„Jetzt schau doch nicht so leidend drein“, sagte Jeanne versöhnlicher und griff nach seinem Arm. „Mir gefällt auch nicht, wie die Dinge sich entwickelt haben. Es ist nur … hmpf. Ich habe auf meiner Rückreise viel über den Mann gehört, der dieses Chaos anführt, Trigon. Einem Saal voller mächtiger Persönlichkeiten den eigenen Willen aufzwingen, eine Burg in einer Nacht von Schemen verschlingen lassen und eine Stadt nach der anderen in die Knie zwingen … Haben wir überhaupt eine Chance?“
Solche Worte ausgerechnet von Jeanne zu hören, irritierte Trigon. Er hätte es von einigen erwartet, am ehesten noch aus dem eigenen Mund. Aber nicht von ihr.
„I-Ich … ich weiss nicht? Aber wenn Königin Bertha und König Helmut in den Kampf ziehen wollen, dann … da-dann werden wir folgen müssen. Dazu sind wir da.“
„Ich hab nicht vor, aufzugeben. Ne, ne! Ich präsentiere diesen Schrecken gerne das scharfe Ende meiner Klinge!“, versicherte Jeanne sofort. „Ich dachte mir nur … Wer oder was auch immer dieser Heerführer letztendlich ist, er nutzt tiefste Schwarzmagie. Er ist ein Gegner, den wir weder kennen noch verstehen können. Deine Mutter aber –“
„Nein“, unterbrach Trigon sie härter als eigentlich beabsichtigt.
„Aber –“, begann Jeanne wieder und auch diesmal unterbrach Trigon sie. Er löste sich von ihr und lenkte sein Pferd weiter nach links, aus Jeannes Reichweite hinaus.
„Jeanne, nein! Du weisst genau, da-dass du …! Sie ist nicht meine Mutter. Ausserdem … Ich hatte erst vor e-einigen Tagen Besuch von ihr und das h-h-hat mir gereicht.“
„Ha“, machte Jeanne.
Sie lenkte ihr Pferd wieder näher an seines. Würde er ihr keine Antwort geben, würde sie Ankidria danach fragen. Oder noch schlimmer, Ver oder die Angestellten! Als hätten nicht schon genug Leute über den Vorfall gesprochen.
„Es ging um … Daughn.“
„Ihr ist aber nichts passiert?“, fragte Jeanne alarmiert.
„Nein, Gäa bewahre! Ich v-verstehe es selbst noch nicht ganz, aber … die Kinder wollten u-unbedingt einen Zauber sehen. Ich habe sie weggeschickt und dann hat … dann hat Daughn ganz alleine Noken Lithrilimra-Guld bei Mimi angewandt.“
Jeanne lächelte auf einmal sehr blödsinnig. Sie wusste nicht, wovon er sprach.
„Taschendiebs Zauber“, übersetzte Trigon den Namen also in eine einfachere Form.
„Ah! Der Hosenverschwindetrick!“, rief Jeanne aus.
„Wa-Was?! Nein! Nenn es nicht so!“, empörte sich Trigon.
„Aber du hast Frau Margaretes Hose damit verschwinden lassen!“
„U-Unabsichtlich vor langer Zeit! Und du weisst, dass der Zauber nicht s-so heisst!“
Jeanne lachte auf und war inzwischen wieder genug nahe, um ihm noch mal auf den Arm zu klopfen. Trigon sah sie entrüstet an, aber weiter ausweichen konnte er nicht, sonst hätte er Firnin in den Graben lenken müssen.
„He … he. Schon gut, Sonnenschein. Ich wollte dich nur ein wenig aus der Reserve locken. Erzähl, es mir noch einmal genauer. Ich nehme das sehr ernst.“
Trigon fühlte sich nicht ernst genommen, erzählte ihr aber dennoch alles, was an diesem Tag geschehen war. Von Daughns Zauber und seinen Gefühlen danach, dem plötzlichen Besuch der Hexen und den spöttischen Kommentaren. Wie traurig Daughn gewesen war, als er ihr verboten hatte, noch einmal einen Zauber anzuwenden, wenn er es nicht explizit erlaubte. Wie die Kinder den ganzen Tag unruhig gewesen und am Abend noch einmal geweint hatten.
„Ich mag die Hexen auch nicht, Trigon, aber … Du bist ein starker Magier mit mehreren Kindern. Die Wahrscheinlichkeit war gross, dass du etwas davon vererben wirst und Daughn war dir schon immer am ähnlichsten.“
Er wusste nicht, ob er Jeanne wegscheuchen oder sich bei ihr ausweinen sollte. Entweder, sie wollte ihn aufmuntern und war schlechter darin als Ailée beim Lügen, oder sie schien wahrhaftig nicht zu verstehen, was das offensichtliche Problem war.
„Daughn ist … Sie war schon immer etwas anders. Sie kommt wenig mit anderen aus und wird von den Angestellten und den Leuten im Dorf schief beäugt. Jetzt haben wir herausgefunden, dass sie einen Zugang zu ihrer Seele besitzt. Sie ist erst sechs, Jeanne. Ich war zehn! Und selbst da konnte ich nicht –! M-Magie rau über den Körper auszustossen ist das eine. Sie aber zu leiten und bewusst zu ziehen und formen … Die alten Formeln existieren, um Unfälle zu vermeiden. Sie zu lernen und richtig auszuführen benötigt langes Training! Daughn hat mir nur zugesehen, nur wenige Worte des eigentlichen Zaubers gehört und ihn doch … halbwegs korrekt angewandt. D-Das ist … Wie soll ich auf sie aufpassen?“
Hätte er stolz auf sie sein müssen? Vielleicht. Ihre Verbindung zur Seele musste stark sein und ihr Kopf für ihr Alter auch, wenn sie die Kraft so gezielt schon einsetzen konnte. Aber eigentlich hatte er Angst um sie. Aktive Magie in Menschen war selten, wurde von manchen als ein Geschenk der Götter bezeichnet. Andere aber fürchteten sie. Sie war der Grund, weswegen sie ihre Ernte stärken und Verletzungen heilen konnten. Aber ihretwegen existierte auch die Gefahr an ihrer Grenze. Die Menschen waren ihr unterlegen und das verängstigte sie. Ein kleines Mädchen mit Silberhaar war etwas anderes als ein respektierter Ritter mit Studium.
„Und … die Katze ist wieder aufgetaucht oder besitzt ihr jetzt Kaninchen?“
„Jeanne! Mimi geht es gut. Sie wurde nicht weit wegtransportiert und war in einem Stück, a-aber es hätte auch g-ganz anders … Bitte vergiss es einfach.“
„Vergessen, ha!“, krächzte Jeanne, jedoch blieb sie danach ruhig. Auch Trigon wollte nicht mehr reden und so schwiegen sie auf dem ganzen restlichen Weg.
Zuhause wurden sie von Ankidria, Ver und den Zwillingen begrüsst. Jeanne sprang überschwänglich von ihrem Falben und drückte die Kinder und auch Ankidria kurz, mit Ver schlug sie die Knöchel zusammen. Jan und Rian wollten sofort wissen, ob Jeanne ihnen Geschenke mitgebracht hatte. Sie kriegten beide je eine Zuckerstange, Bonbons und ein kleines Jagdmesser.
„Taron hat doch also nicht wirklich …“, seufzte Ankidria.
„Ne, ne!“, erklärte Jeanne eilig. „Er hat den Zucker beigelegt. Die Messer sind von mir.“
Ankidria lächelte gequält und Trigon schloss sich ihr an.
„Danke, Jeanne! Jeanne, ich werde die beste Ritterin! Frau Rian von Lichtrain!“, rief Rian und warf das Messer übertrieben lässig in die Höhe. Ankidria ächzte, als Rian nicht schaffte, das Messer wieder aufzufangen und es stattdessen mit der Spitze voran zwischen ihren Schuhen im Schnee stecken blieb. Ver und Jan lachten.
„He, beste Ritterin! Eher bester Quäkefrosch!“, feixte Jan.
„Kinder, seid vorsichtig mit den Messern. Das ist kein Spielzeug“, erinnerte Ankidria.
„Eure Mutter hat recht. Ihr könntet jemanden damit verletzen“, ergänzte Trigon.
„Ihr habt sie gehört. Die Ritterschaft ist schick, mhm, die schickste. Aber sie ist vor allem auch verantwortungsbewusst“, sagte Jeanne nun doch auch ernst.
„Ja-ah!“, machten beide Zwillinge, ehe sie hinter dem Stall verschwanden.
„Ich soll euch übrigens einen Gruss vom alten Herren ausrichten. Bei ihm ist soweit alles in Ordnung“, erzählte Jeanne, sobald die Kinder weg waren.
„Der kann leicht reden. Tut doch nichts ausser mit den Pferden spielen“, schnaufte Ver.
Dieses eine Mal musste Trigon ihm recht geben. Sein Vater verbrachte zu wenig mit bedeutsamen Dingen. Dabei war ihm sein Ruf doch immer so wichtig gewesen.
„Danke, Jeanne. Auch für die Geschenke. Etwas mit weniger Klinge wäre mir lieber gewesen, aber die Kinder besuchen doch passenden Unterricht“, sagte Ankidria.
„Ha! Wo das herkommt, gibt es noch viel mehr, auch für euch! Würde von Überraschungen reden, aber nach der Sache mit Daughn und Jades Besuch …“
Jeanne zuckte mit den Schultern und Trigons Gesicht fror ein. Er hätte es wissen sollen. Seine Base und ihr sturer Kopf!
„Uff, der hat zu tief gesessen“, sagte Ver, anstatt wie sonst einen Witz zu reissen.
Mehr aber noch erstaunte Trigon Ankidrias Antwort: „Die Hexen, jo richtig. Es ist vielleicht gar nicht so schlecht … dass sie wieder hier waren, meine ich. Der Mann, der hinter den Angriffen steckt, soll ein Meister der dunklen Magie sein und vielleicht sogar direkt mit den Schemengöttern zu tun haben. Die Hexen waren nicht alleine diesmal. Sie hatten ebenfalls einen … einen Wächter bei sich. Die Erinnerung schaudert mich jetzt noch, aber was ist, wenn sie mehr wissen? Darkeen helfen können?“
„Meine Rede!“, rief Jeanne und hielt ihr die Hand zum Einschlagen hin, was Ankidria aber ignorierte. Sie schaute direkt zu ihm und normalerweise blickte Trigon gerne in ihre schönen Augen. Nicht aber bei diesem Vorschlag.
„Ankidria … nein. Du weisst, dass ich …! D-Du warst doch dabei und hast a-auch …“
„Frau Ritter Jeanne! Hallo!“, machte eine feine Stimme auf sich aufmerksam.
Daughn stand an der Tür zum Haus und winkte. Trigon wusste nicht, ob sie etwas von dem Gespräch mitgehört hatte. Wahrscheinlich nicht. Aber er war froh, dass sie nun ihr Thema wechselten. Jeanne übergab auch Daughn gleich Geschenke, diesmal ohne Waffe. Die Kleine durfte die Feder eines nordischen Jagdfalken ihr Eigen nennen.
„Wunderschön! Danke, Jeanne, danke! Wie in meinem Traum heute!“
„Du hast von Falken geträumt?“, fragte Jeanne schmunzelnd.
„Nein, keine Falken! Aber da war ein trauriges Mädchen … und Federn. Grosse, weisse Federn waren das. Und auch goldene!“
„Hm, in so grossen, weissen Federn könnte ich auch direkt versinken. Es war ein weiter Ritt“, stellte Jeanne fest und gähnte.
„Und ich könnte direkt einen besonders dicken Vogel golden knusprig braten und bis auf die Knochen abnagen“, gluckste Ver.
„Oheim! Nein! Näääiiin!!“, schrie Daughn voller Entsetzen.
Alles Erklären nützte nichts und dass Ver sich in seiner Meinung bestätigt fühlte, half noch weniger. Erst, als er Daughn versprach, ganz nett zu allen Vögeln zu sein und sie selbst verkündet hatte, niemals einen Vogel zu essen, wurde die Situation besser. Trigon hoffte, dass nach dieser Ablenkung keiner mehr an die Hexen dachte. Aber natürlich lag er falsch. Sie dachten alle daran. Der Winter hatte nur Sorgen gebracht.