Doch noch waren die Feierlichkeiten lange nicht vorbei. Podargia, welche ebenfalls andächtig dem Trommelschlag gelauscht hatte, erhob sich nun wieder. Ihre mächtigen, schwarzen Schwingen bewegten sich leicht in dem nun plötzlich auffrischenden, Wind.
„Dieser Wind“, dachte Aellia. „Es scheint, als wäre in ihm die Göttin zu uns gekommen!“ Sie schaute sich um und alles erschien ihr auf einmal mit einer einzigartigen, wundersamen Energie erfüllt. Der Wind streichelt ihre purpurne Haut und… einen Augenblick lang, kam es ihr so vor, als würde die Göttin selbst sie streicheln. Es gab noch andere die das spürten, auch Iquitos, denn er schien auf einmal hochkonzentriert! Eine feierliche Stimmung machte sich breit, ein Gefühl der Einheit und des Zusammenhaltes, der alle tief berührte und jegliche Laute einen Moment lang verstummen liessen. Die Greife hielten ihre, mit scharfen Schnäbel bewehrten Köpfe, in die Luft und gaben ein leises Krächzen von sich, als sähen sie den Geist der grossen Gottheit an sich vorbeiziehen. Etwas war hier, etwas Wundervolles, das nicht in Worte zu fassen war und Aellia erkannte immer mehr das wahre Wesen der Göttin!
Ihre und die Augen von Nannios begegneten sich und er nickte zustimmend. Ja, auch er spürte es! Er ganz besonders, weil er so eng mit der Gottheit verbunden war.
Doch…da war nicht nur eine weibliche, göttliche Qualität zu spüren, nein! Es war eine Qualität, die zugleich weiblich und männlich war und Aellia fiel es wie Schuppen von den Augen. Ja, auch die männliche Gottheit war hier! Sie war ganz nahe bei ihnen und sie und die weibliche Gottheit, lebten im Einklang miteinander. Die Leute in der Menge schauten sich an. Die Frauen die Männer und die Männer die Frauen und… sie alle spürten ganz genau, dass auch sie nun im Einklang miteinander waren und auch im Einklang mit der ewigen Gottheit, welche weiblich, wie männlich war.
Der Wind frischte immer mehr auf, blähte die Gewänder der Anwesenden, die Fahnen und Bänder, die man überall angebracht hatte. Die Fackeln flackerten unruhig, aber sie erloschen nicht. Dann auf einmal war es…, als habe sich der Wind wieder gelegt, doch… es war nicht wirklich so! Er wehte auf Iquitos zu und sammelte sich um diesen herum. Aellia erschien es, als würde sich eine Art kleiner Luftwirbel, um den zukünftigen Mann der Königin bilden. Dieser spürte das in seiner Sensitivität deutlich und erhob sich mit erstauntem Blick. Der Wind blähte seine Gewänder, liess sie flattern, wie zusätzliche Flügel. Iquitos Haare, die sauber gekämmt waren, wurden dadurch zerzaust, doch es war ein sehr angenehmes Gefühl für ihn, den unsichtbaren Atem des Göttliche auf seiner Haut zu spüren. Es erschien ihm, als würde dieser einen Schutzwall um ihn bilden, ihn zusätzlich bis in die tiefsten Tiefen durchdringen und läutern. Und… für einen kurzen Moment lang, verwandelten sich die Windsäule in eine durchschimmernde Säule aus… Licht!
Alle sahen dieses Licht, je nach magischer Begabung, etwas mehr oder weniger. Wieder durchwogten, im Angesicht dieses zweiten, unerklärlichen Phänomens, erstaunte Rufe, die Menge. Die Lichtsäule fiel nun wieder in sich zusammen und Iquitos Herz leuchtete noch einen Moment lang, in einem hellen Strahlen auf. Dann… war es vorbei! Podargia und auch die anderen, welche Iquitos umstanden, schauten den jungen Mann fassungslos an.
In den Augen der Königin glitzerten Tränen der Rührung, ebenfalls in den Augen von Iquitos. Er wandte sich an seine zukünftige Gemahlin und sprach voller Erstaunen: „Es ist… als habe die Göttin“- er verbesserte sich „-die Gottheit-, mir ihren Segen erwiesen…aber…ist das möglich, da ich doch so unbedeutend bin?“ „Du… bist nicht unbedeutend…!“ sprach die Königin mit bebender Stimme. „Du…bist so viel bedeutender, als alle wir es bisher ahnen konnten. Du… wirst uns helfen, die Gottheit in ihrer vollkommenen Pracht zu erfahren.
Darum zögern wir nicht länger! Bringt seine Krone her!“ befahl sie und diesmal, schwebte eine der harpischen Priesterinnen nach vorne und brachte die Krone, auf einem samtenen Kissen gebettet, heran. Es war eine wundervolle, goldene Strahlenkrone, der Krone nachempfunden, welche die Solianer glaubten, dass sie der Gott Heliosus trug. Sie war speziell für den zukünftigen König angefertigt worden, der ab heute für den männlichen Aspekt der Gottheit stehen würde.
Callidia kam nun ebenfalls herbei und zusammen mit der Königin, hielt sie, die im abendlichen Licht schimmernde Krone, über Iquitos Haupt. „So also, krönen wir dich, Iquitos, zu unser aller König!“ rief Podargia „Möge Weisheit, Liebe und ein scharfer Verstand, stets deine Entscheidungen prägen!“
Callidia fuhr fort: „Mögest du der Gottheit treu ergeben, stets deinen Dienst an all jenen leisten, die deines Rates und deines Beistandes bedürfen! Mögest du allen geflügelten Völkern zum Segen gereichen und mit ihnen in Frieden und Eintracht leben! Möge die Gottheit…!“ sie hob ihren Blick gen Himmel, „stets an deiner Seite sein und dich leiten und führen!“
Podargia fuhr fort. „Mit dieser Krone, machen wir dich nicht nur zu unserem König, sondern auch zu meinem Gemahl! Alle sollen es sehen, alle sollen die Worte hören, die uns für immer verbinden werden!“ Die Königin und die neue Hohepriesterin setzten Iquitos die Krone auf, dann nahm Callidia ein schwarz-weisses Band und umwickelte die beiden rechten Hände des Brautpaares, das sich nun gegenüberstand. Sie legte ihre linke Hand mit einer segnenden Geste darüber und hob die rechte Hand mit geschlossenen Augen gen Himmel. „So führe ich diese beiden Menschen nun, im Namen der Gottheit, zusammen! Möge der Segen selbiger stets über ihnen liegen!“ Und…tosender Jubel erhob sich!
Aellia beobachtete tief berührt, wie die beiden Frischvermählten nun Hand in Hand dort standen und sich von ihrem Volke feiern liessen. Dann begann wieder der Trommelschlag, welcher alles durchdrang. Und… mit diesem Trommelschlag, begann die rituelle Vereinigung zwischen dem neuen König und der Königin, die zugleich Symbol war, für die Vereinigung zwischen Gott und Göttin. Aellia, Nannios und die anderen, hatten dieses besondere Ritual zusammen geplant, denn es war sehr wichtig, dass das Königspaar ein deutliches Zeichen setzte. Dieses stimmte nun einen Gesang in fremder Sprache an, der aus der Welt der Lunarier kam. Keiner verstand die Worte, ausser jenen die eingeweiht waren.
Aellias Herz klopfte und sie spürte eine tiefe Rührung in sich, denn sie kannte diesen Gesang. Es war jener, den sie das erste Mal am Fruchbarkeitsfest, im Land des Silbermondes gehört hatte, als die Priesterin den König empfing und die Beziehung zwischen Gott und Göttin besang.
Dieser Gesang hier, wies jedoch einen kleinen Unterschied auf. Iquitos wie Podargia besangen einander. Der Text war demzufolge etwas abgewandelt. Erinnerungen die Aellia an jenen ersten Abend mit Nannios hatte, durchströmten die junge Frau. Auch ihrem Liebsten ging es so und sie beide konnten ihre Sehnsucht nacheinander kaum mehr zügeln.
Die Dunkelheit war nun endgültig hereingebrochen und Lilithias Zeichen stand am Himmel, schöner denn je.
Aellia träumte von Zeiten, die noch weit in der Zukunft lagen, Zeiten, in denen auch das Symbol des Gottes wieder am Himmel dieses Reiches erscheinen würde und alles hier zu neuem Leben erwachen würde. Sie sah vor ihrem inneren Auge, wie die kargen Felsen ihres Landes wieder überzogen wurden, mit dem ersten Grün von Gras und vielleicht sogar jenem von Blumen und Bäumen. Sie hatte eine Vision von einem Reich, dass voller Leben, voller Licht und Freude war, einem Reich, wo alle in Frieden lebten und keiner mehr Not leiden musste. Sie würde dieses Reich sehen, einst würde sie es sehen, das schwor sie sich. Wenn nicht in diesem Leben, dann in einem nächsten. Sie würde hierher zurückkommen, irgendwann… und sie würde sich erfreuen an dem neuen pulsierenden Leben, dass es hier einst geben würde. Es war nun ihre Aufgabe, die ihren neuen Freunde und des Königspaares, diese Welt in ein neues Zeitalter zu führen! Der Segen der Gottheit besassen sie, dass hatte man deutlich genug gesehen.
Erfüllt von tiefer Freude, Liebe und Einsicht, beobachtete sie, zusammen mit allen Anwesenden, wie Iquitos und Podargia sich an den Händen hielten und anfingen zusammen in der Luft zu tanzen. Sie waren so wunderbar anzusehen! Der Schein der Fackeln spiegelte sich in ihren Kronen und den, mit Glanzfäden durchwirkten Kleidern. Auch in ihren Augen spiegelte sich das Licht. Es war so warm, so voller Innigkeit, weil diese beiden Menschen sich von Herzen liebten. Sie schauten sich tief in die Augen und Aellia sah das Leuchten darin. Sie kannte das nur zu gut. Es war jene Liebe, die auch sie für Nannios empfand, jene Liebe, die mit nichts zu vergleichen war. Jene Liebe, die durch alles Hochs und Tiefs hindurchführte und durch nichts zu zerstören war. Eine Liebe, die alle Zeiten überdauerte, bis… sie eines Tages in den Schoss der Gottheit zurückkehren würden und wohl… noch darüber hinaus. Der Tanz des Königspaares, drückte diese Liebe deutlich aus. Alles war so sanft, und doch voller Begehren. Die beiden küssten sich und schraubten sich in spiralenartigen Bewegungen, immer weiter hinauf in den nachtschwarzen Himmel. So wie damals am Fruchtbarkeitsfest der Lunarier.
Lilithia stand am Himmel und die Silhouetten von Podargia und Iquitos, hoben sich von ihr ab. Durch ihre goldenen Kronen und die schimmernden Gewänder, wirkten sie wahrlich wie göttliche Gestalten und… es war Aellia, als ob Lilithia die beiden wie eine liebende Mutter willkommen heissen würde. Immer weiter tanzten die beiden, es war als hinterliessen sie eine golden schimmernde Spur, im Äther dieser Welt. Nur Aellia und einige die das magische Auge besassen, nahmen das so deutlich wahr, nahmen das wahr, was im Feinstofflichen passierte und es war ein wundervoller Anblick. Ein wundersames Gewebe aus goldenen Fäden, die sich vom Nachthimmel abzeichneten und die annähernd so wunderbar waren, wie die filigranen, silbern schimmernden Adern, die den dunklen Mond durchzogen. Alle spürten diese einzigartige Atmosphäre, diese Vereinigung der weiblichen und männlichen Kräfte, auch in sich selbst.
Und… viele erkannten, dass sie erst jetzt den Weg zur Vollkommenheit beschritten hatten. Die Worte, die das Königspaar gesungen hatte, klangen in ihren Herzen nach, auch wenn sie in einer, ihnen unbekannten Sprache, gesprochen worden waren:
Du bist ich und ich bin du, das Leben verändert sich immerzu. Doch wir (Gott und Göttin) bleiben ewig bestehn, lass unsere Kinder das Licht der Göttlichkeit sehn…!
Ende