„So kurz erst war es her, da lagst du noch als kleines Ding in meinen Armen, Trigon. Ich hatte dir diesen Namen nicht nur gegeben, weil er deinem Vater ähnelte, sondern weil ich bereits wusste, wie stark die Magie in allen drei Aspekten in dir schlummerte. Und jetzt, jetzt hast du schon selbst Kinder. Deine ersten Schritte und Worte, deine ersten Zauber … Für eine Hexe in meinem Alter läuft die Zeit schnell, aber ich habe dich nie aus den Augen gelassen. Wäre dein Vater nicht gewesen, hätte ich dich öfters besucht. Weniger heimlich.“
„Da du k-keinen Grund zu haben sch-scheinst, hier zu s-s-s…“ Trigon holte tief Luft und versuchte die unangenehmen Gefühle zu verdrängen. Er wollte keine Schwäche vor Jade zeigen.
„Ich habe immer einen Grund“, sagte sie. „Du bist mein Kind und du trägst meine Magie in deinem Körper. Ich habe jedes Recht, dich und deine Familie zu sehen.“
„Geh, bevor ich … deine Anwesenheit … der Garde melden muss!“, zischte Trigon.
Die Blase zeigte inzwischen ein Bild seiner Kinder. Seiner Kinder und seiner Ankidria. Die Schemen liessen ihre Gestalten verzerrt und krank wirken und Trigon wollte es nicht sehen. Er formte ein kleines Licht zwischen seinen Fingern und warf es in die Blase. Er war nicht so stark wie Jade, aber es reichte, um das Bild und auch die Blase zu zerstören. Jade wirkte gekränkt. Es war nur Schauspielerei, aber sie sah so überzeugend aus.
„Ich hoffe, du lernst bis zu meinem nächsten Besuch, dich wie ein Erwachsener zu benehmen, Trigon!“
Sie erhob sich und verliess das Zimmer durch die Tür. Selbst das schwere Knallen von Holz und Metall konnte den Nachhall ihrer kalten, scharfen Stimme nicht aus seinem Kopf verbannen. Trigon stand noch lange da und konnte sich kaum rühren. Er zog lediglich seine Stiefel und den Mantel aus, ehe er sich auf sein Bett legte und den Vorfall zu vergessen versuchte. Er war nicht wie sie. Seine Magie war nicht wie ihre. Er war nicht düster wie sie. Er war doch ein Vorbild. Einer der Guten.
Vier Tage später befand sich Trigon wieder auf dem Weg nach Lichtrain. Wie versprochen hatte er Yarin mitkommen lassen. Der Bursche hatte ihn tatsächlich schon einen Tag nach dem Gespräch aufgesucht. In einem ewig langen Monolog hatte er unzählige Dinge über sich, sein Handwerk und seine Heimat erzählt. Auch jetzt redete er und Trigon verstand nicht, wie dem Burschen überhaupt noch neue Dinge einfallen konnten.
„… genau darum sehe ich meine liebe Grossmutter nur äusserst selten. Mir macht es natürlich überhaupt nichts aus, ich zeige auch keine Anzeichen aktiver Magie mehr, aber meine Mutter, die spürt es schon ab und zu. Darum kauft mein Vater immer ganz, ganz viele Blumen für sie und versucht sich sogar als Gärtner. Es ist nicht sein Talent. Nicht so wie die Malerei“, quasselte Yarin.
Yarin hatte nicht erwartet, dass der Weg nach Lichtrain lange sein würde. Lange, seiner Meinung zufolge. Er hatte ständig nach einer Pause verlangt, nach Kieseln in seinen Schuhen suchen oder unbedingt ein bestimmtes Ding auf dem Weg lange anschauen wollen. Für das letzte Stück des Weges hatte Trigon ihn deswegen auf seine Firnin gesetzt.
Während seiner ersten Tage in Liskia hatten einige Adelige und sogar die Prinzessin Yarin neugierig für Gemälde angestellt. Aber das Interesse war schnell wieder abgeflaut. Er hatte Bekannte und eine Unterkunft, aber sein Geld musste er selbst verdienen. Ohne Trigon hätte er vielleicht schon zurück nach Na’Rin müssen. Trigon fand Yarin anstrengend, aber er hatte auch Mitleid mit ihm. Eltern sollten stolz auf ihre Kinder sein dürfen.
Alle waren erstaunt, als sie ihn zusammen mit dem fremden Jungen sahen. Aber Yarin vergass sofort, dass ihm angeblich die Füsse, der Hintern und auch sonst alle Körperstellen schmerzten, und erklärte die Situation laut und ausschweifend. Ankidria fand die Idee äusserst entzückend. Die allgemeine Aufregung flachte aber ab, als Yarin erklärte, dass er erst einmal nur den Hintergrund richtig malen müsse und allgemein mehrere Tage haben würde, um die ganze Familie gut auf die Leinwand zu bringen. Dennoch fand Ankidria, dass sich Trigon für die erste Skizze bereits schön frisch machen und seine gute Kleidung anziehen sollte. Als er wieder in den Hof trat, hatte Yarin seine Staffelei vor der kleinen Mauer in Richtung des Gartens aufgebaut.
„Vati! Vati! Hallooo! Ich will die Grösste sein, Vati!“, kreischte Ailée und rannte ihm entgegen. Trigon hob seine jüngste Tochter auf seinen Arm.
„Hallo, Vater. Willkommen, willkommen“, sagte Daughn, die auf die Mauer geklettert war und ihren Stoffhasen dabei hatte. Sie nahm dessen Pfote und winkte ihm damit zu.
„Hallo, Daughn. Hallo Herr Zauberhase“, antwortete Trigon und kniff ihr mit der freien Hand fein in die Wange. Daughn gluckste und gab ihm einen Begrüssungskuss.
„Vati, warum bringst du fremde Kinder mit? Sind wir nicht schon genug anstrengend?“, fragte Jan schalkhaft und liess eine anständige Begrüssung aus.
„Unser Zimmer ist jetzt schon zu klein, weil Jan so viel Müll herumliegen lässt! Ich will es nicht mit noch einem Hohlkopf teilen!“, meckerte Rian genauso verschmitzt.
„Ach, Kinder. Ihr lasst mir auch nie eine Pause“, ächzte Trigon.
„Kinder, also begrüsst euren Vater doch erst einmal. Ich habe euch schon erklärt, dass er ein bezahlter Künstler ist und kein Ersatzbruder“, seufzte Ankidria.
Die Zwillinge lachten und umarmten Trigon beide schnell. Jan lachte aber nicht mehr, als Rian den Vorschlag machte, ihn mit dem Künstler auszutauschen. Yarin selbst hörte von dem Austausch nichts. Er war zum anderen Ende des Platzes gerannt, um sich auch aus der Ferne anzusehen, ob sie so gut positioniert waren.
„Herr Trigon! Gut seht Ihr aus, sehr edel und schön! Behaltet die Kleine genauso auf Eurem Arm und legt den anderen auf die Schulter Eurer Frau! Dann können die Zwillinge vorne hin, etwas versetzt natürlich und dann hm, dann sollte das so passen“, erklärte Yarin, sobald er wieder vor ihren stand. Er erklärte ihnen auch andere Dinge, hauptsächlich, dass sie möglichst still stehen und nur leicht lächeln sollten. Jan und Rian grinsten daraufhin extra breit.
Die Skizze war erstaunlich schnell gemacht und das, obwohl Yarin sich extra noch alle Farben einzeln notierte, die er nachher benötigen würde. Dann aber ging es an das Gemälde selbst und Yarin war lange beschäftigt. Sie mussten zum Glück nicht die ganze Zeit über vor ihm stehen, denn die Kinder wurden schon bald unruhig und begannen dem Künstler Fragen zu stellen oder auch direkt miteinander zu reden. Manchmal antwortete Yarin, öfter schaute er missbilligend hinter der Leinwand hervor und erinnerte daran, dass sie ihm seine Konzentration lassen mussten, wenn das Bild denn gelingen sollte. Trigon wollte nicht böse über ihn denken, aber er am dritten Tag begann er sich zu fragen, ob Yarin absichtlich so langsam arbeitete und die Hälfte der Zeit damit verschwendete, auf dem Hof herumzuwandern, ganz andere Dinge zu skizzieren oder auch einfach mit Ankidria und den Kindern im Wohnzimmer zu sitzen und extra viel Früchtekuchen zu essen. Ver zumindest war gar nicht begeistert, als er davon erfuhr. Vielleicht war er aber auch etwas eingeschnappt, dass sie mit dem Gemälde nicht hatten warten können, bis er auch Zeit zum Posieren gehabt hätte.
Es war der fünfte Nachmittag, als sie endlich wieder vor der Mauer in ihre Positionen gehen konnten und Yarin ankündete, nun mit den letzten Details Leben in das Gemälde zu bringen.
„Yarin, stimmt es, dass es in Na’Rin viele Priester und gar keine Ritter gibt?“, fragte Rian.
„Natürlich gibt es auch in Na’Rin eine Garde. Wir haben aber kein eigenes Königshaus“, antwortete Yarin mit einem äusserst kritischen Blick, „und ihr müsst euch jetzt gar nicht so anschauen, sondern zu mir schauen, sonst haben eure Abbilder statt Gesichtern dann Fratzen!“
„Ich werde später auch ein Ritter und wenn ich der beste Ritter von allen bin, dann pass ich gut auf meine Schwestern auf!“, prahlte Jan mit stolz vorgestreckter Brust.
„Du meinst, wenn du der förigste Ritter von allen wirst“, korrigierte Rian.
„Was? Gar nicht wahr, das wird nie passieren!“
„Ich werde Ritter und besser als du!“
„Du meinst wohl Ritterin?“
„Jeanne sagt, da gibt es keinen Unterschied und darum heisst es eigentlich –!“
„Kinder …“, begann Trigon, konnte aber nichts mehr verhindern. Jan drückte seiner Zwillingsschwester beide Hände ins Gesicht und zog an ihren Wangen. Rian heulte auf und packte Nase und Ohr ihres Bruders. So blieben beide und schaukelten, nicht bereit, vor dem anderen aufzugeben. Daughn sog entsetzt Luft ein und Ailée kicherte.
„Was tut ihr nun schon wieder?!“, japste Yarin.
„Wir zerstören dein langsames Bild!“, behauptete Jan mit zugehaltener Nase.
„Oh, bei Gäa! Es geeeht doch gar nicht mehr lange!“, jaulte Yarin.
„Ihr habt ihn gehört“, mahnte Ankidria.