„Wolltest du dich nicht noch verabschieden?“, fragte Trigon seine Base.
„Nein, ich bin nicht so eine Freundin von Abschieden. Das klingt immer so endgültig“, sagte Jeanne und schmunzelte, als sie seinen kritischen Blick auffing. „Wird alles gut gehen“, versicherte sie, doch Trigon konnte heraushören, dass selbst sie nicht mehr daran glaubte. „Der Feind richtet seine Augen auf Na’Rin und der Winter hat auch ihn in die Häuser getrieben. Was auch immer der Heerführer vorhat, er gibt uns viel Zeit, eine Lösung zu finden.“
„Der H-Heerführer … ist m-mit einem falschen Gott im Bunde. Was wir als einen Monat bezeichnen … i-ist für Götter lediglich eine Sekunde. Jede T-Tat … nur das Zittern eines Insektenflügels“, ächzte Trigon. „Und trotzdem h-haben unsere Gottheiten d-dem noch kein … Ende gesetzt. Ich w-weiss nicht, was ich noch … tun kann, Jeanne.“
Mehrere Tage war sein Kopf noch von den Spinnen besetzt gewesen, die der Besuch der Hexenschwestern hinterlassen hatte. Es war keine Seltenheit, dass eine besonders talentierte Schemenhexe mit den Karosyarran in Kontakt kam auf ihrer Suche nach Macht – zumindest nicht, wenn man in Betracht zog, wie wenige besonders starke Hexen es wohl überhaupt allgemein gab. Aber nie war Jade in aktiver Begleitung ihrer Gottheit gewesen, wenn sie Trigon belästigen gekommen war. Hohe Gottheiten konnten sich nicht lange in Vvasta aufhalten, nicht ohne besondere Massnahmen und auch dann nicht ohne Einschränkungen. Wieso also hatte sich Lewo die Mühe gemacht und war in ihrem kleinen Lichtrain erschienen?
Die Spinnen hatten gekratzt und geknirscht und auf einmal war es Trigon klar geworden. Der Wächter der Furcht war nicht wegen ihm oder Daughn aufgetaucht. Er hatte persönlich die Grenzen zum Einflussgebiet des Heerführers erkunden wollen, diesem mysteriösen Heerführer, der auf ihn gar nicht fremd gewirkt hatte. Der Heerführer war wie Jade, war ein besonders hoher Hexer, dessen Kräfte sich mit den Zeitlosen messen konnten. Ein Hexer, der seine Macht von einem der ältesten Schemen bezog und mit dessen Wächter im Bund war.
Sofort hatte er die neuen Informationen an die Königin weitergeleitet und sich selbst in das Thema vertieft, auch wenn es ihm nicht gefallen hatte. Die Priesterschaft suchte ebenfalls und die Arbeiter vergruben Kristalle im Boden und schlugen Eisen an die Stadttore. Aber Trigon wusste, dass normale Mittel nicht genügten, diesen Mann aufzuhalten. Sie hatten nicht in Aurena genügt. Er selbst würde den Heerführer bezwingen müssen.
„Ich weiss es ehrlich gesagt ebenfalls nicht“, seufzte Jeanne und blickte rätselnd auf die Strasse vor ihnen. Es lag Schnee und die Bäume waren karge, dunkle Striche in der Landschaft. Früher hatte Trigon den Schnee gemocht, doch heute half er lediglich dabei, das Gefühl der Schwere in ihm zu stärken. Das Land sah tot und kalt aus. Der Spätwinter stand vor der Tür und Darkeen zitterte.
„Ich bin schon so viele Bücher durchgegangen, so viele Legenden und Behauptungen“, murmelte Trigon, „doch nirgends findet man konkrete Angaben. Die Hexen verraten nichts und die Wächter selbst scheinen jegliches Wissen in Yarrs Leere versenkt zu haben.“
„Hmpf. Wenn ich eine Unsterbliche wäre, würde ich auch nicht wollen, dass jemand herausfindet, wie man mich schwächen kann.“
„A-Aber es gab schon Fälle! Es gibt Wege, wir m-m-müssen nur …!“
Trigon wusste nicht weiter und schnappte nach Luft. Die Kälte brannte in seiner Lunge und er schüttelte sich, versuchte nicht bereits jetzt Panik zu kriegen.
„Du hättest dich an Nediyarrs Wächter wenden sollen“, sagte Jeanne.
„I-Ich werde mich an ihn wenden! … jedoch nicht deswegen. Er würde niemals Geheimnisse seiner Art preisgeben u-und woher … woher wollen wir wissen, dass es ihn nicht auch nach Gahlarias Blut dürstet?“, knirschte Trigon.
„Hätten sich all die dunklen Götter zusammengetan und entschieden, das Yarr bereits jetzt auf unser Vvasta und alle anderen Welten loszulassen, dann hätten wir das bereits bemerkt“, überlegte Jeanne laut. „Mir waren die dunklen Hexen nie geheuer, aber es heisst, dass jede von ihnen eine helle Schwester besitzt. Und die Schemenwächter fanden mit der Zeit zu fest Gefallen an den Sterblichen, um sie … um das –!“
Trigon verzog sein Gesicht zu einer bitteren Grimasse. Jede Schemenhexe besass eine Schimmerhexe als Gegenstück, so hiess es. Aber Jades Schwester zumindest war genauso finster.
„Zzha wird uns beistehen, wenn wir daran glauben“, hoffte Trigon. „Doch die hohen Götter helfen nur denen, die sich b-bewiesen haben u-und … die Schemen aus ihren Herzen tilgen. Ich habe einige Formeln gefunden. Mit genügend Konzentration könnte ich … v-vielleicht? E-es wäre zumindest ein Versuch …“
Trigon schaffte nicht, den Satz zu vollenden. Er war ein Magier, aber er war auch ein Mensch. Selbst die Engel waren machtlos gewesen und auch sonst keine Lichtgestalt hatte bisher etwas gegen den Hexer mit dem Heer unternehmen können. Wie konnte er gegen den Heerführer bestehen, wenn er nicht einmal gegen Jade ankam? Doch war es seine Pflicht.
„Du hättest dich mit deiner Mutter vertragen sollen“, behauptete Jeanne erneut und schüttelte verächtlich den Kopf.
„V-Vi-V… Weisst du, i-ich bin nicht die einzige Person, die ihr Blut mit einer h-hohen Schemenhexe teilt“, schnappte Trigon verletzt zurück.
Sofort zog Jeanne den Kopf ein und schaute auf ihre Zügel hinunter.
„Das ist nicht dasselbe. Aber gut. Wenn du lieber mit Ira van Niderborgen das Gespräch suchen willst, nur zu.“
„Gut“, beendete Trigon das Thema harsch.
Lange ritten sie schweigend. Erst nach ihrer einzigen Pause im kleinen Tannwil fühlte sich Trigon bereit, seiner Base zu verzeihen. Während sie sich energievoll wie immer die Füsse vertreten hatte, war er im Gasthaus geblieben und hatte zwei Briefe verfasst.
Ein Brief würde an seinen Vater gehen. Trigon fiel schwer, ausgerechnet ihn um Hilfe zu bitten. Aber wenn das Heer ihnen zu nahe kam, dann würde seine Familie zu ihm in den Norden gehen. Ankidria war überhaupt nicht einverstanden gewesen, als er den Vorschlag gebracht hatte. Sie hatte mehr als Darkeen sehen wollen, aber nicht unter diesen Umständen. Nicht ohne ihn. Doch Trigon konnte kein Risiko eingehen.
Der zweite Brief war an Jodorka adressiert. Er vertraute ihr nur wenig mehr als Jade. Aber wenn das Schlimmste eintrat und nur dann, dann würde er sie darum bitten, seine Familie sofort in die Ferne zu bringen. Dann wäre keine Zeit mehr für menschliche Wege. Vielleicht erhörten ihn die Götter und er würde den Heerführer aufhalten. Aber er brauchte eine Absicherung und zumindest das waren die Hexen ihm schuldig.
Liskia war weiss wie der Schnee auf den Feldern. Im Schnee aber klebte Schmutz und auch die Stadt wirkte an diesem Tag so kurz vor dem Spätwinter nicht schön. Die Strassen waren leer und die Gassen still. Nur wenige Fensterläden standen offen und scheue Blicke fielen auf die Soldaten, die seit Tagen in die Hauptstadt einrückten, um dort neue Anweisungen zu erhalten.
Die Kaserne war voll, aber selbst die Neuzugänge wirkten verbraucht. Trigon blieb nahe an seiner Base. Er sah viele ihm bekannte Gesichter. Kolleginnen und Kameraden, nicht aber Freunde. Hier und da nickten sie ihnen zu oder grüssten. Zum Reden aber war keiner bereit und selbst Jeanne war in ein nachdenkliches Schweigen versunken. Trigon schloss für einen Moment die Augen, als Jeanne ihre Ankunft meldete. Er dachte über die Ritterschaft nach, wiederholte lautlos einige der Namen. Er wusste so wenig über sie alle. Wie konnten diese tapferen Leute ihm vertrauen? Sich in einer Schlacht auf ihn verlassen?
„Wir sind sehr pünktlich“, berichtete Jeanne, als sie wieder bei ihm stand. „In einer halben Stunde eröffnet Alexander eine erste grössere Runde und verkündet die bisherigen Entscheidungen der Königin und des Rats. Bis dahin können wir wohl nur warten.“
Warten aber schien Jeanne nicht zu wollen, denn sie ging gleich weiter und verliess die Kaserne in Richtung Burg. Trigon stolperte ihr hinterher und war versucht, nach ihr zu greifen und sie zurück in das Gebäude zu ziehen. Wohin wollte sie denn auf einmal?
„D-Du … hast doch nicht vor, in die Sitzung zu platzen?“, befürchtete er bereits.
Jeannes Prusten ging nur knapp als ein Lachen durch.
„Nein. Aber wenn wir auf dem Weg Alexander oder wenigstens Ugos abfangen können, erfahren wir bereits etwas früher die wichtigsten Dinge.“
Trigon wusste nicht, ob er dabei sein wollte. Ihm graute vor den Möglichkeiten.
Anscheinend hatten einige die gleiche Idee wie Jeanne gehabt. Im Burghof standen aber wenige Ritter und Soldaten, sondern hauptsächlich Angestellte und auch Zivilisten. Sie lauerten auf neue Informationen, damit sie ihre Geschichten und Gerüchte an den Rest der Stadt verbreiten konnten. Geoffrey war einmal mehr am Tor, diesmal sagte aber selbst er nicht viel. Er schien sie nicht einmal zu bemerken.