Nannios konnte nicht glauben was er da hörte. Er eilte nach vorne zu Dyandra und den andern. Vor ihnen lag ein grosser, leerer Kerker. Man sah, dass er vor kurzen benutzt worden war, denn einige zerzauste Decken, lagen noch herum. Der schlimmste Fall, war nun eingetreten, die Lunarierinnen waren schon geholt worden und wer wusste, was gerade mit ihnen geschah. „Wir müssen sofort etwas unternehmen!“ rief er aus. „Ich glaube nicht, dass der König schon Zeit hatte, sich die Lunarierinnen auszusuchen“, sprach Dyandra, um ihn etwas zu beruhigen. „Solange er das nicht getan hat, werden sie nicht angefasst.“ „Aber wer kann da sicher sein!“ brauste Nannios auf. Das erste Mal, seit der Verschleppung der Frauen, verlor er erneut die Fassung. „Bringt uns auf dem schnellsten Weg hinauf in die Stadt!“ „Du weisst, dass wir an deiner Seite stehen Nannios, aber wenn wir da jetzt rauffliegen, müsst ihr euch im klaren sein, dass wir mit grossem Widerstand und vielen Gefahren zu rechnen haben. Eure hellen Gefieder fallen sofort auf. Ihr solltet deshalb wenigstens Mäntel tragen. Ich weiss wo wir welche herbekommen.“ Nannios nickte mit finsterer Miene. Irgendein Gefühl hatte ihn schon, als sie die Kerker betraten hatten, vor so einem Ausgang gewarnt. Alles war viel zu einfach gewesen, keine Wachen hatten sich ihnen entgegengestellt, einfach nichts und er hatte sich noch auf eine Plauderei mit dieser Solianerin eingelassen, weil diese ihm sehr gefiel und ihn so bewundert hatte. Er hatte diese Bewunderung genossen, er hatte ihre Gegenwart genossen, vielleicht etwas zu sehr. Dabei war alles ein riesiges Desaster. Er schämte sich irgendwie, dass er sich so hatte ablenken lassen. Die Frauen seines Volkes waren in höchster Gefahr und noch einmal, würde er sich nicht auf diese Weise ablenken lassen. Er würde sich kein einziges mal und von nichts mehr ablenken lassen, bevor sie die Lunarierinnen nicht befreit hatten. Voller Wut und Entschlossenheit, rammte er die Spitze seines Stabes in den harten Steinboden. Eine Funkengarbe entstand dabei, welcher alle Anwesenden etwas zurückweichen und bewundernd schauen liess. „Seine Magie ist wirklich stark“, flüsterte Irisa ihren Mitschwestern zu. „Ich glaube, wenn sich ihm jemand jetzt entgegenstellt, wird es ihm nicht gut bekommen.“ Sie grinste leicht und die andern Harpyas ebenfalls. „Nun gut!“ rief Irisa dann „wir stehen alle zusammen. Nichts wird uns daran hindern, die Lunarierinnen zu befreien! Los!“ Sie hob ihr Schwert in die Höhe und die andern taten es ihr laut johlend nach. Dann machten sie sich auf den Weg zurück zum Aufzugsschacht, um von dort in die oberen Bereiche der Stadt zu gelangen.
Trojanas traute seinen Augen nicht, als er von einem der Türme aus, auf einmal die Lunarierinnen erblickte, welche auf der mittleren Mauer standen, jede bewacht von einem Mann mit Dolch. Er stiess einen Fluch aus. „Verflucht! Sie haben sie bereits geholt, aber was um alles in der Welt haben sie mit ihnen vor?“ Quirinias, der junge Solianer seiner Truppe, schwebte in diesem Augenblick atemlos heran. „Trojanas, sie wollen die Lunarierinnen dazu benutzen, die Armee der Lunarier einzuschüchtern. Solianas wird androhen sie zu ermorden, wenn letztere nicht abziehen!“ Erneut fluchte Trojanas. „Das sieht meinem Vater wieder ähnlich. Wie kann er nur so etwas tun? Vermutlich blufft er nur, weil die Lunarierinnen doch eigentlich, in seinen Augen, unsere einzige Hoffnung wären, doch die Lunarier werden das nicht riskieren. Etwas Zeit bleibt uns noch. Habt ihr schon etwas von der Gruppe gehört, welche sich mit Hilfe von Dyandra in die Stadt schleichen wollte?“ „Nein. Vermutlich aber waren sie bereits in den Kerkern und werden nun auf dem Weg hierher sein.“ Trojanas überlegte angestrengt, dann meinte er: „Dann sammelt alle unsere Leute, ausser denen die die Türme bewachen, am vereinbarten Treffpunkt. Wir werden auf die Gruppe von Dyandra warten und dann werden wir zusammen weitersehen.“
„Der Angesprochene nickte und schwebte wieder davon. Trojanas schaute nervös auf die, auf der Mauer stehenden Lunarierinnen, dann gab er noch einige Befehle und machte sich dann, zusammen mit Astranias auf den Weg zum vereinbarten Treffpunkt. Dieser befand sich in einem sicheren Haus, nahe des Aufzugsschachtes. Sie hatten dieses absichtlich ausgesucht, damit sie die Neuankömmlinge, wenn nötig, gleich empfangen konnten. Das Haus befand sich in einer dunklen, etwas einsamen Gasse. Es war früher eine Kneipe gewesen, nun jedoch stand es leer und man würde es in Kürze als Lagerraum nutzen. Bis dahin aber, kümmerte sich niemand darum, was den Rebellen nur gelegen kam.
Nannios flog den Solianerinnen hinterher. Sein Blick war finster und unnahbar. Die junge Frau, welche sich Mellila nannte, hatte ihn wohlweislich nicht mehr angesprochen. Er hatte jetzt andere Dinge im Kopf und sie wollte ihm nicht zur Last fallen, auch wenn sie sehr interessiert an ihm war. Sie war nicht so naiv, dass sie von ihm Liebe erwartete, denn sein Herz gehörte eindeutig einer andern, aber zumindest hoffte sie, ihm etwas näher zu kommen und wenn es nur für die Wonnen war. Dieser Lunarier, er faszinierte sie ungemein, sein ganzes Volk faszinierte sie, denn es lebte in Frieden und beide Geschlechter wurden gleichermassen geachtet. Es berührte sie zutiefst wie das Volk des Silbermondes alles dafür tat, um ihre Frauen von Schmach und Gefangenschaft zu erretten. Von den Männern ihres Volkes kannte sie sowas nicht.
Wie alle Feminas, war auch Mellila immer nur von selbigen benutzt worden, sei es, um einfach deren Triebe zu befriedigen, oder ihre Kinder zu gebären. Sie hatte zwar erst ein Kind zur Welt gebracht, da sie noch recht jung war, aber dieses hatte sie seit der Geburt nicht mehr gesehen. Oft schmerzte sie das zutiefst, denn immerhin war es in ihrem Bauch herangewachsen. Es war ein Junge, was zumindest ihr Ansehen unter den Solianern, etwas steigerte, aber manchmal hoffte sie, es wäre ein Mädchen gewesen, denn dann hätte sie es behalten und selbst aufziehen können. Es war ein unglaublicher Schmerz, vor allem für sie als Mutter, ihr Kind einfach so herzugeben. Ihr Sohn- sein Name war Luminias, sie hatte ihm diesen Namen noch selbst geben können, kannte seine Mutter nicht und unter der weiteren Herrschaft Solianas würde sich auch nichts daran ändern. Ihr Sohn würde in die Gesellschaft eingegliedert werden und für die Frauen keine Achtung lernen. Wenn ihr Aufstand jedoch gelang und Trojanas an die Macht kam, dann gab es wieder Hoffnung für Mellila und die Beziehung zu ihrem Kind. Darum mussten sie es einfach schaffen. Sie mussten! Dann war es vielleicht auch möglich, mit den Lunariern in engeren Kontakt zu treten und damit…auch mit Nannios. Sie schaute den jungen stattlichen Mann an. Er würde bestimmt ein guter Vater für seine Kinder sein, er würde ein wundervoller Lebenspartner sein. Doch…nicht für sie, sondern für Aellia, welche er so sehr liebte. Was Mellila mit ihm vielleicht teilen konnte, waren die Wonnen. Doch das würde ihr genug sein.