Wieder ging ein Tag im Land es Silbermondes zu Ende und Aellia wurde zusehend aufgeregter. Jetzt da sie wusste, dass ihre Göttin Lilithia nicht in jener Form existierte, an welche sie immer geglaubt hatte, war sie noch mehr verunsichert, was die möglichen Reaktionen ihres Volkes, hinsichtlich ihres Vorhabens, betraf. Irgendwie wurde sie, seit dieser neuen Erkenntnis, von Zweifeln geplagt. Immer wieder wünschte sie sich, dass sie das alles nie erfahren hätte. Denn wie, um alles in der Welt, sollte sie nun überzeugend vor ihre Mischwestern treten, nachdem ihr eigener Glaube so ins Wanken geraten war? Wie nur konnte sie weiterhin eine treue Priesterin der dunklen Mondgöttin sein, wenn sie eigentlich wusste, dass es sich bei dieser nur um eine Illusion handelte?
Natürlich versuchte Nannios sie zu trösten, ihr eine andere Sicht der Dinge zu vermitteln. Für ihn war das alles kein Widerspruch. Er konnte anders damit umgehen, anders… als sie.
Für Aellia jedoch, geriet das ganze, von ihr bisher geführtes Leben, ihre religiösen Überzeugungen, völlig aus den Fugen. Lilithia war nur Lunaria und sie wusste gerade wirklich nicht, wie sie mit diesem Wissen klarkommen sollte. Auch aus diesem Grund konnte sie es kaum erwarten, sich endlich auf die Reise in ihre Heimat, zu begeben. Auf dieser Reise bekam sie vielleicht mehr Klarheit, sie sah dann mit eigenen Augen, das Mangios die Wahrheit sprach. Aber…was würde dann weiter werden? Sie wusste es nicht. So blieb ihr nichts anderes übrig, als sich in Geduld zu üben und vorerst mit ihrer inneren Unsicherheit zu leben.
Endlich dann, war es soweit! Der Tag nach ihrer Abreise, brach an und im Laufe des Mittags, verdunkelte sich auf einmal, die durch einen sanften, lila Schein gedämpfte Sonne! Und dann kamen sie: Die Drachenschiffe! Erst sah man nur ihre dunklen Silhouetten, die sich, eine nach der anderen, vor die Sonne schoben. Sie wirkten auf den ersten Blick, wie richtige Drachen, erst als sie näherkamen, erkannte man sie als die Flugschiffe, die sie eigentlich waren. Ihr Rumpf leuchtete in den Farben des Feuers. Die am Heck angebrachten, geschnitzten Drachenköpfe, die alle etwas anders aussahen, boten ein eindrucksvolles Bild. Ein jedes von ihnen war ca. 50 Ellen lang und bot einigen Passagieren Platz. Nur das Flaggschiff war etwas grösser. Es waren gesamthaft 15 Schiffe, alle mit einem Kajüten Komplex in der Mitte, worin man schlafen konnte. Ihre ledernen Schwingen, hoben und senkten sich, beinahe lautlos.
Aufregung machte sich in der Stadt des Silbermondes breit, alle zeigten auf den Himmel. Die Drachenschiffe näherten sich immer mehr und kamen schliesslich in der Luft, über dem grossen Tempel, zum Stillstand.
Die Stadt bot nicht für alle genug Platz, um richtig anzulegen. Doch die Reisenden waren schon bereit. Nannios, Trojanas und die andern Nicht- Harpyer, trugen die Schutzgewänder, welche wie flüssiges Gold schimmerten und sanft durchwebt waren, von den wundersamen Runen. Alle waren sehr gespannt ob die Anzüge ihren Zweck schlussendlich erfüllen würden, doch sie waren zuversichtlich.
Die Drakonier, welche das grösste Schiff steuerten, dass sich am Anfang des Zuges befand, begrüssten Aellia und die anderen Führungspersonen, mit der üblichen Höflichkeit.
Ein eindrucksvoller, besonders kräftig gebauter Mann, mit schwarzem, halblangen, etwas angegrautem Haar, sprach zu ihnen: „Willkommen auf unserem Schiff! Es steht euch frei, welche Quartiere ihr beziehen wollt. Wir haben Platz genug. Für jene die kein Schutz- Gewand haben, werden wir später magische Schutzschilde um die Schiffe legen. So wie ihr es gewünscht habt!“ „Aellia nickte ihm wohlwollend zu. „Ich werde euch nun kurz herumführen. Bitte folgt mir!“
Der Drakonier schwebte voraus und die Passagiere folgten ihm. Er zeigte ihnen zuerst die Kajüten, die sich in der Mitte des Gefährts befanden. Diese waren klein, aber geräumig. Es gab Doppel und Einzel- Kabinen. Darin standen Betten, die man mit naturfarbenen Lacken bezogen hatte. Die restliche Einrichtung war auf das Mindeste beschränkt. Es gab einen kleinen Tisch, den man herunterklappen konnte und zwei bis vier Stühle. Durch eine runde Fensterluke, fiel etwas Licht herein. Auch ein kleiner Spiegel und ein hölzerner Waschzuber mit einem Wasserkrug daneben, befanden sich in jeder der Kajüten. „Mein Name ist übrigens Aresios,“ stellte sich ihr Führer vor. „Ich leite diese Mission, wenn also irgendetwas ist, sprecht mich einfach an! Dort oben ist übrigens das, was wir Magi-domus nennen. In seinem Inneren befindet sich der Magier, welcher das Schiff beim Fliegen unterstützt. Wenn ihr wollt, könnt ihr auch dort einen Blick hineinwerfen!“ Aellia und die andern nickten begeistert und schwebten hinauf zu einem quadratischen Bau, welcher sich im vorderen Teil des Schiffes, über den Kajüten erhob. Eine Holztreppe führte dort hinauf. Der Bau, war rundherum mit Fenstern ausgestattet und im Inneren selbigen, befand sich eine mächtige, wie Kristall aussehende Kugel, über die seltsame Blitze und magischen Zeichen huschten. Ein Mann in einer blutroten Robe, die mit einem schwarzgoldenen Drachenmotiv bestickt war und der einen goldenen Umhang über der Schulter trug, hielt sich hier auf. Seine Hände ruhten auf der Kugel und er schien sehr konzentriert. Aresios hielt den Finger vor den Mund, um die Gäste zur Ruhe zu ermahnen. Fasziniert schaute Aellia dem Magier zu. Die seltsamen Strahlen, welche aus der Kugel herausströmten, bildeten eine leuchtendweisse Korona um jeden seiner Finger. Das Leuchten war so hell, dass es sich von der Kugel her, über das ganze Schiff ausbreitete. Es war wirklich wundervoll! Aellias Freunde, welche teilweise Magie nicht auf dieselbe Weise sehen konnten, schienen auch fasziniert von dem Schauspiel, aber es war für sie nicht annähernd dasselbe, wie für die Harpya.
„Es ist wunderschön“, flüsterte sie Nannios zu. „Nicht wahr?“ „Ja wahrhaftig!“ erwiderte dieser, welcher die Magie ebenfalls sehen konnte begeistert. „Diese Kugel…sie ist wie eine kleine Sonne, die ihr Licht über alles hier ausgiesst. Kennst du die Zeichen, die darüber huschen?“
„Nicht wirklich, ich habe sicher schon ähnliches gesehen, aber das hier…es ist eine ganz andere Art von Magie, als ich sie kenne.“
„Drachenmagie!“ raunte Artemia, welche ebenfalls zutiefst beeindruckt war. Aresios lächelte ihr zu und nickte, dann gebot er ihnen, das Magi- domus wieder zu verlassen.
„Viel mehr gibt es hier nicht zu sehen,“ sprach er, als sie wieder auf das Deck des Schiffes zurückgekehrt waren. „Wir essen meistens hier draussen. Dort drüben befindet sich eine Kochstelle. Wenn es regnet wird sie nach innen verlegt, aber zurzeit ist das nicht nötig.“
Die Passagiere nickten und bezogen dann ihre Quartiere.