14.Kapitel
Hydrochias, lebte ganz allein auf einer der vielen, kleineren Planeten- Scherben, des Reiches des dunklen Mondes. Diese lag ganz am Rand selbigen. Er wohnte in einem quadratischen Bau, direkt unterhalb eines eindrücklichen Leuchtturms, dessen Schein weit herum zu sehen war. Er besass sein eigenes Wasserreservoir und einmal pro Woche, kam man bei ihm vorbei und versorgte ihn mit den nötigen Lebensmitteln. Hydrochias arbeitete schon in der dritten Generation hier. Sein Vater und auch sein Grossvater, hatten den Leuchtturm betreut und alle Arbeiten die damit verbunden waren, gewissenhaft erfüllt. Eine besonders wichtige Aufgabe von Hydrochias war es auch, sich um die monatlich, von den Drakoniern gelieferten Wasserfässer zu kümmern. Er musste Qualitätskontrollen machen und die Fässer für die verschiedenen Kasten der Harpyas markieren. Dies war eine sehr verantwortungsvolle Aufgabe, um sicherzustellen, dass jeder genügend und gutes Wasser erhielt. Der Leuchtturm diente den Drachenschiffen dazu, sich in dem, doch recht unübersichtlichen, dunklen Reich der Harpyas zurecht zu finden. Auch die Jäger, welche immer wieder weit weg von ihrer Heimat auf Jagd gingen, waren auf das Licht des Turmes angewiesen, um stets gut nach Hause zu finden, oder sich vielleicht sogar einen Tag lang, dort auszuruhen. Hydrochias kümmerte sich stets darum, dass das Licht des Turmes, welches aus einer Öl- Lampe, die sich im Zentrum einer, mit reflektierenden Hohlspiegeln versehen Kugel befand, immer brannte. Ausserdem musste er den Turm auch warten und wenn nötig selbst reparieren. Ab und zu kamen Leute, vor allem eben die Jägerinnen und Drakonier, bei ihm vorbei und er musste sie dann auch bewirten. Es gab in dem quadratischen, recht grossen Bau, in dem er selbst lebte, noch eine kleine Schenke, wo man essen und trinken konnte und einige Betten, um sich auszuruhen. Alles war ziemlich einfach eingerichtet, doch es reichte. Hydrochias war allgemein bekannt und bei den Durchreisenden sehr beliebt.
Gerade stand er oben auf dem Balkon des Turmes und blickte nachdenklich hinaus auf das Reich der Harpyas. Die vielen Planetenscherben, welche als dunkle Silhouetten im endlosen Raum schwebten, hoben sich von dem, nun purpurnen Schein, des abendlichen Himmels ab. Bald würde Lilithia wieder an diesem, in der Nacht tiefschwarzen Firmament, auftauchen. Er hatte es immer geliebt dieses Schauspiel zu betrachten, denn durch seine, an Finsternis gewöhnten Augen, sah alles viel schöner und eindrücklicher aus, als es Menschen, ohne diese besonderen Augen, vorgekommen wäre. Er sah den dunklen Mond deutlich, auch wenn er scheinbar mit dem nächtlichen Himmel zu verschmelzen schien. Für ihn und die anderen des harpischen Volkes, war bei Finsternis, alles in einen magischen, silbernen Schein gehüllt und die grosse Göttin, war eine wunderschöne, kreisrunde Kugel, durchzogen mit filigranen Silberfäden und vielfältigen Strukturen. Manchmal gingen Hydrochias seltsame Gedanken durch den Kopf, wenn er Lilithia betrachtete. Er hatte manchmal das Gefühl, dass sie nicht immer gleich aussah und er fragte sich teilweise, ob sie eigentlich wirklich aus sich selbst heraus leuchtete, oder von irgendeiner äusseren Lichtquelle, aus verschieden Winkeln, beleuchtet wurde. Vielleicht fragte er sich solche Dinge, weil es sich in seinem Beruf, sehr mit den Funktionen und dem Aufbau des Lichtes auseinandersetzte. Es schien manchmal auch, als würden die verschiedenen Strukturen des dunklen Mondes, aus einem Nebel bestehen, der immer wieder an einem andern Ort wogte. Wenn er ganz genau hinschaute, glaubte er diese Bewegung wahrzunehmen. Manchmal erschien dort wieder ein heller Fleck, dann wurde er auf einmal wieder bedeckt und dann tauchte er an einem gänzlich andern Ort erneut auf. Er hätte jedoch nie gewagt, darüber offen zu sprechen, denn das konnte, besonders bei den weiblichen Harpyas, als schlimmste Blasphemie ausgelegt werden. Er wusste, dass ihn dies teuer zu stehen kommen konnte, darum behielt er seine Überlegungen für sich.
Heute Abend jedoch, waren diese Gedanken wieder sehr präsent, präsenter denn je. Er merkte, wie er die Göttin immer mehr begann, in Frage zu stellen. War der dunkle Mond wirklich die Verkörperung der Göttin, oder ganz einfach ein toter Haufen Materie, ähnlich wie die dunklen Planetenscherben, auf denen die Harpyas lebten? Er erschrak selbst, wenn er darüber nachdachte. Hatte er seinen Glauben bereits gänzlich verloren? Er verneinte diese Frage jedoch gleich wieder, denn er glaubte sehr wohl an die Göttin, nur nicht unbedingt daran, dass dieser dunkle Mond sie wirklich verkörperte. Dieser war für ihn mehr ein Symbol für Lilithia. Ein Symbol, das in ihm auf einmal Schuldgefühle weckte, wenn er es betrachtete. Es erschien ihm wirklich, als würde die Göttin auf ihn herabblicken. Ob dieser Blick jedoch wohlwollend war, für einen wie ihn?
Er erinnerte sich wieder an den Abend, als ihn dieser fremde Harpyer in seinem Heim aufgesucht hatte. Er war etwa im Alter von Hydrochias, nicht mehr jung, aber auch noch nicht alt. Er stellte sich ihm als Tantalius vor. Er war eine eher unscheinbare Person, wenn da nicht sein besonderes Charisma gewesen wäre, dass einem sofort in seinen Bann schlug. Er hatte ruhig und besonnen gesprochen und man hatte ihm jedes Wort vollkommen abgenommen. Er war nicht besonders gross oder kräftig, hatte ein schwarzes Gefieder. Seine Stirn war hoch und der Haaransatz, irgendwie herzförmig. Das schwarze Haar selbst war kurz und recht dünn, seine Lippen schmal, seine Nase etwas grösser geraten. Das Besonderste an ihm waren die Augen. Sie waren im Verhältnis zu dem eher dunklen Typus des Mannes, recht hell, beinahe ins olivgrün. Dunkle, dichte Brauen überspannten sie. Vielleicht waren es ja auch diese Augen, welche einem solchen Eindruck machten. Sowas gab es kaum, im Reich des dunklen Mondes. Ansonsten jedoch wirkte der Fremde wirklich unscheinbar und Hydrochias vermutete, dass er es bei den harpischen Frauen schwer hatte, da er keine besonderen Attribute besass, welche selbige verlangten. Er war nicht gutaussehend, nicht kräftig und wohl auch nicht jemand, der es fertigbrachte auf andere Art Eindruck zu schinden. Ausser in Bezug auf seinen Intellekt und sein strategisches Talent, welches er zweifellos besass. Doch das war in der Welt der weiblichen Harpyas nicht sonderlich gefragt.
„Seid gegrüsst, Herr des Leuchtturmes!“ hatte er gesagt. Hydrochias fühlte sich geschmeichelt durch diese respektvolle Bezeichnung. Er hatte den Gruss erwidert und gefragt, ob der Fremde vielleicht Obdach hier suche. Doch Tantalius verneinte. „Nein, ich bin in einer anderen Angelegenheit hier. Es ist eine recht delikate Angelegenheit und ich weiss, dass ihr erst vielleicht entsetzt sein werdet von meinem Ansinnen, aber die Verzweiflung und die unstillbare Sehnsucht nach Freiheit, treibt mich zu diesem Schritt.“ „Setzt euch doch!“ meinte Hydrochias mit seiner üblichen, gastfreundlichen Art, um seine Neugier etwas zu überspielen. Der Fremde setzte sich an einen der hölzernen, einfach gezimmerten Tische und der Leuchtturmwächter, holte etwas herben Met. Tantalius nahm nur einen Schluck, dann fuhr er fort: „Ich bin hier, um euch um eure Hilfe zu bitten…“ Er erhob sich und schwebte etwas unruhig in der Schankstube auf und ab. „Es ist schwierig, die richtigen Worte zu finden. Ich weiss, ihr seid ein sehr gewissenhafter, erfahrener Leuchtturmwächter und…schon seit Generationen, hat eure Familie diese und noch andere, überaus wichtige Aufgaben, übernommen…“ Hydrochias schaute den Fremden etwas unangenehm berührt an. „Worauf wollt ihr hinaus?“ fragte er „ist man nicht mehr zufrieden mit meiner Arbeit?“ „Nein, nein im Gegenteil!“ rief Tantalius aus. „Eigentlich bin ich sogar hier, um euch zu bitten, eure Aufgabe mal nicht ganz so gewissenhaft auszuführen.“ „Was bei der Göttin, meint ihr damit?“ Der Fremde rieb etwas nervös seine Hände. Hydrochias wurde ungeduldig: „Nun mal raus mit der Sprache! Was wollt ihr von mir?“ Der Fremde setzte sich nun wieder und schaute den Turmwächter mit einem ernsten Blick an. „Es ist doch so, dass ihr jeweils die Wasserlieferungen von den Drakoniern überprüft und sie dann für die verschiedenen Kasten unseres Volkes kennzeichnet?“ „Ja…das ist richtig“, sprach Hydrochias misstrauisch. „Ich wollte euch bitten, das, nur dieses eine Mal, mir und meinen Männern zu überlassen.“ „Wie bitte! Seid ihr vollkommen verrückt geworden, warum sollte ich das tun? Ich habe in dieser Hinsicht eine grosse Verantwortung. Was wollt ihr überhaupt mit dem Wasser?“ Tantalius erhob sich erneut und schwebte auf und ab. „Ich versuche es euch so gut als möglich zu erklären.