinte dann mit gefasster Stimme: „Nein, warum sollte ich nervös sein? Du hast mich einfach etwas erschreckt. Ich hätte dich hier nicht erwartet.“
„Warum sollte ich nicht den Retter meines Sohnes und den Helden der weiten Himmel besuchen kommen?“
„Nun ja, du hast sicher anderes zu tun, im Augenlick.“
„Das Schlimmste ist überstanden. Die meisten Verletzten und Kranken sind versorgt, wichtige Gespräche nehmen auch mal ein Ende und so dachte ich mir, ich besuche dich einfach mal. Da wir ja kaum Zeit hatten uns näher zu unterhalten die letzten Tage. Dabei verdanke ich dir ja auch mein eigenes Leben und ich habe dir bisher meine Dankbarkeit vielleicht zu wenig gezeigt.“ Sie schwebte etwas näher heran, so dass ihr Gesicht nur noch einige Zentimeter von seinem entfernt war. Er wich etwas verstört zurück. „Warum nur, hast du solche Angst vor mir? Held der weiten Himmel?“ fragte die Lunarierin.
„Angst vor dir?“ erwiderte Tantalius möglichst ungerührt. „Warum… sollte ich Angst vor dir haben?“
Sie lächelte erneut vielsagend. „Es macht mir manchmal nur so den Eindruck.“ „Dieser Eindruck täuscht. Vielleicht habe ich es auch einfach nicht so gerne, wenn man versucht, in meinen Geist einzudringen.“ Er wusste nicht, warum er so etwas Dummes sagte, und hätte sich, im nächsten Moment, am liebsten selbst dafür geohrfeigt.
Artemia schien einen Moment lang etwas vor den Kopf geschlagen. Ihre Stirn legte sich in Falten. Doch nur kurz, dann erwiderte sie. „Ja, du hast recht. Es ist wohl wirklich eine meiner Unsitten, die Gedanken meiner Gegenüber stets ergründen zu wollen. Ich werde das in Zukunft unterlassen, wenn du das wünscht.“
„Nun ja, äh…“ Tantalius fühlte sich auf einmal unbehaglich, denn irgendwie gefiel ihm der Gedanke auch, dass Artemia so an seinem Innenleben interessiert war.
Die Hohepriesterin schien sich über seine Reaktion zu amüsieren. „Bist du dich so wenig Aufmerksamkeit gewöhnt, Tantalius?“
„Du tust er ja schon wieder!“ rief er aus. „Du hast wieder meine Gedanken gelesen!“ „Ich kann deine Gedanken nicht wirklich lesen, aber es gibt Dinge, die ich einfach fühle, die ich einfach weiss. Es ist eine Gabe, die mich zu dem macht, was ich bin.“ Ihre Augen blickten den Harpyer offen und voller Weichheit an und wieder klopfte sein Herz heftig. Erneut erkannte er, wie wunderbar diese Frau war und er war so dankbar dafür, dass sie Zeit mit ihm verbringen wollte. Warum nur, hatte sie noch so beleidigt? Er war wirklich ein Idiot! Er hatte sie für etwas angegriffen, das sie doch erst ausmachte und sie so wundervoll erscheinen liess.
„Ja…“ sprach er von Reue erfüllt. „Es…tut mir auch leid, was ich gesagt habe. Ich bin mich wohl wirklich nicht so viel Aufmerksamkeit gewöhnt, vor allem nicht von… Frauen. Die Frauen übersehen mich meistens geflissentlich und ich kann sie sogar in gewisse Weise verstehen.“
Artemia blickte ihn an und sie schien seltsam erschüttert. „Warum glaubst du so etwas nur, Tantalius?“ „Nun ja, ich bin einfach, wie ich bin. Ich bin kein besonders charmanter oder gutaussehender Mann. Ich kann einer Frau nur wenig bieten. Vermutlich bin ich zu trocken, zu sehr mit meinen Gedanken beschäftigt und so weiter und so fort. Jedenfalls interessierte sich noch keine Frau so wirklich für mich. Jedenfalls nicht so, wie ich es mir vielleicht erhofft hätte. Ich war vielleicht mal als Erzeuger gut, wenn das Fruchtbarkeitsfest war. Aber es gab noch niemand, der sich so für mich interessiert hat…wie du.“
Als Tantalius das sagte, wurde ihm erst die Bedeutung dieser Worte bewusst. Artemia hatte wirklich Interesse an ihm. Warum eigentlich? Sofort schaltete sich wieder sein Verstand ein, der ihm allerlei Erklärungen lieferte. Vielleicht hatte sie einfach Mitleid mit ihm, vielleicht fühlte sie sich ihm verpflichtet, weil er ihr Leben und das Leben ihres geliebten Sohnes, gerettet hatte. Eine andere Erklärung fiel ihm nicht dazu ein und unbemerkt verhärtete sich seine Miene.
„Du verschliesst dich schon wieder“, sprach Artemia. „Ich sehe es in deinen Augen.“ „Was…ich verschliesse mich? Was soll das ganze Gerede?“ erwidertet er unwirsch. Sie schien von seinen Worten verletzt. Er merkte das, denn ein Schatten fiel über ihr schönes Antlitz und sogleich bereute er sein Verhalten wieder. Doch da war einfach noch zu viel Unsicherheit in ihm. Er konnte nicht glauben, dass sie anderweitig an ihm interessiert sein könnte.
Doch Artemia fasste sich wieder. „Weisst du Tantalius, was dein eigentliches Problem ist?“ sprach sie etwas tadelnd.
„Nein,“ erwiderte er wieder etwas heftiger, als eigentlich geplant. „Aber, du wirst es mir vermutlich gleich sagen. Du kennst ja meine Geist mittlerweile ganz gut, nicht wahr?“
Sie schluckte leer, denn seine Worte trafen sie wirklich. Doch dann trat plötzlich ein kriegerisches Funkeln in ihre Augen. „Dein Problem ist, dass du gar nicht zulässt, dass man näher an dich herankommt, obwohl es sicher schon einige gab, die dir gerne näher gewesen wären. Dass du bei den Frauen nicht ankommst, ist nicht das Problem. Das Problem ist, das du jegliche Art von weiblicher Zuneigung, eigentlich ablehnst. Weil dein ganzes Leben geprägt war, vom Kampf gegen die Frauen und dem Behaupten ihnen gegenüber. Du hast einfach kein Vertrauen in das weibliche Geschlecht. Was ich im Grunde auch irgendwie verstehen kann. Doch, du hast darüber vergessen, dass nicht alle Frauen gleich sind. Ich z.B. ich bin anders als die Harpyas. Ich habe eine gänzlich andere Sicht, von so vielen Dingen. Ausserdem, ist es ja eben meine Gabe, die Gefühle meiner Mitmenschen zu ergründen. Zu erkennen, was in jedem einzelnen an Potenzial schlummert. In dir Tantalius, habe ich viel Potenzial gesehen. Ich sehe das Licht, das aus deinem Inneren strahlt, auch wenn du dir dessen selbst nie bewusst warst. Doch es ist da, sonst würden dir nicht so viele, so treu ergeben, folgen. Sonst würdest du nicht Der Held der weiten Himmel genannt werden. Dieser Titel hat eine viel weitgreifendere Bedeutung, als du jemals ahnen wirst, denn das ist es, was in dir schlummert, hier drin!“ Sie deutete auf sein Herz. Dein Kern ist Der Held der weiten Himmel. Denn du bringst Weite in die Leben der Menschen, himmlische Freude, weil du einfach, Du bist!! Das alles hier, wäre nie möglich geworden. Ohne deinen Einsatz, ohne das Licht, dass du für die Männer und schlussendlich auf für die Frauen dieser Welt bist! Das musst du erkennen! Das du das nicht erkennen kannst, ist dein grosses Problem! Ich aber sehe das alles in dir. Ich habe das schon ganz zu Beginn gesehen. Ich bin nicht hier, weil ich in deiner Schuld zu stehen glaube, oder glaube, dass ich dich bemitleiden müsste. So ist das nicht! Du brauchst kein Mitleid. Und auch wenn du das alles nicht getan hättest, wäre ich trotzdem hier bei dir, weil ich es gerne bin, weil… ich dich wirklich sehr mag!“ Sie hielt in ihrem Redeschwall inne und schaute ihm in die Augen.
Tantalius konnte kaum glauben, was er da eben gehört hatte und starrte erst ungläubig zurück. Er war zutiefst bewegt und sein Herz überfloss, vor Zuneigung zu dieser Frau. Er trat nahe an sie her und fragte: „Du, meinst du…?“
„Ja, du Narr. Ich bin in dich verliebt!“ sprach sie mit einer Mischung aus Ungeduld und Belustigung. „Musst du es noch schriftlich haben!“
„Schriftlich? Ich… äh, ja gern, nein natürlich nicht! Ach was quatsche ich da. Ich benehme mich ja wie ein Jüngling.“
„Sei doch einfach mal still!“ befahl sie und küsste ihn auf den Mund. Zuerst zuckte er zusammen, doch dann erwiderte er den Kuss. Sie schlang die Arme um seinen Hals und er drückte sie eng an sich. Er glaubte in einem Traum zu schweben. Raum und Zeit waren in diesem Augenblick aufgehoben. Er fühle ihre Wärme, die Weichheit ihres Körpers, roch den Duft ihrer Haare, die irgendwie nach Blüten rochen. Letzteres kannte er von den harpischen Frauen nicht. Er küsste sie immer weiter, immer leidenschaftlicher. Bei ihr konnte er endlich seine ständige Denksucht, ablegen. Er genoss einfach den Augenblick, in dem er sie spürte, indem ihr und sein Licht Eins wurden. Er sehnte sich so sehr danach, sie immer so bei sich zu haben, sie nie mehr loslassen zu müssen und er sehnte sich danach, mit ihr auch körperlich zu verschmelzen. Doch leider war das im Augenblick nicht möglich. Sie trug noch immer diesen magischen Schutzanzug, der sie vor dem lebensfeindlichen Klima hier schützte. Sie konnte ihn nicht ablegen, obwohl sie es nur zu gern getan hätte, das spürte er. Sie mussten noch etwas Geduld haben, aber die Leidenschaft würde dann umso grösser sein.
Noch den ganzen Rest der Nacht, verbrachten die beiden zusammen. Sie schwebten miteinander, durch die für das Fest geschmückte Stadt, sassen auf dem Balkon zusammen und redeten über Gott und die Welt und danach schliefen sie, eng aneinander geschmiegt, ein…