In diesem Augenblick tauchte zwischen der schwarzen Pyramide und der Stadtmauer auf einmal ein weiteres, rotoranges Leuchten auf! Und dann, erblickten sie Kelana wieder! Diese war umgeben von einer Säule aus Feuer, welche sich um sie drehte. Es machte den Eindruck, als wäre die harpische Hohepriesterin selbst ein Teil dieses Feuers geworden. Ein grausiger Anblick!
Aellia sah ihre Augen, die nicht mehr in ihrem normalen, silbernen Schimmer leuchteten, sondern selbst zu Glut geworden waren. Diese Augen blickten sie nun an und sie waren erfüllt von unbändigem Hass. Aellia erschrak sehr, denn dieser Zauber würde Kelana früher oder später selbst zerstören. Die Flammen zerrten an ihr. Es war ein groteskes Bild voller Schrecken und Morbidität. Doch Kelana schien nicht mehr bei klarem Verstand. Sie drehte sich blitzschnell, ein Wirbel aus Flammen, von welchem feurige Blitze ausgesandt wurden. Aellia hatte so einen ähnlichen Zauber auch schon angewandt. Damals bei der Entführung der Lunarierinnen, durch die Solianer. Doch damals hatte sie das Luftelement zu Hilfe genommen, welches doch einiges weniger selbstzerstörerisch war, als ein Feuerzauber dieser Art. Sie errichtete sofort einen Schutzschild, um sich selbst und die anderen hinter ihr, zu schützen. Die feurigen Pfeile prallten davon ab.
„Warte!“ rief Nannios „Ich kümmere mich um den Schutz der anderen, kämpf du weiter gegen Kelana. Sie ist nicht mehr bei Sinnen und muss unbedingt gestoppt werden!“ Mit diesen Worten errichtete er eine Schutzglocke, die ihn und seine Begleiter einhüllte.
Aellia war froh, dass Nannios diese Aufgabe übernahm und rief die Macht des Wassers herbei. Dieses bildete nun ebenfalls eine Säule um sie, jedoch eine blausilbern glänzende. Ganz ähnlich, wie der Drachen vorhin ausgesehen hatte, den sie beschworen hatte, nur nicht zu Eis geformt.
Aellia begann sich nun ihrerseits zu drehen und sandte Wasserfontänen gegen die Feuersäule der Hohepriesterin. Immer und immer wieder prallten die beiden Mächte aufeinander. Es zischte und spritzte, wie bei Lava, welche ins Meer floss. „Du kannst diesen Zauber nicht mehr lange aufrechterhalten, Kelana!“ rief Aellia durch die wirbelnden Wassermassen hindurch, die sie wie ein schützender Vorhang umgaben. „Es schwächst dich zu sehr und du weisst, Wasser ist immer stärker als Feuer!“
„Wir werden sehen!“ schrie die Hohepriesterin. Ihre Stimme klang irgendwie fremd, nicht mehr wie einst. Die vernichtende Macht des schrecklichen Feuerzaubers, zerrte schon sehr an ihr. Aellia drang immer weiter auf sie ein. Die Flammen erloschen, eine nach der anderen und schliesslich hatte sie Kelanas Zauber aufgelöst und diese wurde erneut zurückgeschleudert. Kelana fing sich jedoch erstaunlich schnell wieder auf, machte eine blitzschnelle Drehung und rief nun die Macht der eisigen Winde herbei. Diese konzentrierte sie auf der Höhe ihres Herzens und sandte ihn gegen Aellias Wassersäule. Die junge Frau erschrak sehr und erkannte, dass Kelana sie mit ihren eigenen Waffen geschlagen hatte. Das Wasser um sie herum, erstarrte urplötzlich zu Eis und sie konnte sich nicht mehr bewegen!
Ein erschrockenes Murmeln, ging durch die Menge. Kelana schwebte näher. Ihr Gesicht wirkte eingefallen und ihre Haut sah seltsam versengt aus. Ihre Augen hatten den Glanz verloren und lagen tief in den Höhlen. Es war beinahe, als würde man einem Skelett entgegenblicken.
Das Eis um Aellia verzerrte alles noch zusätzlich und so wirkte es noch schrecklicher. Kälte… kroch durch ihren Körper. Sie merkte, wie sie auf einmal müde wurde, sie das Gefühl hatte, sie müsse einschlafen. Das war der Moment unmittelbar vor dem Erfrieren. Dennoch…, irgendwo, tief in ihrem Inneren, mobilisierten sich Kräfte, die sie selbst nie für mögliche gehalten hätte. Ein Feuer, das noch immer in ihr brannte und das nicht so schnell erlosch.
Sie dachte an das was sie einst von Nannios gelernt hatte. Er hatte ihr gezeigt, wie man die Macht über die Funktionen des eigenen Körpers übernehmen und dazu bringen konnte, seine letzten Kräfte zu mobilisieren. Auf einmal fühlte sie sich leicht und voller Frieden. Sie schaute hinauf, zu einem, jenseits der Wirklichkeit liegenden Himmel und dort sah sie auf einmal, das wärmende, silberne Licht der liebenden Göttin. Neben ihr stand die dunkle Göttin des Kampfes, ihre Göttin Lilithia. Die beiden göttlichen Aspekte standen traulich beisammen und lächelten ihr nun beide aufmunternd zu. „Gib nicht auf Aellia!“ hörte sie ihre Stimmen, in ihrem tiefsten Inneren. „Nun werden wir immer bei Dir sein. Wir beide, denn… wir sind wahrlich Eins und wir werden nun auch Eins in deinem Inneren!“ In diesem Augenblick verschmolzen die beiden Aspekte der Göttin und bildeten eine gewaltige, leuchtende Gestalt, voller Liebe und Kraft. Nichts war dieser wunderbaren Gottheit gleich und Aellia spürte sie nun in sich, ganz tief, tief drin. Sie hatte beide Aspekte in sich vereint: Den Aspekt der Liebenden und den Aspekt der Kriegerin. Und jetzt, war sie unbesiegbar!
Ein wilder Schrei drang aus ihrer Kehle und mit aller Macht, sprengte sie den Eisblock, der sie umgab, auseinander.
Kelana konnte es kaum fassen. So etwas hatte bisher noch niemand geschafft. Aellia ballte ihre Hände zu Fäusten und wandte sich nun ihrer einstigen Lehrerin zu.
In ihrem Blick lag dabei wilde Entschlossenheit. Sie fühlte keine Angst, keine Unsicherheit mehr, denn sie kannte nun wahrlich die Grosse Göttin! Sie war selbst zu dieser Göttin geworden, für einen kurzen Moment und mit einem wilden Kriegsschrei sandte sie einen gewaltigen Energiestrahl, aus dunkelviolett und weiss, gegen Kelana! Deren Augen blitzten vor Entsetzen auf und mit letzter Kraft errichtete sie einen Schutzschild. Doch der Zauber von Aellia, nun durchdrungen von der vollkommenen Macht der weiblichen Gottheit, liess diesen in tausend Stücke zerspringen.
Wieder prallte Kelana gegen einen Wehrturm der dunklen Stadt. Wie eine Puppe, glitt sie an der glatten Obsidian Wand herunter und blieb reglos auf der Mauer liegen.
Jubel und Applaus ging durch die Anhänger von Aellia. „Du hast es geschafft!“ riefen sie. „Du hast es tatsächlich geschafft! Kelana ist besiegt!“
Aellia schaute einen Moment lang ungläubig auf die reglose Gestalt, ihrer einstigen Hohepriesterin. Sie wusste nicht recht, ob sie nun weinen oder lachen sollte.
Zusammen mit den anderen, schwebte sie zu der hohen Mauer, aus blankpoliertem Gestein.
Sie schaute auf Kelana herab, welche sich nun jedoch auf einmal wieder regte. Die jüngere Harpya konnte nicht umhin, ihrer früheren Mentorin, für deren Zähigkeit Respekt zu zollen. Die Hohepriesterin erhob sich taumelnd. Doch sie war nun so geschwächt, dass sie zu keinem Zauber mehr fähig schien. Sie ging einige Schritte. Ihr einer Flügel war eingeknickt. Sie konnte nicht mehr fliegen.
Aellia fühlte auf einmal wieder Mitleid. „Kelana,“ sprach sie. „Der Kampf ist vorbei. Ergibst du dich?“
Kelana, ging nochmals ein paar Schritte zum Rand der Mauer. In ihren eingefallenen Augen lag ein seltsames Leuchten. Schliesslich sprach sie mit schleppender Stimme: „Nun gut… du hast mich wohl besiegt Aellia…“