Die Zwillinge feixten, liessen einander aber los. Auch Yarin beruhigte sich. Für eine kurze Weile zumindest war es ruhig.
„Was ist, wenn es ein kein Mädchen wird?“
Daughns Frage kam unerwartet. Die Zwillinge zappelten sofort wieder und auch Trigon schaute zu ihr, ehe er sich des Fehlers bewusst wurde. Yarin gurgelte.
„Schatz, wir werden es erst wissen, wenn es bei uns ist“, erklärte Ankidria.
„Dann kann Jan aber nicht sagen, dass es ein Mädchen wird!“
„Näääiiin! Ich will eine Schwester haben, Muttiii!“, heulte Ailée los.
„Sicher kann ich das! Nach mir kamen nur Mädchen!“, protestierte Jan.
„Oh! Nach dir kamen ganze zwei Mädchen, Jan. Gratulation“, blaffte Rian.
„Drei! Ich bin älter als du!“
„Näi! Ich bin älter als du!“
„Kinder –“
Trigon hätte sie leicht wieder beruhigt. Sie waren wohlerzogene Kinder. Aber er kam nicht dazu. Es war einmal mehr Ankidria, die für Ordnung sorgte, indem sie laut die Hände zusammenschlug und Halt rief. Sofort waren alle ruhig, nur Ailée schniefte noch leise.
Ankidria entschied, dass sie alle eine kleine, letzte Pause benötigten und da widersprach niemand. Während die Zwillinge ihre Diskussion also bei einem Getränk ohne Einigung weiterführten und Daughn Yarin noch einige Fragen stellen ging, lief Trigon mit Ailée eine Runde durch den Garten, übte mit ihr die Namen verschiedener Farben und schaute ihr zuletzt zu, wie sie Hofkatze Mimi ausgiebig und lange streichelte und dann auch wieder glücklich war. Nach dieser Pause brachten sie alle noch einmal genug Geduld auf, damit Yarin das Gemälde endlich vollenden konnte.
Daughn war die erste, die sich wieder bewegte. Jan dehnte sich provokativ und Rian übertraf die Bemühungen ihres Bruders mit einem sauberen Spagat. Ailée war eingeschlafen. Trigon brachte sie ins Bett und als er wieder zurückkam, standen die anderen alle um Yarin und das Gemälde herum und beurteilten es bereits innig.
„Mein Zauberhase! Wunderschön!“, quietschte Daughn.
„Es ist traumhaft geworden. Wirklich, Yarin“, versicherte Ankidria.
Trigon stellte sich hinter die beiden und musste ihnen zustimmen. Das Bild war wunderschön und traumhaft. Wahrscheinlich war es nicht hochwertig, denn Yarin war noch kein alter, bekannter Künstler. Aber es war ein Bild seiner Familie und das machte es schön. Ankidrias Lächeln war strahlend und ihr Haar wie Weizen in der Sonne. Jans Frisur sah ordentlicher aus als in echt und Rians Zopf war dicker, aber beide waren sie helle, grinsende Sterne. Trigon wirkte beinahe düster daneben. Wenigstens Ailée auf seinem Arm lockerte die Stelle auf. Ihr schwarzes Haar konnte ihrem lieben Gesicht nichts anhaben, den blauen Augen, die sie mit den anderen teilte. Daughns rotes Kleid passte zu den Herbstblättern. Trigon fiel auf einmal auf, wie sehr sie sich von den anderen Kindern unterschied. Ihre Augen waren grün wie seine, die Gesichtszüge ernster. Ihr Haar war auch dunkel und die grauen Strähnen …
„Rian, du siehst auf dem Bild aus wie ein krummes Pferd“, prustete Jan.
„Das ist nicht wahr!“, empörte sich Rian. „Aber du siehst wie ein alter Ochse aus!“
„Jan, Rian! Ich bitte euch! Ich sehe auf diesem Bild weder ein Pferd noch einen Ochsen, also entschuldigt euch beieinander und auch Yarin für diese freche Behauptung“, ging Ankidria diesmal sofort dazwischen.
Die zwei guckten zu ihr hoch und entschuldigten sich ohne Widerrede. Gut so, denn Yarin hatte die Augen schon wieder gefährlich weit aufgerissen. Die Zwillinge betonten, dass es nur ein Spass gewesen und das Bild sehr schön sei, ehe sie sich entfernten. Trigon konnte hören, wie sie sich sofort erneut Tiernamen gaben.
„Yarin, es ist wirklich schön geworden“, versicherte Ankidria.
„Wunderschön! Danke, Yarin!“, bestätigte Daughn.
Sie umarmte ihn. Yarin ging daraufhin vor ihr auf die Knie.
„Prinzessin, ich danke ebenso. Ihr seid die einzige junge Dame an diesem Hof, die Kunst zu schätzen weiss“, säuselte er. Daughn streckte ihm ihren Stoffhasen entgegen.
„Mein verehrter Herr Zauberhase, Euch gebührt natürlich auch Dank. Aber sag, Daughn, wieso fehlt dem Zauberhasen ein Ohr? Und sogar ein Auge!“
Daughn stiess geräuschvoll Luft zwischen den Lippen aus.
„Sie sind beim Spielen verloren gegangen.“
„Ich habe ihr schon oft vorgeschlagen, einen neuen Knopf und ein Ohr annähen zu lassen, aber sie weigert sich vehement“, erklärte Ankidria.
Daughn schüttelte den Kopf.
„Weisst du, Zauberhase hat gegen die Schemen gekämpft und darum beides verloren. Jan hat gesagt, was ein Schemen isst, das ist für immer weg.“
„Aha, der Zauberhase ist also ein grosser, tapferer Held?“, merkte Yarin an. „In diesem Fall verdient er eine Tapferkeitsmedaille!“
Ganz verstohlen zog er ein rotes Bändchen mit einem goldenen Glöckchen aus seiner Tasche und hielt es Daughn hin.
„Wunderschön“, hauchte Daughn ganz fasziniert.
Yarin zog das Band um den Hals des Hasen und kürzte es mit einer perfekten Schleife auf die richtige Grösse. Es war eine schöne Geste. Daughn bedankte sich und ging ihr Geschenk den Zwillingen präsentieren. Ankidria war gerührt.
„Du bist so ein netter junger Mann, Yarin.“
„Ach, was …“, winkte Yarin ab.
„Nein, wirklich. Und das Gemälde ist traumhaft.“
Sie begutachtete sein Werk noch einmal.
„Aber ich muss sagen, so dick ist mein Bauch noch nicht.“
„Ich wollte Euch doch mit allen Kindern malen, meine Dame“, nuschelte Yarin.
Ankidria verschlug es kurz die Sprache, so sehr ergriffen sie diese Worte. Sie trat zu dem Burschen und drückte ihn an sich.
„Danke, Yarin. Du bist jederzeit in unserem Haus willkommen.“
„Sobald es ganz trocken ist, mache ich noch eine schützende klare Schicht aus Leinöl drüber, dann braucht Ihr nur noch einen Rahmen dafür und könnt es aufhängen“, erklärte Yarin.
„Ich freue mich darauf“, versicherte Ankidria, dann folgte sie den Kindern ins Haus und Yarin begann bereits mit Aufräumen.
„Yarin“, zog Trigon seine Aufmerksamkeit auf sich. „Hier.“
Er reichte dem jungen Künstler einen kleinen Beutel voller Münzen. Ein bedacht guter Lohn.
„Ich hoffe, Ihr habt bald noch mehr Motive für mich, Herr Trigon!“, sagte Yarin und schaffte nur schlecht, seine Begeisterung zu unterdrücken.
„Wir werden sehen“, wich Trigon aus und klopfte ihm auf die Schulter. „Dein Vater ist sicher stolz auf dich. Fünfzehn Jahre und schon so weit weg … dem eigenen Traum folgend und dabei auch seinen erweitern. Nicht alle können sich so glücklich schätzen.“
Yarins Lächeln fror ein und seine Lippen zitterten schon wieder so traurig.
„Vierzehn. Noch bin ich vierzehn. Ich habe erst Ende Jahr Geburtstag.“
„Da-Das hm … das wird ihn nur noch stolzer machen. Mit vierzehn berufstätig, mit siebzehn mündig … Mit zwanzig ein richtiger Mann und pf-pflichtbewusst …“
„Herr Trigon?“, fragte Yarin.
Trigon fiel auf, dass er immer noch seine Hand auf Yarins Schulter ruhen hatte und klopfte noch einmal, auch wenn es sich inzwischen falsch anfühlte. Yarin rümpfte die Nase.
„Kann man so etwas wie den Frieden selbst zerstören? Ich weiss, das ist eine dumme Frage, aber mein V-Vater … Na ja, wie auch immer.“
Er schüttelte den Kopf und entzog sich Trigons Griff.
„Was ist denn mit deinem Vater?“
„Nichts ist mit ihm, nichts“, behauptete Yarin. „Stimmt es, dass es in Darkeen viel mehr Dämonen, also Drakar, gibt als bei uns? Und auch ganz viele andere Synten? Trotz meiner Herkunft hatte ich bisher nicht mit sonderlich vielen Anderswesen zu tun und würde mich natürlich gerne weiterbilden und … Sollte man sie Anderswesen nennen, oder gilt das als unhöflich, Herr Trigon? Ist Zwischenwesen neutraler oder wollen die Lithan und Drakar gar nicht neutral sein, weil sie sonst zu nahe an den tatsächlich neutralen Anderswesen stehen würden? Ich will nichts falsch machen und alte Bündnisse gefährden!“
Einmal mehr fühlte Trigon sich überfordert. Aber wenigstens war es zur Abwechslung ein Thema, mit dem er sich auskannte.
„Jegliche Zwischenwesen direkt als Synten und vielleicht … die zum Volk passenden Unterkategorie zu bezeichnen, ist der sicherste Weg. Bei uns leben in der Tat viele verschiedene Synten und zu einem grossen Teil a-auch Drakar. Aber ich würde nicht zu ihnen gehen an deiner Stelle, nur um des Prinzips Willen. Einige sind leider doch auch gefährlich.“
„Hm. Ja, das stimmt schon. Woher kommt eigentlich Eure Magie, Herr Trigon?“
Diesmal zögerte Trigon länger mit seiner Antwort.
„… m-mein ähm … mein Vater, a-also … e-e-eigentlich …“
Yarin überhörte sein Gestammel, so leise war es. Oder ihm war aufgefallen, dass es eine unhöfliche Frage war. Er klatschte in die Hände.
„So oder so! Ich bin mir sicher, dass es in diesem Land noch viele gute Dinge zu entdecken gibt! Wäre es in Ordnung, wenn ich noch mit zum Abendessen bleiben würde?“
Trigon seufzte laut und verbannte das Bild der Hexe in seinem Kopf. Ersetzte es mit dem Anblick des schönen neuen Gemäldes seiner richtigen Familie.
„Aber sicher doch. Mach es dir gemütlich.“