Die Schutzsteine knackten und Trigon merkte, dass sie trotz des Segens der Priesterschaft nicht mehr lange halten würden. Die Schemenbestie wehrte sich weiterhin. Trigon trat näher und bereitete sich auf den nächsten Zauber vor. Er schwitzte, aber hauptsächlich war ihm kalt. Jeanne wich gerade noch so einem Tritt der Bestie aus, als diese den Bann donnernd brach und losstürmte. Ihre Beine verfingen sich in den eigenen Organen und trotzdem rannte sie weiter auf Trigon zu, war nicht mehr als eine düstere Masse, als sie ihn erreichte.
„Trigon!“, schrie Jeanne und ihre Stimme gab ihm die Kraft, sich von diesem Anblick nicht selbst bannen zu lassen und zu spät zu reagieren. Er warf der Bestie gebündelte, reinigende Energie entgegen. Das Licht brannte die Schemen vor ihm weg und hielt sie gerade auf genug Abstand, legte den Schädel des ursprünglichen, besessenen Tiers frei. Es gab einen gequälten, fast menschlichen Ruf von sich. Dann war Jeanne bei ihnen und schlug den Schädel mit einem kräftigen Hieb von den bleichen Wirbelknochen.
Die Bestie brach zusammen und die Kristalle hörten auf zu summen. Jeanne zog Trigon zur Seite, während die Überreste der Bestie teils verdampften, teils im Boden versickerten. Trigon getraute sich endlich wieder zu atmen. Er hustete und liess sich erschöpft auf einem genügend entfernten Stein nieder.
„Die übrigen Kristalle werden sich … um die Reste kümmern. A-Aber bevor hier wieder Tiere weiden, sollte … die Priesterschaft das alles aufräumen“, murmelte er.
Jeanne blinzelte und schien erst jetzt das Geschehene zu verarbeiten:
„Das war eine Kuh, Trigon! Eine riesige, nein, die riesigste Kuh! Ich habe schon von Füchsen oder einem Wolf gehört, aber Kühe? Wenn die anderen das hören … Die Schemen spielen diesen Herbst wirklich wild, dabei sind wir so hoch oben beim Gebirge.“
„Zeig mir mal deine Rüstung.“
Trigon griff nach Jeannes linken Arm, aber sie wich ihm aus und winkte ab.
„Ist nichts passiert! Nichts zumindest, was eine gute Schmiede retten könnte!“
Er schaute seine kleine Base skeptisch an, aber einmal mehr nahm Jeanne alles viel weniger ernst als er. Sie streckte sich demonstrativ und putzte ihr Schwert. Trigon arrangierte die noch funktionierenden Schutzsteine neu, ehe er mit Jeanne der Morgensonne entgegen zu der Hütte lief. Die Familie, die den Ort bewirtschaftete, wollte sofort alles wissen. Sie bestand darauf, ihnen noch ein ausgewogenes Frühstück zu servieren. Trigon überliess Jeanne das Reden, ergänzte lediglich ab und zu mit magischen Fachbegriffen. Er war froh, wieder aus der Rüstung herauszukommen. Aber er war auch froh, die Familie so erleichtert zu sehen.
Nach dem Essen verabschiedeten sie sich direkt und ritten zurück ins Tal und von da aus weiter der Hauptstrasse entlang. Trigon lächelte und liess sich seine Sorgen nicht anmerken. Schliesslich war er ein Vorbild. Vorbilder durften keine schlechten Eigenschaften und erst recht keine Schwächen besitzen.
Zwei Tage später erreiche ihre Truppe Liskia. Die weissen Mauern der Stadt glühten im Abendlicht und die roten Dächer der Gebäude schienen mit dem Himmel zu verschmelzen, dem sie sich entgegenstreckten. Die Hauptstadt lag im Zentrum dreier Täler auf einer – im Vergleich zu den Saren – kleinen Höhe namens Weissenfluh. Häuserring um Häuserring reihte sie sich vom Fuss bis zum edlen Burggelände an den steilen Klippen der Fluh. Die mit Energiesteinen betriebene Uhr an Liskias Ostturm schlug die zweite Abendstunde ein, als sie durch das grosse Südtor in die Stadt ritten. Die Uhr besass auf beiden Seiten, innen und aussen, ein Ziffernblatt. Die Stadt hatte damit ihren Besuchern und vor allem den verschiedenen Zwischenwesen zeigen wollen, dass sie zu jeder Stunde willkommen waren.
Obwohl es bereits spät war, die ersten Geschäfte ihre Läden zumachten und Handelsleute aus der Region ihre Sachen zusammenpackten, waren die Strassen Liskias noch voller Leben. Mehrmals mussten sie die Pferde stoppen, um einem Karren oder einer Gruppe Menschen Platz zu lassen, die aus den engeren Gassen in die Hauptstrasse einbogen. Einige standen in den Eingängen ihrer Häuser und nickten ihnen zu, andere winkten von den Fenstern aus. Ihre Stimmen gingen im Geläute des Tempels auf der Westseite der Stadt unter, das hell und dunkel die beiden tiefen Glockenschläge des Ostturms begleitete. Zwei Kinder stoppten kurz, um bewundernd zu ihnen hochzuschauen und mit scheuer Hand die Pferde zu berühren. Auch ohne ihre Rüstungen waren Jeanne und Trigon bekannte Gesichter.
„Ich denke, ich lass es doch sein mit dem Biber und gönn mir privat eine Runde mit meinen zwei liebsten Erstjahr-Rittern“, überlegte Jeanne laut, als sie ebenjene Taverne und den grossen, vollen Marktplatz hinter sich liessen und in eine ruhigere Strasse einbogen.
„Schön. Grüss sie dann von mir. Ich gehe direkt ins Bett“, antwortete Trigon.
Es war die letzte Aufgabe dieser Schicht gewesen. Trigon wäre darum gerne sofort weiter, wäre gerne in sein kleines Lichtrain und hätte seine Familie in die Arme genommen. Doch die Tore Liskias würden bald schliessen und er war von der langen Reise erschöpft. Darkeen war dank ihrer Arbeit so sicher, wie ein Land nur sein konnte. Dennoch war Trigon nicht gerne mitten in der dunklen Nacht unterwegs.
„Sicher, dass du nicht die halbe Nacht noch am Bericht sitzen wirst?“, hakte Jeanne nach und gluckste. „Ich habe ihnen einen besonders guten Tropfen versprochen und du könntest nach einem so erfolgreichen Auftrag auch eine Feier benötigen. Du hast sicher gehört, dass Poul nun eine Angebetete hat. Du kannst ihm ein paar Ratschläge geben!“
„Ich bin e-etwas zu alt für deine Freunde.“
„Am Ende sagst du noch, du seist selbst für die Frühlingsspiele zu alt.“
Trigon versuchte zu feixen, aber es gelang ihm mehr schlecht als recht. Jeanne grinste verschwörerisch, als sie sich bei der Kaserne von ihm verabschiedete. Hier war es heute ruhiger. Bei besonders gutem Wetter führten die Oberen oft längere Übungseinsätze mit den Neulingen draussen in der wilden Natur durch, härteten sie so ab. Trigon umarmte seine Base und während sie sich auf die Suche nach ihren Freunden machte, ging er direkt zum Arbeitszimmer des Oberbefehlshabers.
„Ah, Herr Ritter Trigon. Du und Jeanne seid bereits aus den Saren zurück?“, begrüsste Alexander ihn direkt an der Tür. Der Oberbefehlshaber war nicht nur ein wichtiger Mann, weil er der Bruder der Schwarzen Königin war. Er leitete die Kaserne und plante alle Einsätze im Land seit vielen Jahren mit grosser Standhaftigkeit und einer Ruhe, die Trigon schon immer bewundert hatte.
„Herr Oberbefehlshaber Alexander“, erwiderte er den Gruss und legte sich eine Hand ans Herz, selbst noch als Alexander ihn bereits hereingebeten hatte.
„Wir sind gerade angekommen. Ich werde Euch natürlich noch … baldmöglichst einen g-genauen Bericht abliefern. Aber ich wollte mich trotzdem bereits anmelden.“
Alexander musterte ihn eingehend und strich sich durch seinen Kinnbart.
„Sehr gut, danke. Ich bin gespannt darauf. Wolltest du mir etwas Bestimmtes erzählen? Ich war eigentlich gerade dabei, für heute Schluss zu machen.“
„Oh“, sagte Trigon und und sah betreten zur Seite. Er hatte nicht stören wollen.
„N-Nein, ich ähm … das war bereits alles.“
Alexander schnaufte leise, aber das Geräusch kam mit einem Lächeln.
„Dann wünsche ich eine gute Nacht und bis morgen.“
Er nickte ihm zu und Trigon lief eilig zurück zur Tür.
„Danke. Auch E-Euch eine gute Nacht. Und einen Gruss an Euren Mann und Eure Tochter.“
„Ebenso einen Gruss an deine Familie morgen dann. Bleib nicht zu lange auf.“
Trigon erwiderte Alexanders Lächeln kurz, dann verliess er das Gebäude und atmete tief durch. Richtig, schon morgen wäre er wieder bei seiner Familie. Das würde schön.