„Ich verstehe echt nicht, wieso wir diesen förigen Bengel behalten. Der hat auf seinem Kopf genauso viel Pfirsichmus wie darin und den Muskeln doch sowieso! Kommt her und denkt, er könne ohne Gegenleistungen schmausen.“
„Ver, ich bitte dich …“, mahnte Ankidria ihren Bruder. „Dir wäre doch genauso wenig recht, wenn er stärker wäre und besser als du ganze Bäume fällen könnte. Dann wärst nämlich auf einmal du der Förige.“
„Hm. Jo. Wahrscheinlich.“
Ver schmunzelte und schaute auf das Beil, das er noch in der Rechten hielt. Er war nur dann glücklich, wenn er aktiv etwas machen konnte. Immer wieder übernahm er Aufgaben ihrer Angestellten und eine ruhige Pause kannte dieser Mann nicht. Trigon war mit ihm aufgewachsen, damals als ihre beiden Väter noch am Hof gewesen und sich um die Finanzen gekümmert hatten. Schon als Kind war Ver auf jeden Baum geklettert, hatte jeden Schädling mit alten Pfannen gejagt und Ankidria hatte Trigon gerade noch rechtzeitig aus dem Weg gezogen. All die Jahre hatten nur wenig verändert.
„Wie auch immer. Alter Mann meiner Schwester, erzähl uns von der Welt!“
Trigon nickte schwach. Im Wohnzimmer war es leise geworden. Entweder die Kinder hatten sich auf die Zimmer verzogen oder sie standen direkt hinter der Tür und lauschten. Bestimmt lauschten sie. Zumindest die Zwillinge waren ähnliche Wildfänge wie ihr Oheim und nutzen jede Gelegenheit zum Ärger machen.
„Ich werde wahrscheinlich … I-ich werde nicht so lange bleiben können wie geplant.“
Ankidria nahm die Neuigkeit gar nicht gut auf. Sie löste sich von ihm, lief einige Schritte durch den Raum und setzte sich letztendlich wieder. Sie ächzte leise dabei und fasste sich an den Bauch.
„Inwiefern wirst du das? Also nicht bleiben können. Zum Fest wenigstens bist du doch aber trotzdem hier?“
„Das … d-das kann ich wirklich n-noch nicht sagen“, murmelte Trigon.
„Was ist denn überhaupt los? Ist es der König?“, wollte Ver wissen.
„Nein … nein. Es ist mehr …“, Trigon hob die Arme und versuchte damit seine Gedanken zu verdeutlichen und zu ordnen, „im Süden gibt es e-einen neuen … Heerführer.“
Die Geschwister blickten ihn fragend an. Trigon schüttelte den Kopf und wünschte sich, dass er selbst tatsächlich mehr gewusst hätte.
„Der Grosse Rat wurde durch einen A-Alleinherrscher ersetzt. Wir wissen n-noch nicht genau, w-wer … was, aber –! Der Windbeutel , de-der ähm … So nennen sie in Liskia den K-Kupferkönig, weil er … Auf jeden Fall will er sich wohl diesem H-He-Heerführer anschliessen und i-ich meine, was kann man a-auch von einem K-König erwarten, der sich mit K-Kupfer u-u–“
„Scht … Trigon. Durchatmen und dann reden. Es ist nicht so schlimm“, sprach Ankidria und strich mit ihren Fingern über seine. Sie hatte recht. Aber es war schlimm.
„I-Ich weiss nicht, i-ich… Ich bin nur … Ich mache mir lediglich … Ich hoffe, dass es nur ein Gerücht bleibt“, erklärte Trigon und diesmal war seine Stimme kräftiger.
„Ein Heerführer, hm? Hat er aber auch ein Heer oder wollte er nur einen besonders harten Riegel vortäuschen?“, fragte Ver mit einer obszönen Geste, ehe er ein Glas aus dem Schrank fischte.
Ankidria warf ihrem Bruder einen strafenden Blick zu. Trigon verschränkte die Arme und strich sich tröstend über die eigenen Oberarme. Er fühlte sich schwach.
„Wir warten noch auf genauere Informationen, a-aber … es heisst, dass ein Fingerwink des Mannes genügt, um … Womöglich handelte es sich bei ihm um ein mächtiges, altes Zwischenwesen. Das, oder er steht in der Gunst ganz übler Gottheiten. Liskia w-wird mich im Notfall also b-brauchen als ihren … Magier. Gerade die Westlandbarbaren erhoffen sich doch schon la-lange Unterstützung für einen … neuen Krieg.“
„Krieg“, wiederholte Ankidria leise.
„Pha, wer würde uns schon angreifen?“, schnaufte Ver verächtlich.
Er zog sein Glas auf Augenhöhe und spähte durch das Gefäss hindurch zu ihnen. Anscheinend gefiel ihm der Anblick nicht, denn er legte das Glas weg und klang noch angewiderter, als er weitersprach: „Wie lange hält uns Gundra und sein Goldenes Reich bereits den Rücken frei? Hat viele Leute im Süden und Westen, will ich nicht bestreiten. Aber über Aurena laufen Verträge bis in den Norden hinauf und zu den Engeln, den Elfen und –! Gut, Zwerge sind keine Kämpfer, aber Respekt hat man vor denen trotzdem, oder? Also ich würde zumindest, wenn ich einer hübschen Albe begegne, sofort mein Hemd zerreissen und ihre Füsse nuckeln!“
„Ver!“, tadelte Ankidria, da sie seine Rede natürlich genauso unpassend fand wie Trigon.
Ver unterbrach sich jedoch schon selbst, beziehungsweise unterbrach ihn die Milch. Während seines Vortrags hatte er die Milchkanne aus dem Kühlkasten geholt. Es stand immer eine frische Kanne bereit mit Keksen und Früchten für eventuelle Gäste und auch ihren eigenen Gebrauch. Das Empfangszimmer war ein guter Ort, um kurz Ruhe vor den Kindern zu haben. Eine Erwachsenenzone. Direkt mit der Kanne an den Lippen hatte Ver sich eine rhetorische Pause gegönnt, doch der Schluck kam so schnell wieder raus, wie er rein war.
„Verdammt nochmal! Ist dieser blöde Kühlzauber schon wieder kaputt?! Trigon, du hattest dir das doch extra selbst noch einmal angeschaut, ich kann nicht –! Diese Milch ist nicht hinüber, sie ist grün! Grün!!“
Trigon war kurz zusammengezuckt und auch Ankidria stiess Luft aus und fasste sich an die Stirn. Er hätte etwas zu dem Kühlzauber sagen können, in erster Linie, dass die Methode zur Lebensmittellagerung mit Magie nicht so abwertend als ‚Kühlzauber‘ hätte bezeichnet werden dürfen. Aber Ver hätte sowieso nicht zugehört. Er würgte und strich dann mit einem Finger über den tatsächlich grünen Rand der Kanne.
„Die ist mit Farbe gemischt!“
„Oh“, machte Ankidria.
Trigon schwieg. Er hatte Vers Worte kaum verarbeitet, da war dieser auch schon an der Tür.
„Es reicht. Dieser verlauste Riner Bengel marschiert noch heute Nacht zurück nach Liskia!“
„Ver, du weisst doch gar nicht, ob er es war“, ächzte Ankidria leiser als sonst.
„Es war zumindest seine Farbe!“, brummte Ver, dann hatte er die Tür hinter sich zugezogen.
Trigon fühlte sich masslos überfordert. Er legte seinen viel zu schweren Kopf in die Hände und sank am Tisch zusammen.
„Trigon … mein lieber Trigon“, murmelte Ankidria und strich über seinen Rücken. „Selbst wenn –! Also selbst wenn das stimmt mit diesem Heerführer, dann heisst das für uns immer noch nicht das Schlimmste. Ver sagt viel und denkt wenig, aber es ist wahr, dass das Goldene Reich schon gut aufpasst. Das alles liegt in der Verantwortung der Herrscher und nicht in unserer. Wenn Alexander oder sonst einer dieser Hochadeligen denkt, dass du deswegen auf deine Erholung verzichten sollst, dann gehe ich das nächste Mal an deiner Stelle zur Burg und sag denen allen meine ehrliche Meinung!“
„Das ist … das ist lieb, aber nein, d-danke … Du weisst doch, es ist meine Pflicht, Ankidria.“
Sie erhob sich wieder und schlug mit einer Hand auf den Tisch. Trigon hatte das nicht erwartet und dementsprechend erschüttert schaute er zu seiner Ankidria hoch. Sie wirkte nicht wütend, sondern traurig. Traurig und besorgt.
„Eine Pflicht, du die nie wolltest! Fünfzehn Jahre schon dienst du diesem Land, aber was ist mit mir und den Kindern?! Was ist mit dir selbst!?“
Trigon wollte sie in die Arme nehmen und ihr sagen, dass alles gut war. Dass er es ab jetzt besser machen würde und sie sich nicht mehr sorgen mussten. Aber das wäre nicht die Wahrheit gewesen.
„Du … du wolltest meine T-Tante besuchen, nicht wahr?“, fragte Trigon und erinnerte sich an ihr Gespräch darüber und auch all die Gespräche davor. Er wusste nicht, was ihn so sehr daran hinderte, sich eine tatsächliche Pause zu gönnen. Niemand zwang ihn dazu, immer abrufbereit im Land zu sein. Aber ihm war, als hätte jemand eine gigantische Mauer um Darkeen aufgezogen. Eine Mauer, die vielleicht bald einstürzen würde.
„Ich will dich endlich wieder richtig lächeln sehen. Nur das“, hauchte Ankidria.
Trigon schloss die Augen und versuchte die schlimmen Bilder zu verdrängen. Dann erhob er sich und ging zu ihr, legte seine Arme um sie und atmete ihren beruhigenden Duft ein.
„S-Sobald diese Sache geregelt ist, Ankidria.“
Es würde gut kommen. Bald würde Gundra das ganze Goldene Reich und seine Verbündeten zu einer Versammlung in Aurena einladen und dem Süden beweisen, dass Gahlarias Frieden nicht angerührt werden konnte. Es würde keinen Krieg geben.