Giane streckte unbekümmert ihren Finger in die dunkle Substanz und Trigon wurde noch ein Stück übler. Er hatte sich schon während der ganzen Reise unwohl gefühlt und je näher sie ihrem Ziel auf der Alm kamen, desto schlimmer wurde es. Eigentlich kannte er sich mit solchen Aufträgen besser aus als seine kleine Base. Während sie aber ohne Vorsicht alles genau betrachtete, erinnerte Trigon sich auch mit Abstand noch an die grässlichen Einzelheiten, sah sie in der Nacht und fürchtete sich davor.
„Ha! So viel Dreck muss zu einem besonders grossen Monster gehören“, sagte Giane und wirkte unpassend zufrieden mit der eigentlich besorgniserregenden Tatsache.
Sie zog ihren Finger langsam aus der Substanz, die klebrige Fäden zog und zischte, wo auch immer sie mit Gianes Plattenrüstung in Kontakt kam. Es war anstrengend gewesen, in voller Rüstung auf die Alm zu steigen, aber Trigon hatte kein Risiko eingehen wollen. Auf dem ganzen Weg hatte Giane gescherzt, wie sie gerne in der leichten Rüstung oder sogar nackig diesem Auftrag nachgegangen wäre. Dann hatten sie die ersten Zeugen des frischen Elends gefunden. Die Überbleibsel der schwarzen Magie verursachten ein schleimiges Gefühl in Trigons Mund und brachten all seine Organe zum Krampfen.
„W-Wäre es klein … hätten die Sch-Schutzmassnahmen gewirkt und wir h-hätten nicht … herkommen müssen“, antwortete Trigon, aber seine Base hörte bereits nicht mehr zu.
„Erst das faule Kornfeld, dann die Ratten und der verseuchte Bach und jetzt das. Der Frühherbst hat erst begonnen und wir haben bereits so viele Meldungen wie lange nicht mehr“, murmelte sie und folgte der Spur weiter an Felsen, sattem Gras und den Überresten zerfetzter Nutztiere vorbei. Lebende waren keine mehr da, die Bauern hatten sie in ihrer Not bereits hinunter in die Ställe getrieben. Nur Fliegen und Krähen konnte Trigon sehen und hören, von den Schemen und dem üblen Geruch angelockt.
„Wir h-haben im Feld zwar keinen … Korndämon gefunden, hier müsste es sich a-aber um einen Verwandten davon handeln“, vermutete Trigon und wünschte sich, dabei nicht so unsicher zu klingen.
„Du meinst also, dass die Fälle zusammenhängen?“, fragte Giane beinahe amüsiert.
Trigon hob die Schultern an und zog den Kopf ein. Sofort kratzte der Stahl seines Helms an seinen Schulterplatten und liess ihn erstarren. Er schaute zu den Saren hoch, die hier auf der Alm noch gewaltiger wirkten als aus der üblichen Ferne. Vor ihnen fühlte sich Trigon winzig und unbedeutend, dabei waren das erst die südwestlichen Ausläufer des Gebirges. Der Erlpass lag nicht weit von ihnen und dann, nach Darkeens Hinterland, begann das besonders mächtige Zentrum der Berge. Darkeen war das kleine Hügelland im Arm dieser Berge auf der einen und im Schatten des Goldenen Reiches auf der anderen Seite. Es war keine Seltenheit, dass sich Schemen hierher verirrten. Und doch war Trigon besorgt.
„He, Sonnenstrahl! Ich hab die Stelle, an der das Vieh durchgebrochen ist!“, rief Giane.
Trigon zuckte und ächzte, weil seine Zunge keinen schlauen Widerspruch zustande kriegte. Er eilte zu ihr, aber Giane war schneller und berührte bereits wieder Dinge.
„S-Sei vorsichtig! Einige dieser Zauber … bewahren die A-Alm schon seit Jahrhunderten vor wilder Magie … und Berggeistern!“, schnaufte er, aber Giane lachte.
„Gut, dass ich kein Berggeist bin“, antwortete sie und fasste in ein Loch im Boden. „Und dieser Schutzstein tut gar nichts mehr, das kann selbst ich feststellen.“
Ihr Handschuh war mit Erde und dunklem Staub bedeckt, als sie ihn wieder herauszog und Trigon die Reste eines Edelsteins hinhielt. Er nahm die Stücke vorsichtig entgegen und biss die Zähne zusammen, auch wenn womögliche Reste der wilden Magie ihn durch die Rüstung hindurch nicht erreichen konnten, stattdessen am Stahl abprallten.
„Das ist e-eigentlich nicht der Schutzstein selbst, sondern der beigelegte Bergkristall, der magische Spuren auffängt. Die Schemen h-haben sich fast vollständig als Turmalin im Quarz kristallisiert. Vom Diamant ist wohl n-nur noch Pulver übrig. Es war gut, dass sie uns so früh geholt haben. Das hätte bald … viel schlimmer kommen können.“
„Es dauert noch einige Minuten, bis die Sonne aufgeht“, stellte Giane fest. „Perfekt also, um einem weiteren Schemenbiest ein Ende zu bereiten. Der Herr Magier fängt es, ich töte es.“
Trigon hätte ein Stück ihrer Selbstsicherheit brauchen können, denn eigentlich wäre er lieber hinunter zur Hütte und hätte sich erst vorbereitet. Sie hätten auf Unterstützung warten können. Aber unterdessen hätte das Biest mehr Schaden anrichten oder gar eine Person töten können. Trigon musste das also so wie immer in den beinahe fünfzehn Jahren seit Beginn seiner Ausbildung machen: tief durchatmen und daran glauben, dass weder die Königin noch Giane oder sonst jemand sich verschätzt hatte. Dass er seine Arbeit genügend erfüllen konnte.
„Sei trotzdem vorsichtig, Giane“, wisperte Trigon, ehe sie einen geeigneten Platz auf der Weide suchten. Trigon platzierte die vom Tempel vorbereiteten Schutzkristalle und malte das Siegel mit weisser Kreide auf die grösseren Felsen. Dann ging er noch einmal seine wichtigsten Zauberformeln durch, während Giane mit gezücktem Schwert Wache hielt. Es wurde bereits heller vom Hügelland her, vielleicht hätten sie früher losgehen müssen. Aber Trigon hatte nicht riskieren wollen, dass sie sich überschätzten und im Dunkeln überrascht wurden. Am Ende der Nacht würde der Schemen bereits ausgetobt sein und sie konnten ihn erwischen, ehe er vor der Sonne wich und sich versteckte.
Trigon nickte seiner Base zu, zog die frische Bergluft tief in die Lungen, dann klappte er sein Visier zu und formte einen wegweisenden Lichtzauber. Er gab dem Licht so viel Energie, dass es hell glühte und mehrere kleine Schimmer sprühte. Aus den Schimmern formte er weitere Lichter und wies ihnen verschiedenen Stellen in Sichtweite zu. Dort flackerten sie auffällig, wurden zu einem Lockmittel.
Eine Weile geschah nichts. Trigon fragte sich, ob der Schemen bereits weitergezogen war oder sie sich getäuscht hatten. Doch dann stellten sich all seine Nacken- und Armhaare auf und er konnte die wilde Magie spüren. Er zitterte und kurz zitterten auch die Lichter, doch dann führte Trigon sie an der Stelle zusammen, von der aus der Schemen sich näherte. Nur das ursprüngliche Licht behielt er bei sich, während er die tanzenden Funken langsam näher zu sich und der Falle zog. Giane ging neben einem grossen Felsen in Position. Ihre Rüstung glänzte golden im Licht des Zaubers.
Trigons Übelkeit kehrte zurück, als das Schemenbiest in Sichtweite kam und ihnen ein besonders fauliger Geruch entgegenschlug. Das Wesen war einst mindestens eine Kuh gewesen. Sie war grösser als andere Kühe, sah aber abgemagert, gar ausgehungert aus. Sie hatte zu viele Hörner und Beine und einige ihrer Knochen ragten wie gebrochen und neu zusammengeformt aus dem dunklen Fell. Ihre Zunge hing lang aus der blutigen Schnauze heraus und ihr Schwanz peitschte wild nach links und rechts und spritzte dabei den dunklen Schleim, den sie zuvor schon gefunden hatten. Auch von den Ohren und Beinen des Monsters tropften die Überreste der schwarzen Magie, die das Tier befallen und zerstört hatte.
Das Biest folgte den Lichtern langsam. Jedes Licht, das ihm zu nahe kam, verpuffte, wurde verschlungen. Trigon trat langsam rückwärts aus dem Bannkreis heraus. Das Schemenbiest bemerkte ihn nun. Seine Augen war nur leere, schwarze Löcher und doch fühlte Trigon sich von ihm fixiert. Er machte noch einen Schritt. Das Schemenbiest senkte den Kopf, dann rannte es auf ihn zu. Trigon warf ihm das letzte Licht in der Form scharfer Splitter entgegen, dann aktivierte er den Bannkreis. Der Zauber schloss sich um die Bestie und fuhr in sie hinein. Es blitzte und knallte laut, doch der Kreis hielt.
Giane sprang hinter dem Felsen hervor. Das Schemenbiest brüllte und wand sich, verspritze die Wiese mit mehr als nur Schleim. Gianes Rüstung bewahrte sie jedoch vor Schaden, als sie ihr Schwert tief in das gammelige Fleisch der Bestie rammte. Die Bestie kreischte, Trigon fuhr das Geräusch durch alle Knochen. Sie versuchte dem lähmenden Bann zu entkommen und sich auf Giane zu stürzen. Giane aber wich ihr selbst in der schweren Plattenrüstung gekonnt aus und riss ihre Klinge durch den Körper des Monsters.
„Giane!“, rief Trigon, als die Innereien der Schemenbestie gemeinsam mit Schleim, Staub und viel Energie aus ihrem Körper stoben. Er warf die letzten noch in der Luft hängenden Lichtsplitter zwischen Giane und die Bestie, formte einen Schild. Er war nicht schnell genug, um sie gänzlich abzuschirmen. Gianes Arm wurde getroffen und die Magie hüllte sich dick und schwer um ihre Rüstung. Nur langsam verdampfte sie und liess dunkle Flecken im Metall zurück.