„I-Ich … ich glaube nicht, dass es falsch ist, wenn ich … absagen würde“, teilte Trigon seine Gedanken mit und konnte nicht verhindern, schwer seufzen zu müssen. „Aber ich will auch nicht voreilig sein. E-Eigentlich sind so Wettkämpfe harmlos. Nur für mi–! Nun hm … Ich fühle mich einfach nicht wohl dabei. Wenn ich die Rüstung trage und mein Sch-Schwert halte … Selbst nach a-all den Jahren zittern meine Finger u-und … ein jedes Ereignis, das tatsächlich zu Blut führte –!“
Auch Ankidria seufzte und schaute ihn bedauernd an. Jede andere Person hätte ihn für so eine Aussage gescholten oder gar ausgelacht. Sie aber trat zu ihm herüber und küsste ihn kurz und liebevoll. Sie setzte sich auf sein Knie und lehnte ihren Kopf an seinen. Trigon war froh, sie schon so lange in seinem Leben zu haben. Sie war sein persönliches Licht.
„Ich weiss … ich weiss. Ach, Trigon. Du machst deine Arbeit so gut wie selten jemand und deine Rüstung steht dir auch so gut wie sonst kaum jemandem. Aber du bist mehr als deine Pflicht. Bis zum Frühling dauert es noch lange. Vergiss diesen Wettbewerb vorerst und wenn es dann halt so weit ist, dann wirkt er vielleicht gar nicht mehr schlimm. Und sonst finden wir eine Ausrede. Vielleicht bin ich so mit unserem neuen Sprössling überfordert, dass ich viel Bettruhe brauche und dich nicht von meiner Seite weichen lassen kann. Wie wäre das?“
Sie lachte leise und Trigon konnte trotz der Schwere im Innern nicht anders, als wieder zu lächeln und sie zu drücken. Ankidria wusste immer eine Lösung. Vielleicht würde es tatsächlich nicht schlimm. Wahrscheinlich würde er sich nicht blossstellen. Bestimmt würde kein Unfall geschehen. Der Frühling würde schön sein, denn seine Familie war bei ihm und mit ihr würde ein neues, kleines Gesichtlein zu ihm aufsehen.
Ankidria löste sich von ihm, ergriff aber gleichzeitig seine Hand. Das einfache Lederband mit den Aventurinperlen, das sie immer an ihrem Handgelenkt trug, streifte ihn dabei. Sie hatte es zur Geburt der Zwillinge als Geschenk gekriegt. Trigon wusste nicht mehr, von wem. Aber es war ihre Erinnerung an den Beginn ihrer kleinen, so wunderbaren Familie.
Sie zog sanft an ihm und Trigon raffte sich in die Höhe. Er schaute sie fragend an, aber Ankidria zog ihn bereits zur Tür.
„Trigon, ich habe nachgedacht. Was wäre, wenn wir für eine Weile von hier fortgehen?“
Erst verstand Trigon nicht so ganz, wie sie das meinte und strauchelte darum leicht.
„Wie denn? Jetzt? O-Oder später mit den Kindern? An den See oder nach Waldauen?“
„Näi … Nein. Weiter und länger. Ich habe noch nie etwas anderes als die Hügellande gesehen und ich merke doch, wie müde du bist und Abstand brauchen könntest. Wir könnten deine Tante besuchen gehen. Oder sogar deinen Va–“
„Nein!“, unterbrach Trigon lauter als beabsichtigt. „… n-nein. Das geht nicht.“
Ankidria hielt an und wirkte unglaublich enttäuscht, aber sie widersprach ihm nicht. Trigon fühlte sich sofort schlecht. Er hätte ihr gerne eine Freude gemacht, aber er konnte doch nicht einfach … nicht mit all den Verpflichtungen. Den Erwartungen.
„Entschuldige mich, Ankidria. I-Ich werde noch … darüber nachdenken. Kann ich dir solange sonst eine Freude machen? Ich freue mich doch selbst so, wieder bei dir zu sein.“
Trigon drückte ihre Hand. Gerade war Ankidria die, die ihn nicht anschaute. Sie zögerte, hob dann den Blick langsam und legte ihre zweite Hand an seinen Reisemantel.
„Wie gesagt, sind die Kinder gerade alle ausser Haus und auch ich freue mich sehr, dich wieder hier zu haben. Ich habe dich vermisst, mein Lieber“, begann Ankidria und spielte dabei mit seinen Fingern und der Schnalle seines Umhangs.
„Hm“, machte Trigon und zögerte ebenfalls. Er wollte sie nicht noch mehr enttäuschen und er liebte sie so sehr, und doch –
„Das … das geht leider auch nicht. N-Nicht jetzt zumindest.“
Ankidria spielte weiterhin mit seinen Fingern, liess ihn dann los und zog ihm den Umhang von den Schultern. Sie legte ihn sich über die eigenen und zog die Kapuze über ihr langes Haar. Sie drehte sich einmal darin, schaute dann zurück zu ihm und zwinkerte. Trotz allem konnte seine Ankidria ihn immer noch lieben.
„Komm, zieh dir etwas Gemütlicheres an, du riechst noch viel zu sehr nach Arbeit! Wir machen einen Spaziergang, das wird uns beide gut ablenken.“
„Das klingt schön“, stimmte Trigon ihr diesmal zu.
Gemeinsam gingen sie durch den Garten in Richtung der Felder. Schon bald kamen die ersten Reihen der Obstbäume in Sicht. Auch wenn Trigon nicht viel mit diesem Gewerbe zu tun hatte, war er stolz darauf. Sein Vater hatte schon immer vorgehabt, ihn an Liskias Hof zu schicken. Er war der, der die Familie gegen aussen repräsentierte und die Verbindung zur Hauptstadt stärkte. Ankidria und ihr Bruder aber waren diejenigen, die alles zusammenhielten. Trigon fand schön, dass dank ihnen auf dem Land etwas unabhängig vom zeitweilig zweifelhaften Ruf seiner Familie gedeihen konnte.
Bei den Zwetschgenbäumen fanden sie Ver, Rian und Jan zusammen mit zweien aus dem Dorf. Die Zwillinge bemerkten sie zuerst und winkten sofort energisch. Trigon winkte zurück und umarmte beide, als sie sich in der Mitte trafen. Die zwei würden solch eine Freude an den Frühlingsspielen haben.
„Vati, wir haben so lange gewartet, wo warst du?!“, rief Jan, aber er klang freudig dabei.
„Jan behauptete ernsthaft, dass du noch förig Papiere ausfüllen musstest, aber ich behaupte, dass du ein besonders grosses Monster erlegt hast!“, erzählte Rian aufgeregt.
„Es war ein wenig von beiden Dingen. Aber jetzt bin ich hier und … will erst mal nur von euren Erlebnissen hören“, antwortete Trigon und schmunzelte. Nicht des Themas wegen, sondern weil seine beiden Ältesten ihn mit ihrer Energie ansteckten.
„Guten Abend, Frau Fischer. Guten Abend, Herr Slander“, grüsste der Bauer, dem sie den Platz liehen, während sein Gehilfe undeutlich nuschelte und kurz den Kopf senkte.
„Guten Abend euch beiden“, erwiderte Ankidria.
Ver nickte Trigon knapp zu, befand weitere Floskeln aber für überflüssig.
„Wird die letzte Ernte des Jahres“, erklärte er. „Dieses angeblich von Centhen geschöpfte und Hochelfen gesegnete Mittel hat den Bäumen zwar über den heissen Sommer hinweg geholfen. Aber gegen die verfluchten Wespen wirkt es halt keinen Dreck.“
„Ohm Ver sagt, dass wir Geld kriegen, wenn wir bei der Wespenjagd helfen!“, erwähnte Jan und drängte sich vor die Männer.
„Eine halbe Nike für jede Wespe! Und wenn wir ein ganzes Nest runterholen –“, ergänzte Rian und hängte sich an Ankidrias Seite.
„Ich halte das nicht für eine gute Idee“, unterbrach Ankidria. „Wenn ihr wirklich helfen wollt, dann sucht euch jetzt gleich die schönsten Früchte aus und bringt sie in die Küche. Dann können wir morgen alle zusammen einen frischen Kuchen essen.“
„Aber Mutti! Bei den Sommerbrummern durften wir auch helfen!“, meckerte Jan.
„Die sind nur laut und stechen nicht, du Holzwurm!“, zischte seine Schwester.
„Na darum erhalten wir für die Wespen auch mehr Geld!“, murrte der Bruder zurück.
„Eure Mutter hat recht. Ich halte es auch nicht für eine gute Idee“, merkte Trigon an. Das war keine Arbeit für die beiden. Schon Mückenstiche führten immer wieder zu viel Meckern.
Die Zwillinge ächzten und schauten zu ihrem Oheim hoch, als ob er etwas an der Entscheidung hätte ändern können. Ver zuckte mit den Schultern.
„Ihr habt sie gehört, Läusel. Ich finde sicher mal eine andere Arbeit für euch.“
Erneut ächzten die Kinder, entfernten sich dann aber.
„Suchen wir halt die schönsten Zwetschgen“, brummelte Jan.
„Wir können auch einfach so ein Nest kaputt machen“, schlug Rian vor.
„Glaubt nicht, Gäa erhöre die Gebete von ungehorsamen Kindern mit Wespenstichen!“, rief Ankidria ihnen nach und das wirkte! Die zwei zogen ihre Köpfe ein und eilten davon.
„Ich habe ihnen nicht so wirklich Geld angeboten“, behauptete Ver. Trigon schaute ihn an und konnte ihm das nicht abkaufen. Aber er sagte nichts, denn es spielte keine Rolle mehr. Sie würden artig auf Ankidria hören. Ihre Kinder und auch ihr Bruder.
„Darüber werden wir uns später noch einmal unterhalten“, ermahnte Ankidria, ehe sie sich dem Bauern und seinem Gehilfen zuwandte. „Aber ich hoffe doch, dass es trotz der Wespen zu einer guten letzten Ernte kommen wird?“
Der Gehilfe fühlte sich nicht angesprochen, sein Meister aber nickte und grinste, denn niemand konnte Ankidrias strahlender Natur widerstehen. „Wird nicht ganz an die Menge vom Ausnahmejahr fünf-dreissig heranreichen. Aber die Erträge werden gut bis zum Frühling halten, wenn wir die Konfitürenproduktion einrechnen. Den Äpfeln geht es besonders gut. Ich kann Euch später gerne eine Kostprobe vorbeibringen.“
„Dieses Angebot nehme ich gerne an. Einen guten Abend noch und einen schönen Gruss an die Familie“, wünschte Ankidria.
„Zu gütig, Frau Fischer. Einen schönen Abend“, wünschte auch der Bauer.
„Viel Erfolg“, sagte Trigon und kam sich sofort dumm vor. Ein Glück hatte Ankidria ihn schon ein ganzen Stück weitergezogen. Vielleicht hatten die das gar nicht mehr gehört.
„Lauft aber nicht zu weit weg! Äpfel sind das eine, aber Kirschen werden faul, wenn sie zu viel Bewegung und keinen haben, der sie vernascht!“, brüllte Ver ihnen hinterher.
Trigon zog eine Grimasse und beschleunigte seinen Schritt.
„Hör nicht auf ihn“, flüsterte Ankidria, aber Trigon konnte das nicht so leicht aus dem Kopf gehen, nicht nach ihrem Gespräch vorhin. Dementsprechend redeten sie weniger als sonst auf dem Rest des Spaziergangs. Der Himmel glühte rot und purpur in der Ferne hinter den Saren und auf der anderen Seite dunkelte er bereits, als sie wieder beim Anwesen ankamen.